Uni-Tübingen

Hatten Dinosaurier ein Fell?

In Fossilien sind meist nur Knochen und Zähne von Tieren versteinert – die Weichteile gehen verloren. Doch in der Paläontologischen Sammlung der Universität Tübingen liegen weltweit einzigartige Funde, aus denen die Geschichte des Fells entziffert werden kann.

Säugetiere haben ein Fell. Es bedeckt den Körper und isoliert ihn gegen Kälte. Säugetiere sind bekanntlich sehr sozial, und die Fellfärbung hilft ihnen, Artgenossen und Feinde zu unterscheiden, aber auch, sich vor einem bestimmten Hintergrund zu verbergen, so wie ein sandfarbener Fuchs in der Wüste oder ein Eisbär im Schnee. 
Reptilien haben Schuppen. Und Vögel haben Federn. Federn lassen sich leicht von Schuppen ableiten, denn es ist bekannt, dass sich Vögel aus den reptilienartigen Dinosauriern entwickelt haben. Federn sind stark modifizierte Dinosaurierschuppen. Der gefiederte Archaeopteryx stellt eine bekannte Übergangsform dar. 

Der evolutive Ursprung der Säugetierhaare ist weniger bekannt, da es neben den Knochen und harten Schuppen kaum fossile Abdrücke von Weichgeweben gibt. Unbestritten fossile Abdrücke von Haaren finden sich erst bei Säugern des späten Mitteljuras, wie bei Castorocauda, der vor etwa 220 Millionen Jahren lebte. Ein Säugetiervorfahr mit fossilisiertem Fell ist Spinolestes aus der Kreidezeit, also vor 125 Millionen Jahren. Dieser Nachweis muss jedoch als ein Zustand mit einer langen Evolutionsgeschichte betrachtet werden. In versteinertem Kot aus dem Perm, vor etwa 260 Millionen Jahren, wurden Nahrungsreste gefunden, die haarähnliche Strukturen enthalten. Werfen wir also einen Blick in die Tiefenzeit, die Evolution unserer Säugetiervorfahren, um die Entwicklung des Fells besser zu verstehen.

Die Säugetier- und die Reptilienlinien trennten sich vor mehr als 300 Millionen Jahren voneinander. Die ersten Vorfahren der Säugetiere, die in der Paläontologischen Sammlung in Tübingen einzigartig dokumentiert sind, sahen den Reptilien noch sehr ähnlich. Aber sie hatten eine andere Ernährungsweise: Sie jagten große Beutetiere  mit ihren Fangzähnen, während sich die eigentlichen Reptilien ursprünglich von kleinen Chitin-haltigen Tausendfüßern und Insekten ernährten. Reptilien müssen für ihre Beweglichkeit täglich in der Sonne baden. Für das Schnappen nach Tausendfüßern, Spinnen und Insekten reicht diese Energiequelle.

Die Jagd auf große Beutetiere dagegen setzt als Verhaltensweise spontanes Handeln voraus – etwa das Sprinten und Aufspringen auf eine Beute. Auch Ausdauer brauchen Säugetiere während der Jagd und dafür eine konstante Körpertemperatur, die sogenannte Homöothermie, mit hoher Stoffwechselrate. Fell isoliert den Körper der Säugetiere und unterstützt dadurch eine konstante Körpertemperatur.

Die ersten „Experimente“ der Evolution mit der Körpertemperatur fanden bei den Vorläufern der Säugetiere, den frühen Synapsiden, statt. Einige von ihnen entwickelten Segel auf dem Rücken, die von Auswüchsen der Wirbelsäule gestützt wurden. Dank eines dichten Blutgefäßsystems auf der Hautoberfläche konnten diese großen Segel die Sonnenwärme schnell aufnehmen und überschüssige Körperwärme rasch abgeben. Das funktioniert so auch ganz ähnlich bei den großen Ohren der Afrikanischen Elefanten. Doch das Experiment der Evolution mit den Rückensegeln ging bei unseren reptilienartigen Vorfahren nicht auf: Sie starben aus.

Die frühen Vorläufer der Säugetiere hatten noch typische Reptilienschuppen mit einer weniger effizienten Wärmeregulierung. Dies belegen fossile Abdrücke des Bauches von einem ruhenden Tier. 

Im Zeitalter des Oberperms, vor 255 Millionen Jahren, lebte Sauroctonus parringtoni. Die Paläontologische Sammlung der Universität Tübingen beherbergt eines der vollständigsten und schönsten Exemplare dieses fossilen Tieres weltweit. Es wurde in der Usili-Formation, Ruhuhu, Tansania, gefunden und war eines der erfolgreichsten Raubtiere seiner Zeit. Es sah immer noch aus wie ein Reptil, hatte aber bereits eine etwas aufrechtere Körperhaltung, die beim Laufen energieeffizienter ist als das Laufen mit angewinkelten Gliedmaßen, wie man es noch bei den Reptilien findet.

Anhand des Tübinger Exemplars konnte gezeigt werden, dass frühe Synapsiden bereits einen hohen Stoffwechsel hatten. Indikator dafür ist eine große Öffnung für ein Blutgefäß im oberen Hinterbein-Knochen (Femur): Hier strömt bei gleichwarmen Tieren viel Blut ein, um den Knochen mit Sauerstoff und Nährstoffen für dynamische Anpassungen an die aktive Lebensweise zu versorgen. Darüber hinaus lässt sich eine umfassende Blutversorgung im Schädel von Sauroctonus und anderen permischen Arten rekonstruieren. Kleine Öffnungen in den Schnauzen-Knochen können hierbei auf Nervenkanäle und Öffnungen für Blutgefäße zur Versorgung der Schnurrhaare (Vibrissen) hinweisen. Vibrissen sind auf eine Tastfunktionen hin spezialisierte Schnauzenhaare, die von modernen Säugetieren wie den Katzen bekannt sind. Vielleicht waren sie die ersten Haare, die sich entwickelten, und erst später entstand das eigentliche Fell.


Haben sich die Haare der Säugetiere aus Schuppen entwickelt, so wie die Federn? Ja und nein.


Dinosaurier entwickelten sich vor 233 Millionen Jahren in der späten Trias, also erst mehrere Millionen Jahre nach dem ersten Nachweis von Haaren bei den Vorläufern der 
Säugetiere. Aber schon die frühesten Dinosaurier hatten einfache haarähnliche Federvorläufer, die sich später in mehrere Strahlen aufspalteten und bei den vogelähnlichen Dinosauriern Schäfte, Widerhaken und später sogar Tragfahnen ausbildeten. Da sich die Federn, wie oben erwähnt, aus den Schuppen der Reptilien entwickelt haben, mag man fragen, ob dann auch die Haare bei den Vorläufern der Säugetiere von diesen abstammten? Die Antwort lautet: ja und nein.

In der frühen Entwicklung, im Embryo, gibt es bei allen Landwirbeltieren Hautverdickungen, die als Plakoden bezeichnet werden. Diese genetisch aktiven Regionen sind die Vorläufer aller Hautanhangsgebilde – Schuppen, Federn und Haare gleichermaßen. Im weiteren Verlauf der Embryonalentwicklung bilden sich die Strukturen jedoch drastisch anders aus. Die oberste Hautschicht faltet sich bei der Bildung von Schuppen und Federn nach außen (Evagination), während sich die Haut bei der Entwicklung von Haaren zunächst nach innen einfaltet (Invagination). Der Haarschaft wächst erst später aus der Follikel-Tasche heraus.

 

Es ist also nicht einfach, Haare mit Schuppen und Federn gleichzusetzen. Bei einer Diskussion über den evolutionären Ursprung ist es immer wichtig, die Prozesse der Embryonalentwicklung zu berücksichtigen.
Haare und Federn beruhen auf demselben genetischen Programm, verfolgen aber unterschiedliche Strategien, um sich aus der Haut zu entwickeln. In der Evolution dienten sie ursprünglich einer ähnlichen Funktion: Wärmeregulierung und ein Sich-zur-Schau-Stellen. Erst später in der Evolution, bei den Vögeln, entwickelten sich die Anhangsgebilde der Haut zu einem Flugapparat um. Die Säugetiere etablierten ein Haarkleid, das eine große Entfaltung an Farben und Formen erlebte, so etwa die Streifen beim Tiger, die schwarz-weißen Flecken beim Großen Panda und die gekräuselten Haare beim Schaf.

Einige Säugetiere verloren später ihr dichtes Fell wieder, zum Beispiel die Wale und die Menschen. Ein Grund dafür ist die Regulierung der Körpertemperatur durch Fettspeicherung statt durch Haare bei den Walen und durch Körperkühlung in heißen Savannen in der frühen Evolution unserer eigenen Vorfahren.

PD Dr. Ingmar Werneburg ist Kustos der Paläontologischen Sammlung der Universität Tübingen. Er macht Studenten, Fachleuten und Gästen aus aller Welt außergewöhnliche Fossilien der historischen Sammlung wie den Sauroctonus parringtoni zugänglich. In seiner eigenen Forschung und Lehre verfolgt Werneburg ein ganzheitliches Verständnis der Natur. Er sieht das Zusammenspiel embryonaler als auch tiefenzeitlicher Veränderungen als zentralen Aspekt für die Evolution des Lebens an.

Text: PD Dr. Ingmar Werneburg


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