Vortragsbericht „Psychosoziale Prozessbegleitung an der Schnittstelle zwischen Pädagogik und Justiz“ am 28. Januar 2019 im Rahmen des KrimAK
Am Abend des 28. Januar 2019 lockte der interdisziplinär ausgerichtete Vortrag der Diplompädagogin und psychosozialen Prozessbegleiterin Tina Neubauer gut 50 interessierte Personen in den Hörsaal 9 der Neuen Aula.
Neubauer begann, indem sie interdisziplinäre Dilemmata zwischen juristischen und psychosozialen Interessen im Strafprozess aufzeigte, wie etwa dasjenige zwischen einer exakten Aufklärung des Sachverhaltes auf der einen und das Vergessenwollen der Tat auf der anderen Seite. Derartige Situationen machten eine psychosoziale Prozessbegleitung unabdingbar.
Die psychosoziale Prozessbegleitung, so die Referentin, lasse sich in die Instrumente des Opfer- und Zeugenschutzes einordnen. Dieser werde in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht seit den 1970er-Jahren gefördert. Sein Ausbau sei zunächst schleppend verlaufen, stoße aber seit der Jahrtausendwende auf ein größeres Fachinteresse. In dieser Zeit habe die Sozialpädagogin Friesa Fastie die psychosoziale Prozessbegleitung begründet, welche im Jahr 2009 durch einen Hinweis in der StPO Einzug gehalten habe. Seit dem Jahr 2015 existiere mit § 406g StPO nunmehr eine eigene Vorschrift zur psychosozialen Prozessbegleitung, welche unter anderem ein Anwesenheitsrecht der Prozessbegleitung während der Hauptverhandlung einräume. Diese Vorschrift werde ergänzt durch das „Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren“.
Neubauer unterschied drei Stufen der Zeugenunterstützung: Erstens einen lediglich organisatorisch-beratenden Zeugenservice, zweitens die Zeugenbegleitung, welche auch Vernehmungssituationen der Zeugen unterstützt sowie drittens die psychosoziale Prozessbegleitung, die sämtliche Verfahrensschritte begleitet und den Gerichtsprozess mit der Zeugenperson vor- und nachbereitet. Es handele sich hierbei um ein Angebot, das sich an schwer belastete Zeugenpersonen richte, insbesondere an Kinder und Jugendliche sowie erwachsene Zeugen nach schweren Gewalt- und Sexualstraftaten.
Eine psychosoziale Prozessbegleitung beginne typischerweise mit der Vermittlung der Klienten, die meist durch das Jugendamt, die Polizei, Therapeuten oder Frauenhäuser erfolge. Hieran schließe sich ein erstes Kennenlernen an, um bereits ein Vertrauensverhältnis mit der Zeugenperson herstellen zu können.
Aus dem Ermittlungsverfahren halte sich die psychosoziale Prozessbegleitung inhaltlich weitgehend heraus. Zum einen solle hierdurch eine gewisse Distanz zum geschilderten Tatgeschehen gewahrt werden. Denn es sei rechtlich bisher nicht geklärt, ob Prozessbegleitern im späteren Verlauf des Verfahrens ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe. Andererseits könne so ein kooperatives Verhältnis zum Opferanwalt hergestellt werden: Die psychosoziale Prozessbegleitung gehe die durch den Anwalt aufgezeigte Strategie mit und ergänze die Betreuung der Zeugenperson mit einem anderen Aufgabenschwerpunkt.
Dieser Schwerpunkt bestehe darin, die Belastungen während der Hauptverhandlung möglichst zu reduzieren. So könne auf die individuellen Besonderheiten der geladenen Zeugenperson eingegangen werden. Nach Absprache mit dem Gericht könne zum Beispiel erreicht werden, dass nur der Vorsitzende, den die Zeugenperson oft auch vorab kennenlernen könne, in der Verhandlung Fragen stellt. Ein häufiges Anliegen von Zeugenpersonen sei es auch, dass deren Adresse nicht offengelegt wird. Auch das könne vorher abgesprochen werden.
Besonders wichtig für die Klienten sei im Rahmen der Vorbereitung der Zeugenaussage das Begehen des leeren Gerichtssaals. Hier könne sich die Zeugenperson mit der ungewohnten und zunächst oft bedrohlich wirkenden Umgebung vertraut machen. Das könne bis zu anderthalb Stunden dauern. Es seien, so Neubauer, nämlich oft Kleinigkeiten, die über das Empfinden der Zeugenperson vor Gericht entschieden. Außerdem erklärten die Prozessbegleiter vorab wichtige Begriffe der Rechtssprache. Dabei gehe es nicht um präzise und fachlich korrekte Bezeichnungen, sondern darum, in einfacher Sprache den Bedürfnissen der Zeugenperson gerecht zu werden.
Während der Hauptverhandlung nehme die Prozessbegleitung eine eher passive Rolle ein, um die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussage nicht zu gefährden. Sie agiere dabei allenfalls als psychische Stärkung oder auch als menschlicher Sichtschutz zum Angeklagten. Insbesondere für Kinder als Zeugen gäbe es spielerische Hilfsmittel wie beispielsweise Max, die Gerichtsmaus, die den Kindern durch ein Bilderbuch vorgestellt werde sowie in Form eines Plüschtiers auch während des Prozesses Trost spenden oder als Dummy für die Beschreibung des Tatgeschehens verwendet werden könne.
Neben dieser wichtigen Rolle der psychosozialen Prozessbegleitung für die Zeugenpersonen bestehe auch ein Mehrwert dieser Tätigkeit für die Justiz. Begleitete Zeugen seien nämlich nach Angabe vieler Richter gute Zeugen, da sie vorbereitet seien und den Umständen entsprechend vor Gericht auch emotional stabil agierten. Den Zeugen werde durch die psychosoziale Prozessbegleitung vorab ein Bild vermittelt, das Verständnis für die Besonderheiten des Strafverfahrens aufbringen. Das Gericht sei zudem oft dankbar für das Überbringen von erfüllbaren Opferwünschen sowie die organisatorische Unterstützung seitens der psychosozialen Prozessbegleitung. Somit werde gewährleistet, dass sich die anderen Verfahrensbeteiligten auf die rechtlichen Aspekte des Verfahrens konzentrieren könnten.
Im Anschluss an die Zeugenaussage würden die Erlebnisse mit den Klienten nachbesprochen und bei Bedarf der Verfahrensausgang erklärt.
Neubauer ging zum Abschluss ihres Vortrages auf besondere Herausforderungen in ihrer Arbeit ein. So schilderte sie Situationen von begleiteten Angehörigen nach Tötungsdelikten, besonders lange Begleitzeiträume oder Sprachbarrieren, insbesondere eine Situation gehörloser Verfahrensbeteiligter mit mehreren Gebärdendolmetschern.
In der anschließenden Fragerunde wurden Besonderheiten in der Betreuung männlicher Zeugen sowie die psychosoziale Prozessbegleitung in anderen Verfahrensarten erörtert. Außerdem wurden statistisch-praktische Werte zur Zuständigkeit in Tübingen, den Fallzahlen in Stuttgart und Tübingen sowie zum Personalschlüssel erläutert.
Auf die abschließende Frage, inwiefern Neubauer Reformbedarf im Opferschutzrecht sehe, antwortete die Referentin, dass ihr eine Umsetzung der vorhandenen Regelungen wichtiger als die Schaffung neuer Regelungen erscheine. Darüber hinaus müsse eine stärkere Sensibilität hinsichtlich der Nutzung neuer Medien geschaffen werden.