Professor Dr. Nico Michiels vom Institut für Evolution und Ökologie der Universität Tübingen hat Fische im Verdacht, sich still und leise über eine bisher von der Wissenschaft unentdeckte Ortungsmethode an ihre Beute heranzumachen: eine Art Lichtreflexortung, bei der sie ähnlich wie Fledermäuse mit Lauten bei der Echoortung aktiv Lichtstrahlen aussenden, die von den Augen der Beutetiere ungewollt reflektiert werden. So können die Fische zum Beispiel kleine Ruderfußkrebse gezielt aufspüren. Für diesen Verdacht hat Nico Michiels zusammen mit seinem Kollegen Dr. Connor Champ einige Indizien gesammelt.
Noch lässt sich aus diesem verwegenen Gedanken kein herkömmlicher Forschungsantrag formulieren. Doch für eine Bewerbung in der Initiative „Experiment!“ der VolkswagenStiftung war die Idee wie geschaffen. Die Stiftung fördert fundamental neue Forschungsideen aus den Natur-, Ingenieur- und Lebenswissenschaften zunächst in einer 18-monatigen explorativen Phase mit maximal 100.000 Euro. Nach erfolgreicher Evaluation wird den Wissenschaftlern eine längerfristige und umfassendere Förderung in Aussicht gestellt. Doch auch das Scheitern ist akzeptabel, wenn sich eine Anfangsidee als nicht tragfähig erweist. Mit dem Projekt „Aktive Lichtreflexortung im Tierreich? Fernabtastung über Augen als Lichtquellen“ haben Nico Michiels und Connor Champ die VolkswagenStiftung überzeugt: Von den 630 im Jahr 2014 eingegangenen Bewerbungen wurde sie als einer von nur 19 Anträgen bewilligt.
Viele Fische haben auffällige Augen, dort findet sich eine Kombination aus leuchtenden, fluoreszierenden oder schillernden Farben und Spiegelstrukturen. Mit diesen Eigenschaften wird das einfallende Licht modifiziert und umgelenkt. Die Fischaugen werden zu Lichtquellen, die ihre direkte Umgebung ausleuchten und abtasten können. Die Tübinger Forscher haben zudem herausgefunden, dass diese Lichtquellen willentlich ein- und ausgeschaltet werden können – was nahelegt, dass es sich um einen aktiven Prozess handelt.
In ihrer Hypothese gehen die Forscher davon aus, dass die Lichtaussendung die Sicht des Fisches erweitert, indem sie auch die Reflexion in den Augen anderer Tiere, darunter ihrer Beute, wahrnehmen können. Bei Augen, die an schwache Lichtverhältnisse angepasst sind, sitzt hinter den Lichtrezeptoren in der Regel ein Reflektor, sodass das Licht die Rezeptoren zweimal passiert. Dies erhöht die Lichtempfindlichkeit, doch als Nebeneffekt wird das Restlicht geradewegs zurück auf seine ursprüngliche Quelle geworfen. Hat ein Raubfisch eine Lichtquelle direkt an seinen Augen, kann er das Licht aus dem Augenspiegel seiner Beute sehen.
Die Forscher wollen nachweisen, dass Fische fluoreszierende und spiegelnde Augenstrukturen durch Lichtreflexortung zum Aufspüren von Beute nutzen. Sie wollen ihre Hypothese anhand von Verhaltensexperimenten, theoretischen Modellen und schließlich auch bei freilebenden Fischen überprüfen – mit offenem Ausgang.
In der Förderrunde 2014 der Initiative „Experiment!“ waren außerdem gleich zwei weitere Projekte von Forschern am Naturwissenschaftlich Medizinischen Instituts (NMI) in Reutlingen, einem An-Institut der Universität Tübingen, erfolgreich: Dr. Martin Stelzle will neuartige Neuroprothesen entwickeln und Paolo Cesare 3D-Modelle von Nervenendigungen für die Schmerzforschung konstruieren.
Janna Eberhardt