Jüdische Realitäten in Deutschland
Zwischen Selbstbestimmung und antisemitischen Kontinuitäten
Die erste Veranstaltung des Kriminologisch-Kriminalpolitischen Arbeitskreises (KrimAK) im neuen Jahr fand am 30. Januar zu dem Thema „Jüdische Realitäten in Deutschland – Zwischen Selbstbestimmung und antisemitischen Kontinuitäten“ statt. Referenten waren Sabena Donath, designierte Direktorin der entstehenden Jüdischen Akademie des Zentralrats der Juden in Deutschland, und Lasse Müller, der sich aktuell im Zuge seiner Promotion an der Universität Frankfurt mit dem Thema „Antisemitismus im Amateurfußball“ befasst. Beide sind Mitarbeiter im Projekt „Zusammen1 – Für das, was uns verbindet“ von MAKKABI Deutschland, dem jüdischen Turn- und Sportdachverband in Deutschland.
Nach einführenden Worten von Prof. Dr. Jörg Kinzig, in denen er anhand einiger aktueller Vorfälle die Relevanz des Themas Antisemitismus in Deutschland hervorhob, startete Lasse Müller seinen Vortrag mit einem kurzen Video, in dem jüdische Sportlerinnen und Sportler mit aufwühlenden Worten von ihren Erfahrungen mit antisemitischen Beleidigungen und Anfeindungen auf und neben dem Fußballplatz berichteten. So seien Rufe wie „Du Jude!“ oder „Euch hat man vergessen zu vergasen!“ keine Seltenheit.
Die Forschung zu Antisemitismus im Sport, so Lasse Müller, sei allerdings noch recht jung und wenig fortgeschritten. Dementsprechend müsse von einer großen Diskrepanz zwischen dem Hell- und Dunkelfeld ausgegangen werden. Dies liege vor allem daran, dass unter den jüdischen Sportlern kein großes Vertrauen in die Sanktionierung antisemitischer Vorfälle bestehe. Befragungen unter MAKKABI-Mitgliedern hätten ergeben, dass selbst bei gravierenden antisemitischen Anfeindungen in zwei von drei Fällen keine Meldung an die zuständigen Stellen erfolge.
Daneben brachte Lasse Müller der Zuhörerschaft die verschiedenen Erscheinungsformen des Antisemitismus nahe. Dazu gehörten antisemitisches Othering, moderner Antisemitismus in Form von Verschwörungstheorien hinsichtlich vermeintlicher jüdischer ökonomischer Macht, Post-Shoa und israelbezogener Antisemitismus.
Sabena Donath erklärte in ihrem Vortrag zunächst, worum es sich bei dem Zentralrat der Juden in Deutschland überhaupt handle und wie dieser entstanden sei. Danach schilderte sie in eindrücklicher Weise verschiedene „jüdische Gegenwartsperspektiven“. So würden Juden oftmals nur im Zusammenhang mit der Shoa, dem Antisemitismus und dem Nah-Ost-Konflikt wahrgenommen und auch adressiert. Besonders betroffen machten Donaths Schilderungen, dass jüdisches Leben hauptsächlich hinter „Panzerglas“ stattfinde; sie berichtete von bewaffneten Sicherheitsleuten bei jüdischen Veranstaltungen und der Notwendigkeit von Sicherheitstüren in jüdischen Schulen und Synagogen.
Abschließend forderte Sabena Donath u.a., dass es in der Gesellschaft eine stärkere zivilgesellschaftliche und öffentliche Positionierung gegen Antisemitismus und eine gelebte Widerspruchskultur geben müsse. Gleichzeitig beklagte sie, dass die Schulcurricula in Bezug auf den Holocaust rein täterbezogen seien und etwa jüdische Migrationsbiografien gänzlich ausgeblendet würden. Dies müsse sich ändern, es bedürfe mehr jüdischer Perspektiven.
Im Anschluss an die Vorträge der beiden Referenten hatten die rund 100 Zuhörerinnen und Zuhörer wie immer die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Dabei wurde u.a. thematisiert, ob es denn im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten zu einer Steigerung von Antisemitismus im Fußball gekommen sei, dass oftmals wegen fehlender Medienkompetenz „Unsagbares wieder sagbar“ werde und ob es einen sogenannten importierten Antisemitismus gebe.