Seminar für Allgemeine Rhetorik

Die Rede des Jahres 2021

Maren Kroymann: „Wenn man uns hört, dann muss man uns als ganze Menschen hören.“

Die Jury des Seminars für Allgemeine Rhetorik verleiht Maren Kroymann die Auszeichnung Rede des Jahres 2021 für ihre Dankesrede beim Deutschen Comedypreis, in der sie eindringlich den alltäglichen Sexismus kritisiert und ein leidenschaftliches Plädoyer für Gleichberechtigung formuliert.

Die Rede Kroymanns könne als eine kraftvolle Demonstration von Solidarität mit der deutschen #metoo-Bewegung und als herausragendes Beispiel für die Wirkungsmacht von Rhetorik gesehen werden, da sie dem Thema Sexismus große mediale Aufmerksamkeit verschafft habe, so die Jury in ihrer Begründung.

Maren Kroymann erhält am Abend des 01.10.2021 den Ehrenpreis des Deutschen Comedypreises. Der Saal ist voll, das Publikum applaudiert der Ehrenpreisträgerin; Standing Ovations, während Maren Kroymann den Preis entgegennimmt. Es ist ihr Lebenswerk, das an diesem Abend ausgezeichnet wird. Der Anlass legt eine Dankesrede nahe. Doch Kroymann vollzieht einen mutigen Gattungswechsel, wandelt ihre Dankesrede in eine Anklagerede um, und begeht damit einen Bruch mit der Erwartungshaltung der Zuschauenden, der aufrüttelt: „Ich setze mich ja seit Beginn meiner Karriere dafür ein, dass die Geschichten von Frauen gehört werden. Ich werde jetzt dafür ausgezeichnet, dass ich lustige Geschichten erzähle. Und es gibt Frauen, die eben Geschichten erzählen, die ihre Geschichten sind, die nicht lustig sind und sie werden nicht so gerne gehört. Und ich möchte eigentlich nur sagen, dass ich das ein Missverhältnis finde. Wenn man uns hört, dann muss man uns als ganze Menschen hören.“

Die Reaktion des Publikums im Saal ist unmittelbar spürbar, drückende Spannung liegt in der Luft – hier passiert etwas Unerwartetes und Mutiges. Besonders nach der Rede, als die Moderation wieder in den gewohnten glatten Kommunikationsmodus fällt und Konfetti von der Studiodecke regnet, wird ersichtlich, wie groß der tatsächliche Erwartungsbruch ist. Eben hierin liegt eine der großen Stärken der ausgezeichneten Rede.

Kroymann überzeugt in ihrer Rede auch auf performativer Ebene. So setzt sie Sprechtempo und Pausentechnik gekonnt dazu ein, ihre sorgsam gewählten Worte zu betonen. Ihre Mimik und Gestik unterstützen jede Passage der Rede, sodass sie ihre volle Wirkkraft entfalten kann. Dabei wird in jeder Zeile spürbar, dass es der Rednerin mit ihrer Sache ernst ist. Kraftvoll und eindringlich adressiert Kroymann die Zuschauenden im Saal und vor den Fernsehgeräten.

Kroymanns Rede besitzt eine humoristisch-selbstironische Note, die das Publikum für die Rednerin einnimmt, ihr Autorität und Glaubwürdigkeit verleiht. Der Text ist gespickt mit ironischen Bezügen, die sprachlich und performativ auf den Punkt genau gesetzt werden. So berichtet sie etwa über Begebenheiten zu Beginn ihrer Karriere mit einer großen Portion Selbstironie: „Ich erinnere mich noch sehr gut, es war 1985 – ja, da habe ich schon gelebt“.

Die Argumentation der Rede ist durchzogen von kurzen, aber eindringlichen Narrativen. Kroymann verdichtet ihre persönlichen Erfahrungen zu eindrücklichen Skizzen und illustriert mit diesen Episoden sprachlich versiert die damalige und aktuelle Situation von Frauen in der Comedybranche. Beispielhafte Erzählungen von ihren ersten Engagements und Begegnungen mit Regisseuren, Autoren und anderen Personen der Unterhaltungsindustrie verleihen ihrer Rede Anschaulichkeit und machen sie für die Zuhörenden hoch wirksam und konkret erfahrbar.

Maren Kroymann hat der #metoo-Bewegung in der Comedybranche mit ihrer abgewandelten Dankesrede zum Erhalt des Ehrenpreises eine kraftvolle Stimme verliehen und dem Thema starke Sichtbarkeit verschafft. Ihre Rede ist damit auch ein Zeichen für einen tiefergreifenden gesellschaftlichen Wandel, der sich vor allem durch das Überwinden der Sprachlosigkeit auszeichnet. Zurückblickend stellt sie fest: „Das waren […] Frauen, die nur in einem Universum von einem Mann vorkamen, der für sie schrieb. Und auf die Bühne zu gehen mit einem eigenen Thema, mit sich selbst als Thema, das gab es nicht.“ Ihr Mut, ihre eigene Geschichte zu erzählen, und ihr Appell, es ihr gleich zu tun, sind eine Bestärkung für alle Personen, die um Sichtbarkeit ringen – und ein beeindruckendes Beispiel für die Wirkungsmacht der Rede.

Jury: Lukas Beck, Rebecca Kiderlen, Prof. Dr. Joachim Knape, Prof. Dr. Olaf Kramer, Sarah Polzer, Clara Rohloff, Prof. Dr. Dietmar Till, Viktorija Völker, Dr. Thomas Zinsmaier

Ansprechpersonen: Clara Rohloff & Lukas Beck
+ 49 7071 29-74257
clara.rohloff@uni-tuebingen.de
lukas-nicolas.beck@uni-tuebingen.de 

Video der Rede