Seit November 2021 arbeitet Alumna Andrea Beer als ARD-Korrespondentin in der Ukraine, vorrangig für das Radio. Als die russische Großinvasion begann, war sie bereits dort und wurde unbeabsichtigt zur Kriegsreporterin.
Frau Beer, was haben Sie an der Universität Tübingen studiert?
Ich habe von 1990 bis 1995 Russisch, Englisch und Deutsch auf Staatsexamen studiert.
Woher kam Ihr Interesse an Osteuropa?
Ende 1980er- und Anfang 1990er-Jahre gab es durch die Politik der Perestroika ein riesiges Interesse an dieser Region. Auch ich habe bemerkt und gespürt, dass sich dort gerade etwas verändert und dass die Regionen Mittelost- und Osteuropa sich öffnen. Das fand ich spannend. Es hat mir seitdem immer Spaß gemacht, diese Region, ihre Sprache und Kultur zu entdecken und zu studieren.
Wie sind Sie nach dem Studium zum Journalismus gekommen?
Ich habe ein paar Praktika gemacht, unter anderem auch in der damaligen Pressestelle der Universität Tübingen bei Michael Seifert. Mit einem Stipendium der Robert Bosch Stiftung war ich in der Slowakei. Später war ich für den Bayerischen Rundfunk und die OSZE unterwegs in Osteuropa. Auf diese Weise bin ich in den Journalismus ‚reingerutscht‘.
Ich habe dann beim Südwestrundfunk in Tübingen und später in Baden-Baden angefangen, wo ich in der Redaktion Politik gearbeitet habe. Vor meinem Wechsel nach Kyiv war ich schließlich von 2016 bis 2021 Auslandskorrespondentin im ARD Studio Südosteuropa in Wien.
Erzählen Sie von Ihrer Arbeit als ARD-Korrespondentin in der Ukraine
Momentan hat die ARD vier Korrespondenten in Kyjiv stationiert: Rebecca Barth und ich sind zuständig für die Radioberichterstattung aus der Ukraine, unsere Kollegen Vassili Golod und Birgit Virnich machen die Fernsehbeiträge. Wir fahren viel im Land herum – vor allem im Norden, Süden und Osten der Ukraine.
Immer dabei sind unsere ukrainischen Fahrer und Sicherheitsleute. Sie gehören einer privaten Sicherheitsfirma an und besprechen mit uns die Lage, bevor wir irgendwo hinfahren. Ich arbeite bereits sehr lange mit ihnen zusammen und war viel mit ihnen im Land unterwegs. Das sind praktisch meine Kolleginnen und Kollegen.
Die Themen für unsere Berichterstattung kann ich selber setzen, aber natürlich spielt immer die aktuelle politische Lage mit rein. Zentrales Thema ist ganz klar der Krieg, er bestimmt unseren Arbeitsalltag.
Ich produziere alle Radiobeiträge selbst. Daneben mache ich auch selber Fotos und verfasse Online-Artikel. Meine Beiträge kündige ich vorher im Redaktionssystem der ARD an, dann können sich alle Sender der ARD dort bedienen und meine Beiträge spielen.
Wie wählen Sie Ihre Themen aus?
Vorrang hat immer die Aktualität. Anfang Juni hat uns die Zerstörung des Kachovka-Staudamms sehr beschäftigt. Wir sind dorthin gefahren und haben darüber berichtet, was diese Zerstörung eigentlich bedeutet – für die Menschen und für die Natur. (Verheerende Folgen für Menschen und Natur, Tagesschau vom 07.06.2023).
Neben der Aktualität gibt es aber auch einen großen Bedarf an Analysen und Hintergrund-Berichterstattung. Wir bemühen uns daher, nicht nur ‚Raketen zu zählen‘. Denn wenn wir lediglich über die Anzahl der abgeschossenen Raketen oder der Drohnenangriffe berichten, nehmen unsere Hörerinnen und Hörer das kaum noch auf - das haben sie in anderthalb Jahren Krieg einfach schon zu oft gehört.
Nach dem Raketenangriff auf Pokrovsk Anfang August haben wir beispielsweise aufgezeigt, dass Russland hier dieselbe Strategie angewandt hat wie schon in Syrien: Man schießt eine Rakete ab, es kommen die Helfer, die Vertreter der Stadt und der Militärverwaltung. Und dann wird kurz darauf die zweite Rakete abgeschossen, und so werden auch diese Menschen getroffen. (Ukraine spricht von gezielten Angriffen auf Helfer, Tagesschau vom 08.08.2023)
Wie gefährlich ist Ihre Arbeit?
Wenn ich in die Nähe der Frontlinie – etwa im Donbass – komme, muss ich mich ganz anders verhalten und vorbereiten, als wenn ich hier in der Hauptstadt arbeite. Gerade jetzt während unseres Interviews [9. August 2023 um 15 Uhr] haben wir in Kyiv mal wieder Luftalarm, aber ich kann hier nicht von russischer Artillerie getroffen werden.
Ende Mai waren wir südlich von Saporischschja im Südosten des Landes unterwegs. Ein Teil des Gebiets – in dem sich auch das Atomkraftwerk befindet – ist russisch besetzt, aber die Gebietshauptstadt Saporischschja ist ukrainisch kontrolliert. Wir haben beobachtet, wie sich das ukrainische Militär auf die Gegenoffensive vorbereitet. Die Front war in Hörweite, aber noch ein ganzes Stück weit entfernt. Wir haben Schutzwesten und einen Helm getragen, und unsere Sicherheitsleute waren dabei für den Fall, dass irgendwas passiert. Und trotz allem: dieser Einsatz war relativ unkompliziert. (Hartes Training für die Gegenoffensive, Tagesschau vom 30.05.2023)
Gefährlicher wird es unmittelbar an der Front. Anfang August haben wir eine Reportage in Nikopol gemacht. Die Stadt liegt ebenfalls in der Nähe des Atomkraftwerks Saporischschja, ein Stück weiter südwestlich am gegenüberliegenden Ufer des Dnipro. Hier gibt es nicht nur Luftalarm, sondern permanent Artilleriebeschuss. Das ist ganz schlimm für die Menschen dort. Als Journalisten können wir dieses Gebiet nur mit einer extra Akkreditierung betreten. Wir gehen für zwei, drei, maximal vier Stunden da rein, machen unseren Job und verschwinden schnellstmöglich wieder von dort. ("Das geht die ganze Welt was an", Tagesschau vom 21.07.2023)
Wie verständigen Sie sich, was ist Ihre Arbeitssprache?
Ich spreche überwiegend Russisch, verstehe Ukrainisch aber einigermaßen. Auch Interviews führe ich meist auf Russisch, seltener auf Ukrainisch. Englisch können in der Ukraine dagegen nicht so viele Leute, ausgenommen die jüngeren.
Wie wirkt sich der Krieg auf das Verhältnis von Ukrainern und Russen aus?
Es ist eine große Tragödie. Millionen Familien haben Verwandte hüben wie drüben. Gerade heute hat mir wieder eine Frau von ihrem Bruder erzählt, der in Russland lebt. Wenn sie ihm am Telefon sagt, dass Krieg in der Ukraine ist - dann glaubt er ihr einfach nicht. Und solche Geschichten hört man ständig. Ganze Familien werden durch diesen Krieg zerrissen, es herrscht große Verzweiflung.
Das Verhältnis der Ukrainer zu den Russen ist auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt, die meisten sind voller Hass gegen die russische Armee, voller Hass gegen Russland. Alle zaghaften Versöhnungsinitiativen werden aktuell von schätzungsweise 99,9 Prozent der ukrainischen Bevölkerung strikt abgelehnt. Der Tenor ist eindeutig: ‚Verschwindet aus unserem Land, hört auf uns zu quälen, hört auf, uns zu vergewaltigen, hört auf, uns zu verstümmeln und uns zu töten.‘ – Vorher ist für die Ukrainer das Wort ‚Versöhnung‘ überhaupt kein Thema.
Wie ist die Stimmung in der ukrainischen Bevölkerung nach anderthalb Jahren Krieg?
Die Leute sind müde und erschöpft, viele Familien sind zerrissen: während viele Frauen und Kinder vor dem Krieg geflohen sind, durften Männer zwischen 18 und 60 nicht ins Ausland. Es gibt in jedem Bereich des Lebens – sei es im militärischen Leben, sei es im privaten, im gesellschaftlichen Leben, in der Kultur, in der Wirtschaft – sehr viele Probleme, die alle mit dem Krieg zusammenhängen.
Offizielle Zahlen, wie viele Ukrainerinnen und Ukrainer bislang tatsächlich während der Kämpfe getötet worden sind, gibt es nicht. Aber es sind sehr viele… Wenn man sich mit Soldatinnen und Soldaten unterhält oder anderen Menschen, die an der Front sind oder waren, dann ist das offensichtlich. Und alle wissen das. Es gibt jeden Tag Beerdigungen, es gibt Zehntausende Menschen – vor allem Männer –, die keine Gliedmaßen mehr haben, es gibt Menschen mit Behinderungen oder auch mit posttraumatischen Belastungen.
Und trotz dieser Allgegenwärtigkeit des Krieges, gibt es auch so etwas wie Normalität. Die Leute gehen trotz der Bedrohung an den Strand, in Odessa oder woanders. Es gibt Konzerte, Theater oder auch Kino, teilweise wird darin bereits der Krieg verarbeitet.
Noch eine Geschichte, die mich persönlich unglaublich berührt hat: Wir haben vor ein paar Tagen versucht, etwas über das Schicksal eines jungen Mannes herauszufinden, der in russische Kriegsgefangenschaft geraten ist. Dazu sind wir aufs Land gefahren und sind durch sein Heimatdorf gegangen. – Und die Leute waren total offen, alles sind aus ihren Häusern rausgekommen, jeder hat mit uns gesprochen und wir haben fast einen ganzen Tag damit verbracht, nur mit den Menschen zu reden.
Welche Kenntnisse aus dem Studium helfen Ihnen in Ihrem jetzigen Job?
Das Studium war für mich der Beginn meiner Beziehung zu Mittelosteuropa – die sich zum Glück bis heute fortsetzt, auch beruflich. Natürlich sind meine Sprachkenntnisse aus dem Studium sehr hilfreich für meine jetzige Arbeit. Ich bin froh, dass ich meine Sprachkenntnisse immer gepflegt habe. Es hat mir immer Spaß gemacht, slawische Sprachen zu lernen – Russisch und jetzt vor allem Ukrainisch. Und was mir hier in der Ukraine immer wieder begegnet: altkirchenslawische [i.e. altbulgarische] Inschriften in den Kirchen.
Was war Ihr Lieblingsplatz in Tübingen?
Ich glaube, ich würde Tübingen generell als Lieblingsplatz bezeichnen: Eine kleine Stadt, die alles bietet, was man sich wünscht - sei es Kino, sei es Theater, sei es Konzert, seien es Vorträge oder auch Buchhandlungen. Damals als ich noch in Tübingen gelebt habe, war mir das gar nicht so bewusst…
Die Studienzeit war super, weil man einfach sehr frei war. Ich habe immer noch Freunde aus meiner Studienzeit in Tübingen und komme immer gerne hierher zurück.
Das Interview führte Maximilian von Platen
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