Uni-Tübingen

Mehr (Pflanzen-)Kohle für die Universität – bei gleichzeitig besserer Umweltbilanz und geringeren Kosten

Neues Kooperationsprojekt mit dem Kastanienhof Bodelshausen erforscht die Nutzungsmöglichkeiten des Pyrolyse-Verfahrens

Negative Emissionstechnologien als Mittel gegen die globale Erwärmung und den Klimawandel waren ein wichtiges Thema bei der diesjährigen Weltklimakonferenz COP30 in Belem. Die Universität Tübingen hat in einem Kooperationsprojekt jetzt die Möglichkeit, eine dieser Zukunftstechnologien im Reallabor zu testen: die Pyrolyse. 

„Pyrolyse ist die sauerstofffreie Umwandlung von Kohlenstoffverbindungen in Pflanzenkohle. Der Prozess läuft weitgehend emissionsfrei ab und hat eine negative CO2-Bilanz, dabei entsteht auch Energie in Form von Wärme“, sagt Professorin Dr. Michaela Dippold (Lehrstuhl für Geosphären-Biosphären Wechselwirkungen und Sprecherin des neuen Exzellenzclusters TERRA). 

Das Reallabor zur Pyrolyse entsteht auf dem Kastanienhof in Bodelshausen. Dort betreibt die „Arbeit in Selbsthilfe inklusiv gGmbH“ (AiS), Kooperationspartner bei diesem Projekt, seit dem Frühjahr 2025 eine Pyrolyse-Anlage. Michaela Dippold erklärt im Interview, was die Universität im Reallabor plant.

Reel zum Projekt (Link zu Instagram)


Interview mit Professorin Dr. Michaela Dippold

Frau Dippold, warum ist die Pyrolyse für die anwendungsorientierte Forschung so interessant?

Dieses Verfahren erlaubt es uns, Biomasse in eine langzeitstabile Form zu überführen. Pyrolyse bedeutet also einen verstärkenden Effekt für die Kohlenstoffbindung im Boden und für die Bodenverbesserung: Der Boden kann Wasser besser halten, wird dadurch vor Erosion geschützt und kann gleichzeitig wertvolle Nährstoffe besser speichern. 

Auch für die Klimaforschung ist die Pyrolyse relevant: Durch die negative CO2-Bilanz des Verfahrens wird die Treibhausgasfreisetzung reduziert, gleichzeitig wird umweltschonend Energie in Form von Wärme erzeugt.

Pflanzenkohle ist darüber hinaus sehr gut geeignet als Basis für die Entwicklung von verschiedenen Arten von Dünger.

Die Pyrolyse ist eines der wenigen Verfahren zur Bindung von Kohlenstoff, von denen wir vorhersagen können, dass sie gut funktionieren werden und zugleich gut skalierbar sind.

Ihre Arbeitsgruppe beschäftigt sich vor allem mit den Nutzungsmöglichkeiten der Pflanzenkohle aus der Pyrolyse für die Landwirtschaft…

Ja, genau. Wir möchten schauen, in welchen Kombinationen wir die Pflanzenkohle mit Nährstoffen und mit Mikroorganismen beladen können, damit sie nicht nur als Bodenverbesserer verwendet, sondern auch als Dünger ausgebracht werden kann. Dazu verwenden wir zum einen fermentierten Grünschnitt, zum anderen beladen wir die Pflanzenkohle auch mit verschiedenen Pilzen wie beispielsweise Mykorrhiza-Pilzen. Wir wollen herausfinden, welche Kombinationen sich für welche Obst-, Gemüse- oder Getreidearten besonders eignen. 

In einem weiteren Projekt bestücken wir Pflanzenkohle mit gelöstem Phosphor, um das Endprodukt als Flüssigdünger in Suspension auszubringen. Dieser Ansatz ist für den konventionellen Anbau gedacht, während die zuvor genannten Studien speziell für den ökologischen Landbau konzipiert sind. 

Das neue Reallabor hat die entsprechende Ausstattung, um auf mittelgroßer Skala Düngemengen herzustellen. Dadurch können wir jetzt auch großflächig Versuche mit neuen Düngerarten starten.

Wo werden diese Düngerarten getestet?

Im kleineren Stil geht das direkt auf dem Kastanienhof. Auch im Botanischen Garten der Universität, der ebenfalls an diesem Kooperationsprojekt beteiligt ist, gibt es Testmöglichkeiten, wie auch an der Universität Hohenheim, mit der wir zusammenarbeiten.

Darüber hinaus können wir zukünftig kleine Gartenbauversuche direkt vor der Tür des Geo-Umweltzentrums (GUZ) durchführen – dort werden wir im Rahmen des TERRA Future Labs kleine Anbauflächen schaffen.

Erzählen Sie etwas mehr über das TERRA Future Lab…

Das Future Lab ist die Outreach- und Kommunikations-Plattform unseres Exzellenzclusters TERRA, mit einem breiten Portfolio an Angeboten, darunter auch Citizen-Science Projekte mit aktiver Bürgerbeteiligung. Dafür wird es beispielsweise rund um das Geo- und Umweltforschungszentrum auf der Morgenstelle kleine Anbauflächen geben, auf denen wir Versuche durchführen - transparent und anschaulich für die Öffentlichkeit.

Aktuell sind wir mit der Stadt Reutlingen im Gespräch über ein Projekt, bei dem wir 1.000 Bäumen pflanzen wollen – mit und ohne Pflanzenkohle. CitizenScience heißt hier, dass die Bürgerinnen und Bürger das Wachstum und die Gesundheit ihrer Bäume überprüfen können. Ein ähnliches Projekt planen wir mit Landwirten, die Streuobstwiesen haben. Auch hier sollen die Landwirte vergleichen können, ob ihre Obstbäume besser mit Pflanzenkohle wachsen oder ohne. 

Im Future Lab werden kompensierende Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels im Mittelpunkt stehen. Mit einer Startfinanzierung durch die Stiftung Innovation in der Hochschullehre konnte ein Team aus der Arbeitsgruppe Klimatologie und Biosphäre zusammen mit Studierenden bereits einen ersten Versuch zur Kohlenstoffbindung durch beschleunigte Verwitterung anlegen (vgl. #ZukunftslaborErde) und damit, im wahrsten Sinne des Wortes, einen Grundstein für das Future Lab legen. Bei der beschleunigten Verwitterung (enhanced weathering) wird fein vermahlenes Gesteinsmehl auf Böden ausgebracht. Dieses feine Basaltmehl verwittert dann schneller und bindet bei seinem Verwitterungsprozess CO2, das dann in den Boden und das Grundwasser gelangt und dort langfristig gespeichert wird. Das ist eine andere naturbasierte Möglichkeit, CO2 aus der Atmosphäre zu binden. Diese Methode findet momentan viel Aufmerksamkeit, die Forschung ist hier gegenüber der Pyrolyse jedoch noch drei Stufen zurück. Zunächst muss untersucht werden, ob man auf diese Weise auch relevante Mengen CO2 wirklich langfristig binden kann. Das Zermahlen und Transportieren des Gesteinsmehls kostet Energie. Zentral ist daher die Frage, ob trotz des Energieaufwands eine klarer Netto-CO2-Entnahmeeffekt entsteht. Parallel werden auch Kombilösungen getestet, bei denen Gestein mit Pflanzenkohle vermischt und auf Böden ausgebracht wird. Solche Kombilösungen könnten agronomische Vorteile schaffen und zugleich die Stabilität des Kohlenstoffspeicherung verbessern.

Das Future Lab ist bewusst integral und transdisziplinär konzipiert. Gemeinsam mit dem Botanischen Garten wollen wir unsere Formate für Outreach und Wissenschaftskommunikation entwickeln, die den Austausch mit der Bevölkerung fördern. Ziel ist es, ein Bewusstsein für Biodiversität, Ökosystemfunktionen und natürliche Kohlenstoffspeicher zu schaffen. Es soll begreifbar werden, dass Klimaschutz, Ökologie und Landnutzung eng miteinander verknüpft sind und nicht voneinander entkoppelt betrachtet werden dürfen – und das nicht nur durch trockene Theorie, sondern mittels Partizipation.

Welche weiteren Arbeitsbereiche werden im Reallabor zur Pyrolyse forschen?

Das ist vor allem der Bereich Klimaforschung und Modellierung bei meiner Kollegin Professorin Dr. Kira Rehfeld. Sie plant ein Projekt, um die lokalen bis globalen Klimawechselwirkungen von Kohlenstoffspeicherung durch Pflanzenkohle in Böden zu untersuchen. Auch die Kolleginnen und Kollegen in TERRA, z.B. aus der Bodenmikrobiologie, erforschen auf der Prozessebene, welche Auswirkungen Pflanzenkohle auf mikrobielle Gesellschaften in Böden haben kann, die dann wiederum die Kohlenstoffspeicherung beeinflussen.

Exzellenzcluster TERRA


Der Kooperationspartner: Die Pyrolyseanlage auf dem Kastanienhof

Im Frühjahr 2025 hat die AiS, ein inklusiver Betrieb aus Mössingen, auf dem Kastanienhof in Bodelshausen eine moderne Pyrolyseanlage sowie eine Zerfaserungsanlage zur Vorbereitung des für die Pyrolyse eingesetzten Grünguts in Betrieb genommen. Dieses Grüngut stammt zum einen von den Streuobstwiesen im Landkreis, die die AiS seit mehreren Jahren pflegt, womit sie zum Erhalt der Kulturlandschaft beiträgt. Zum anderen kommt das Pyrolysegut seit Sommer 2025 aus dem Botanischen Garten der Universität, der übrige Anteil besteht aus Waldrestholz.

Nach Zerfaserung und Vortrocknung (ca. 10% Restfeuchte) wird das Häckselgut in der Anlage auf dem Kastanienhof auf 650 bis 800 Grad Celsius erwärmt. Dabei tritt „Holzgas" aus dem Häckselgut aus, das in der Pyrolyseanlage zur Erwärmung des nachfolgenden Häckselguts verbrannt wird. Das Häckselgut selbst kommt dabei praktisch nicht mit Sauerstoff in Berührung. 

Die bei der Pyrolyse entstehende Pflanzenkohle enthält ca. 40% des Kohlenstoffs des Ausgangsmaterials. Die dabei entstehende Prozesswärme wird zur Trocknung des Häckselguts, zur Erwärmung im Pyrolyseprozess und zur Beheizung von Gebäuden auf dem Kastanienhof genutzt. 

Die Pflanzenkohle wird mit anderen Stoffen bzw. Pilzsporen veredelt, wobei Pflanzendünger und über Beimischung von mechanisch vorbehandeltem Langgrasschnitt auch Torfersatzstoff entstehen. Das ist relevant, da die Verwendung von Torf ab 2027 für private Haushalte verboten ist.

Erste Pläne für eine Pyrolyse-Anlage auf dem Kastanienhof gab es bereits 2014. Doch damals waren fossile Brennstoffe noch zu billig, wie Marcus Hölz, Geschäftsführer der AiS, berichtet. Erst als die Preise stiegen, die Beheizung der Gewächshäuser dadurch immer teurer wurde und gleichzeitig eine der Heizungsanlagen auf dem Kastanienhof erneuert werden musste, kam wieder Bewegung in das Projekt. Nach fünf Jahren Planung und Überwindung etlicher bürokratischer Hürden konnte die Pyrolyse­Anlage im Mai in Betrieb gehen, sie hat eine Million Euro gekostet. Zur Einrichtung des Reallabors hat die Universität darüber hinaus 200.000 Euro investiert. 

Die AiS kann nun den Großteil ihrer Gewächs- und Betriebshäuser auf dem Kastanienhof beheizen, für die Pyrolyseanlage wurden außerdem fünf inklusive Arbeitsplätze neu geschaffen. „Trotz der hohen Investitionen werden wir mittelfristig deutliche Kosteneinsparungen durch die Pyrolyse­Anlage haben“, so Marcus Hölz. 

Pyrolyseanlage auf dem Kastanienhof


Benefit für die Universität Tübingen

Nicht nur im Bereich Forschung profitiert die Universität Tübingen vom Kooperationsprojekt mit dem Kastanienhof, es bringt auch eine Kostenreduzierung und eine Verbesserung der Umweltbilanz mit sich. 

Bislang musste das Grüngut aus dem Botanischen Garten kostenpflichtig als Abfall entsorgt werden. Durch die Verwendung des Grünguts für die Pyrolyseanlage auf dem Kastanienhof beträgt die jährliche Kostenersparnis für die Universität rund 10.000 Euro.

Die Universität kann ihren CO2-Ausstoss verringern und damit auch ihre Umweltbilanz verbessern, da der Pyrolyse-Prozess eine negative CO2-Bilanz (geschlossener Stoffkreislauf) hat. Mittelfristig hat die Universität auch die Möglichkeit, CO2 Zertifikate für ihren Biomasseanteil, der in die Pyrolyse fließt, zu bekommen.

Darüber hinaus erhält der Botanische Garten im Rahmen des Kooperationsprojekts Pflanzendünger und Torfersatzstoff vom Kastanienhof zum Austesten. 

Maximilian von Platen

Projektseite Reallabor Kastanienhof

Ein Projekt, das viele Bereiche der Universität einschließt

Neben dem Fachbereich Geowissenschaften, dem Exzellenzcluster TERRA und der Plattform Umweltsysteme sind von Seiten der Universität Tübingen das Institut für Evolution und Ökologie und die Initiative Bunte Wiese, der Botanische Garten sowie die Abteilungen Umwelt, Energie und Klima sowie Forschungsförderung der Zentralen Verwaltung an dem Kooperationsprojekt beteiligt. 

Bereits 2014 hatte die Initiative Bunte Wiese unter Federführung von Prof. Dr. Oliver Betz und Prof. Dr. Michael Weiß (heute Steinbeis-lnnovationszentrum) einen Pilotversuch für ein " innovatives Nutzungskonzept für Wiesenschnitt" durchgeführt, gefördert vom Innovationsfonds der Universität Tübingen. In der Folge wurde die Idee einer Pelletdünger-Produktion aus Grünschnitt (Langgras) der Flächen der „Bunten Wiese" entwickelt, die jetzt im Rahmen des Kooperationsprojekts mit dem Kastanienhof umgesetzt wird.