Modelle des Ausgleichens und Balancierens, aber auch die Artikulation einer tiefsitzenden Angst vor dem Verlust des Gleichgewichts zählen von der Antike bis in die Gegenwart zu Basiselementen kultureller Erfahrung und deren Reflexion. Das von der thebanischen Sphinx gestellte Rätsel über das Tier, das auf vier, auf zwei und zuletzt auf drei Beinen geht, kann auch als bündige Parabel über Gewinn und Verlust menschlichen Gleichgewichts gelten.
Die aristotelische Ethik der "Mitte", Diätetik, Prästabilierte Harmonie, balance of powers und ausgleichende, poetische Gerechtigkeit, seelisches Gleichgewicht, gelungene Proportion, das ausgewogene Verhältnis zwischen Reden und Schweigen, die Position des Objekts im Raum der Kunst – mit diesen Formeln sind nur einige der prominenten Lehren adressiert, die eine konstitutive Idee des Äquilibriums implizieren. Die Denkfigur der Balance, der mit ihr eng assoziierte "Gleichgewichtssinn" sowie entsprechende kulturelle Praktiken verbinden so unterschiedliche Felder wie Politik, Geschichte, Recht, Ökonomie, Naturphilosophie, Anthropologie, Soziologie, Sportwissenschaft, Medientheorie, Psychologie, Philosophie, Kunst, Ethik und Ästhetik.
Aus der Perspektive kulturwissenschaftlicher Forschung ist es angesichts dieser Sachlage erstaunlich, dass die Rede vom Gleichgewicht und die Sorge um dessen drohenden Verlust bisher keine interdisziplinären empirischen Studien und keine darauf aufbauende theoretische Reflexion auf sich gezogen haben. Der Omnipräsenz von Ausgleichskonzepten steht das weitgehende Fehlen kultur-, diskurs- und medienwissenschaftlicher Arbeiten zum Thema gegenüber. Der Promotionsverbund zur Theorie der Balance widmet sich in gemeinsamer Arbeit diesem Desiderat interdisziplinärer Forschung.
Beteiligte Wissenschaftler
Prof. Dr. Eckart Goebel (Sprecher)
Prof. Dr. Robert Kirstein
Prof. Dr. Ernst Seidl
Prof. Dr. Guido Zurstiege