Seitdem lässt sie die Faszination für beides nicht los: das Meer und die Macht der Geschichten – und ihre enge Verzahnung mit Kenias Geschichte und Kultur. Heute forscht sie an der Schnittstelle von Literatur, Kultur, Geschichte und Anthropologie, seit April 2023 als Juniorprofessorin am Tübinger Lehrstuhl „Anglophone Literary Cultures and Global South Studies“.
Als Literaturwissenschaftlerin arbeitet Jacky Kosgei mit Texten. Doch geht es um Kenias Kultur und Geschichte, bevorzugt sie die „Oral History“. Die Erzählungen, die sie interessierten, finde sie nicht in den offiziellen Texten, sagt sie.
Heiligtümer als Waffenlager
Die Küste Kenias ist schon viele Jahrhunderte Umschlagplatz für Händler, ein „Begegnungsort“, wie Kosgei sagt. Im Lauf der Jahrhunderte wurde die Region unter anderem von den Portugiesen, den omanischen Arabern und der britischen Krone beansprucht. 1963 wurde Kenia unabhängig.
Doch auch 60 Jahre später sind die Spuren von Ausbeutung und Unterdrückung sichtbar. „In Schulen wird bis heute die Historie gelehrt, die von den ehemaligen Besatzern verordnet wurde. Geschichte und Kultur der einheimischen Bevölkerung werden weitgehend zugunsten arabisch und europäisch geprägter Erzählungen verdrängt“, sagt Kosgei.
Sie untersuchte dies am Beispiel der Festung „Fort Jesus“, das UNESCO-Weltkulturerbe liegt auf der Insel Mombasa. Vor 430 Jahren von Portugiesen erbaut, diente das Fort als Verwaltungsstützpunkt für die kenianische Küste. Besucher erfahren im Nationaldenkmal vieles zu Architektur und Nutzung von kenianischen Guides, die die offizielle Geschichte auswendig parat haben.