Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2015: Forschung

Die Gestalt der Prostituierten in Literatur und Film

Die Inderin Swati Acharya forscht als Humboldt-Stipendiatin am Deutschen Seminar

Ihr Deutsch ist akzentfrei, und doch hat Dr. Swati Acharya, Assistant Professor an der indischen Universität Pune, die Sprache nicht in Deutschland gelernt. Sie ist als Humboldt-Forschungsstipendiatin für vier Monate an die Universität Tübingen gekommen. „In Pune hat das Deutschlernen eine 100-jährige Tradition, 1914 wurde es eingeführt“, erklärt sie. Sie hat an der Universität in Pune Germanistik studiert und an der Jawaharlal-Nehru-Universität in Neu-Delhi promoviert. Die Wissenschaftlerin ist – wie die meisten ihrer Landsleute – mehrsprachig aufgewachsen, sie kann leicht zwischen verschiedenen Sprachen und Mentalitäten wechseln. „Wahrscheinlich habe ich schon früh einen Vorrat an Lauten angelegt, mit dem sich auch das Deutsche abdecken lässt“, sagt sie lächelnd.

Acharyas Gastgeberin als Humboldt-Stipendiatin ist Professorin Dr. Dorothee Kimmich vom Deutschen Seminar, mit der sie bei ihrem Forschungsprojekt über Darstellungen von Prostitution in der deutschen und indischen Literatur sowie im Film eng zusammenarbeitet. Weitere Gastuniversität ist die FU Berlin, wo Swati Acharya die Filmarchive und das Filmmuseum nutzen möchte. „Schon Goethe und verschiedene deutsche Schriftsteller der Romantik interessierten sich für Indien und brachten Darstellungen von Kurtisanen in ihre Werke ein. Bekannt ist auch Hermann Hesses Indien-Roman ‚Siddartha‘, und in neuerer Zeit Werke von Ilija Trojanow“, beschreibt sie den Ursprung ihres Forschungsinteresses über den weiblichen Körper als Verhandlungsort. In diesen romantisch-patriarchalen Vorstellungen wurde die Frau nur wegen ihres Körpers verherrlicht.

Seit dem 19. Jahrhundert, durch den Einzug des Kapitalismus, habe die Prostituierte in der Literatur eine neue Funktion erhalten. Auch in der indischen Kultur wurden die Gestalten aus religiöser und sozialer Sicht mehrschichtiger. Die Prostituierte wird eine komplizierte Gestalt der Käuflichkeit, die Frau ist Ware und Verkäuferin. An den Gewinnen sind nun viele beteiligt wie Zuhälter und Bordellbesitzer. „Die Prostitution und die Großstädte breiteten sich parallel aus“, sagt die Germanistin, „die Großstadt wird zur Prostituierten.“ Auch im Film gebe es bei diesem Thema zwischen Indien und Deutschland viele Parallelen: „Zwei weitere Arenen der Darstellung kommen hinzu, Kriminelle und Polizisten.“

Mit einer halben Million Studierenden ist ihre Heimatuniversität Pune mit ihrer derzeitigen Gastuniversität und ihren rund 28.000 Studierenden kaum zu vergleichen. Doch Swati Acharya, die auch Berlin, Köln und München besucht hat, war positiv überrascht: „Tübingen ist sehr freundlich. Mir gefällt, dass die Menschen überall miteinander reden, im Supermarkt oder auch im Bus.“ Sie hat ihre jüngere Tochter mit nach Tübingen gebracht, die in ihre Fußstapfen tritt und gleich Deutschkurse an einer Sprachschule belegt hat.

Janna Eberhardt