Die Rede des Jahres 2023
Robert Habeck: „Die Sicherheit Israels ist unsere Verpflichtung. Deutschland weiß das.”
Die Jury des Seminars für Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen verleiht Dr. Robert Habeck die Auszeichnung ‚Rede des Jahres 2023‘ für seine Video-Ansprache zu Israel und Antisemitismus am 1. November 2023. Sie ist ein Musterbeispiel für eine engagierte und bedeutsame politische Rede. Mit Verve und hoher Emotionalität verteidigt Habeck das Existenzrecht Israels und legt damit ein eindringliches Votum für die besondere Verantwortung Deutschlands ab.
Der 7. Oktober stellte nicht nur für Israel, sondern auch für Deutschland eine gravierende Zäsur dar. An diesem Tag griff die palästinensische Terrororganisation Hamas Israel an. In Deutschland gab es zuletzt Anschläge auf Synagogen und jüdische Mitmenschen, israelische Flaggen wurden verbrannt, immer verworrenere Narrative wurden gestreut und trugen zu einer aufgeheizten Stimmung in Politik und Gesellschaft bei.
Nach gut drei Wochen ergriff Vizekanzler Robert Habeck das Wort. Er wolle einen Beitrag dazu leisten, die Debatte zu entwirren – „Zu viel scheint mir zu schnell vermischt zu werden.” Diese Rede drängte sich aufgrund der gesellschaftlichen Notlage auf und wurde geradezu herbeigesehnt. In diesem Spannungsfeld tritt Habeck als rhetorischer Akteur mit einem selbstbewussten und klaren Statement auf und macht sich zum Sprachrohr gesamtgesellschaftlicher Verantwortung.
In seiner Video-Ansprache äußert sich Habeck zu Israel und dem Antisemitismus. In einem zweifachen Plädoyer bekräftigt er einerseits das Existenzrecht Israels und dessen Recht auf Verteidigung und erteilt anderseits dem Antisemitismus innerhalb Deutschlands eine klare Absage: „Antisemitismus ist in keiner Gestalt zu tolerieren – in keiner.”
Habeck greift in seiner Argumentation grundlegende Werte wie die historische Verantwortung Deutschlands oder auch den Toleranz-Gedanken auf, den er jedoch von einem falschverstandenen, beliebigen abgrenzt. Er ordnet mit seinen knappen Sätzen analytisch die Lage und erzeugt Anschaulichkeit durch tagesaktuelle und persönliche Beispiele. „Ein jüdischer Freund berichtete mir von seiner Angst, seiner schieren Verzweiflung, seinem Gefühl von Einsamkeit. […] Heute hier, in Deutschland. Fast 80 Jahre nach dem Holocaust.” Eindringlich wirken diese Passagen, weil sie durch den Einsatz rhetorischer Stilmittel, Parallelismen, Wiederholungen und Antithesen den Inhalt hervorheben. Habecks Text ist bewusst komponiert und wirkt doch natürlich. Mit Kürze und Klarheit in Wortwahl und Satzbau präsentiert Habeck ein unmissverständliches Statement in einer schwierigen Problemlage – und bietet damit politische Führung. Kritik, auch ins eigene politische Milieu, wird dabei nicht ausgespart: „Es braucht jetzt Klarheit, kein Verwischen.” Dabei betont er auch das Leid der Menschen in Gaza und fordert den Schutz der Zivilbevölkerung. Gleichzeitig rechtfertige dies jedoch keinen Antisemitismus.
Mit seiner Ansprache tritt Robert Habeck als mitfühlender Denker auf, als Politiker und Mitbürger, der seinem persönlichen Anliegen Ausdruck verleihen will. Er artikuliert Gefühle wie Angst, Schmerz und Verzweiflung überzeugend und authentisch. Er kombiniert Emotionen und Argumente zu einer überaus wirkungsvollen Rede, die in eindrückliche Appelle mündet. Differenzierung und Rationalität für die Debatte seien das Gebot der Stunde. Am verfassungsrechtlichen Grundkonsens dürfe man nicht rütteln: „Das Existenzrecht Israels darf nicht relativiert werden. Die Sicherheit Israels ist unsere Verpflichtung. Deutschland weiß das.”
Hohe publizistische Wirkung und einhelliges Lob in allen politischen Lagern entfaltete das zehnminütige Statement auch aufgrund seiner zeitgemäßen Inszenierung für Social Media: Mit seiner Nahaufnahme im Hochformat und mehrsprachigen Untertiteln verbindet es klassische und moderne Elemente der überzeugenden Rede und weist auf eine Veränderung der Rede- und Debattenkultur hin. Beispielhaft verkörpert Robert Habeck diese Entwicklung und verdient sich mit seiner Video-Ansprache den Preis ‚Rede des Jahres 2023’.
Seit 1998 vergibt das Seminar für Allgemeine Rhetorik die Auszeichnung ‚Rede des Jahres’. Mit diesem Preis würdigt das Seminar jährlich eine Rede, die die politische, soziale oder kulturelle Diskussion entscheidend beeinflusst hat. Kriterien für die Jury sind u.a. inhaltliche Relevanz, Vortragsstil, Elaboriertheit sowie publizistische Wirkung.
Jury: Jutta Beck M.A., Lukas Beck M.A., Selina Bernarding M.A., Dr. Fabian Erhardt, Dr. Markus Gottschling, Rebecca Kiderlen M.A., Prof. Dr. Joachim Knape, Prof. Dr. Olaf Kramer, Evelyn Krutsch, Dr. Frank Schuhmacher, Prof. Dr. Dietmar Till, Dr. Thomas Zinsmaier
Ansprechperson: Prof. Dr. Dietmar Till
Telefon: 07071 29-74258
E-Mail: dietmar.till@uni-tuebingen.de