Uni-Tübingen

Poetik-Dozentur 2013

Hans Magnus Enzensberger und Dirk von Petersdorff

Hans Magnus Enzensberger

Wer ist Hans Magnus Enzensberger? Eine simple Antwort gibt es auf diese Frage nicht. Als Gründer und Herausgeber des Kursbuchs und der Anderen Bibliothek, als jahrzehntelanger Berater im Suhrkamp-Verlag, als politischer Essayist und Medientheoretiker ist er Autor und Verleger zugleich. Er ist immer Lyriker gewesen und außerdem ein leidenschaftlicher Mathematiker; mit dem Zahlenteufel, den er für seine Tochter schrieb, hat er viele Kinder und Erwachsene vom Matheschrecken befreit: „Der Zahlenteufel bleibt ein Juwel unter den Kinderbüchern. Um so etwas zu schreiben, muss man zwei Eigenschaften vereinen, die bei wenigen vorkommen: ein Talent für mathematisches Denken und etwas Spielerisches, das mit innerer Freiheit zu tun hat.“ (Lars Gustafsson)

1929 wird Enzensberger in Kaufbeuren geboren. Aus dem Zweiten Weltkrieg nimmt er vor allem auch „ein gesundes Mißtrauen gegen die Macht in Uniform“ mit. In der BRD der 50er Jahre will er dann zunächst nicht bleiben, lebt einige Jahre in Norwegen und wird später ein wichtiges – aber stets auch kritisches – Sprachrohr der so genannten ‚68er‘. Enzensberger geht es niemals um Prinzipien, sondern um Beweglichkeit. „Zu kapieren, was der Fall ist, was sich um uns herum abspielt, wenigstens ein Stück weit: Das ist doch eine enorme Aufgabe.“

Bereits 1963 wird dem Erfinder des Poesieautomaten der Georg-Büchner-Preis verliehen – es folgen zahlreiche weitere Würdigungen. Zuletzt veröffentlicht er den Prosaband Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern.

 

Bibliographie (Auswahl):

verteidigung der wölfe. Frankfurt am Main 1957.

Einzelheiten I und II. Frankfurt am Main 1964.

Der Untergang der Titanic. Frankfurt am Main 1981.

Der Zahlenteufel. Ein Kopfkissenbuch für alle, die Angst vor der Mathematik haben. München 1997.

Lyrik nervt! Erste Hilfe für gestresste Leser. Unter dem Pseudonym Andreas Thalmayr. München 2004

Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern. Berlin 2013

 

 

Dirk von Petersdorff

Dirk von Petersdorff und Hans Magnus Enzensberger verbindet die Lyrik – und die immer wieder drängende Frage, wie man sich zur Welt verhalten, wie man sich in ihr äußern kann. Von Petersdorff, 1966 in Kiel geboren, wurde für seine literarischen Werke unter anderem mit dem Friedrich-Hebbel-und dem Heinrich-von-Kleist-Preis ausgezeichnet. Als Literaturwissenschaftler lehrt er Neuere deutsche Literatur an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, in diesem Jahr lebte er als Writer-in-Residence der University Washington St. Louis in den USA. Wiederkehrendes Thema seiner Lyrik ist die Flüchtigkeit der Einstellungen, Meinungen und Haltungen, die er als Grundbass seiner eigenen Generation spürt: „Aus der Zerstreuung sammle ich. Wie einer, der alles umarmt und nichts hält. Dem die Gesichter davonlaufen, durch Spiegel hindurch, durch eine Reihe von Spiegeln, die sich vervielfältigen.“ (Bekenntnisse und Postkarten)

Diesem Ende der Sicherheiten begegnet von Petersdorff aber nicht mit Trauer. Seine Texte fragen nach den ästhetischen und lebensstrategischen Möglichkeiten und Beschränkungen der Gegenwart, sie sind ein kluges Archiv aus Alltags-, Pop- und so genannter „Hochkultur“: AC/DC finden darin ebenso ihren Platz wie oft befahrene Autobahnen (die A7 durch die Kasseler Berge), Petrarcas Briefe und die postmoderne Ironiedebatte. 2007 veröffentlichte der Autor die Erzählung Lebensanfang, seine „wahre Geschichte“ über das Eltern werden. „Es sind vor allem der – manchmal komische – Ernst der Darstellung, das Wagnis des Gefühligen und das Bestehen darauf, dass die eigene Erfahrung, so viele andere sie auch gemacht haben mögen, etwas Besonderes ist.“ (Die Zeit)

 

Bibliographie (Auswahl):

Zeitlösung. Gedichte. Frankfurt am Main 1995.

Bekenntnisse und Postkarten. Gedichte. Frankfurt am Main 1999.

Verlorene Kämpfe. Frankfurt am Main 2001.

Lebensanfang. München 2007.

Nimm den langen Weg nach Haus. Gedichte. München 2010.

Als Herausgeber: Hans Magnus Enzensberger und die Ideengeschichte der Bundesrepublik. Heidelberg 2012.