Arbeitsschwerpunkte

1. Rhetorikgeschichte

Die Geschichte der Rhetorik, ihrer Theorie, ihrer Kategorien und Begriffe sowie die Geschichte der Rede selbst, ihrer Formen und Bedingungen, ist noch längst nicht ausreichend erforscht. Da die Rhetorik über mehr als zwei Jahrtausende europäischer Geistesgeschichte eine der führenden Bildungsinstitutionen war, ist die rhetorische Tradition bei jeder anderen historischen Fragestellung von erkenntnisleitendem Interesse. Für die Geistes- und Sozialwissenschaften leistet die Rhetorikgeschichte Grundlagenforschung.

Auf dieser Basis konzipierte Ueding nicht nur das "Historische Wörterbuch der Rhetorik" und verschiedene Themenbände des Jahrbuchs "Rhetorik", sondern auch mehrere einführende Darstellungen zur Rhetorikgeschichte. Besonders hervorzuheben sind dabei die Bände "Klassische Rhetorik" und "Moderne Rhetorik" aus dem Beck-Verlag und das gemeinsam mit Bernd Steinbrink verfaßte Standardwerk "Grundriß der Rhetorik".

2. Rhetorik und Ästhetik seit dem 18. Jahrhundert

Das 18. Jahrhundert ist für die Rhetorikgeschichte ein Wendepunkt: Aus der Rhetorik entwickelte sich die neuzeitliche Ästhetik. Zugleich verstärkte sich die Ästhetisierung der Rhetorik, worin einer der Gründe für ihre spätere Verdrängung aus dem gesellschaftspolitischen Bewußtsein und damit aus den Bildungsinstitutionen lag. Im Mittelpunkt des Interesses standen hier besonders die kunsttheoretischen Entwürfe von Baumgarten, Winckelmann oder Schiller. Durch diese geriet nicht nur die gesamte literarische Epoche der Klassik und Romantik ins Blickfeld, sondern auch ihre theoretische Begründung sowie ihre praktisch-künstlerische Umsetzung bei Goethe und Schiller, Hölderlin und Kleist, Jean Paul, Tieck oder Novalis.

Eine ganze Reihe von Büchern und Aufsätzen belegt diesen Forschungsschwerpunkt: Uedings Band zur "Klassik und Romantik" in Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, seine Arbeit zu "Schillers Rhetorik", die Monographien über "Friedrich Schiller" und "Jean Paul" oder auch die Edition von "Goethes Reden und Ansprachen".

Die zahlreichen über sein ganzes Werk verstreuten Beiträge Uedings zur Rhetorik-Theorie (zur Philosophie der Rhetorik, zur Rhetorik als offenes System zur Bild- und Affektrhetorik, zur politischen Dimension der Rhetorik) sind Vorstudien zum Projekt einer zusammenfassenden Grundlegung des Faches.

3. Rhetorische Theorie der Massenliteratur - Rhetorik und Poetik der Kinderliteratur

Ein Schwerpunkt von Uedings Forschung liegt in einem Bereich, der von anderen literaturwissenschaftlichen Disziplinen, aber auch von der Sozialpsychologie lange vernachlässigt wurde: die Trivialliteratur. Die Themen reichen von den Volksbüchern und Moritaten des 16. Jahrhunderts bis zu der unübersehbaren Flut der modernen Heftchenliteratur und ihren Pendants in den Massenmedien. Krimi oder Science-fiction, Agentenstory oder Liebesroman sind planvoll und mit genauer Kenntnis der Publikumsbedürfnisse hergestellte Produkte. Wirkungsintentionalität, Regelhaftigkeit, serielle Produktion machen sie der rhetorischen Analyse auf umfassende Weise zugänglich. Dasselbe gilt für die Kinderliteratur, deren pädagogische Zwecksetzung die künstlerischen Mittel dominiert, so daß sie die Kriterien rhetorischer Prosa auf hervorragende Weise erfüllt.
Ueding hat auf diesem Gebiet zahlreiche grundlegende Publikationen vorgelegt, vom "Glanzvollen Elend" - einem "Versuch über Kitsch und Kolportage" - über seine Wilhelm-Busch-Studie, die Herausgabe von Buschs "Sämtlichen Bilderbogen" und einer Wilhelm-Busch-Werkausgabe bis hin zum "Karl-May-Handbuch" und zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen zur Abenteuerliteratur des 19. Jahrhunderts.

4. Rhetorik und Gesellschaftsethik

Die Rhetorik ist nicht nur für die praktisch-politische Beredsamkeit von Bedeutung. Sie enthält seit ihren antiken Ursprüngen auch ein gesellschaftsethisches Programm, das in den wechselnden historischen Situationen in ganz unterschiedlichen Ausprägungen hervortritt: Die Kunst der Rede ist mit all ihren Voraussetzungen und Anforderungen, die sie an den Redner stellt, immer zugleich auch eine Lebens- und Umgangskunst, die weit über die trivialen Anleitungen zum guten und gewandten Benehmen hinausgeht. Neben Castigliones "Buch vom Hofmann" findet diese Tradition in Knigges "Umgang mit Menschen" einen ihrer Höhepunkte.

Die Edition von Knigges "Umgang" durch Gert Ueding sowie verschiedene einschlägige Aufsätze und Vorträge markieren den Beginn der modernen Knigge-Forschung in Deutschland. Sie haben einige Forschungsarbeiten zur "Gesprächskultur" und "Geselligkeit" - insbesondere im 18. Jahrhundert - initiiert, die seither am Seminar entstanden sind.

5. Literaturkritik

Die Literaturkritik ist eine argumentativ wie stilistisch deutlich rhetorisch geprägte Textgattung. Da keine Regelpoetik heute mehr verbindliche Kriterien zur Bewertung von Dichtung liefert, ist jede Kritik zunächst darauf angewiesen, unter Berücksichtigung der vorgefaßten Meinungen und Stimmungen des Publikums ihre eigenen Maßstäbe plausibel zu machen: die Leser oder Zuhörer zu überzeugen und gegebenenfalls zu Kauf und Lektüre eines Buches zu bewegen. Dies ist eine klassische rhetorische Situation, die prinzipiell weder auf literarische Qualitätsbeweise noch auf Rezeptionsanweisungen hin hintergehbar ist.

Ueding hat einen Band zur "Literaturkritik heute" ("Gründlich verstehen") herausgegeben und ist seit vielen Jahren einer der renommiertesten Literaturkritiker in Deutschland.

6. Topik der Utopik

Utopisches Denken ist eine Konstante in der europäischen Geistesgeschichte und schon in der Antike, insbesondere aber in der humanistischen Renaissance eng mit der Rhetorik verbunden. Aufgrund ihres praktischen Wirkungsbezugs und der fehlenden empirischen Aufweismöglichkeit bedarf die Utopie auf besondere Weise der persuasiven Mittel, um ihre Adressaten überzeugen zu können. Rhetorische und dialektische Argumentation bestimmen das utopische Denken. Der Topik kommt dabei sowohl intensive als auch argumentative Bedeutung zu - als dem Verfahren, das durch Kombination aus Bekanntem und allgemein Akzeptiertem neue Konzepte schafft.
In welchem Maße Rhetorik und Topik auch das moderne utopische Denken prägen, machen die Forschungen Uedings zur Philosophie Blochs sichtbar. Aus diesen ist eine Reihe von Forschungsveröffentlichungen und Editionen ("Ästhetik des Vorscheins", „Utopie in dürftiger Zeit“) hervorgegangenen.

7. Rhetorische Produktionslehre

Die Rhetorik ist als Lehre zur Redeproduktion in der Antike entstanden, und diese praktische Dimension hat sie auch in der Folgezeit nie verloren. Schreibseminare auf rhetorikwissenschaftlicher Grundlage gehören daher seit der Gründung des "Seminars für Allgemeine Rhetorik" zur Ausbildung der Studierenden. Sie bilden mit ihren methodischen Verfahren und rednerisch-didaktischen Vorgehensweisen einen Forschungsschwerpunkt Uedings, aus dem auch einige Publikationen - vor allem die "Rhetorik des Schreibens", inzwischen in 4. Auflage - hervorgegangen sind.

Für das Sammelwerk "Der Redenberater" entstanden Lehrfolgen zur Redeproduktion oder Präsentationsrhetorik; das Rhetorik-Jahrbuch 14 (1995) ist der "Angewandten Rhetorik" gewidmet.