Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2020: Alumni Tübingen

Kindheitstraum Missionsärztin

Alumna Dr. Lisa Federle über die Schwierigkeiten, mit Familie zu studieren, das Ärztemobil und die Herausforderungen der Corona-Pandemie

Lisa Federle brach die Schule noch vor dem Hauptschulabschluss ab. Nach der Familiengründung holte sie diesen nach und besuchte mit 26 Jahren das Abendgymnasium, wo sie auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur erreichte. Anschließend studierte sie an der Universität Tübingen Medizin. 2015 entwickelte sie für den Kreis Tübingen das Ärztemobil, eine mobile Arztpraxis, insbesondere für die Versorgung von Geflüchteten. Während der Corona-Pandemie organisierte sie in Tübingen eine Fieberambulanz.

Dr. Lisa Federle hat eine privatärztliche Praxis in Tübingen, sie ist leitende Notärztin in Tübingen, CDU-Kreisrätin, stellvertretende Vorsitzende der Kreisärzteschaft und Präsidentin des DRK-Kreisverbands Tübingen. Das Interview führte Simona Steeger.

Bereits als Kind wollten Sie Ärztin werden. Warum?

Um Menschen in unterversorgten Ländern helfen zu können –  das war mein Kindheitstraum. Da ich aber aus persönlichen Gründen ohne Hauptschulabschluss die Schule verlassen habe, musste ich später erst mal alles nachholen, um studieren zu können.

Den Traum vom Medizinstudium haben Sie sich also doch noch erfüllt, unter besonderen Bedingungen. Wie war es, mit Kindern zu studieren?

Manchmal war es ganz schön schwierig. Das vierte Kind hatte ich kurz vor dem Staatsexamen bekommen. Ich war im Durchschnitt zehn Jahre älter als meine Kommilitoninnen und Kommilitonen, ich hatte ja erst mit 30 Jahren Abitur gemacht. Zudem konnte ich nach den Kursen oder Prüfungen natürlich nicht feiern gehen, da meine Familie auf mich gewartet hat und ich nebenher auch noch gearbeitet habe. Deshalb bestand für mich die Studienzeit aus Familie, Lernen und Arbeiten.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrem Studium in Tübingen und warum haben Sie sich für Tübingen als Studienort entschieden?

Es hat mir fast immer Spaß gemacht zu lernen, und vor allem nach dem Physikum wurden die Fächer richtig interessant.

Für Tübingen hatte ich mich entschieden, da meine zwei ältesten Kinder bereits hier in die Schule gegangen sind und ich neben dem Studium bereits in der Urologie und in einer Kneipe gearbeitet habe. Außerdem bin ich in Tübingen geboren.

Sie haben 2015 das Arztmobil erfunden, eine mobile Arztpraxis. In der Corona-Pandemie wurde es als mobile „Abstrichstation“ genutzt, als eine der ersten im Land. Wie hat die Pandemie Ihren Arbeitsalltag verändert?

Das Arztmobil ist wirklich eine tolle Sache, da wir es immer sofort und an verschiedenen Orten einsetzen können. Es wurde bei der Versorgung der Geflüchteten eingesetzt wie auch in den letzten Jahren für die medizinische Versorgung der Obdachlosen. Momentan wird es noch für kurzfristige Corona-Abstriche in Altersheimen etc. genutzt.

Mein Leben hat sich durch Corona urplötzlich ganz schön geändert. Am Anfang war es erst mal schwer zu vermitteln, was auf uns zukommt. Als dann die Bilder von Italien bei uns zu sehen waren und in Tübingen einer der ersten Fälle aufgetreten ist, hatte ich ein Arbeitspensum von 16 Stunden pro Tag. Da ich eine Hausarztpraxis habe und noch nebenbei Notarztwagen fahre, musste das alles noch zusätzlich organisiert werden. Aber eines habe ich in dem Zusammenhang gemerkt: wie wichtig es ist, Kontakte und Freunde zu haben.

Der ausgezeichnete Kontakt zum Landratsamt, zur Uniklinik und zur Kreisärzteschaft sowie meine ehrenamtliche Arbeit als Präsidentin vom DRK Kreisverband haben es ermöglicht, sofort und schnell zu helfen. Inzwischen ist es wieder etwas ruhiger geworden, aber wir bereiten uns für den Fall vor, dass die Infektionen wieder deutlich zunehmen.

Was raten Sie heutigen Studierenden im Hinblick auf Studium und Berufswahl?

Studiert das, was euch Freude macht, denn nur dann ist man auch richtig gut. Lasst euch nicht abschrecken von Kolleginnen und Kollegen, die es bereuen, Medizin studiert zu haben. Schon ganz am Anfang des Studiums hat uns damals ein Hausarzt massiv von Medizin abgeraten. Ich habe es trotzdem gemacht und es bis heute keine einzige Minute bereut. Es gibt in dem Beruf so viele Möglichkeiten und es ist ein schönes Gefühl, wenn man anderen Menschen helfen kann.