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05.11.2024

Spitzenförderung des Europäischen Forschungsrats für Verbundprojekt in der Quantenphysik

Universität Tübingen koordiniert Forschung zu Synergy Grant mit den Universitäten Mainz und Stockholm beim Aufbau von neuartigen Quantensystemen – Verzahnung von Theorie und Experiment

Schematische Abbildung eines Ionenkristalls, in dem zwei Ionen durch einen Laser in energetisch hochliegende Rydbergzustände angeregt werden.

Gemeinsam haben Professor Igor Lesanovsky vom Institut für Theoretische Physik der Universität Tübingen, Professor Ferdinand Schmidt-Kaler von der Universität Mainz und Professor Markus Hennrich von der Universität Stockholm ein Synergy-Grant-Projekt des Europäischen Forschungsrats (ERC) erhalten. Ziel ist die Erforschung von offenen Quantensystemen mit Quantensimulatoren bestehend aus elektronisch angeregten Ionenkristallen. Solch ein neuartiger Quantensimulator kann Fragestellungen in der Physik beantworten, soll aber auch zum Verständnis komplexer Vorgänge in Chemie, Biologie und der Informationsverarbeitung eingesetzt werden. Der ERC fördert das Projekt mit insgesamt knapp zehn Millionen Euro über einen Zeitraum von sechs Jahren. Davon sind rund drei Millionen Euro für die Forschungsarbeiten an der Universität Tübingen vorgesehen. Mit den Synergy Grants fördert der ERC einen Verbund aus zwei bis vier Forschungsgruppen, die ihre unterschiedlichen Expertisen in die gemeinsame Bearbeitung anspruchsvoller Forschungsfragen einbringen. Geförderte Projekte sollen an den Schnittstellen zwischen Disziplinen forschen und zu neuen Erkenntnissen an der Grenze des gegenwärtigen Wissens führen.

Ionenkristall als Systembaustein

Im ERC-Projekt „Open 2D Quantum Simulator“ (Open-2QS) – Offener 2D-Quantensimulator – werden die Forscher präzise kontrollierbare Quantensysteme realisieren. Dazu werden Ionen in Fallen gespeichert, in denen sie regelmäßige zweidimensionale Strukturen ausbilden, sogenannte Ionenkristalle. Die Ionen werden nun mit Laserpulsen anregt und dadurch gezielt in Wechselwirkung gebracht. Die dynamischen Vorgänge in einem solchen synthetischen Quantensystem sind so komplex, dass eine Vorhersage die Leistungsfähigkeit klassischer Computer weit übersteigt. „Bisher waren im Labor erzeugte synthetische Quantensysteme sehr kurzlebig. Unser Ziel im ERC-Synergy-Projekt ist es, die Lebensdauer dramatisch zu verlängern. Dies wird völlig neue Möglichkeiten zur Erforschung komplexer Materiezustände, zum Beispiel Quantengläsern, ermöglichen“, erklärt Igor Lesanovsky.

Synthetische Quantensysteme und deren Beobachtung

Für das Projekt haben sich drei Pioniere auf dem Gebiet der Forschung an elektronisch hochangeregten Ionen zusammengefunden. Um das wissenschaftlich anspruchsvolle Ziel gemeinsam zu verwirklichen, nutzen die Forscher die besonderen Eigenschaften von atomaren Ionen aus. Diese sind positiv geladen, weil ihnen ein Elektron fehlt, und sie stoßen sich dadurch gegenseitig ab. „Von außen werden die Ionen von einer elektrischen Falle umgeben. Die Kräfte halten sich dabei die Waage: Von außen wird das System durch die Falle begrenzt, untereinander bleiben die Ionen aber durch ihre Abstoßung auf Abstand. Genau dadurch bilden sich Ionenkristalle aus. Dieses System ist so stabil, dass es über viele Stunden untersucht werden kann“, so Ferdinand Schmidt-Kaler.

Nun kann man die Ionen mit Laserstrahlen beschießen und dadurch anregen. „Ein weiteres Elektron aus der Hülle wird in einen höheren Energiezustand gebracht. Man hat dann also einen zweifach positiv geladenen Kern mit einem Elektron auf einer sehr weit außen liegenden Umlaufbahn. Ionen in diesem Zustand werden als Rydberg-Ionen bezeichnet. Zwei benachbarte Rydberg-Ionen treten in Wechselwirkung – wie zwei magnetische Nadeln, die sich gegenseitig beeinflussen und ausrichten“, sagt Markus Hennrich. Durch die Steuerung mit Laserpulsen lässt sich das synthetische Quantensystem an- und ausschalten, zum Beispiel um komplexe magnetische Materialien besser zu verstehen. Laserpulse können auch für eine spontane Lichtaussendung aus dem Quantensystem sorgen, wodurch es zeitgleich beobachtet werden kann. Solch ein offenes System, das im Energieaustausch mit der Umwelt steht, soll im ERC-Projekt für die Beobachtung künstlich realisierter chemischer oder biologischer Vorgänge eingesetzt werden.

Die unvorstellbare Komplexität von Quantendynamik lasse sich an folgendem Beispiel demonstrieren, so Lesanovsky: Schon ein System von 300 Teilchen, die jeweils zwei Zustände annehmen können, kann in so vielen verschiedenen Konfigurationen angetroffen werden, wie es Atome im sichtbaren Universum gibt. „Hochinteressant an solchen Systemen ist ihr emergentes Verhalten. Das bedeutet, dass die Eigenschaften des Gesamtsystems völlig neuartige Phänomene zeigen, die man aus den Eigenschaften eines einzelnen Teilchens nie vermutet hätte. So wie ein großer Schwarm von Vögeln sich ganz anders am Himmel bewegt als ein einzelner Vogel. In den letzten Jahren ist theoretische Quantenphysik oft dem Experiment vorausgegangen. Inzwischen kommen aber viele neue Impulse aus den Daten von extrem gut kontrollierten Quantensimulatoren und regen die Entwicklung neuer Methoden in der Theorie an“, sagt Lesanovsky. Daher ist die Zusammenarbeit von experimentell und theoretisch arbeitenden Forschern, wie hier im ERC-Synergy-Projekt, essenziell, um Fortschritte zu erreichen.

Kontakt:

Prof. Dr. Igor Lesanovsky
Universität Tübingen 
Institut für Theoretische Physik
Telefon +49 7071 29-76379
igor.lesanovskyspam prevention@uni-tuebingen.de  

Pressekontakt:

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
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Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
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