Invitationale Rhetorik

Rhetorik erforscht nicht nur kommunikative Verfahren der Überzeugung, sondern auch kommunikative Verfahren der Verständigung. Diese Verfahren sind dann besonders relevant, wenn die rhetorische Situation bereits durch eine starke Polarisierung der Teilnehmenden gekennzeichnet ist. In der Fachterminologie hat sich hierfür der Begriff „Invitationale Rhetorik“ etabliert. Primäres Ziel „einladend“ orientierter Kommunikation ist der Versuch, Akteurinnen trotz signifikanter Unterschiede in Meinungen, Positionen und Identitätsentwürfen in einen Dialog miteinander zu bringen.

Drei Eckpunkte sind für eine einladende Rhetorik besonders wichtig:

  1. Kommunikationsverfahren, die darauf ausgerichtet sind, Perspektiven anzubieten, ohne ihre unmittelbare Durchsetzung zu beabsichtigen;
  2. Kommunikationssituationen, die so gestaltet sind, dass Anerkennung und Sicherheitsempfinden zu jedem Zeitpunkt gewährleistet bleibt;
  3. Kommunikationshaltungen, die empfänglich sind für unerwartete Kooperationsmöglichkeiten oder (Re-)Kontextualisierungen von Konfliktlinien.

Mit dem Modell der „Invitationalen Rhetorik“ steht der rhetorischen Wissenschaftskommunikations­forschung eine bislang unberücksichtigte Ressource mit vielfältigem Potenzial in Theorie und Praxis zur Verfügung. Besonders geeignet ist dieses Modell, um innovative und kontextsensitive Zugänge zu den oft komplizierten und verfahrenen Gemengelagen aus Wissens- und Identitätskonflikten zu finden, um es so zu ermöglichen, einen „common ground“ zu finden, der Polarisierungs- und Spaltungsdynamiken effektiv entgegenwirkt.


Handlungsfähigkeit in einladender Orientierung ist ein relationales Konstrukt, das Verstehen, Zuhören, Erforschen, Lernen, Teilen und Austauschen mit anderen umfasst.

– Sonja K. Foss & Cindy L. Griffin


Zum Einsatz kommt das Modell invitationaler Rhetorik im BMBF-geförderte Projekt „Über Geschlecht und Gender streiten. Konflikt und Konsens als Herausforderung der Wissenschaftskommunikation“ (KoKoKom). Hier dient es als deskriptives Instrument zur Beschreibung polarisierter Kommunikationsverhältnisse und als theoretische Grundlage zur Erarbeitung von rhetorischen Lösungsansätzen in ebendiesen. Doch das Modell selbst steht auch zur Disposition: Anhand es Beispiels „Gender“ soll es auf seine Anwendbarkeit, seine Reichweite und seine Grenzen untersucht und weiterentwickelt werden.