Der Strafvollzug aus der Innensicht eines Anstaltsarztes
Am Abend des 15. Juli 2019 begrüßte der von Jörg Kinzig geleitete Kriminologisch-Kriminalpolitische Arbeitskreis Herrn Joe Bausch im voll besetzten Hörsaal 9 der Neuen Aula. Joe Bausch war über 30 Jahre als Anstaltsarzt tätig und ist darüber hinaus aus dem Kölner „Tatort“, in dem er den Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth verkörpert, bundesweit bekannt. Bausch verstand es, bei seinem Vortrag zum Thema „Der Strafvollzug aus der Innensicht eines Anstaltsarztes“ die Zuhörer mit seiner lebendigen und humorvollen Art zu unterhalten.
Nachdem Bausch Theaterwissenschaft, Politik, Germanistik und Rechtswissenschaften studiert hatte, wandte er sich der Medizin zu. Nach seinem Studium wurde er im Jahr 1986 Anstaltsarzt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl in Nordrhein-Westfalen. Dort befinden sich insbesondere Häftlinge mit lebenslanger Freiheitsstrafe und in der Sicherungsverwahrung Untergebrachte.
Bausch erzählte zunächst, wie er „ins Gefängnis gekommen“ sei und schilderte seine ersten Eindrücke von seiner Tätigkeit als Anstaltsarzt. Er berichtete von persönlichen und medizinischen Herausforderungen, denen er sich in der JVA stellen musste.
Im Laufe der Zeit und mit zunehmender TV-Bekanntheit habe Bausch auch die mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. So sei er als derjenige, „der die Verbrecher tagsüber behandelt und sie abends im Fernsehen jagt“, immer häufiger in Talkshows eingeladen worden. Zudem seien in der JVA Werl zunehmend Berichte über den Strafvollzug entstanden. Diese Entwicklung bewertete Bausch als ambivalent. Einerseits sei durch die verstärkte Berichterstattung eine Einsicht in den Strafvollzug möglich geworden. Auf diese Weise habe sich auch das Bild in der Bevölkerung verändert. Andererseits sei es erforderlich gewesen, einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen der Gefangenen, der Fernsehsender und der Zuschauer herzustellen. Vorurteile, Selektion und Wunschdenken hätten seiner Ansicht nach zu einem verzerrten Bild des Strafvollzugs in der Öffentlichkeit geführt.
Auch aus diesem Grund habe er im Jahr 2012 sein erstes Buch („Knast“) geschrieben. Darin behandelt Bausch Themen wie Drogen, Gewalt und Sterben im Strafvollzug. Er erklärte, dass es eine Herausforderung gewesen sei, einen Mittelweg zwischen Fiktionalisierung und Realität zu finden.
Anschließend sprach Bausch verschiedene – aktuelle wie zeitlose – Themen an, die ihm diskussionsbedürftig erschienen. Dazu gehörten die Zwangsmedikation und Zwangsbehandlung wie beispielsweise die pharmakologische Kastration, die freie Arztwahl bei begrenzter Ärztekapazität oder der Umgang mit Drogenabhängigen im Strafvollzug. Zudem machte er darauf aufmerksam, dass er vielen psychisch kranken Rechtsbrechern in der JVA begegnet sei, woraus er eine „Psychiatrisierung der Gefängnisse“ ableitete. Deshalb fordere er neue und bessere Therapieangebote im Strafvollzug. Darüber hinaus sprach er sich für eine intensivere Betreuung sowie bessere Schulung und Vorbereitung der Strafvollzugsbediensteten aus. Er wünsche sich außerdem eine zunehmende Vernetzung des Strafvollzugs mit den Universitäten und eine stärkere Europäisierung des Strafvollzugsrechts. Schließlich sei neueren Entwicklungen wie einem wachsenden Ausländeranteil und damit einhergehenden Sprachbarrieren sowie veränderten Anforderungen an die (schulische) Ausbildung der Gefangenen Rechnung zu tragen.
Im Rahmen der anschließenden Fragerunde wurden unterschiedliche, neue und bereits angesprochene Aspekte aufgegriffen und vertieft. Thematisiert wurden zum Beispiel der Personalmangel im Strafvollzug und die Gewalt unter Strafgefangenen. Auch die Einführung eines Altersstrafgesetzes wurde diskutiert. In diesem Zusammenhang gab Bausch auch einen Einblick in seine Erfahrungen mit Alterskriminellen im Strafvollzug. Er äußerte sich zudem kritisch zum Warnschussarrest und zur Ersatzfreiheitsstrafe.