Seminar für Allgemeine Rhetorik

Die Rede des Jahres 2005

Werner Schulz: Mündliche Erklärung nach der Aussprache zur Vertrauensfrage

Die mündliche Erklärung des Abgeordneten Werner Schulz (Bündnis90/Die Grünen) nach der Aussprache zur Vertrauensfrage des damaligen Bundeskanzlers (in der 185. Sitzung des Deutschen Bundestages in Berlin am 1. Juli 2005) ist zur Rede des Jahres 2005 gewählt.

Die Rede von Werner Schulz war der beherzte Einspruch gegen ein zwar legales aber doch politisch kurzsichtiges Kalkül und einen opportunistischen Konsens: Immer begleitet und unterbrochen vom Beifall der falschen Seite erhob hier ein aufrechter Demokrat die Stimme gegen die Verschwörung für Machterhalt oder Machterwerb, selbst noch in einem Augenblick, in dem sie längst unaufhaltsam war. Für eine Rede ist der rechte Augenblick, ihr kairos, ein wichtiges Kriterium; Schulz kam nicht zu spät mit seiner Intervention es war vielmehr das abschließende Verdikt über eine parlamentarische Farce. Die Kürze der Rede mag durch Geschäftsordnung erzwungen sein, doch liegt in der brevitas zugleich ihre Schärfe und ihre Entschiedenheit begründet: Beschwichtigung, Ablenkung und Betrug brauchen dagegen Aufwand und viele Worte. Sein knapp bemessenes Rederecht nutzte Schulz zu einer Kritik, die sachlich gerechtfertigt gewesen ist, zu einer Analyse, die sich inzwischen als historisch hellsichtig erwiesen hat, und zu einem persönlichen Bekenntnis, das Respekt verdient. Über die Güte einer Rede entscheidet letztlich nicht ihr unmittelbarer Erfolg es entscheidet, ob der Redner alles getan hat, was rhetorisch getan werden konnte. Wenn also auch die Worte des Abgeordneten Schulz politisch folgenlos gewesen sein mögen, werden sie über den Augenblick hinaus moralisch wirksam bleiben, weil sie daran erinnern, dass Politik [] keinen Schritt tun [darf], ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben (Kant).

Jury: Prof. Dr. Gert Ueding, Prof. Dr. Joachim Knape, Boris Kositzke, Olaf Kramer und Peter Weit.

Sprecher der Jury: Boris Kositzke

Text der Rede