Am 23. November 2022 diskutierten Prof. Dr. Tobias Singelnstein und Andreas Stenger in einem gut gefüllten Audimax der Universität Tübingen über Gewaltanwendung als polizeiliche Maßnahme bei schwierigen Einsätzen.
Singelnstein ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Juristischen Fakultät der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. Schwerpunkt seiner Arbeit ist insbesondere das Thema Polizeigewalt.
Einleitend schilderte Singelnstein den rechtlichen Rahmen und die leitenden juristischen Grundsätze der Anwendung von Gewalt als polizeiliche Maßnahme. Da die Gewaltanwendung das letzte mögliche Mittel darstelle, müsse stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Die Ergebnisse seiner empirischen Untersuchungen veranschaulichte der Referent anhand zahlreicher Studien und Statistiken. Besonders problematisch sei, dass infolge polizeilichen Fehlverhaltens nur wenig Anzeigen gestellt und Polizistinnen und Polizisten nur selten strafrechtlich verfolgt würden.
Andreas Stenger ist Polizist und seit dem Jahr 2021 Präsident des LKA Baden-Württemberg. Er berichtete vor allem von seinen Erfahrungen bei Einsätzen auf Großveranstaltungen oder in Fällen psychischer Ausnahmesituationen. Stenger erläuterte die Aufgaben der Polizei und betonte die Bedeutung des gegenseitigen Vertrauens zwischen Polizei und Bürgerinnen und Bürgern.
Bei der anschließenden Diskussion der beiden Referenten, die von Jonas Bleeser, Redakteur des Schwäbischen Tagblatts, moderiert wurde, konnte auch das Publikum Fragen stellen. Dabei wurden die umstrittensten Aspekte nochmals beleuchtet. So ging es auch um die Frage, ob eine neutrale Organisation eingerichtet werden sollte, die sich mit möglichem polizeilichem Fehlverhalten befasst, statt wie bisher der Polizei die Federführung anzuvertrauen. Dadurch könnte auch dem Vorwurf einer möglichen Befangenheit der Polizei entgegengewirkt werden. Zudem wurde über die geplante Einführung einer Kennzeichnungspflicht in Baden-Württemberg diskutiert. Dadurch könnte das Problem der fehlenden Identifizierbarkeit der Polizeibeamtinnen und -beamten bei Einsätzen gelöst werden. Weitere Themen waren Platzverweise, Video- und Tonaufnahmen bei Polizeieinsätzen, die Rolle der Staatsanwaltschaft und ein beklagter zunehmender Respektverlust gegenüber der Polizei.