Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2010: Forschung
Den Auslösern der Alzheimerkrankheit auf der Spur
Welche Rolle spielen Einflüsse aus der Umwelt oder der Lebensweise der Patienten?
Der deutsche Arzt Alois Alzheimer beschrieb im Jahre 1906 in Tübingen als erster eine Krankheit, die später nach ihm benannt wurde und die heute als häufige Alterserkrankung diagnostiziert wird. Bei Patienten mit der Alzheimerkrankheit verändert sich das Gehirn. Es bilden sich unter anderem Ablagerungen (Plaques) aus fehlerhaft gefalteten Proteinstücken, den sogenannten Beta-Amyloid-Peptiden oder Abeta-Peptiden. Nach den Ursachen für diese Ablagerungen und Anreicherungen wird seitdem intensiv gesucht.
Tübinger Forscher haben nun zusammen mit Kollegen aus den USA und der Schweiz dieser Suche neuen Schub gegeben. In einem Science-Beitrag haben Wissenschaftler um Professor Dr. Mathias Jucker und die Erstautorin Dr. Yvonne Eisele vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen und dem Tübinger Standort des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) zusammen mit ihren Kollegen Matthias Staufenbiel (Novartis), Mathias Heikenwälder (Universität Zürich) und Lary Walker (Emory Universität in Atlanta) jetzt einen Verdacht bestätigt: Die Beta-Amyloid-Plaques können nicht nur durch Auslöser im Gehirn, sondern auch durch solche in anderen Teilen des Körpers hervorgerufen werden. Damit steht mehr denn je die Frage im Raum, ob die Alzheimerkrankheit nicht zumindest unter anderem durch Einflüsse aus der Umwelt oder der Lebensweise der Patienten hervorgerufen werden könnte.
Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn sind nicht nur Ursache der Alzheimerkrankheit, sondern auch einer Erkrankung der Blutgefäße im Gehirn, der sogenannten zerebralen Beta-Amyloid-Angiopathie. Dabei lagert sich das Beta-Amyloid weitgehend um die Blutgefässe ab, während die Amyloid-Ablagerungen bei Alzheimer-Patienten zwischen den Nervenzellen entstehen.
Bei der Suche nach dem Auslöser dieser Amyloid-Ablagerungen und -Anreicherungen haben Tübinger Forscher unter der Leitung von Mathias Jucker schon in einem Science-Beitrag im Jahr 2006 nachgewiesen, dass verdünnte Extrakte aus den Gehirnen verstorbener Alzheimerpatienten die Fehlfaltung von Abeta und dessen Ablagerung herbeiführen können. Die Forscher haben dazu verdünnte Extrakte aus den Gehirnen verstorbener Alzheimerpatienten direkt in das Gehirn von Mäusen gegeben und abhängig von der Wartezeit (Inkubationszeit) und der Konzentration der Extrakte Aymloid-Ablagerungen in unterschiedlicher Stärke gefunden. Die Experimente fanden an transgenen Mäusen statt, die genetisch so verändert waren, dass sie die menschliche Form von Abeta produzieren konnten.
Damit lag die Vermutung nahe, dass die Alzheimerkrankheit Gemeinsamkeiten mit Prionen-Erkrankungen hat, zu denen auch BSE – der sogenannte Rinderwahnsinn – gehört. Auch Prionen sind fehlgefaltete Proteine, die für Veränderungen im Gehirn verantwortlich gemacht werden. Doch während Prionenerkrankungen übertragbar sind, und zwar nicht nur direkt über das Gehirn, sondern auch über die Körperperipherie, war ein solcher Übertragungsweg bei der Beta-Amyloid-Pathologie bisher noch nicht bekannt.
Aus der Prionenforschung ist zudem bekannt, dass ein Verabreichen von prionenreichem Material über den Bauchraum (intraperitoneal) effizienter zu Krankheitssymptomen führt als beispielsweise ein Verabreichen über den Mund (oral). Dies nahm die Forschergruppe um Jucker zum Anlass, den Weg über den Bauchraum ebenfalls zu testen.
Ihr Ergebnis war eindeutig und bestätigte sich auch nach einer Wiederholung der Versuche in einem anderen Labor: Wird transgenen Mäusen ein Extrakt mit fehlgefaltetem Abeta über den Bauchraum verabreicht, entwickeln sie die für die Alzheimerkrankheit und die zerebrale beta-Amyloid-Angiopathie charakteristischen Ablagerungen im Gehirn. Allerdings treten die Folgen erst nach einer Inkubationszeit von sechs bis sieben Monaten ein. Die induzierten Abeta-Ablagerungen zeigten sich vorrangig in den Blutgefäßen im Gehirn, konnten jedoch auch in Form von Amyloid-Plaques zwischen den Nervenzellen nachgewiesen werden.
Für Professor Mathias Jucker steht fest: „Die Erkenntnis, dass es Mechanismen gibt, die den Transport von Abeta-Aggregaten von der Körperperipherie ins Gehirn zulassen, wirft die Frage auf, ob es in der Körperperipherie oder Umwelt natürliche Substanzen gibt, die Amyloidablagerungen und Neurodegeneration im Gehirn auslösen können.“ Doch trotz der jetzt bestätigten Gemeinsamkeiten zwischen der Alzheimer- und der Prionenerkrankung gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass die Alzheimererkrankung oder die zerebrale Amyloid-Angiopathie auf natürlichem Wege in gleicher Weise übertragen werden können wie die Prionenerkrankung.
Literaturangaben:
- Science Vol. 330, no. 6006, pp. 980-982 (12. November 2010; online veröffentlicht 21. Oktober 2010: DOI: 10.1126/science.1194516)
- Science Vol 313: pp 1781-4, 2006.
Weitere Informationen:
http://www.hih-tuebingen.de/en/zb/about-us/
Rainer Klüting
Glossar:
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