Johanna Jebe ist für ihre Dissertation „Regeln, Schrift, Correctio – Karolingerzeitliche Entwürfe von Mönchtum im Spiegel der Schriftproduktion aus St. Gallen und Fulda“ gleich mit zwei Preisen ausgezeichnet worden. Bei der intensiven Lektüre der Handschriften aus dem 9. Jahrhundert hatte die Mitarbeiterin des Seminars für mittelalterliche Geschichte das Gefühl, die Mönche und ihre Gedanken beinahe persönlich kennenzulernen.
Frau Jebe, was ist das Besondere an Ihrer Arbeit?
In der karolingischen Zeit hat es im fränkischen Reich ein großes Umdenken gegeben, das insbesondere auch das klösterliche Leben betraf. In der Geschichtswissenschaft nennen wir diesen Reformprozess „Correctio“. Karl der Große war kulturell sehr interessiert. Seine Absicht war eine Systematisierung der gesamten Lebensführung, die damals selbstverständlich auf Gott ausgerichtet war. Und man brauchte Bildung, um die Bibel und Gottes Willen richtig zu verstehen: Zum einen wurde das klassische Latein von etwa Cicero als Standard festgeschrieben, zum anderen wurde die Benediktsregel aus dem 6. Jahrhundert als Verhaltensrichtlinien vor allem für Mönche bestimmt. So sah dies die Forschung bisher – als einen Prozess „von oben nach unten“.
Und das ist es nicht?
Heute würden wir sagen, diese Regeln von Benedikt von Nursia (~480-547) waren Leitplanken. Er gründete in Montecassino das Stammkloster des späteren Benediktinerordens. Aber die Mönche haben darum gerungen, wie die Regel 300 Jahre später auszulegen ist, was sie im Alltag konkret bedeutet. Das haben sie mit aller Ernsthaftigkeit getan, denn es ging schließlich darum, gottgefällig zu handeln und zu leben. Um die Interpretation hat es nicht nur innerhalb einzelner Klöster intensive Diskussionen gegeben, sondern auch zwischen den Klöstern gab es ausführlichen Austausch durch Bücher, Briefwechsel und Treffen. Es gab sozusagen eine intellektuelle Öffentlichkeit, ein Netzwerk, in dem über den richtigen Weg debattiert wurde.
Wie konnten Sie das feststellen? Ist die Sprache nicht schon ein Hindernis?
Glücklicherweise gab es die Rückkehr zum klassischen Latein, also gutes Schullatein und ein wenig Hartnäckigkeit reichen auch heute aus, um die Texte lesen zu können. Ein großer Vorteil der Correctio. Bücher, also Handschriften, sind im 9. Jahrhundert nicht beliebig verfügbar. Schon der Bibliotheksbestand innerhalb eines Klosters sagt etwas über dessen Ausrichtung aus. Ich habe vor allem mit Handschriften aus St. Gallen und Fulda gearbeitet. Denn das erste Kloster galt aufgrund bisheriger Forschung als eher unspektakulärer Umsetzer der Regeln, während das zweite schon für viele Kontroversen bekannt war. Das hat sich so einfach nicht bestätigt, was für die intensive Diskussion der Mönche spricht, die im Gegensatz zur bisherigen Forschung eben auch ein „von unten nach oben und zu allen Seiten“ zeigt. Die Correctio ist ein permanenter Prozess in beide Richtungen. Nicht der Herrscher, Karl der Große, legt fest, wie die Benediktsregel zu verstehen ist, sondern deren Interpretation liegt in der Verantwortung der Leser, also vor allem der Mönche.
Einen Schritt zurück: Wieso sagt der Bibliotheksbestand etwas über die Ausrichtung eines Klosters aus?
Zum einen ist das „Abschreiben“ eines Buches ein extrem zeitaufwändiger Prozess. Deshalb wurden nur die Handschriften kopiert, die für das Kloster einen Nutzen hatten. Zudem ist das Abschreiben eben kein exaktes Kopieren, sondern ein nutzenorientiertes Interpretieren. Die Mönche haben Teile weggelassen oder anders formuliert, sie haben teilweise neben dem Text kommentiert oder es existieren teils regelrecht textkritische Apparate zu einzelnen Wörtern. So sind die Gedanken einzelner Mönche auch durch mehrere Handschriften wiedererkennbar. Ich hatte wirklich das Gefühl, ich lerne Menschen kennen, die vor mehr als 1000 Jahren in einer sehr anderen Welt lebten. Ein anderes Beispiel für den Zusammenhang von Nutzen und Kopie: Man kann ganz klar sehen, welche Handschriften zum Vorlesen gebraucht wurden, weil die Abstände zwischen den Wörtern größer sind, es Satzzeichen oder Seitenumbrüche gibt.
Was Sie beschreiben, klingt nach einer zunehmenden Individualisierung. Jeder Mönch kann einen Text selbst interpretieren.
Nein, so stimmt das nicht. Die Auslegung der Regeln ist keineswegs beliebig. Es gibt ein existenzielles Interesse am richtigen Umsetzen der Benediktsregeln. Zwar dürfen viele Instanzen und gleichberechtigte Zentren mitdiskutieren, deswegen ist der Prozess vielstimmiger und horizontaler. Aber er ist eben auch vernetzter. Es entsteht eine Normativität, die in dieser Zeit erst ausgehandelt werden muss. Heute würden wir das vielleicht als Qualitätsmanagement bezeichnen. Religion war damals weder rückständig noch dunkel, sondern sehr innovativ.
Das Interview führte Jens Gieseler
Johanna Jebe ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften und schloss ihre Promotion 2022 ab. Ihre Arbeit „Regeln, Schrift, Correctio – Karolingerzeitliche Entwürfe von Mönchtum im Spiegel der Schriftproduktion aus St. Gallen und Fulda“ wurde mit zwei Preisen ausgezeichnet. Diese wissenschaftliche Anerkennung bezeichnet für sich selbst als „große Erfüllung“, denn die Arbeit mit Handschriften war arbeits- und zeitaufwändig. Der Walter-Witzenmann-Preis honoriert den neuen Zugang zu den kulturellen, religiösen und politischen Erneuerungen des 8. und 9. Jahrhunderts. Besonders gefreut hat Jebe die Auszeichnung mit dem Dr. Leopold Lucas-Preis für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Evangelisch-Theologischen Fakultät: Dieser Preis hält das Gedenken an den Rabbiner und Wissenschaftler Leopold Lucas lebendig und soll so zur Förderung der Beziehungen zwischen Menschen und Völkern beitragen.
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