Uni-Tübingen

hochschulreif. Der Tübinger Podcast zur Studienwahl

Der Podcast "hochschulreif" unterstützt Schülerinnen und Schüler bei der Studienwahl. In jeder Folge laden wir, Alexandra Becker (Zentrale Studienberatung) und Christoph Jäckle (Hochschulkommunikation), einen Gast aus einem Studienfach der Uni Tübingen zum Gespräch ein. Das Gespräch gibt erste Einblicke in die wichtigsten Inhalte des Studienfachs, in die persönlichen Voraussetzungen für das Studium und in mögliche Berufsperspektiven. Zu jedem der Themenfelder befragen wir im Vorfeld Tübinger Studierende des Fachs über ihre persönlichen Erfahrungen bei der Studienwahl, über ihr Studium und wie ihre beruflichen Wünsche aussehen. Studierende kommen dadurch ebenso zu Wort wie Fachexpertinnen und -experten.

Beteiligte:

  • Projektleitung: Zentrale Studienberatung, Universität Tübingen
  • Moderation: Alexandra Becker, Christoph Jäckle
  • Redaktion & Postproduktion: Alexandra Becker
  • Tontechnik: Zentrum für Medienkompetenz, Universität Tübingen
  • Musik: Jingle "Happy Jazz" von PIANODAYs, Background "Cool and Catchy Jazz" von David Steele

Trailer

Ihr wollt wissen, was euch bei "hochschulreif" erwartet? Wir, das Moderationsteam von "hochschulreif" Alexandra Becker und Christoph Jäckle, stellen uns vor und berichten, was euch in den kommenden Folgen erwartet.

Tags #Studium #Studienwahl #Universität #Tübingen #Studieren #Abitur #Studiengänge #Studienfach
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Statements von Studierenden
Studi 1: Ich muss sagen, ich habe absolut keine Ahnung mehr, wie ich auf die Idee kam, Mathe zu studieren.
Studi 2: Also ganz klassisch lese ich gerne. Ich schreibe auch gerne.
Studi 3: Für ein Studium der Soziologie habe ich mich entschieden, weil ich mich für Menschen interessiere.
Studi 4: Und ich habe in der Schule schon immer ein Faible dafür gehabt, für Politik, für Gesellschaft, für Geschichte.
Studi 5: Ich habe mich schon immer für Philosophie interessiert.
Studi 6: Das war mehr so ein Schuss ins Blaue, wenn ich ehrlich bin.

Das Moderationsteam
Alexandra Becker: Geht es euch ähnlich? Ihr habt gerade euer Abi gemacht und fragt euch: Ist Studieren überhaupt das Richtige für mich? Welches Fach soll ich studieren? Oder: Wie funktioniert Studieren überhaupt? Genau darum geht es bei „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl.

Christoph Jäckle: Wir stellen euch hier in jeder Folge ein Studienfach vor. Dazu laden wir uns einen Gast ein und sprechen dann mit ihm oder ihr darüber, um was es bei dem Studienfach inhaltlich geht, was man selbst für das Studienfach mitbringen sollte und was man damit später beruflich machen kann. Außerdem befragen wir davor jedes Mal auch Tübinger Studierende über ihre eigenen Erfahrungen in diesem Studiengang. Wir, das bin ich, Christoph Jäckle.

A.B.: Und ich bin Alexandra Becker. Wir beide sind vom Team der Zentralen Studienberatung. Und wenn ihr gerade auf der Suche nach dem richtigen Studiengang für euch seid, dann seid ihr bei uns genau richtig.

C.J.: Hört doch mal rein. Und wenn es euch gefällt, dann freuen wir uns, wenn ihr uns abonniert!

Folge #18: Physik

Was genau macht man im Physik-Studium? Warum dauert der Bachelor in Tübingen acht Semester? Welche Fähigkeiten sollte man mitbringen? Und wofür qualifiziert ein Physik-Studium? Wir sprechen mit Prof. Dr. Daniel Braun, Professor für theoretische Physik an der Universität Tübingen, über Studieninhalte, berufliche Perspektiven und viele weitere Fragen rund ums Physik-Studium. Außerdem verraten Tübinger Studierende, warum sie Physik studieren, was sie am Studium begeistert und welche beruflichen Wünsche sie haben.

Tags #Physik #Experimentalphysik #TheoretischePhysik
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[demnächst verfügbar]

Shownotes

Insider-Tipps zur Physik:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #17: Erziehungswissenschaft

Wie läuft das Studium der Erziehungswissenschaft an der Universität Tübingen ab? Worin unterscheiden sich die beiden Schwerpunkte Soziale Arbeit und Erwachsenenbildung? In welchen Feldern kann ich mit einem Abschluss in Erziehungswissenschaft arbeiten? Und wo benötige ich spezielle Qualifikationen? Prof. Dr. Markus Rieger-Ladich lehrt Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Tübingen und ist zu Gast bei „hochschulreif“, um diese und viele weitere Fragen über das Erziehungswissenschafts-Studium zu beantworten.

Tags #Erziehungswissenschaft #SozialeArbeit #Sozialpädagogik #Pädagogik #Erwachsenenbildung
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[demnächst verfügbar]

Shownotes

Insider-Tipps zur Erziehungswissenschaft:

Im Podcast erwähnte Filme und Serien:

  • Close, Reg. Lukas Dhont, Belgien/Frankreich/Niederlande 2022 (Film).
  • Breaking Bad, Prod. Vince Gilligan/Mark Johnson, USA 2008–2013 (Serie).
  • Orange is the New Black, Prod. Jenji Kohan/Liz Friedman, USA 2013–2019 (Serie).
  • The Wire, Prod. David Simon/Robert F. Colesberry/Nina Kostroff Noble, USA 2002–2008 (Serie).

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #16: Geowissenschaften und Umweltnaturwissenschaften

Was lernt man im Studium der Geowissenschaften und Umweltnaturwissenschaften? Wie unterscheiden sich die beiden Studiengänge voneinander? Welche zusätzlichen Kosten kommen durch Exkursionen auf mich zu? Und wo arbeite ich mit so einem Studienabschluss später? Wir sprechen mit Professor Dr. Olaf Cirpka, Studiendekan und Professor für Hydrogeologie an der Universität Tübingen, über die Studienfächer Geowissenschaften und Umweltnaturwissenschaften. Studierende aus den beiden Fächern beantworten Fragen zum Thema Studienwahl, ihrem Studienalltag und ihren persönlichen Berufswünschen.

Tags #Geowissenschaften #Umweltnaturwissenschaften #Naturwissenschaften #Umwelt #Geologie
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[demnächst verfügbar]

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Professor Dr. Olaf Cirpka über die folgenden Themen: 
01:19 Persönliche Motivation
08:01 Studieninhalte
33:24 Persönliche Voraussetzungen
44:58 Berufsperspektiven
55:35 Insider-Tipps

Insider-Tipps zu den Geowissenschaften:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #15: Economics / Volkswirtschaftslehre

Wie läuft das Studium der Volkswirtschaftslehre (VWL) ab? Was unterscheidet VWL von Betriebswirtschaftslehre? Welche Schwerpunkte kann man setzen und wann stellen sich berufliche Weichen? Und was genau reizt Economics-Studierende an ihrem Studium? Wir sprechen mit Professor Dr. Gernot Müller über das Studium in Tübingen, über aktuelle Lehr- und Forschungsschwerpunkte der Tübinger Wirtschaftswissenschaft und viele weitere Fragen rund ums Studienfach Economics / VWL.

Tags #VWL #Volkswirtschaftslehre #Economics #Wirtschaftswissenschaften
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[demnächst verfügbar]

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Gernot Müller über die folgenden Themen: 
01:29 Persönliche Motivation 
10:27 Studieninhalte
25:57 Persönliche Voraussetzungen
43:02 Berufsperspektiven 
50:04 Insider-Tipps

Insider-Tipps zu Economics / VWL:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #14: Philosophie

Womit setzt man sich im Philosophie-Studium auseinander? Wie viel Freiheit bietet das Studium und was ist vorgegeben? Und wie geht es mit einem Abschluss in Philosophie beruflich weiter? Für das Studienfach Philosophie haben wir Professor Dr. Klaus Corcilius eingeladen. Mit ihm sprechen wir über die Motivation bei der Studienwahl, über Studieninhalte und berufliche Perspektiven. Studierene geben ebenfalls Einblicke, wie ihr Studium konkret abläuft und was ihnen im und nach dem Studium wichtig ist.

Tags #Philosophie #Ethik #Argumentation
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[demnächst verfügbar]

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Klaus Corcilius über die folgenden Themen: 
00:58 Persönliche Motivation 
17:16 Studieninhalte
33:08 Persönliche Voraussetzungen
44:47 Berufsperspektiven
56:35 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Philosophie:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #13: Medizintechnik

Die Medizintechnik führt die Fächer Medizin, Naturwissenschaften und Technik in einem Studiengang zusammen. Was bringt ein so breit aufgestelltes Studium? Was genau lernt man da – und was nicht? Wie funktioniert das Bachelor-Studium an den beiden Studienorten Stuttgart und Tübingen? Wie stehen die Chancen auf einen Studienplatz und welche Berufsaussichten gibt es? Mit Professorin Dr. Katja Schenke-Layland sprechen wir über das interuniversitäre Studium der Medizintechnik an den Universitäten Stuttgart und Tübingen, über Inhalte, Voraussetzungen und Berufsaussichten im Fach. Studierende der Medizintechnik berichten ebenfalls zu verschiedenen Themen rund um ihr Studium.

Tags #Medizintechnik #Biomedizin #BiomedicalTechnologies #Biotechnologie
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[demnächst verfügbar]

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Katja Schenke-Layland über die folgenden Themen: 
06:14 Persönliche Motivation
14:42 Studieninhalte
29:11 Persönliche Voraussetzungen
40:26 Berufsperspektiven 
46:25 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Medizintechnik:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #12: Altorientalische Philologie

Womit beschäftigt man sich in der Altorientalischen Philologie? Was können wir aus jahrtausendealten Texten heute noch lernen? Was kann man mit dem Studienabschluss beruflich anfangen? Und wie sieht der Studienalltag in Altorientalischer Philologie aus? Diese Fragen und viele mehr beantwortet Professor Dr. Andreas Fuchs uns für Euch im Studiogespräch. Auch unsere Tübinger Studierenden geben Einblicke zu Fragen rund ums Altorientalische-Philologie-Studium.

Tags #AltorientalischePhilologie #Mesopotamien #Akkadisch #Sumerisch #Keilschrift
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[ab 2023 verfügbar]

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Andreas Fuchs über die folgenden Themen: 
01:15 Persönliche Motivation
05:53 Studieninhalte 
29:44 Persönliche Voraussetzungen
38:23 Berufsperspektiven
45:28 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Altorientalischen Philologie:

  • Frahm, Eckart: Geschichte des alten Mesopotamien, Stuttgart 2013.
  • Jursa, Michael: Die Babylonier. Geschichte, Gesellschaft, Kultur, München 2004.
  • Radner, Karen: Mesopotamien. Die frühen Hochkulturen an Euphrat und Tigris, München 2017.

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #11: Koreanistik

Was macht die Koreanistik als Studienfach so attraktiv? Wie läuft eine typische Studienwoche ab und was unterscheidet den Unialltag in Tübingen von dem an einer koreanischen Universität? Warum ist ein ganzes Auslandsjahr in Korea während des Studiums so wichtig? Und wo arbeiten Korea-Expertinnen und Experten später? Über diese und viele weitere spannende Fragen sprechen wir mit Professor Dr. You Jae Lee. Außerdem verraten Tübinger Koreanistik-Studierende unter anderem, was sie zum Studium bewegt hat und was sie daran so begeistert.

Tags #Koreanistik #Koreanologie #Hangeul #Korea #Ostasien
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[demnächst hier verfügbar]

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. You Jae Lee über die folgenden Themen: 
01:21 Persönliche Motivation
07:56 Studieninhalte 
24:03 Persönliche Voraussetzungen
43:15 Berufsperspektiven
52:11 Insider-Tipps

Informationen zum Auslandstudium findet ihr am Tuebingen Center for Korean Studies at Korea University (TUCKU).
Aktuelle Termine zur Infoveranstaltung über die Bewerbung an der Universität Tübingen stehen hier.

Insider-Tipps Koreanistik

  • Der Länderbericht Korea ist bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) leider nicht mehr erhältlich. Ihr findet ihn aber noch antiquarisch, z.B. über das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher (zvab). Eine alternative Empfehlung ist folgendes Buch von Bruce Cumings: Korea's Place in the Sun. A Modern History Taschenbuch, New York/London 2005.
  • Min Jin Lee: Pachinko, 2017 (Buch).
  • Kogonada/Justin Chon (Regie): Pachinko, USA 2022 (Serie).

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

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Folge #10: Allgemeine Rhetorik

Muss man für ein Studium in Allgemeiner Rhetorik gerne auf der Bühne stehen oder sehr viel reden? Wie theoretisch und wie praktisch ist das Studium? Was hat künstliche Intelligenz eigentlich mit Allgemeiner Rhetorik zu tun? Und inwiefern kann Rhetorik auch manipulativ sein? Das Studienfach Allgemeine Rhetorik gibt es deutschlandweit nur in Tübingen. Was das Studium zu bieten hat, was man alles in Theorie und Praxis lernt und wohin es nach dem Studienabschluss beruflich gehen kann, erklärt unser Gast Professor Dr. Olaf Kramer. Und auch unsere Tübinger Rhetorik-Studierenden melden sich zu Wort.

Tags #Rhetorik #Kommunikation #Reden #Überzeugen #SocialMedia #Medienforschung #KünstlicheIntelligenz
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Christoph Jäckle: (C. J.) Herzlich Willkommen zu „hochschulreif“, Eurem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen euch auch heute wieder ein neues Studienfach vor. Und zwar geht es um die Allgemeine Rhetorik. Wir, das sind mal wieder meine liebe Kollegin Alexandra Becker und ich Christoph Jäckle. Hallo, Alex. Schönen guten Morgen!

Alexandra Becker (A. B.): Guten Morgen, Christoph!

C. J.: Hi. Heute haben wir auch wieder einen Gast. Und zwar ist heute Professor Dr. Olaf Kramer vom Seminar für Allgemeine Rhetorik bei uns. Aktuell ist Olaf Kramer zudem der Sprecher des RHET AI, dem Zentrum für rhetorische Wissenschaftskommunikationsforschung zur künstlichen Intelligenz. Gar kein so einfacher Name, aber ich habe es halbwegs hinbekommen, glaube ich. Hallo, Herr Kramer, schönen guten Morgen. Schön, dass Sie bei uns sind.

Prof. Dr. Olaf Kramer (O. K.): Hallo, guten Morgen!

C. J.: Ich bin schon gespannt auf die Folge und bin auch sehr gespannt, ob wir in unserem Gespräch dann auch viele Hörerinnen und Hörer von dem Studienfach – das man auch nur in Tübingen studieren kann, das kann man schon mal hier vorwegnehmen – überzeugen können. Um das Stichwort Überzeugung wird es, glaube, ich heute noch öfters gehen, denn auch dafür steht – man vermutet es zumindest – die Allgemeine Rhetorik. Wir haben auch diesmal wieder einige Tübinger Studierende zu verschiedenen Themen rund um das Studium befragt, die Rhetorik studieren. Wir hören uns jetzt gleich mal an, warum die Tübinger Studierenden sich für das Studium der Allgemeinen Rhetorik entschieden haben, was da ihre persönlichen Motivationsgründe waren.

Persönliche Motivation (01:26)

Studi 1: Ich habe mich für den Studiengang Allgemeine Rhetorik entschieden, weil ich mich in der Schule sehr für die beiden Fächer Geschichte und Deutsch interessiert habe. Und als ich dann vom Studiengang Allgemeine Rhetorik in Tübingen gehört habe, fand ich das sehr spannend, weil ich das Gefühl hatte, dass er beide Seiten sehr gut vereint, einmal diesen kommunikationswissenschaftlichen Aspekt und andererseits aber auch diese historische Perspektive.

Studi 2: Ich dachte am Anfang wirklich noch ganz naiv, dass ich im Fach Allgemeine Rhetorik einfach lerne, wie ich eine gute Rede halten kann. Letztendlich habe ich schon nach ein paar Wochen gemerkt, dass die Rhetorik als Wissenschaft wesentlich philosophisch und gesellschaftlich relevanter ist als das bloße Halten von guten Reden.

Studi 3: Ich habe mich für das Studium der Allgemeinen Rhetorik in Tübingen entschieden, da ich Kommunikation im Generellen schon immer sehr spannend finde. Und Rhetorik hat mich deswegen am meisten gecatched, weil es eine unglaublich interessante Schwerpunktsetzung hat. Der Schwerpunkt der Rhetorik liegt nämlich auf der Überzeugung und die Fragestellung der Rhetorik lautet: Was überzeugt andere Personen? Wie kann man andere Personen überzeugen? Und das hat mich so sehr interessiert, dass ich hier in Tübingen gelandet bin.

Studi 4: Ich habe mich für das Fach Allgemeine Rhetorik entschieden, weil ich es schon immer faszinierend fand, dass man mit Sprache andere Menschen bewegen kann und auch zu etwas bewegen kann.

A. B.: Herr Kramer, wir sind jetzt schon mittendrin. Wir haben gehört es geht um, die kommunikationswissenschaftlichen Aspekte, die historische Perspektive, aber auch die Vorstellung einer guten Rede und die Überzeugung. Ist das so die übliche Vorstellung, oder mit welcher Vorstellung kommen die Studierenden?

O. K.: Ich denke, das ist eine Vorstellung, die schon ein bisschen durch das Rhetorikstudium geprägt ist. Da sind schon viele richtige und wichtige Elemente genannt worden, die in der Rhetorik eine Rolle spielen. Also wenn man ganz basismäßig definieren will, kann man sagen, in der Rhetorik geht es um Persuasion, es geht darum, andere Menschen zu überzeugen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist für uns dann, dass wir uns nicht nur mit Reden auseinandersetzen, sondern dass man diese Frage nach der Persuasion, also die Frage, wie man Einfluss auf andere ausüben kann, in den unterschiedlichsten medialen Kontexten stellen kann. So gibt es die Möglichkeit, sich rhetorisch mit Reden oder Gesprächen auseinanderzusetzen, genauso wie man sich mit Social Media Auftritten beschäftigen kann und auch der Frage nachgehen kann, inwieweit gelingt auf Instagram oder bei TikTok so etwas wie Persuasion.

A. B.: Und jetzt heißt das Studienfach in Tübingen Allgemeine Rhetorik. Da haben wir uns gefragt, warum heißt es denn nicht nur einfach Rhetorik?

O. K.: Darauf gibt es eine wissenschaftliche und eine anekdotische Antwort. Die wissenschaftliche Antwort ist, Allgemeine Rhetorik ist ein Begriff, der in den 60er Jahren aufkam im Kontext einer Renaissance von Rhetorik. Da gibt es eine Bewegung, die als Nouvelle Rhétorique im französischsprachigen Raum und New Rhetoric im internationalen Raum bezeichnet wird. Im Kontext dieser Bewegung entsteht dann die Idee einer Allgemeinen Rhetorik, wo man versucht, im Grunde eine Verbindung von Rhetorik und Linguistik herzustellen. Das ist die wissenschaftliche Antwort darauf. Die anekdotische ist, Walter Jens hat 1967 die Neugründung dieses Instituts auf den Weg gebracht und er wollte einen Namen, der auch sicherstellt, dass dieses wunderbare Fach vorne auf den Listen steht. Mit Allgemeiner Rhetorik ist man viel besser positioniert als mit Rhetorik.

A. B.: Das ist richtig. Da ist die Allgemeine Rhetorik ganz weit oben in der alphabetischen Liste. Herr Kramer, Ihr eigener Weg in die Allgemeine Rhetorik wie war der? Wie kamen Sie da hin?

O. K.: Eigentlich durch einen großen Zufall. Ich wusste nicht, was ich studieren wollte, und hatte am Ende drei sehr unterschiedliche Angebote. Ich hatte mich in Heidelberg für Jura beworben und da einen Platz bekommen. Irgendwo im Ruhrgebiet, ich weiß gar nicht mehr wo, habe ich mich für Verfahrenstechnik, also ein eher ingenieurwissenschaftliches Thema, beworben und in Tübingen für die Rhetorik. Alle drei Angebote lagen auf dem Tisch und dann habe ich mich im letzten Moment für die Rhetorik entschieden. Dass ich überhaupt auf die Rhetorik aufmerksam geworden bin und dass sie sozusagen eine dieser drei Varianten war, die für mich in Frage kam, lag an einem Text, den der damalige Institutsgründer Gert Ueding geschrieben hat. Es gab einen Studienführer Deutschland, so hieß das, und darin war ein sehr überzeugender und rhetorisch sehr gelungener Text, der diesen Studiengang vorgestellt hat. So kam ich überhaupt auf die Idee, mich aufzumachen nach Tübingen und hier Rhetorik zu studieren.

C. J.: Das heißt, da waren die Rhetoriker schon sehr erfolgreich mit dem Schreiben dieser Texte, sowohl beim Studiengangsnamen als auch bei diesem Infotext.

O. K.: Genau.

A. B.: Sie sind ja auch dabeigeblieben. Also hat das Fach dann offenbar die Erwartungen erfüllt.

O. K.: Ja, das Tolle an der Rhetorik ist, dass man wirklich sehr viele Möglichkeiten hat und dass es sehr offen ist, womit Sie sich beschäftigen. Diese Frage nach der Persuasion, nach den Überzeugungstechniken, können Sie in den unterschiedlichsten Kontexten stellen. Das macht es sehr spannend, weil es genauso möglich ist zu sagen, ich habe ein historisches Interesse und gehe der Frage nach der Überzeugung mit Blick auf das 18. Jahrhundert nach, wie Sie auch sagen können, mich interessiert eine neue mediale Entwicklung und ich will mir die anschauen. Oder ich interessiere mich für die Rhetorik des Bildes. Das macht dieses Fach einfach sehr spannend.

A. B.: Jetzt hat Christoph vorhin schon angekündigt, Sie sind auch Sprecher des RHET AI Centers in Tübingen. Können Sie da noch mal kurz umreißen, was das genau ist und was da gemacht wird?

O. K.: Das RHET AI Center ist eins von vier nationalen Zentren für Wissenschaftskommunikationsforschung, das wir erfreulicherweise nach Tübingen holen konnten. Und diese Zentren sind so ausgerichtet, dass sie sich mit einem Forschungsthema auseinandersetzen. Das ist für Tübingen das Thema künstliche Intelligenz (KI). Und an diesem Forschungszentrum interessiert uns die Frage, wie wir zu einem informierten, gesellschaftlichen Diskurs über künstliche Intelligenz kommen können. Das Zentrum verbindet dabei theoretische Forschung mit praktischen Kommunikationsaktivitäten und der Ausbildung von Forschenden im Bereich kommunikativer Kompetenz. Das heißt, wir setzen eigentlich damit an, erst mal zu analysieren, was sind die Narrative, die unsere Vorstellung von künstlicher Intelligenz beeinflussen. Sobald ich das Wort abrufe, haben viele Leute Roboter im Kopf oder haben irgendwelche dystopischen und utopischen Visionen aus Science- Fiction Filmen, an die sie denken. Und das beeinflusst sehr unsere Wahrnehmung von künstlicher Intelligenz. Insofern nehmen wir diesen Teil sehr ernst und versuchen zu analysieren, was ist der Begriffsrahmen, in dem Menschen dieses Thema künstliche Intelligenz aufnehmen. Wie kann man auf dieser Grundlage dazu kommen, dass man einen informierten Diskurs erreicht? Denn KI-Forschung und KI-Prozesse sind eben doch etwas anderes als das, was diese Fixierung auf den humanoiden Roboter nahelegt. Insofern spielen diese Diskurse eine große Rolle. Aber wir schauen eben auch in die aktuelle Forschung in diesem Bereich künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und so weiter hinein und versuchen, das zusammenzubringen. Das Ganze verbunden mit Trainingsaktivitäten, um Forschende fit zu machen, diese Rolle auch ernst zu nehmen, in der Gesellschaft über künstliche Intelligenz zu sprechen.

A. B.: Und in welcher Weise haben Studierende damit auch Berührungspunkte oder haben die das gar nicht?

O. K.: Doch, sie haben zum Beispiel gerade in diesem Semester Berührungspunkte, weil ich eine Vorlesung halte, beziehungsweise wir haben sogar eine Ringvorlesung daraus gemacht, die dieses Thema Rhetorik und künstliche Intelligenz aufnimmt. Da haben wir uns zum Beispiel gerade aktuell mit dem Thema fairer Algorithmen auseinandergesetzt, mit der Frage, wie man Algorithmen gestalten kann, dass so etwas wie gesellschaftliche Verantwortung in ihnen präsent ist. Auf diese Weise kommen Studierende damit in Berührung und dann ist es ein ziemlich großes Forschungszentrum. Insofern gibt es da auch viele HiWi-Möglichkeiten, also die Möglichkeit, als studentischer Mitarbeitender in diese Welt in ganz unterschiedlicher Art und Weise hineinzukommen. Das kann theoretisch, literaturwissenschaftlich sein, wenn man sich für diese Narrative interessiert. Das kann sehr praktisch sein, wenn man sich dafür interessiert, Menschen zu trainieren und weiterzubilden. Oder es kann sehr technisch sein, wenn man sich in die sogenannte Future Perspectives Units bewegt, wo es darum geht, wie auch künstliche Intelligenz rhetorische Forschung selbst verändern kann.

A. B.: Dann würde ich vorschlagen, wir werfen den Blick jetzt auf die Inhalte des Studiums und haben dafür im Vorfeld Studierende gefragt, wie deren typische Studienwoche so aussieht.

Studieninhalte (10:09)

Studi 1: Das Tolle ist, dass wirklich jeder Kurs und jeder Tag anders ist. Das bedeutet, dass ich so gesehen eigentlich gar keine richtig typische Woche habe. An einem Tag lerne ich in einem Seminar etwas über die Debatten rund um künstliche Intelligenz. Und am nächsten Tag kann ich in einem Seminar eine Social Media Strategie entwickeln. Oder ich beschäftige mich morgens mal mit antiker Philosophie und nachmittags besuche ich mit einem Seminar eine Bundestagswahlkampfveranstaltung.

Studi 2: In einer typischen Studienwoche im Fach Allgemeine Rhetorik hat man gar nicht so viel mit Vorlesungen zu tun, wie man vielleicht im ersten Moment denken würde, sondern viel mehr mit Seminaren und Proseminaren, wo man nur in Klassengrößen mit ungefähr 20 Leuten zusammensitzt, was ganz entspannt ist und wo man auch intensiver noch mal über Themen reden kann, sich austauschen kann, diskutieren kann. Dann gibt es auch Praxisseminare, wo ich meistens auch so eins pro Semester belege, wo man, wie der Name schon sagt, so ein bisschen die Theorie, was man lernt, ausprobieren kann und auch noch mal in Kontakt tritt mit Leuten, die selber Rhetorik studiert haben und jetzt schon arbeiten.

Studi 3: Ganz viel Verschiedenes eigentlich. Natürlich schaut man sich die theoretischen Grundlagen an, aber dann schaut man sich auch Beispiele aus der Praxis an, verschiedene Seminare und Vorlesungen und dann kommt aber natürlich noch viel Selbststudium dazu.

Studi 4: Ja, das Studium an sich ist eine Mischung aus Theorie und Praxis. Theoretischen Input bekommt man durch Vorlesungen und Hauptseminare. Da geht es dann meistens um die Geschichte und die Theorie der Rhetorik, aber auch um die Textanalyse oder Textinterpretation. Und der praktische Anteil des Studiums wird durch sogenannte Praxisseminare vermittelt. Da ist wirklich von A bis Z alles dabei. Da kann man sich auf jeden Fall jedes Semester was Neues raussuchen, was einen interessiert.

C. J.: Also, dass das Studium inhaltlich sehr abwechslungsreich ist, das haben wir jetzt schon mehrfach gehört. Aber Herr Kramer, wie ist es denn damit was die Wahlmöglichkeiten angeht, kann ich mir sehr viel Themen selbst aussuchen? Kann ich mir Veranstaltungen selbst aussuchen oder ist auch sehr viel vorgeschrieben? Wie muss ich mir das vorstellen?

O. K.: Es ist eine Kombination aus festen Elementen und Wahlmöglichkeiten. Insgesamt haben die Bachelorstudiengänge dazu geführt, einen stärker verschulten Ansatz an die Universitäten zu bringen. Wir haben aber versucht, auch innerhalb dieses Bachelorsystems Freiräume zu wahren, damit Studierende die Chance haben, individuellen Interessen zu folgen, unterschiedliche Schwerpunkte in verschiedene Richtungen zu legen. Und insofern sorgen wir dafür, dass eine gute Basisausbildung stattfindet, sodass sie das rhetorische System, die Geschichte der Rhetorik und zentrale Forschungsfelder kennenlernen. Dazu haben sie die Möglichkeit, viele Wahlentscheidungen zu treffen. Dabei greifen wir gerne aktuelle, gesellschaftliche Themen auf. Das ist auch etwas, was dieses Studium auszeichnet. Und Sie haben eben und das gehört zur DNA des Rhetorikinstituts dazu, die Verbindung von Theorie und Praxis. Das heißt, anders als in den allermeisten Universitätsstudiengängen sitzen sie nicht nur in Theorieseminaren, sondern sie haben auch Praxisseminare, wo sie praktisch lernen, Reden zu halten, Radiosendungen zu produzieren oder einen Social Media Auftritt strategisch zu planen. Das ist auch etwas, was unsere Studierenden, glaube ich, sehr schätzen. Diese Praxisseminare, die finden in sehr kleinen Gruppen statt. Da lassen wir nie mehr als 15 Leute zu, sodass man wirklich die Möglichkeit hat, ganz intensiv zu arbeiten. Und eine Besonderheit ist dann auch noch, dass wir da viele Lehrbeauftragte haben, die selbst aus der Praxis kommen. Also das sind Journalisten und Journalistinnen von großen Medienhäusern wie der „ZEIT”. Es sind Unternehmensberater und Unternehmensberaterinnen, die bei großen Beratungsfirmen tätig sind, sodass man da sehr nah an die Praxis herankommen kann.

C. J.: Sie haben jetzt auch noch mal die aktuellen Themen angesprochen, die unter anderem behandelt werden. Können Sie da schlaglichtartig ein paar nennen, die momentan zum Beispiel im Bachelorstudium behandelt werden oder die vorkommen?

O. K.: Ja, zum Beispiel habe ich ganz früh in der Coronakrise beschlossen, meine Vorlesung über Bord zu werfen, die ich eigentlich geplant hatte, die sich mit Wirtschaftsrhetorik auseinandersetzen sollte, und habe ein Seminar zur Rhetorik der Coronakrise angeboten oder eine Vorlesung zur Rhetorik der Coronakrise. Also ich habe versucht, dieses sehr aktuelle Geschehen, bei dem Kommunikation auch eine ganz große Rolle spielte, um Verhaltensänderung in der Bevölkerung zu erreichen, ein Semester lang sozusagen tagesaktuell in dieser Vorlesung zu analysieren. Dann gibt es Veranstaltungen zu politischen Themen wie Populismus, mit denen wir uns immer wieder beschäftigt haben. Im Moment spielt gesellschaftliche Polarisierung eine große Rolle, auch dazu hat es etwa im letzten Semester ein Seminar gegeben. Insofern ist es immer ein sehr aktuelles Seminarprogramm.

C. J.: Was jetzt auch schon häufig gefallen ist, ist das Stichwort der Persuasion, dass es darum geht, für Überzeugung zu sorgen. Kann man der Rhetorik vorwerfen, dass man da auch lernt, wie man andere Menschen rhetorisch manipuliert und von Sachen oder von Inhalten überzeugt, von denen die eigentlich nicht überzeugt werden sollten?

O. K.: Zunächst mal geht es ja Rhetorik um das Überzeugen und nicht um das Überreden. Das heißt, der Idealfall der Rhetorik ist, Menschen zur Einsicht zu führen. Also sie sollen aus eigener Überzeugung einer Sache zustimmen. Das ist das, was man versucht. Und nach der rhetorischen Theorie hängt diese Art Zustimmung an rationaler Einsicht, an Argumenten, die man anbietet und sozusagen an einem vernünftigen Erkennen der Gültigkeit von Argumenten. Aber wir gestehen ein und das spielt in der Rhetorik auch eine gewisse Rolle, dass Menschen ebenfalls immer emotional reagieren, dass ihre Einstellungen, ihre Überzeugungen Einfluss darauf haben, wie sie auf Argumente reagieren. Das ist das, was wir uns in diesem Persuasionsgeschehen anschauen. Und insofern läuft Rhetorik auf Persuasion, auf Überzeugung hinaus, die Sachargumente mit einbezieht, die aber auch die emotionalen und affektiven Aspekte von Kommunikation mitberücksichtigt. Es geht darum, eine freie Zustimmung zu erreichen und wir können Rhetorik damit abgrenzen von Kommunikationsformen, die manipulativ funktionieren. Wenn ich etwa ein Ausmaß an Emotionalität aufbaue, das dazu führt, dass Menschen keinen klaren Gedanken mehr fassen können, dann bin ich nicht mehr im Paradigma der Rhetorik. Das ist zum Beispiel eine Technik des Populismus. Die besteht darin, Menschen Angst zu machen, Angst zu machen vor Fremden, vor Zuwanderung, vor verschiedenen Formen von Bedrohung und sie in dieser Angst zu halten, weil sie dann gar nicht dahin kommen, Argumente rational zu überprüfen. Das wäre eine Kommunikationsform, die manipulativ ist, die auch destruktive Anteile enthält. Das analysieren wir in der Rhetorik. Das ist ein spannender Punkt, zu sagen, was passiert da eigentlich kommunikativ, wie funktioniert diese Form von Kommunikation. Und insofern ist es ein Thema, das uns analytisch interessiert. Wie immer, wenn man etwas technisch verstanden hat, kann man es natürlich auch manipulativ einsetzen. Wie Sie Medizin studieren können, um Menschen zu heilen, sich damit aber auch ein Wissen aneignen, wie sie Menschen potenziell schaden können. Genau das gleiche gilt in der Rhetorik. Aber das Ziel der Ausbildung ist, Menschen dahin zu bringen, andere zu überzeugen und fähig zu sein, einen kritischen, analytischen Blick auf Kommunikationen zu werfen.

A. B.: Und darf ich fragen, wie nähert man sich denn methodisch diesen Sachverhalten an? Also was sind so typische Methoden der Rhetorik?

O. K.: Zunächst mal war Rhetorik, so wie sie in Tübingen betrieben wurde, lange Zeit sehr geisteswissenschaftlich geprägt, also ein hermeneutischer Zugriff im Grunde. Das heißt, zunächst mal gibt es die Ebene, man liest Texte, man versucht Strukturen in diesen Texten zu analysieren und zu finden und dann zu interpretieren. Arbeit mit Texten ist auch heute noch etwas, woran man Freude haben sollte, wenn man sich mit Rhetorik beschäftigt. Dann kommen aber weitere Verfahren hinzu. In den letzten Jahren hat sich die Rhetorik stärker in eine psychologische Richtung entwickelt, stärker in die sozialwissenschaftliche Richtung. Das ändert zum Teil auch die Forschungsmethoden. Es spielt jetzt eine Rolle, auch empirisch, quantitativ auf Kommunikation zu schauen. Da bietet auch das RHET-AI-Center neue Möglichkeiten in der Art und Weise, wie man eine große Textmengen analysieren kann. Wir haben die Forschungsstelle Präsentationskompetenz, die auch zum Seminar für Allgemeine Rhetorik gehört. Die ist stark sozialwissenschaftlich-psychologisch ausgerichtet. Da haben wir zum Beispiel Forschungen dazu gemacht, wie kann man eigentlich so was wie Präsentationskompetenz messen. Wie kann es gelingen, dass Menschen zu einer einheitlichen Einschätzung kommen, ob es eine gute oder eine schlechte Präsentation war? Das lässt sich eher mit sozialwissenschaftlich-psychologisch inspirierten Methoden klären.

C. J.: Ist es dann unter Umständen sinnvoll, sich auch strategisch schon im Vorfeld zu überlegen, was für ein Nebenfach ich zu dem Bachelorhauptfach nehme? Wenn ich jetzt beispielsweise im Hauptfach Allgemeine Rhetorik studiere, dann brauche ich ein Nebenfach dazu und da dann vielleicht Psychologie oder irgendwas Sozialwissenschaftliches zu nehmen, dass auch in diese Richtung geht, oder was empfehlen Sie da?

O. K.: Natürlich sollte man schon im ersten Moment oder am Anfang entscheiden, was soll mein Nebenfach sein, und darüber nachdenken. In der Tat kann man damit gewisse Akzente setzen und sich eher in eine literaturwissenschaftliche, historische Richtung aufstellen oder eher in eine sozialwissenschaftliche, quantitative Richtung. Wobei ich immer sage, fangen Sie mal mit dem Studium an, wenn man nach einem Semester entscheidet, das hat doch nicht so ganz gepasst, dann ist das, finde ich, immer noch ein Zeitpunkt, wo man auch ein Studienfach ändern und eine neue Kombination wählen kann, weil man oft aus der Distanz auch gar nicht weiß, was einen interessiert und was man dann im Studium wirklich spannend findet. Ich neige immer dazu, Studierenden zu raten, ein bisschen Druck rauszunehmen aus dieser Entscheidung, sich erst mal eine sinnfällige Kombination zu überlegen und sich da auch beraten zu lassen. Dann sieht man, funktioniert das oder funktioniert das nicht und kann dann noch mal neue Entscheidungen treffen. Da ist es auch manchmal so, dass man Haupt- und Nebenfach tauscht. Das ist eine Option, die möglich ist. Da freuen wir uns immer besonders über Bekehrte, die mit Rhetorik als Nebenfach begonnen haben und dann mit Rhetorik als Hauptfach weitermachen, was gar nicht so selten vorkommt.

C. J.: Weil die dann so begeistert sind. Dann kommen wir auch zum Thema, was begeistert denn die Studierenden an ihrem Studium und hören uns da mal an, was die Tübinger Studierenden uns dazu gesagt haben.

Persönliche Voraussetzungen (20:48)

Studi 1: Am Studium der Allgemeinen Rhetorik begeistert mich eigentlich am meisten, dass Rhetorik einem überall begegnet und dass man sowohl geschichtlich auf Rhetorik schauen kann als auch sehr aktuell.

Studi 2: Am meisten fasziniert mich die vielfältige Anwendbarkeit und Relevanz der Rhetorik in diesen ganzen unterschiedlichen Bereichen, also sei es jetzt Politik, sei es Wirtschaft, Journalismus, Marketing oder eben auch Literatur.

Studi 3: Mir wird mit jedem Text und jeder Theorie mehr in der Rhetorik bewusster, wie fundamental wichtig und relevant die Rhetorik für unser Leben ist. Rhetorik prägt oder erzeugt vielmehr unsere Meinungen über die Welt und prägt und gestaltet auch die Diskurse, die wir in der Gesellschaft führen. Und dass sich diese Form gesellschaftlicher Macht im Studium zu entdecken und zu analysieren lerne, fasziniert mich mit jedem Semester mehr.

Studi 4: Am Fach Rhetorik begeistert mich zum einen, wie aktuell das Wissen aus der Antike beispielsweise noch ist, wie aktuelles es über die Jahrhunderte war und auch heute noch angewendet werden kann. Und zum anderen begeistert mich vor allem an der Rhetorik, wie sehr man auch im Alltag dieses rhetorische Wissen gebrauchen kann oder anwenden kann. Immer wenn jemand auf eine Bühne tritt und anfängt zu reden, schaut man da, wenn man Rhetorik studiert, jetzt immer ein bisschen anders drauf.

A. B.: Nun haben wir schon einige Einblicke bekommen. Die Aktualität wurde öfter genannt und die Anwendung im Alltag genauso wie die Relevanz für unser Leben. Was sind denn, Herr Kramer, so Voraussetzungen, die man als Studienanfänger oder -anfängerin mitbringen sollte, wenn man sich auf das Fach einlässt?

O. K.: Wenn man die Kommentare hört, muss man übrigens sagen, dass wir wirklich tolle Studierende haben, weil da ganz zentrale und wichtige Dinge genannt wurden. Das will ich noch mal unterstreichen. Was muss man mitbringen? Also man sollte auf jeden Fall Interesse, Freude, Spaß an Texten haben. Daran, Texte zu lesen und Texte zu schreiben, denn das ist die Basis für jede Form von Rhetorik. Auch, wenn sie am Ende einen Instagram-Post produzieren, brauchen Sie diese Textebene. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung, Freude am Umgang mit Texten und auch an der sprachlichen Gestaltung. Das scheint mir im Grunde noch wichtiger zu sein als Freude an der Performance, also am Auftritt. Das ist natürlich etwas, was hinzukommen kann, aber es ist auch durchaus möglich, dass sich das vielleicht im Studium entwickelt, und es muss sich auch gar nicht notwendig entwickeln. Es kann durchaus passieren, dass man sagt: „Ich bin eher an Analyse interessiert und nehme Rhetorik als eine kritisch analytische Disziplin, die sich gesellschaftliche Phänomene anschaut." Damit sind Sie auch in dem Studium sehr gut aufgestellt, wobei wir schon versuchen, jede/jeden der Rhetorik, die/der Rhetorik studiert, dahin zu bringen, einen souveränen öffentlichen Auftritt hinzulegen und in unterschiedlichen Kommunikationssituation zu bestehen. Das ist eine Aufgabe dieser Praxisseminare. Aber unter den Studierenden gibt es dann Menschen, die nehmen diesen performativen Teil sehr stark für sich wahr und finden den sehr wichtig. Aber es ist eben auch möglich, sehr textbezogen sich mit diesem Fach auseinanderzusetzen.

C. J.: Ist das eine große Herausforderung für manche Studierenden, sich dann auch vor eine Gruppe von Kommilitonen und Kommilitoninnen vielleicht erst einmal im Seminar hinzustellen, um vielleicht auch später dann vor einer größeren Gruppe so eine Rede zu halten?

O. K.: Natürlich bedeutet es, eine Rede zu halten, eine Präsentation zu halten oder in irgendeinem Social-Media-Kanal aufzutreten, immer sich als Person zu exponieren. Insofern macht das etwas mit Menschen. Wir haben aber jetzt, wenn wir die Praxisseminare anschauen, sehr erfahrene Dozierende, wo es auch gelingt, eine Atmosphäre herzustellen, wo man sich ausprobieren kann, was ich immer ganz wichtig finde. Es geht auch im Studium darum, eine eigene Kommunikationsform für sich zu finden. Rhetorikkurse, Rhetoriktraining sind immer dann schlecht, wenn sie versuchen, Menschen mit einem Standardmuster zu versehen und irgendwelche Standardgesten und -haltungen anzutrainieren. Das machen wir nicht, sondern wir schauen sehr genau die Personen an, versuchen zu identifizieren, was sind Stärken dieser Person, um diese Stärken dann weiter herauszuarbeiten. Dann gibt man ein paar Tipps, was man vielleicht vermeiden kann, aber es geht sehr darum, an einer Redehaltung zu arbeiten, die zur Person passt, die Authentizität ausstrahlt, in der sich eine Rednerin, ein Redner wohlfühlt. So wird in diesen Praxisseminaren gearbeitet und insofern besteht da, glaube ich, eine Atmosphäre, die für die Studierenden sehr positiv ist und die, die auch so aufnehmen.

C. J.: Ist es dann etwas, dass die Studierenden über mehrere Semester auch begleitet oder ist es eher so, dass ich einmal ein Seminar, ein Proseminar oder ein Praxisseminar habe, in dem ich dann mit einem Dozenten oder einer Dozentin das beispielsweise geschult bekomme?

O. K.: Da kommen wir wieder dazu, dass sie die Möglichkeit haben, das Studium insgesamt sehr individuell zu gestalten. Es ist durchaus möglich zu sagen, mich interessiert vor allen Dingen diese Weiterentwicklung als Sprecherin oder als Sprecher und dann kann man entsprechenden Fokus setzen und macht mal ein Seminar – das ist für viele so ein Anfangsseminar, das heißt „Reden, Überzeugen, Gewinnen”– wo man die absoluten Basics kennenlernt. Man macht weiter mit einem Stimm- und Sprechseminar und macht dann vielleicht ein Körpersprache- Intensivseminar und setzt ganz seinen Fokus in diese Richtung. Das kann man machen, muss man aber nicht. Man kann sich genauso gut sagen: „Mein Ding ist eher schreiben und ich besuche Praxisseminare, in denen ich lerne, Hörfunk Features zu schreiben, Kurzgeschichten zu schreiben oder journalistische Texte einzuüben. Das ist eine individuelle Entscheidung. Eine gewisse Basisausbildung im Bereich des Schreibens und im Bereich des Auftritts ist aber für alle im Studium verbindlich angelegt.

A. B.: Das wäre jetzt auch so eine Frage von mir noch gewesen. Ist es denn zwingend notwendig, dass man eine stark ausgeprägte kommunikative Ader hat für das Studium?

O. K.: Nicht unbedingt. Also ich sage manchmal auch, das Rhetorikstudium läuft eher darauf hinaus Schweigen zu lernen, als Reden zu lernen. Menschen zu überzeugen, Menschen zu erreichen, hängt sehr daran, dass ich fähig bin zuzuhören, aufzunehmen, welche Signale mir jemand sendet, zu analysieren, was Argumente sein könnten, die verfangen. Insofern hat Rhetorik sehr viel damit zu tun, zuzuhören. Im Grunde kann niemand ein besserer Redner als Zuhörer sein und das ist sehr wichtig. Es geht keinesfalls darum, Dampfplauderer auszubilden, sondern insofern hat Rhetorik durchaus in der Ausbildung etwas damit zu tun, Zuhören zu lernen, Schweigen zu lernen und dann im richtigen Moment in ein Gespräch, in eine Diskussion, in eine Debatte einzusteigen.

A. B.: Das kann gerade in Stresssituationen schwierig sein, wirklich auch noch mit offenen Ohren zuzuhören. Also das kann ich völlig unterschreiben.

O. K.: Man braucht auch ein Repertoire an kommunikativen Möglichkeiten. Also wer die Vorstellung hat, Rhetorik hat mit der großen Bühne zu tun, das ist eine Möglichkeit, diesen großen Auftritt zu lernen. Aber wir haben auch viele Kommunikationssituationen, wie zum Beispiel diejenige, in der wir jetzt gerade uns befinden, ein Podcast, der eher damit arbeitet, Nähe herzustellen. Wenn ich jetzt mit großem Gestus – jetzt erschreckt sich der Tonmann – hier spreche, ist das völlig unangemessen. Das hier ist Nähe. Das ist eher eine intime Situation, die ich habe, wenn ich einen Podcast anhöre. Und insofern geht es auch darum, dieses Repertoire an kommunikativen Möglichkeiten kennenzulernen. Auch in der Online- Präsentation in dieser Online-Kollaboration, die jetzt in der Coronakrise in den Berufsalltag vieler Menschen eingezogen ist, auch das ist nicht große Bühne, sondern das ist das Herstellen von Nähe, kommunikativ.

A. B.: Sodass ich dann relativ schnell in verschiedene Situationen schlüpfen kann. Das wäre sozusagen auch eine praktische Methodik, wenn ich das mal so nennen darf. Muss man auch viele alte oder ältere Texte im Original lesen oder welche Sprachen sind so relevant?

O. K.: Also das Besondere an der Rhetorik ist, dass sie auf 2500 Jahre Geschichte zurückblickt. Das kann kaum ein Fach von sich sagen. Und diese 2500 Jahre Geschichte nehmen wir ernst. Also antike Rhetorik spielt eine Rolle. Sie lesen aber alle Texte, um Sie gleich zu beruhigen, in Übersetzungen. Also wir lesen die nicht auf Latein oder Griechisch, sondern benutzen in aller Regel Übersetzungen. Diese antike Rhetorik ist aber sehr interessant, weil sie schon empirisch fundiert ist. Das ist anders als viele andere Wissenstatbestände, die wir aus der Antike heute haben. Sie können heute nicht Biologie betreiben und sich dabei auf die Antike beziehen, weil da sehr viel spekuliert wurde. Zum Beispiel glaubte man, Frauen haben weniger Zähne als Männer und kamen über Jahrhunderte nicht auf die Idee nachzuzählen. Das funktioniert nicht. Rhetorik ist ganz anders. Rhetorik ist nämlich in der Antike nicht spekulativ, sie ist empirisch geerdet. Sie müssen sich vorstellen, Rhetorik entsteht vor Gericht aus dem Bedürfnis, Menschen anzuklagen oder zu verteidigen. Und sie entsteht im Kontext politischer Rede, wo man versucht – und das ist in einem Stadtstaat, wie Athen einer ist, wirklich ganz konkret – die Bürger, die man vor sich hat, versucht, zu überzeugen. Das bedeutet, Sie haben jeweils direkte Rückmeldung, ob eine rhetorische Technik, die Sie einsetzen, funktioniert oder nicht funktioniert. Wenn Sie vor Gericht scheitern, ist Ihr Mandant im Zweifelsfall am Ende einen Kopf kürzer, weil er das nicht überlebt. Wenn es Ihnen gelingt, den Richter des Gerichts zu überzeugen, ist das Ergebnis ein ganz anderes. Also insofern hat man eine unmittelbare Rückmeldung darüber, ob eine Technik, die man einsetzt, funktioniert oder nicht funktioniert. Und insofern ist die antike Rhetorik sehr stark empirisch gesättigt. Das, was sie in der antiken Rhetorik lernen, ist auch heute noch in der Kommunikation in vielerlei Hinsicht maßgeblich. Das zeigt sich, wenn wir zwei, drei konkrete Beispiele benennen. Ein Klassiker ist etwa Aristoteles mit dieser Vorstellung „Logos, Ethos, Pathos”. Menschen reagieren nicht nur auf der Sachebene, sondern wie sie auf Kommunikation reagieren, hängt immer auch von ihren eigenen Interessenlagen und eigenen Emotionen ab und hängt auch immer von der Figur des Kommunikators ab, ob man den als vertrauenswürdig, glaubwürdig usw. wahrnimmt. Das gilt auch heute noch. Sie können sich im Kontext von Twitter Postings fragen, wie wird da eigentlich Glaubwürdigkeit hergestellt? Welcher emotionale Aspekt ist in einem Post enthalten? Welche Sachinformation wird übermittelt? Das heißt, Sie haben dann ein Grundkonzept von Kommunikation verstanden, das Sie in den unterschiedlichsten Kontexten anwenden können. Adaptivität ist ein weiterer Punkt. Also zu sagen, Kommunikation muss man immer von den Adressat:innen her denken. Das ist die Instanz, die letztlich entscheidet. Ich muss Kommunikation anpassen an das Vorwissen der Adressat:innen, an ihre Interessen und ihre Motivationen, nur dann kann Kommunikation gelingen. Das sind Grundkonzepte von Rhetorik, die man in der Antike schon entwickelt hat. Das gilt auch für die Formen von Textproduktion. Da gibt es ein Fünfstufenmodell, wie man von der ersten Ideenentwicklung zur Performance kommt. Das gilt heute noch in den unterschiedlichsten kommunikativen Kontexten. Deshalb ist es so spannend, in die antike Rhetorik hineinzuschauen.

C. J.: Wir hatten uns als eine der Fragen im Vorfeld notiert, was denn das Spannende an der allgemeinen Rhetorik aus Ihrer Sicht ist. Ich glaube, die Frage können wir uns sparen, weil das haben Sie gerade schon mit so viel Begeisterung vorgetragen. Was ganz wichtig ist, was mache ich denn später mit diesem Studium, wenn ich es abgeschlossen habe? Wir haben da wieder Studierende gefragt, was denn so ihre Vorstellungen sind, wo sie später mal beruflich landen möchten. Die hören wir uns mal an und sprechen danach darüber.

Berufsperspektiven (32:37)

Studi 1: Ja, was möchte ich später mal machen? Das ist eine gute Frage. Es gibt zwei Berufsbilder, die mich besonders interessieren. Einmal kann ich mir vorstellen, in der Erwachsenenbildung als Rhetoriktrainer tätig zu werden. Aber ich kann mir auch vorstellen, im Marketing tätig zu werden bzw. tätig zu bleiben. Denn ich habe mich vor acht Monaten mit einem Freund aus dem Studium selbstständig gemacht. Wir haben eine Social Media Agentur gegründet und das macht mir auch super viel Spaß.

Studi 2: Also zum einen kann ich mir gut vorstellen, im Journalismus tätig zu sein. Zum anderen könnte ich mir aber auch vorstellen, dass ich eine andere Leidenschaft von mir, die Leidenschaft für die Musik mit der Rhetorik in dem Sinne verbinden kann, indem ich zum Beispiel im Musikmanagement oder generell im Kulturmanagement arbeite.

Studi 3: Was ich nach meinem Rhetorikstudium machen will, weiß ich tatsächlich noch gar nicht so genau. Für mich steht nur fest, dass ich in meinem Beruf auf jeden Fall viel im Austausch mit anderen Menschen sein will, um Leuten zu helfen, noch besser, noch wirkungsvoller kommunizieren zu können.

Studi 4: Nach dem Studium gibt es verschiedene Wege, die ich spannend fände. Zum einen könnte ich mir vorstellen, im Verlagswesen zu arbeiten oder beim Fernsehen, aber auch so was wie Wissenschaftskommunikation oder Trainings, aber auch durchaus in der Forschung weiter zu bleiben. So richtig steht das jetzt noch nicht fest. Aber das sind alles Bereiche, die ich für mich sehen kann. Und ich glaube, mit Rhetorik kann es durchaus auch passieren, dass man irgendwo sehr zufällig landet. Von daher bin ich da auch recht offen.

C. J.: Ich glaube, die anfangs angesprochene Vielfalt in den Inhalten des Studiums zeigt sich jetzt auch bei den Berufsvorstellungen und dann wahrscheinlich auch in den Berufsfeldern, in dem die Absolventen und Absolventinnen landen. Was häufig ganz spannend ist, ist vor allem auch diese Übergangsphase kurz nach dem Studium. Wie gelingt da der Berufseinstieg? Ist es etwas, mit dem man sich auch schon während des Studiums beschäftigen sollte? Gibt es zum Beispiel Praktika während des Studiums?

O. K.: Zunächst mal kann man sagen, Rhetoriker:innen kommen eigentlich sehr gut unter, was damit zusammenhängt, dass es ja gar nicht so viele gibt. Wenn Sie Rhetorik studiert haben und sich irgendwo bewerben, haben Sie dadurch auch eine gewisse Auffälligkeit. Es macht aber schon Sinn natürlich, sich im Laufe des Studiums zu überlegen, was ist die Richtung, in die ich gehen will und entsprechende Schwerpunkte zu setzen. Wenn Sie jetzt sagen, mich interessiert, was sehr klassisch rhetorisch ist, nämlich dieser Bereich Rhetoriktraining, sollte man natürlich auch im Studium entsprechende Schwerpunkte setzen. Oder wenn Sie sagen, Redenschreiber ist etwas, was ich mir gut vorstellen kann, was auch eine ganz klassische rhetorische Aufgabe ist, entsprechende Seminare zu besuchen. Darüber hinaus gibt es viele weitere Felder, in denen Rhetoriker beruflich tätig werden und die man im Studium etwas vorbereiten kann. Wissenschaftskommunikation ist ein ganz großes Feld, dass jetzt in den letzten Jahren in Tübingen stark geworden ist, wo ein riesiger Bedarf inzwischen auch da ist. Das hat die Coronakrise und der Klimawandel noch mal deutlich gemacht. Große Organisationen betreiben inzwischen sehr unterschiedliche Formen von Wissenschaftskommunikation und dafür können Sie sich in Tübingen zu einer Expertin oder einem Experten ausbilden lassen. Dann erschließen sich viele Berufe dadurch, dass Rhetorik viel mit strategischem Denken zu tun hat. Also wenn wir in Richtung Unternehmensberatungen schauen, da ist dieser Strategieansatz der Rhetorik etwas, was eine wichtige Rolle spielt. Oder wenn Sie in Richtung von Werbung, PR und so weiter schauen, sind Sie auch wieder bei den Strategien und sind Sie bei den Fähigkeiten von Rhetoriker:innen Texte zu produzieren. Insofern erschließen sich sehr unterschiedliche Berufsfelder und wir empfehlen immer, im Laufe des Studiums Praktika zu belegen. Die können Sie auch zum Teil bei uns ins Studium integrieren, um auf diese Weise praktische Erfahrungen zu sammeln und dann entsprechende inhaltliche Schwerpunkte zu setzen. Im Laufe des Studiums wird den Leuten einfach klar, dass sich wirklich ein großes Repertoire an Möglichkeiten erschließt. Am Anfang kommen viele mit der Idee, Journalist werden zu wollen, weil das ein Beruf ist, den man kennt. Diesen ganzen Wissenschaftskommunikationsbereich haben die nicht auf dem Schirm. Das ist also eine neue Perspektive, die sich dann erschließt. Dieser ganze Bereich Training ist nicht nur der klassische Rhetoriktrainer, sondern in einer modernen Wissenschaftsgesellschaft, in der wir heute leben, spielt natürlich berufliche Weiterbildung in sehr komplexer Weise eine Rolle. Da geht es darum, die Ressource Mensch wachsen zu lassen und sich weiterentwickeln zu lassen in Unternehmen. Auch das ist ein Feld, in dem man als Rhetorikerin oder als Rhetoriker sehr gut aktiv werden kann.

C. J.: Wie viele Rhetoriker:Innen werden denn jedes Jahr ausgebildet? Also wie viele Studierende gibt es in dem Studiengang jedes Semester oder jedes Jahr neu?

O. K.: Wir haben insgesamt ungefähr 400 Studierende oder 450 Studierende, das schwankt immer so ein bisschen hin und her und wir lassen im Bereich der Bachelorstudiengänge jeweils nur im Winter zu. Im Winter fängt dann so eine Kohorte an, die in der Stärke so zwischen, sagen wir mal 90 und 120 B.A.-Studierenden liegt. Mit dem Masterstudiengang Rhetorik kann man sowohl im Winter als auch im Sommer anfangen. Da hat man jeweils so eine Gruppe, die ist vielleicht 10 oder 15 Leute groß.

C. J.: Wie schwer ist es da reinzukommen, in den Bachelor jetzt erst mal?

O. K.: Ich sage zunächst mal, bewerben Sie sich einfach mal und dann sieht man, was passiert. Man hat auf jeden Fall Chancen, einen Platz zu bekommen und insofern einfach mal versuchen.

A. B.: Darf ich etwas dazwischenfragen? Die Qualifikation nach den verschiedenen Studiengängen wie sieht es denn da aus? Also inwiefern ist man nach dem Bachelor schon qualifiziert direkt in den Beruf einzusteigen? Wie sieht es nach dem Master aus? Und ist man dann tatsächlich auch fertig ausgebildet? Oder sind dann vielleicht in manchen Berufsfeldern auch noch weitere Schritte nötig, um da reinzukommen?

O. K.: Man kann natürlich immer weiter lernen und lebenslanges Lernen ist ein Stichwort, das auch in unsere Zeit gehört. Nach dem Studium lernen Sie natürlich weiter und entwickeln sich weiter, je nachdem in welchem Feld Sie sich bewegen. Aber auch ein Bachelorabschluss ist etwas, was berufsqualifizierend ist. Ich hatte gerade vor zwei oder drei Wochen eine Bachelorprüfung bei einer Kandidatin, die jetzt schon ihren Job hatte. Die arbeitet bei einer großen Schweizer Bank. Auch so einen Weg kann aus dem Rhetorikstudium entstehen und sie macht das mit einem Bachelorstudiengang. Es gibt eben viele Bereiche, wo man sagt, das funktioniert gut. Wir freuen uns immer, wenn Leute in Richtung des Masterstudiengangs weitermachen und insofern mehr noch in die Wissenschaft einsteigen. Natürlich ergeben sich daraus weitere Möglichkeiten, weil man einfach einen besseren Überblick über dieses Fach hat. Und auch promovieren kann man in der Rhetorik, wenn man das möchte, wenn man sich die wissenschaftliche Arbeit zum Ziel setzt. Und insofern kann man immer weitermachen. Aber auch nach dem Bachelorstudiengang kann man in den Beruf einsteigen. Wir erleben durchaus, dass schon während des Studiums viele Studierende in einem rhetorischen Kontext berufstätig werden, weil zum Beispiel nach Trainings, nach Rhetoriktrainings gibt es eine große Nachfrage. Man wird natürlich jetzt nicht gleich im dritten Semester oder vierten Semester als Spitzentrainer einsteigen. Aber schon da finden viele Studierende in ihrem Umfeld bei verschiedenen sozialen Organisationen die Möglichkeit, in diesem Trainingsbereich Erfahrungen zu sammeln. Wir haben auch jetzt, das gehört zu unserem Jugend-präsentiert-Projekt, eine sogenannte Junior Trainer Academy, wo Studierende während des Studiums sehr gründlich ausgebildet werden für diesen Trainingsbereich und dann innerhalb dieses bundesweiten Jugend-präsentiert-Projekts tätig werden, da bezahlt Trainings anbieten können. So wächst man zum Beispiel in dieses Feld hinein.

A. B.: Ich hake jetzt noch mal nach. Es gibt einige Bereiche wie PR, Journalismus, wo es verbreitet ist, dass man ein Volontariat macht. Ist es denn, wenn man jetzt aus einem Rhetorikstudium kommt, wo man schon relativ viel Praxisanteile hat, trotzdem nötig für solche Bereiche ein Volontariat zu absolvieren oder kommt man mit dem Studiengang da schon ohne Volontariat rein?

O. K.: Die Wege sind sehr unterschiedlich. Es gibt klassische Zeitungen, die diesen Volontariatsweg beschreiten. Aber oft, gerade im Journalismus, gibt es auch Situationen, wo Leute in fester, freier Mitarbeit tätig sind. Und insofern ist das sehr variantenreich, was da passiert und etwa beim Journalismus nicht so ganz zu kalkulieren, welchen Einstieg man da am Ende findet.

C. J.: Was mich persönlich noch interessiert, ist, wenn ich mich für einen Master interessieren würde, ist der Master nur konsekutiv studierbar, also muss ich davor einen Bachelor in Allgemeiner Rhetorik gemacht haben? Oder kann ich beispielsweise, wenn ich im Bachelor Medienwissenschaft studiert habe und dann merke diese Allgemeine Rhetorik würde mich interessieren, auch da eine Möglichkeit finden, den Master zu studieren?

O. K.: Ja, Sie können in den Master aus allen möglichen Studiengängen im Grunde einsteigen. Wir schauen uns dann immer die Affinität an, also die Frage, erkennt man innerhalb des Studiums, dass sich jemand für Kommunikation interessiert? Dann können Sie aus unterschiedlichen Studiengängen zu uns kommen. Wir haben oft Leute, die aus der Betriebswirtschaft kommen. Da schaut man dann, haben die etwas Richtung PR oder Marketing gemacht, dann passt das sehr gut. Manchmal sortiert man aus, wenn man sagt, nein, die haben gar keinen Kommunikationsfokus, das ist zu weit weg. Aber ansonsten ist ganz viel möglich, zum Beispiel aus den Literaturwissenschaften, aus verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen, wie der Politikwissenschaft, zu kommen. Auch aus der Philosophie kann man in die Rhetorik kommen, wenn man sagt Argumentationstheorie ist etwas, was mich in besonderer Weise interessiert. Wir schauen gerade bei den Masterkandidaten immer in die individuelle Studienbiographie hinein und schauen dann, ist plausibel zu machen, warum diejenige oder derjenige zu uns kommen möchte und lassen dann aus den unterschiedlichen Fächern die Leute zu.

C. J.: Klasse, also ich bin überzeugt und habe keine Fragen mehr.

A. B.: Ich schreibe mich auch gleich ein.

C. J.: Okay, ich glaube, dann kommen wir auch schon langsam zu unserer letzten Kategorie. Und zwar würden wir von Ihnen gerne noch wissen, Herr Kramer, ob Sie unseren Hörer:innen irgendwelche Insidertipps empfehlen könnten, also beispielsweise Literaturtipps oder irgendeinen Film, eine Doku oder ein spannendes Interview, dass Sie sich selbst zu Hause anschauen, lesen oder hören können und das Sie empfehlen würden, das mit dem Fach Allgemeine Rhetorik zu tun hat.

Insider-Tipps (43:49)

O. K.: Zunächst empfehle ich mit offenem Blick durch die Welt gehen. Wir selbst, die Mitarbeitenden des Instituts, artikulieren und äußern uns immer wieder zu aktuellen politischen Ereignissen. Insofern gibt es da immer mal wieder Gelegenheit, Interviews von Mitarbeitenden des Instituts zu aktuellen Problemen und Phänomenen, die man rhetorisch analysieren kann, anzuhören. Ich glaube, das kann ein ganz guter Einstieg sein, um zu erkennen, wie aktuell und interessant dieses Fach ist. Wenn Sie sich für das Feld Wissenschaftskommunikation interessieren, ist ein Lesetipp das Science Notes Magazin. Das könnten Sie auch verlinken, denn das ist ein Versuch, wo wir selbst umsetzen, wie wir uns eigentlich gute Wissenschaftskommunikation vorstellen. Das ist sehr designorientiert, sehr darauf ausgerichtet, Wissenschaft als Prozess zugänglich und verständlich zu machen. Insofern ist es glaube ich ein ganz gutes Beispiel, um zu erkennen, wo Rhetorik praktisch hinführen kann.

C. J.: Und das ist eine Publikation vom Tübinger Lehrstuhl?

O. K.: Genau, das Science Magazin wird an der Forschungsstelle Präsentationskompetenz gemacht, die zu meinem Lehrstuhl dazugehört und ist eine bundesweit erhältliche Zeitschrift und auch eine Veranstaltungsreihe übrigens, die bundesweit stattfindet. Insofern kann man auch mal schauen, wenn man in einer größeren Stadt wohnt, ob da ein Science Notes Event ist. Das Ziel der Science Notes ist, Wissenschaft in die Gesellschaft zu bringen, aktuelle wissenschaftliche Forschung in zugänglicher Weise zu kommunizieren.

A. B.: Das ist ein guter Tipp. Dann werde ich das in die Shownotes aufnehmen.

O. K.: Genau. Sie können dann auch noch unseren Podcast, der heißt Sound of Science, verlinken. Der ist glaube ich ebenfalls interessant. Den haben wir mit der Deutschen Journalistenschule gerade vor einem Monat neu begonnen.

A. B.: Werden wir gerne. Gut, dann würde ich sagen, haben wir es für heute. Ich sage vielen Dank Herr Kramer, dass Sie da waren, hat uns sehr gefreut.

O. K.: Gerne. Danke für die Einladung.

A. B.: Und dann auch schon mal Tschüss Christoph.

C. J.: Tschau.

A. B.: Und an die Hörerinnen und Hörer bis zum nächsten Mal. Wir würden gerne von Euch Wissen, ob Euch etwas fehlt oder was Euch besonders gefällt und was wir beibehalten sollen. Wir freuen uns immer über Feedback. Also schreibt uns, damit wir für Euch dann die richtigen Fragen stellen können an hochschulreif@uni-tuebingen.de

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Olaf Kramer über die folgenden Themen: 
01:26 Persönliche Motivation
10:09 Studieninhalte
20:48 Persönliche Voraussetzungen 
32:37 Berufsperspektiven
43:49 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Allgemeinen Rhetorik:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #09: Bioinformatik

Was genau ist eigentlich Bioinformatik? Was kann die Bioinformatik aktuell beitragen? Und wie denkt man „bioinformatisch“? Zu Gast für das Studienfach Bioinformatik ist Professorin Dr. Kay Nieselt. Sie gibt Einblicke in verschiedene Bereiche der Bioinformatik, in die Inhalte und Herausforderungen des Studiums sowie in mögliche Berufsperspektiven. Außerdem verraten Studierende, was ihnen an der Bioinformatik am besten gefällt und wie ihre Berufswünsche aussehen.

Tags #Bioinformatik #Mathematik #Informatik #Programmieren #Biologie #Chemie #Biochemie
Listen
Alexandra Becker (A. B.): Herzlich Willkommen zu „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch auch heute wieder ein Studienfach vor, damit Ihr gut informiert seid, was Euch im Studium so erwartet. Diesmal sprechen wir über das Fach Bioinformatik. Wir, das sind bekanntermaßen mein Kollege Christoph Jäckle. Hi Christoph!

Christoph Jäckle (C. J.): Hallo Alex!

A.B.: Und ich bin Alexandra Becker vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen. Für das Fach Bioinformatik haben wir Professorin Dr. Kay Nieselt im Studio. Ein herzliches Willkommen auch an Sie!

Kay Nieselt (K. N.): Ja, herzlichen Dank, Frau Becker. Ich freue mich sehr, hier zu sein.

A. B.: Frau Nieselt, ich stelle Sie kurz vor: Sie sind Professorin für Bioinformatik an der Uni Tübingen und Sie leiten die Arbeitsgruppe „Integrative Transkriptomik“. Das müssen Sie uns gleich auch noch näher erklären. Wir lassen aber traditionell in jeder Folge zuallererst unsere Studierenden zu Wort kommen. Vorab haben wir sie gefragt, warum sie das Fach Bioinformatik gewählt haben.

Persönliche Motivation (01:09)

Studi 1: Ich habe mich für Bioinformatik entschieden, weil ich im Bachelor gemerkt habe, dass mir in Informatik diese strukturierte Denkweise unglaublich viel Spaß macht, aber ich dafür noch einen Anwendungsfach haben wollte. Und da hat mir Genetik einfach immer sehr viel Spaß gemacht und das kann man beides in Bioinformatik super verbinden.

Studi 2: Mir lag das mathematische immer schon relativ gut und als ich die Ausbildung zum Notarzt gemacht habe und da nicht so wirklich Erfüllung gefunden habe, wollte ich was mehr Mathe-lastiges machen, was gleichzeitig auch so ein bisschen den Menschen hilft und habe Bioinformatik darüber entdeckt.

Studi 3: Ich bin über den Studieninfotag auf die Bioinformatik aufmerksam geworden und habe mich letztendlich dafür entschieden, weil Bioinformatik eine tolle Mischung aus Naturwissenschaften und Informatik ist, und mich sowohl Naturwissenschaften als auch Informatik sehr interessieren.

C. J.: Frau Nieselt, wir haben jetzt in dem Einspieler gerade schon verschiedene Erwartungshaltungen gehört, sowohl von einer Masterstudierenden, die davor schon im Bachelor eine bestimmte Erfahrung gemacht hat, aber auch von Bachelorstudierenden, die vermutlich noch relativ unvoreingenommen in das Studium reingegangen sind. Was sind denn Ihre Eindrücke? Welche Vorstellungen vom Studium haben viele Erstsemesterstudierende und erfüllen sich diese?

K. N.: Ja, das ist tatsächlich eine sehr spannende Frage. Vor allem deswegen, weil das Studienfach, an der Schule nicht gelehrt wird. Es ist ja schon schwierig, überhaupt einen Informatikunterricht zu haben, geschweige denn Bioinformatik. Es gibt ein paar Gymnasien, sogenannte biotechnologische Gymnasien, die bieten das ab der Oberstufe als eigenes Fach an und oft haben wir tatsächlich auch diese Studierenden, die dann ihren Weg zu uns finden. Die sind schon sehr gut vorbereitet und mit ihren Erwartungshaltungen trifft das sehr gut zu, was wir ihnen dann hier anbieten. Studierende, die das Studienfach wählen, finden es sehr spannend und motivierend, genau an dieser Schnittstelle zwischen, allgemein gesprochen, Informationstechnologie und den Lebenswissenschaften zu lernen und zu arbeiten, vielleicht auch später sogar zu forschen. Die Einspieler von den verschiedenen Studierenden haben das ein bisschen widergespiegelt. Es ist ein sehr interdisziplinäres Studienfach und tatsächlich glaube ich, haben das die meisten bei der Wahl beachtet und genau deswegen gewählt, weil sie verschiedene Naturwissenschaften geboten bekommen und dazu noch Mathematik. Im Vordergrund stehen Informatik und Mathematik. Also interessanterweise ist das Suffix, also das Wort, was hinten steht, entscheidend: „Informatik“, die hauptsächliche Ausrichtung des Studiengangs, und vorne „Bio“. Das meint aber nicht nur Biologie, sondern auch Chemie und Biochemie, was im Studium auch gelernt wird. Die verschiedenen Anteile, wie viel Prozent sozusagen dann die Informatik, Mathematik und die Lebenswissenschaften ausmachen, hängt sehr von den Universitäten ab. Wir haben einen sehr hohen Anteil an Informatik und Mathematik, also genau das, was eine Studierende erwähnt hat, dass wir sehr strukturiertes Lernen vermitteln. Das ist in diesen beiden Fächern gegeben. Das ist aber teilweise nicht allen klar, wenn sie das Studium beginnen. Das muss man auch ganz ehrlich sagen. Die Erstsemesterstudierenden haben sich vielleicht gar nicht so viel darunter vorstellen können und sind dann doch überrascht oder manche vielleicht ein bisschen überfordert mit Informatik und Mathematik.

C. J.: Was würden Sie denn den Studieninteressierten raten? Welche Fragen sollten die sich stellen, wenn sie mit dem Gedanken spielen, Bioinformatik zu studieren?

K. N.: Sie sollten sich die Frage stellen, ob sie wirklich gewillt sind. Wir betreten hier mit diesem Studienfach eigentlich zwei Kulturen, zwei Welten, mit ihrer Art zu denken. Einerseits das strukturiert abstrakte logische Denken auf Seiten der Informatik und auf der anderen Seite Mathematik, das Auswendiglernen. Zumindest in den ersten zwei Jahren des Studiums zentriert man sehr viel das Faktenlernen im wissenschaftlichen Bereich also Biologie, Biochemie und Chemie. Und beides muss man von der ersten Minute des Studiums an gleichzeitig durchziehen. Und das ist etwas, was man sich gleich am Anfang fragen muss: Bin ich bereit viel auswendig zu lernen und gleichzeitig aber auch sehr stark abstrakt und logisch denken zu lernen? Das bringen wir natürlich auch bei. Aber man muss sich dem schon auch öffnen und stellen wollen.

C .J.: Ja, das ist schon eine eher außergewöhnliche Kombination für den Studiengang, dass man tatsächlich zwei sich eigentlich sehr gegenüberstehende Fach- und Lernkulturen mitbringen sollte.

K. N.: Richtig, aber das ist auch genau das, was die Studierenden, die dann wirklich sehr erfolgreich sind, als das sehen, was sie so begeistert. Die eine Studierende sagte es schon: Es begeisterte sie im Bachelor – sie hat erst einen anderen Bachelor gemacht – abstrakt zu lernen. Aber sie wollte etwas, was konkret anwendungsorientiert ist auf biologische Fragestellungen, das abstrakt Gelernte anwenden wollen. Und daher hat sie dann auch mit dieser Mischung mit großem Erfolg und auch großer Begeisterung im Master studiert.

C. J.: Wie sind Sie denn selbst zur Bioinformatik gekommen? Wussten Sie im Vorfeld schon, welche verschiedenen Lernkulturen Sie da erwarten würden?

K. N.: Ich bin ein bisschen älter und als ich angefangen habe zu studieren, gab es das Fach gar nicht. Wir hatten nicht mal ein Informatikstudium. Also als ich begann mit dem Studium – ich habe Mathematik studiert – musste ich noch ein zweites Fach wählen und an der Uni, an der ich studiert habe, gab es nur eins zur Wahl, nämlich Physik. Das war jetzt nicht mein Lieblingsfach in der Schule und ich war darüber etwas unglücklich und habe dann einen Antrag gestellt, ob ich als Zweitfach stattdessen Biologie wählen könnte. Also ich habe da schon so eine Idee gehabt. Ich fand das sehr spannend, aber das wurde nicht genehmigt. Das ging nur, wenn man Lehrerin werden wollte, haben sie gesagt, denn das sind ja zwei Fächer, die nichts miteinander zu tun haben. Ich wollte aber keine Lehrerin für die Schulen werden. Ich habe dann notgedrungen erst mal Physik weitergemacht und habe dann aber, nachdem ich das Studium beendet hatte, am Max-Planck-Institut in Göttingen bei Professor Eigen erst eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin bekommen und ein Jahr später eine Promotion bei ihm begonnen. Er nannte es Theoretische Biologie. Es gibt ja auch den englischen Begriff Computational Biology. Im Deutschen würde man sagen computergestützte Biologie. Und es gibt nach wie vor so ein bisschen Unklarheiten, wie sich diese beiden Begriffe Bioinformatik und Computational Biology oder computergestützte Biologie voneinander abgrenzen. Die einen sagen, das eine ist ein Subgebiet des anderen, aber in die Richtung geht es nicht. Damals hat mich Professor Eigen gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte in meiner Promotion, mit computergestützten Methoden biologische Fragestellungen zu bearbeiten. Und so begann meine eigene Karriere damals als theoretische Biologin. Ich habe auch in der Mathematik promoviert, das heißt, ich habe einen Dr. math. Titel und nicht einen Dr. rer. nat. Aber ich habe damals schon relativ zeitgemäß zur Evolution von Viren als Mathematikerin geforscht. Und das auch mit Daten, und zwar damals zum HIV, also Humanes Immundefizienz-Virus, was für AIDS verantwortlich ist. Ähnlich wie vor zwei Jahren mit dem Corona Virus war damals auch die Frage: Wo kommt denn das Virus her, wie alt ist es, wie ansteckend ist es? Und wir haben das mathematisch modelliert und so begann dann meine eigene Bioinformatikkarriere.

A. B.: Spannend. Das ist ein tolles Beispiel, wie sich denn überhaupt neue Forschungszweige entwickeln und wie man den Weg mitgeht als eine derjenigen, die es in der Gründung miterlebt.

C. J.: Jetzt kam vorher schon auf, dass Sie, Frau Nieselt, heute unter anderem in dem Bereich „Integrative Transkriptomik“ arbeiten und forschen. Das sagt mir und wahrscheinlich auch den meisten unserer Hörer:innen erst mal nichts. Könnten Sie erklären, was es damit auf sich hat?

K. N.: Ja, das ist eine schwierige Definitionsfrage, das muss ich zugeben. Wir kürzen es ab mit IT. Darunter verstehen die meisten was anderes. Aber es ist vielleicht nicht schlecht, weil wir tatsächlich ja auch wirklich sehr informatisch arbeiten. Wir schauen uns die verschiedenen Bereiche an, wie sich genetische Information ausdrückt. Wir alle wissen hoffentlich noch aus der Schule, dass wir eine genetische Blaupause in jeder Zelle haben, nämlich die DNA. Das ist unsere genetische Information, in Form eines Genoms gespeichert. Die liegt aber nicht einfach als Information vor, sondern die muss abgelesen werden. Abgelesen im Sinne von: Proteine werden produziert, in dem die genetische Information umgeschrieben bzw. dann translatiert, d.h. übersetzt, wird und daher kommt dieses „Transkriptomik“. Übersetzt wird in die Spieler im zeitlichen Sinne, also zu welcher Zeit welches Protein bzw. Gen aktiv ist. Und das ist Transkriptomik. Wir untersuchen, wie aus den Genomen die Proteine oder auch andere Gene – es gibt nämlich nicht nur Proteine – sich zu welchem Zeitpunkt, unter welchen Bedingungen ausdrücken. Und das integrativ. Und zwar, weil wir uns angucken: Wie ist das Genom beschaffen? Wir studieren sehr viele Mikroorganismen, also Bakterien. Jeder von uns hat zum Beispiel ganz viel Escherichia coli, das Darmbakterium, und das ist auch wunderbar so, das macht uns gesund. Aber es gibt auch sehr pathogene, also sehr gefährliche Escherichia coli. Vielleicht hat das der eine oder die andere noch im Kopf: EHEC war so eine pathogene Variante von Escherichia coli. Wie unterscheiden sich diese beiden Bakterien, die eigentlich beide Escherichia coli sind, voneinander? Dieser Unterschied entsteht schon auf genomischer Ebene. Wir sehen auch den Unterschied, welche Proteinmoleküle bzw. Gene zu welchem Zeitpunkt exprimiert werden, dazu sagen wir auch transkribiert. Das ist ein gleiches Wort für diesen Zustand und das kann man studieren, um vielleicht Mittel dagegen zu entwickeln, Medikamente. Oder auch, um es zu verhindern, dass so etwas wie so ein pathogenes Escherichia coli entsteht. Das ist ein Teil der Forschungsaufgaben meiner Gruppe.

C. J.: Ist das auch ein Bereich, der eine Schnittmenge mit dem Studium der Bioinformatik, beispielsweise bei Bachelorstudierenden hat? Oder ist es dann schon so spezifisch, dass zwar bestimmte Grundlagen ähnlich sind, aber, dass es inhaltlich noch recht weit weg ist für die Studierenden?

K. N.: Ja. Tatsächlich gebe ich im dritten Studienjahr des Bachelors eine Vorlesung zu diesem Thema und das können die Studierenden wunderbar schon im Bachelor verstehen. Sie brauchen die Grundlagen von den ersten beiden Jahren. Aber dann können wir schon sehr gut dieses Thema gemeinsam während eines Semesters bearbeiten. Und das ist auch eine sehr beliebte Vorlesung, weil das wirklich spannende Forschungsthemen schon auf Bachelor-Level zugänglich macht. Also da lege ich auch großen Wert drauf.

C. J.: Dann würde ich gleich mal das Schlagwort Vorlesungen nutzen, um zum nächsten Bereich überzuleiten. Und zwar wollen wir uns anschauen, wie denn eigentlich das Studium aufgebaut ist, wie die einzelnen Studienanteile sind. Dafür haben wir wieder Tübinger Studierende befragt, wie bei ihnen denn eine typische Stundenwoche aussieht.

Studieninhalte (14:19)

Studi 1: Das Studium ist sehr abwechslungsreich. In den Lebenswissenschaften, also in Biologie und Chemie, hat man meistens Vorlesungen im Semester und in den Ferien, dann Laborpraktika und in den Informatik-, Mathematik- und Bioinformatik-Modulen hat man meistens Vorlesungen, Übungsgruppen und zusätzlich noch Übungsblätter, die bearbeitet werden müssen.

Studi 2: Ich habe tatsächlich den großen Luxus, dass ich montags frei habe. Dienstag und Mittwoch sind die Tage mit den meisten synchronen Vorlesungen und Donnerstag, Freitag und Samstag nutze ich eigentlich immer zum Programmieren und vielleicht zum Wiederholen von Stoff.

Studi 3: Man startet das Bioinformatikstudium mit reinen Informatik- und Biologie-Veranstaltungen, die dann übers Studium immer mehr miteinander kombiniert werden. Und man lernt dann zum Beispiel Möglichkeiten kennen, DNA-Sequenzen miteinander zu vergleichen und so Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Individuen festzustellen oder auch Organismen zu modellieren und zu schauen, wie sich bestimmte Umweltfaktoren auf diesen Organismus auswirken. Und das bekommt man in den Veranstaltungen dann theoretisch beigebracht und hat dann über die Woche eine Art Hausaufgaben auf, mit denen man das dann immer selbst noch mal üben muss.

A. B.: Ja, wir haben jetzt von den Studierenden gehört, dass es sehr abwechslungsreich ist und es sind auch die verschiedenen Felder angeklungen, wie die Biologie, Chemie in Theorie und Praxis, Informatik und Mathematik. Sie haben ja auch gerade schon gesagt, Frau Nieselt: Es ist ein interdisziplinärer Studiengang, also ein Studiengang, der sich aus verschiedenen Disziplinen zusammensetzt, und verschiedene Fächer beinhaltet. Können wir das im Überblick noch mal zusammenfassen? Welche Fachanteile sind in diesem Studiengang immer drin?

K. N.: Wir sprechen jetzt vom Bachelorstudium, würde ich sagen. Und das habe ich tatsächlich mal genau ausgerechnet. Also der Anteil der Informatik, nimmt für die Kernbereiche der Informatik 33% des gesamten Studiums ein. Dann haben wir einen großen Anteil, an Mathematik, den die Bioinformatiker:innen belegen, genau wie alle anderen Kerninformatikstudierenden. Vier Semester Mathematikvorlesungen, das ist ungefähr 18% am Ende des Studiums. Und natürlich auch die Bioinformatik selbst. Die nimmt auch 18 % ein. Das wirkt jetzt vielleicht ein bisschen wenig, aber wie gesagt: Das sind die Kernvorlesungen der Bioinformatik selbst. Die nehmen also genau den gleichen Umfang wie die Mathematik ein. Das heißt 70 % sind diesen drei zentralen Fächern geschuldet, dann sind noch 25 % den Lebenswissenschaften, also eben Biologie und Chemie gewidmet. Und dann haben wir noch 5 % übrig und das sind die sogenannten überfachlichen und beruflichen Kompetenzen – die gibt es an der Universität Tübingen für alle Studienfächer. Da können Studierende sich überlegen, was sie machen wollen, z. B. eine Sprache verbessern oder eine neue Sprache lernen. Manche machen auch einen Rhetorikkurs, um zu lernen sich besser auszudrücken. Das sind überfachliche Dinge, außerhalb des eigentlichen zentralen Studiums.

C. J.: Ich finde es ganz großartig, dass sie auf das Prozent genau ausgerechnet haben, wie die Anteile sind. Das hatten wir noch nie. Damit sind Sie Spitzenreiterin in dieser Kategorie.

K. N.: Sie sehen meinen Hintergrund: Die Mathematik.

A. B.: Nehmen die Studierenden dann mit anderen Mathestudierenden, Biologiestudierenden oder Chemiestudierenden an den jeweiligen fachspezifischen Veranstaltungen teil?

K. N.: Ja, das ist eine super Frage. Das ist zum Teil so. Zum Beispiel in den Informatikveranstaltungen. Da sitzen unsere Studierenden zusammen mit allen anderen Informatikstudierenden und der Kerninformatik. Wir haben ja auch einen Bachelor, der Informatik heißt. In diesen Anfangsveranstaltungen sitzen alle zusammen im Hörsaal. Deswegen sind das auch immer viele. Wir haben im Moment in den sogenannten Anfängerveranstaltungen ungefähr 600 Studierende. In der Mathematik ist das auch so. Das nennt sich Mathematik für Informatiker:innen. Das heißt, da sind auch alle Bioinformatiker:innen drin. Es gibt nicht eine spezielle Mathematik-Veranstaltung für Bioinformatik. Die Bioinformatik, ist klar, das ist nur für unsere Bioinformatik. In den Lebenswissenschaften teilt sich das auf. Die Biologie wird von unseren Studierenden zusammen mit den Biologiestudierenden besucht. In Chemie gibt es spezielle Vorlesungen, die heißen zum Beispiel Anorganische und Organische Chemie für Naturwissenschaftler:innen oder auch Biochemie für Naturwissenschaftler:innen. Da sitzen dann nicht die Chemiestudierenden, sondern unsere Bioinformatiker:innen aber auch Nano-Science-Studierende oder Studierende anderer Naturwissenschaften.

A. B.: Also alle, die diese Chemie Schnittstelle haben.

K. N.: Ganz genau.

A. B.: Ich glaube, das ist schon mal hilfreich, um sich vorstellen zu können, wie man dann vernetzt ist im Studium. Wenn wir uns jetzt mal die Informatik genauer angucken: Was macht man denn im Bereich Informatik ganz konkret in diesem Studium?

K. N.: Man beginnt zunächst einmal mit den Grundlagen: Was heißt überhaupt Informatik? Das bekommt man von verschiedenen Seiten erläutert. In diesen Grundvorlesungen konzentrieren sich die Studierenden erst mal auf das so genannte computergestützte Lernen oder Denken. Dabei beginnt man mit einer zentralen Fragestellung. Sie kriegen zum Beispiel einen großen Text, nehmen wir die Bibel, und Sie sollen dort alle Stellen finden – und das, sodass es möglichst schnell auf dem Computer erscheint – und mit möglichst schnell meinen wir wirklich sehr schnell. Zum Beispiel an denen das Wort Paulus auftaucht; solche Suchmethoden. So kann man zum Beispiel ein Problem formulieren. Und jetzt gilt es – das ist der Prozess, den man in der Informatik wirklich von der Pike auf lernt – dieses zu abstrahieren und eine Methode zu finden. Also es auf ein Level zu bringen, das man programmieren kann, sodass man einer Maschine beibringen kann, diese Suche für einen zu übernehmen. Das ist der zweite Schritt. Als dritten Schritt lernt man, das zu programmieren. Nicht nur irgendeinen abstrakten Code zu schreiben, sondern das muss dann auch wirklich programmiert werden. Dafür lernt man erst mal eine ganz allgemeine Sprache, damit man nicht abhängig ist von einer bestimmten Programmiersprache, und lernt das auch praktisch anzuwenden. Das klang bei den Studierenden auch an. In den Vorlesungen, geht es um den Prozess, vom Problem zur Abstraktion. Wir nennen das auch Pseudocode. Und dann in den Übungen, die parallel jede Woche stattfinden, werden genau diese Dinge aktiv programmiert. Und dann geht es natürlich um Fragen wie: Was ist überhaupt ein Algorithmus? Eine klare Anweisung von immer wieder nachvollziehbaren Schritten, die, wenn man das Programm ein zweites Mal startet, hoffentlich zum selben Ergebnis führt. Dabei lernt man auch, welche Komplexität ein Problem haben kann. Vielleicht kann ich ein Problem identifizieren und auch formulieren, aber stelle fest: Wenn ich das jetzt programmiere, dann dauert das so lange, wie, bis die Sonne verbrannt ist. Das würde ja niemandem etwas nützen. Dann habe ich es zwar identifiziert, aber ich kann es nicht gebrauchen. Und dann lernt man, was man machen kann, damit es in etwas schnellerer Zeit, also vielleicht sogar innerhalb von Sekunden oder Millisekunden geht. Genau diese Grundvoraussetzungen sind für alle Informatikstudiengänge dieselben. Deswegen kriegen das auch alle in den ersten Semestern beigebracht. Der zweite Anteil ist, dann die Hardware, die allerdings im Bioinformatikstudium nicht im Vordergrund steht. Computer bestehen ja auch aus Hardware; das lernen nur die Kerninformatiker:innen, die dann auch wissen, wie so ein Computer aufgebaut ist und wie das im Inneren einer solchen Maschine funktioniert.

A. B.: Sehr gut. Dann haben wir die Abgrenzung zum Fach. Und das hat sich jetzt auch so angehört, dass eigentlich Theorie und Praxis im Studium schon ganz eng verknüpft sind durch diese Übungen. Gibt es noch andere praktische Anteile in den verschiedenen Feldern?

K. N.: Ja, in den Lebenswissenschaften auf jeden Fall. In den ersten fünf Semestern haben sie in den verschiedenen Vorlesungen, sei es Biomoleküle oder Zelle, jeweils ein Praktikum. Sie haben in den Chemievorlesungen, Anorganische und Organische Chemie, ein Praktikum. Sie haben in der sogenannten Physikalischen Chemie ein Praktikum, sowie in der Neurobiologie. Erst kommt also immer die Vorlesung und im Anschluss daran gehen alle in ein Labor. Da nehmen die Studierenden dann auch eine Pipette in die Hand, und sind auch wirklich entsprechend ein Biologe, eine Biologin oder Chemiker:in oder Neurobiolog:in.

C. J.: Sind das dann Labore an der Uni, in Forschungseinrichtungen oder sind die in der freien Wirtschaft oder in Kliniken?

K. N.: Nein, die sind bei uns oben auf der Morgenstelle. Das sind die Labore, die wir hier an der Uni haben, die besucht werden.

C. J.: Das heißt, im Studium können alle Praxisanteile, die ganzen Labore, direkt in den Laboren der Uni absolviert werden.
K.N.: So ist es.

C. J.: Wird geraten, dann außerhalb der Uni noch irgendwelche Praktika zu machen oder gibt es ein weiteres Pflichtpraktikum, um sich mögliche Berufsfelder zu erschließen oder zu schauen, wo man später auch eine Stelle finden kann?

K. N.: In unserem Studium gibt es kein Pflichtpraktikum. Die Studierenden haben dennoch großes Interesse mal in die Praxis reinzuschnuppern. Uns das unterstützen wir natürlich sehr. Dafür kann man auch mal ein Freisemester nehmen. Das machen viele Studierenden aber dann eher nach dem Bachelorstudium, z. B. um herauszufinden, ob sie weitermachen wollen mit dem Master. Dann nehmen sie sich ein Semester Zeit und überlegen, mal irgendwo reinzuschnuppern. In seltenen Fällen kommt es auch vor, dass Studierende ihre Abschlussarbeit, also die sogenannte Bachelorarbeit, im Anschluss an ein Praktikum im Zusammenhang mit einem Unternehmen schreiben.

A. B.: Sie haben gerade schon gesagt, dass diese Laborarbeit in den Lebenswissenschaften innerhalb des Studiums stattfinden. Ich habe mich gefragt – das kann ja für viele auch wichtig sein bei der Entscheidung – Muss man zum Beispiel auch Tierpräparate anfertigen als Bioinformatiker:in?

K. N.: Es gibt einen Versuch in der Neurobiologie, bei dem man mit einem Teil eines Frosches arbeitet, um die Nervenleitung zu charakterisieren. Natürlich muss man den Frosch dafür aber nicht selber töten. Aber tatsächlich ist die Neurobiologie da nicht „vegan“. Also man muss es tatsächlich am Objekt lernen, damit man wirklich die Nervenableitung praktisch erfährt. Das ist aber der einzige Bereich, wo das stattfindet.

A. B.: Gut, es ist glaube ich hilfreich, einfach vorher zu wissen, was auf einen zukommt. Jetzt haben Sie ja schon gut erklärt, wie es in der Informatik zugeht. Wir haben aber zwei Bereiche, die auch zu diesem Kernbereich zählen: Mathe und Bioinformatik. Dazu würde ich auch ganz gerne noch wissen, wie das im Studium genau aussieht, was man da lernt.

K. N.: Die Mathematik ist ganz ähnlich wie die Informatik, auch der Bereich, der in der Vorlesung selbst sehr theoretisch ist. Man lernt nicht zu rechnen, sondern man lernt mathematisch abstrakt zu denken. Und das ist hier wirklich auf einem, ich sage mal einem Mathematiker äquivalenten Niveau, zumindest in den ersten zwei Jahren, zu erfahren, um da auch sehr gut ausgebildet zu sein. Denn wie ich es ja eben angedeutet habe: Das Formulieren von Problemen in der Informatik, bei der Abstraktion, das geht nicht ohne Mathematik, ohne mathematische Kenntnisse, und zwar sehr gute Kenntnisse. Und das ist eben nicht Rechnen, sondern Mathematik. Also wirklich abstraktes, logisches Denken. Dafür gibt es verschiedenste Teilbereiche, die kennt man schon aus der Schule. Analysis und Lineare Algebra nehmen da jeweils ein Semester einen zentralen Teil ein und dann gibt es noch die Höheren, Funktionale Analysis oder höher Dimensionale Analysis im dritten Semester. Ein weiteres Teilgebiet heißt Kombinatorik, also wie sich verschiedenste Sachen kombinieren lassen und sogenannte Graphentheorie. Also das sind eben auch Abstraktionen, bei denen es darum geht, wie man etwas modellieren kann, um später sogenannte Netzwerke modellieren zu können. Das ist ein wichtiger Bereich für die Bioinformatik, weil in der Zelle alles vernetzt ist. Wenn wir das verstehen wollen, dann müssen wir das irgendwie auch modellieren können. Und dafür brauchen wir diese Objekte der Mathematik, die sogenannten Graphen, die spielen eine sehr zentrale Rolle in der Ausbildung. Und auch hier wird die Vorlesung gehalten und dann gibt es jede Woche ein Aufgabenblatt, mit dem man übt, mathematisch zu denken: Man bekommt eine Aufgabe und die muss man lösen. Meistens sind das Beweisaufgaben oder Anwendungsaufgaben. Anwendung bedeutet zu gucken: Für was haben wir das gelernt und können wir das auf das nächste Problem übertragen? Haben wir zum Beispiel für ein bestimmtes Graphenmodell schon eine Lösung? Wenn dann eine zweite Frage gestellt wird, muss der Studierende zeigen, dass er gelernt hat, das zu übertragen.

A. B.: Ja, wir haben das so ähnlich schon in unserer Folge zur Mathematik gehört also an dieser Stelle der Verweis, es gibt auch eine eigene Folge zum Mathestudium in Tübingen.

K. N.: Ja, in die Bioinformatik steigt man etwas später im Studium ein, weil wir für die Bioinformatik schon die Grundvoraussetzungen brauchen. Wir brauchen schon eine Grundausbildung in der Informatik, um das dann zusammenzubringen. Man braucht auch schon Grundwissen aus der Biologie und Chemie, um sich dann konkrete Algorithmen der Bioinformatik, so heißt das auch, anzuschauen und zu sehen, wie man diese lösen könnte.

A. B.: Also das der Punkt, an dem dann alles zusammenläuft und der, wenn ich es richtig gehört hab, kommt auch ein bisschen später im Studium als die Grundlagen.

K. N.: Ja, wir beginnen im zweiten Semester mit einer Einführungsveranstaltung. Das ist eine Ringvorlesung, bei der die Studierenden einfach mal unsere Dozent:innen und deren Themengebiete kennenlernen. Wir nennen es immer eine „Teaservorstellung“, bei der man sieht, wie spannend unser Gebiet ist und wie vielfältig und wie viele tolle Fragestellungen dieses Gebiet mit sich bringt. Dann sind alle ganz aufgeregt und ein Jahr später machen wir dann die formal wichtigste Vorlesung des Studiums.

A. B.: Haben Sie da vielleicht mal so ein konkretes Beispiel, was vielleicht so eine Überlegung oder eine Fragestellung ist, die dann aus der Bioinformatik in der Verschränkung dieser Fächer durchdacht wird?

K. N.: Ja, vielleicht können wir die Fragen anhand der vergangenen zwei Jahre an der Coronapandemie festmachen, denn tatsächlich ist die Bioinformatik da, glaube ich, ziemlich berühmt geworden. Vor allem auch in Tübingen über die Entwicklung eines Impfstoffes, der über RNA läuft. Ich hatte ja am Anfang schon gesagt, eine RNA ist auch ein wichtiges Molekül in der Zelle und das zu studieren ist Teil der Bioinformatik. Wir sagen vorher, welche RNA-Moleküle wann aktiv sind. Und in der Firma CureVac haben wir gesehen, wie viel Bioinformatik da vonnöten ist. Natürlich haben wir nicht so viel Einblick bekommen, wie jetzt genau so ein Impfstoff entwickelt wird, das ist ja auch ein bisschen Firmengeheimnis gewesen. Wo wir es aber sehr deutlich fast jeden Tag gesehen haben, war daran, wie diese Varianten entstehen. Jeder weiß noch, dass alles mit der Wuhan-Variante anfing. Da war dann die Alpha- und die Beta-Variante und derzeit wütet Omikron auf der Welt. Wie wurden denn diese Varianten überhaupt charakterisiert? Das ist pure Bioinformatik. Da wird nämlich die sogenannte Blaupause, also das Genom des Virus, entschlüsselt. Das geschieht im Labor, aber danach ist alles Bioinformatik. Dann werden bestimmte Algorithmen eingesetzt und man vergleicht das, was man da entschlüsselt hat, von der ganz aktuellen Variante mit dem, was man schon vorher entschlüsselt hatte. Und diese Verfahren, die dazu eingesetzt werden, sind Algorithmen, die wir bei uns in unseren Grundvorlesungen beibringen. So kann man dann feststellen: Sind sich die Genome ähnlich? Nein, sie sind sich nicht ähnlich. Wir haben also eine neue Variante und dann gilt es daran, dieses zu charakterisieren. Diese Variante, die wir jetzt sehen zum Beispiel, Omikron, hat ganz viele Mutationen im Vergleich zur ersten Ausgangsvariante, die wir aus Wuhan kannten. Das wird zum Beispiel auf bestimmte Proteine mit ihren Spikes übertragen, so verändert das dann gewisse Antikörper, die jetzt nicht mehr so aktiv sein können und deswegen hat sich das Virus im Menschen dann auch durchgesetzt. Das ist nämlich jetzt noch fitter mit seinem Infektionsverhalten. Dazu war dann eben auch ein Bioinformatiker, Professor Richard Neher, der übrigens in Tübingen auch mal eine Zeit lang geforscht hat, sehr oft in den Medien zu sehen. Er hat auch eine Software vorgestellt, die reine Bioinformatiksoftware ist. Die heißt Next Strain und zeigt diese unterschiedlichen Varianten. Auf der Webseite kann man auch gucken, wo auf der Welt gerade welche Variante vorherrschend ist und so weiter. Und das sind bioinformatische Methoden, die da eingesetzt werden und nichts anderes.

A. B.: Ja, das ist auf jeden Fall ein sehr anschauliches Beispiel.

C. J.: Ich habe noch eine Frage.

A. B.: Okay, mach du mal weiter.

C. J.: Wir hatten jetzt ja gerade inhaltlich einen sehr tiefen Einblick und davor auch schon einen Überblick über die verschiedenen Anteile der Inhalte im Studium selbst. Aber was auch immer interessant ist, ist zu wissen, wie groß denn insgesamt der Workload bei einem solchen Bioinformatikstudium ist. Wie viel Zeit müssen die Studierenden ungefähr jede Woche investieren? Haben die da noch Zeit nebenher einen Nebenjob zu machen, um sich das zu finanzieren? Ist es so zeitaufwändig sich mit all diesen Fächern zu beschäftigen und all die Übungen und Vorlesungen zu absolvieren, dass da eigentlich gar keine Zeit mehr bleibt? Wie schätzen Sie das ein?

K. N.: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Tatsächlich bekomme ich da auch sehr viele Rückmeldungen von Studierenden, die zu mir in meine Studienfachberatung kommen, weil sie zum Beispiel wirklich darauf angewiesen sind, parallel zu arbeiten, und dann mit mir gucken, wie sie das Studium gleichzeitig noch schaffen. Es ist ein anstrengendes Studium, das muss ich wirklich klar sagen, denn wir haben in der laufenden Vorlesungszeit alles, was absolviert werden muss, sehr dicht gedrängt. Es wird zwar auch ein bisschen was ausgelagert in die vorlesungsfreie Zeit, diese Praktika zum Beispiel, aber die Hauptlernzeit ist wirklich in diesen 14 Wochen Vorlesungszeit. Und da erwarten wir von den Studierenden wahrscheinlich mehr als eine 40 Stunden Woche, da muss ich ganz ehrlich sein. Wir ermöglichen es dennoch, das Studium gut durchzuziehen und parallel noch arbeiten zu können. Da haben wir auch Beratungsangebote. Und sehr viele Studierende von uns arbeiten auch regelmäßig entweder als Tutor:innen ab dem dritten Semester oder als hilfswissenschaftliche Mitarbeiter:innen oder auch natürlich außerhalb der Universität. Und die meisten bekommen das wirklich gut hin. Vielleicht verzögert sich damit das Studium um ein Semester.

A. B.: Dann würde ich sagen: Hören wir doch mal rein, was die Tübinger Studierenden an ihrem Studium denn begeistert, denn das ist ja auch ein wichtiger Faktor, um das durchzuhalten.

Persönliche Voraussetzungen (36:02)

Studi 1: Mich begeistert, dass die Bioinformatik sehr interdisziplinär ist und auch sehr abwechslungsreich. Das heißt, man kann sich mit sehr vielen unterschiedlichen Fragestellungen beschäftigen.

Studi 2: Ich muss leider sagen, dass ich nicht so gut im Auswendiglernen bin, weswegen mir die ganzen Biomodule nicht so gut gefallen. Mit Ausnahme, wenn es wirklich Themen gibt, die interessant sind wie momentan Molekularbio 2 mit Bakterien, Viren und Makrophagen. Insgesamt mag ich das Analytische sehr und das Programmieren macht einfach Spaß.

Studi 3: Was ich an Bioinformatik unglaublich spannend finde, ist, dass man damit ganz viel Evolutionsforschung machen kann, aber nicht darauf beschränkt ist, sich nur die Vergangenheit anzugucken, sondern aufgrund der Daten, die man gesammelt hat, auch versuchen kann vorherzusagen, was passieren wird und zum Beispiel Antibiotikaresistenzen bei Bakterien zu untersuchen.

C. J.: Ja, mein Eindruck von diesen Aussagen ist eigentlich, dass alles, was wir jetzt gerade schon erfahren haben, dort bestätigt wird. Man muss auswendig lernen und dazu sollte man vielleicht auch irgendwie ein Talent mitbringen oder zumindest gut durchhalten können. Dafür ist es sehr interdisziplinär. Man forscht an sehr relevanten und spannenden Fragestellungen. In dem Fall wurde die Antibiotikaresistenzforschung genannt. Vielleicht nochmal ganz kurz zusammengefasst: Welche Voraussetzungen sollte ich mitbringen, wenn ich mich jetzt auf das Studium einlasse?

K. N.: Ja, also ich denke mal, die persönliche Voraussetzung ist, dass man wirklich großen Spaß hat an dieser Interdisziplinarität, dass man wirklich aus diesen beiden Kulturen der Informatik und Mathematik sowie den Lebenswissenschaften gemeinsam etwas schöpfen möchte. Dann hat man beste Voraussetzungen, einen großen Gefallen bei uns zu finden. Tatsächlich sind aber, das sollte man sich wirklich klar machen, gute Mathematikfähigkeiten zentrale Voraussetzungen, denn es nimmt einen zentralen Platz ein, sowohl im Studium, als auch später. Ich empfehle außerdem sehr gute Englischkenntnisse. Es wird jetzt nicht in den ersten Wochen oder Jahren auf Englisch gelehrt, aber die meiste Fachliteratur liegt nur auf Englisch vor. Und natürlich ist das Fach Informatik ja schon mit ihrer gesamten Begrifflichkeit ein englisches Fach und von daher legen wir da großen Wert drauf. Außerdem sollte man nicht denken, dass die Informatik ein Einzelplayer-Ding ist. Ganz im Gegenteil: Es ist eine Teamarbeit und somit sind gute Kommunikationsfähigkeiten wirklich ein Plus.

C. J.: Habe ich eine Chance, das auch zu bestehen, wenn ich davor noch keine Informatik in der Schule hatte?

K. N.: Ja, unbedingt. Das ist zwar unsere Herausforderung, aber auch unsere Anforderung an uns selbst, dass wir wirklich von Null beginnen. Natürlich gibt es immer Schüler:innen, die schon mit Programmierkenntnisse kommen, aber das sind nicht diejenigen, die dann alleine bedient werden und bei den anderen heißt es: „Sieh zu, wie Du fertig wirst“, sondern wir fangen bei Null an und nehmen jeden mit.

C. J.: Ja, dann würde ich sagen, wir schauen uns gleich mal an, was man nach diesem Studium so alles machen kann. Dafür haben wir die Studierenden gefragt, ob sie selbst schon eine Vorstellung davon haben.

Berufsperspektiven (38:56)

Studi 1: Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht, was ich später beruflich machen möchte. Im Bachelorstudium lernt man vor allem viele Grundlagen. Das heißt, wenn ich im Master einen tieferen Einblick bekomme, sehe ich dann, welcher Teilbereich mich besonders interessiert und welche beruflichen Perspektiven sich daraus ergeben.

Studi 2: Ich denke, ich werde bei der Bioinformatik bleiben und vielleicht noch ein bisschen mehr in Richtung Machine Learning gucken, was es da so gibt.

Studi 3: Im Moment kann ich mir gut vorstellen, nach meinem Studium an der Uni zu arbeiten, da ich es auf der einen Seite unglaublich wichtig finde, dass existierendes Wissen in die nächste Generation weitergegeben wird, aber es auch selbst unglaublich spannend finde, wie die Bioinformatik sich im Moment entwickelt und dort gerne in der Forschung arbeiten würde.

A. B.: Schließen wir gleich mal daran an, wie man die berufliche Richtung vorbereiten kann. Worauf kann man sich denn spezialisieren? Welche Wege bereitet das Studium vor?

K. N.: Die Berufsfelder sind so divers, wie das Fach interdisziplinär ist. Und das ist auch wieder die Chance, die man hier mit diesem Fach hat, weil man seine Stärken wirklich auch in den beruflichen Feldern ausbauen kann. Also ein Beispiel: Ein Studierender hat eben im O-Ton gesagt: Also mit dem Auswendiglernen, das war nicht so mein Ding, aber ich programmiere total gerne. Der kann in Richtung Software Engineering gehen, die beruflichen Möglichkeiten sind dort grandios. Auch für die Bioinformatik, da muss viel programmiert werden. Gleichzeitig gibt es aber auch welche, die sagen: Ich bin näher an der Biologie dran. Softwareentwicklung finde ich jetzt zwar okay, aber ist nicht so meine Stärke. Die sind zum Beispiel in Biotechnologieunternehmen gefragt. Dort arbeitet man dann direkt mit Biolog:innen und Biotechnolog:innen zusammen. Man muss deren Sprache und die Fragestellungen, zu dem was dort erforscht wird, verstehen und dort als Bioinformatiker:innen mehr praktisch angewandte Bioinformatik machen. Also das ist eine tolle Ausgangssituation, denn damit hat jeder Studierende auch mit seinen eigenen Stärken und Interessen die Möglichkeit, sich im späteren Berufsleben zu spezialisieren. Tatsächlich ist es aber so, dass ich für unser Fach erst mal rate nach dem Bachelor- ein Masterstudium anzuschließen. Natürlich rate ich immer zu Tübingen, denn ich finde, wir haben hier ein ganz tolles Studium. Natürlich kann man auch sagen, ich geh woanders hin. Das ist ja auch eine tolle Erfahrung. Aber ein Masterstudium sollte eigentlich schon der Standardabschluss sein. Die Studierenden finden oft in Biotechnologie- und Pharmazieunternehmen nach dem Master ihre Unterkunft. Es gibt natürlich – wie die Studierende andeutete – auch Möglichkeiten in der Forschung zu bleiben. Sehr viele promovieren erst mal nach dem Master und bleiben in der Forschung an den verschiedensten universitären, aber auch außeruniversitären Einrichtungen. Insgesamt, muss ich sagen, sind die Berufsaussichten mehr als hervorragend derzeit, denn wir sind ja auch nach wie vor ein kleines Fach. Also in Tübingen beginnen zum Beispiel im Jahr zirka 50 Studierende mit dem Bachelorstudium und circa 30 bis 40 mit dem Masterstudium. Die Nachfrage nach Bioinformatik ist aber um ein Vielfaches höher. Nach wie vor ist ein Fachkräftemangel zu verzeichnen.

C. J.: Da hätte ich zwei Fragen. Erstens: Warum raten Sie zu dem Masterstudium? In vielen Studiengängen ist das gar nicht so nötig. Und zweitens: Ist es schwer einen Platz zu bekommen für den Bioinformatik Bachelor?

K. N.: Zu Erstens: Tatsächlich finde ich, dadurch, dass wir im Bachelor großen Wert auf die Grundausbildung gelegt haben, den Anteil der reinen Bioinformatik noch nicht groß genug. Also wir haben im Master dann praktisch nur noch Bioinformatik. Hat man einen Bachelor in Bioinformatik, kann man wahrscheinlich sehr gut irgendwo als Informatiker arbeiten, aber nicht als Bioinformatiker. Da braucht es einfach noch mehr Wissen. Zu Zweitens: Ja, sie brauchen einen guten Bachelorabschluss, aber dann kriegen sie auf jeden Fall einen Platz bei uns für den Master. Ich kann nicht für andere Universitäten sprechen, aber bei uns muss man derzeit einen Bachelorabschluss mit der Note 2,5 oder besser absolviert haben und dann bekommt man auf jeden Fall einen Platz.

C. J.: Für das Masterstudium?

K. N.: Genau fürs Masterstudium.

C. J.: Und um einen Platz für das Bachelorstudium zu bekommen?

K. N.: Ja, da gibt es ein Auswahlverfahren. Wir haben 60 Plätze und derzeit ist es so, dass das Fach wahrscheinlich auch noch ein bisschen unbekannter ist, dadurch dass es in der Schule eben kein Fach ist. Wir haben so um die 100 Bewerber:innen pro Jahr und können eigentlich alle zulassen, weil sich dann nicht alle am Ende dafür entscheiden. Und so können wir im Moment sagen, jeder, der bei uns wirklich studieren möchte, hat auch immer einen Platz bekommen. Das ist die Situation derzeit. Ich kann nicht sagen, ob das jetzt vielleicht mit diesem Podcast in Zukunft anders wird.

A. B.: Bestimmt.

C.J.: Wenn ich mich dann für einen Master entscheide nach dem Bachelorstudium, gibt es dann in Tübingen den einen Bioinformatikmasterstudiengang oder gibt es da verschiedene Profile, zwischen denen man wählen kann?
K. N.: Wir haben drei Profile, aber das liegt nicht daran, dass sich der Studierende das aussuchen kann, sondern das liegt an einer Besonderheit, auf die wir auch in Tübingen sehr stolz sind, nämlich dass wir den Master auch aufmachen, für Informatiker:innen bzw. die Biologiestudiengänge. Das heißt, wenn man selber zum Beispiel in seinem Bachelorstudiengang Biologie gemacht hat und sich danach entscheidet, doch auch was mit Bioinformatik machen zu wollen, dann kann man sich bei uns bewerben auf das Profil B. Wenn man Informatik studiert hat und wie die eine Studierende gesagt ha, eine Anwendung sehen will, dann kommt man in die Profillinie C. Alle anderen mit einem Bachelor Bioinformatik sind die Profillinie A und das ist dann vorgegeben, was man da jeweils macht.

A. B.: Ja, also von meiner Seite aus, Christoph, habe ich keine offenen Fragen mehr. Wie sieht es bei dir aus?

C. J.: Ich auch nicht mehr.

K. N.: Ich hätte noch etwas.

A. B.: Ja, gerne.

Insider Tipps (45:18)

K. N.: Sie wollten ja noch einen Insidertipp von mir wissen.

A. B.: Genau! Das käme jetzt. Dann schießen Sie los.

K. N.: Ich habe ein paar Insidertipps mitbekommen. Für diejenigen, die auch gerne mal auf YouTube unterwegs sind, gibt es ein Video, das im Rahmen der 3sat-Scobel-Sendung gedreht wurde zum Thema: Was ist Bioinformatik? Das ist zwar schon ein paar Jahre alt, aber ich habe es mir selbst noch mal angeguckt und muss sagen, das ist völlig aktuell und wirklich ein sehr schöner Einstieg in das Fach. Man findet auch auf YouTube ein Video von der Covid-19-Ringvorlesung, die hier an der Uni Tübingen gedreht wurde letztes Jahr. Und einer meiner Kollegen, Herr Professor Kohlbacher, hat einen tollen, niederschwelligen Einblick gegeben, welche Bedeutung die Bioinformatik in der Erforschung, insbesondere natürlich von Viruserkrankungen, ganz aktuell am Beispiel von Corona hat. Dann habe ich noch den Richard Neher am Anfang erwähnt, der eben auch das Fach wirklich auf der ganzen Welt prominent gemacht hat. Und auch von ihm gibt es tolle YouTube-Videos, alle Interviews, alle Vorträge, meistens auf Englisch. Er hat am 1. Februar zum Beispiel ein Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gegeben und hier ganz viele Fragen zu Corona beantwortet. Wenn man da mal genau zuhört, dann lernt man wirklich viele Hinweise, wie viel Bioinformatik hier für die Erforschung während der Coronapandemie von Bedeutung und vonnöten war. Ansonsten www.bioinformatik.de, da finden sich viele weitere Informationen zur Bioinformatik. Zum Beispiel auch eine übersichtliche Liste aller Studienorte in Deutschland, hoffentlich dann trotzdem mit der Entscheidung nach Tübingen kommen zu wollen. Aber dort findet man auch noch mal mehr an Informationen und Kurzbeschreibungen.

A. B.: Ja, toll das verlinken wir alles in den Shownotes.

C. J.: Klasse. Dann bedanke ich mich bei Ihnen, Frau Nieselt, dass Sie bei uns zu Gast waren. Schön, dass es heute geklappt hat und Sie uns so detailliert aus dem Studium der Bioinformatik berichtet haben. Alex, auch danke Dir. An euch, Ihr lieben Hörerinnen und Hörer, würden wir gerne die Frage stellen, ob Ihr eigentlich in dieser Folge oder vielleicht auch in vergangenen, irgendwas vermisst habt. Also irgendwelche Fragen, die wir vielleicht noch hätten stellen können oder irgendwelche Themen, die wir noch anreißen könnten. Falls Euch da irgendwas einfällt, schreibt uns gerne an die hochschulreif@uni-tuebingen.de oder auch wenn Ihr sonst Feedback und Kritik habt oder uns einfach nur zujubeln wollt. Ansonsten bis zum nächsten Mal und macht's gut.

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Kay Nieselt über die folgenden Themen: 
01:05 Persönliche Motivation
14:19 Studieninhalte
36:00 Persönliche Voraussetzungen
38:56 Berufsperspektiven 
45:20 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Bioinformatik

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #08: Pharmazie

Wie läuft der pharmazeutische Studieneignungstest ab? Mit welchen Themen setzt man sich im Studium auseinander? Was kann man mit einem Pharmaziestudium alles beruflich machen? Und muss man wirklich so viel Auswendiglernen? Die wichtigen Fragen zum Pharmaziestudium in Tübingen klärt Professor Dr. Frank Böckler in dieser Folge von „hochschulreif“. Dazu berichten Tübinger Pharmaziestudierende aus ihrem Studium.

Listen
Christoph Jäckle (C. J.): Hallo liebe Hörerinnen und Hörer und herzlich Willkommen zu einer neuen Folge ‚hochschulreif‘ eurem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Meine liebe Kollegin Alexandra Becker und ich dürfen euch auch heute wieder ein neues Studienfach vorstellen. Hallo Alex, schön dich wieder im Studio zu sehen und zu hören.

Alexandra Becker (A. B.): Ja, hallo. Ebenso.

C. J.: Heute wird es bei uns um das Studienfach Pharmazie gehen. Also ein ziemlich bekanntes und beliebtes Studienfach, von dem wahrscheinlich auch jeder von euch schon so seine eigenen Vorstellungen hat. Mich selbst eingeschlossen. Von daher bin ich auch selbst ziemlich neugierig und gespannt, was ich alles noch Neues beim Studienfach Pharmazie entdecken werde. Und natürlich haben wir auch heute wieder einen Gast bei uns im Studio: Wir dürfen heute Professor Dr. Frank Böckler bei uns willkommen heißen. Frank Böckler ist Apotheker und Professor für Pharmazeutische Chemie und lehrt am Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Bereiche Molekulares Design und Pharmazeutische Biophysik. Herzlich willkommen, Herr Böckler. Schön, dass Sie heute bei uns zu Gast sind.

Prof. Dr. Frank Böckler (F .B.): Ja, hallo. Schön, bei Ihnen zu sein.

C. J.: Ich hoffe, ich habe alles halbwegs richtig gesagt.

F. B.: Wunderbar.

C. J.: Sehr gut, das freut mich. Bevor wir gleich tiefer einsteigen und das Fach Pharmazie und Sie kennenlernen, hören wir uns kurz an, warum Tübinger Studierende sich für ihr Studium entschieden haben. Die haben wir nämlich dazu befragt.

Persönliche Motivation (01:25)

Studi 1: Also für mich war direkt klar, dass ich was Naturwissenschaftliches studieren möchte, am besten was Chemisches. Und bei Pharmazie fand ich super interessant, dass es was mit dem menschlichen Körper zu tun hat und man auch zum Beispiel die Funktionsweise von Arzneimitteln lernt.

Studi 2: Ich habe mich für das Fach Pharmazie entschieden, weil ich mich für keine der vielen Naturwissenschaften richtig entscheiden konnte und so ein bisschen das Beste aus allen Welten habe. Und danach habe ich ein super breites Berufsfeld und auf jeden Fall einen sicheren Job, in dem man nie auslernen wird.

Studi 3: Ich habe mich damals nach der Schule für Pharmazie entschieden, weil ich in der Oberstufe gemerkt habe, dass mir die Fächer Biologie und Chemie einfach super viel Spaß machen und ich mein Wissen in dem Bereich weiter vertiefen wollte. Und da bietet Pharmazie eine gute Möglichkeit und eine super Kombination aus den beiden Bereichen.

Studi 4: Bei mir war es so, ich wollte schon immer was Naturwissenschaftliches studieren und vor allem dann auch die Verknüpfung mit der Medizin hat mich eben sehr gereizt, mich dann auch für Pharmazie zu entscheiden.

Studi 5: Ich habe mich für das Studium der Pharmazie entschieden, weil ich das Gefühl hatte, es ist ein Studium mit einem breitgefächerten Profil an Naturwissenschaften, ohne dass ich direkt eine Naturwissenschaft komplett studieren muss und dass ich dann auch tatsächlich später eine bessere Anwendbarkeit im Arbeitsleben habe, indem ich von jeder Naturwissenschaft ein bisschen was mitbekomme.

A. B.: Ja, das fand ich jetzt schon ganz spannend, was die Studierenden alles genannt haben, Herr Böckler, nämlich das breite Profil und auch die Verknüpfungen zu anderen Fächern. Also die erste Frage, die ich mir stelle ist: Mit welcher Erwartungshaltung kommen die Studierenden aus Ihrer Erfahrung in das Studium und wird das in der Regel erfüllt?

F. B.: Also unsere Studierenden haben das eigentlich schon perfekt zusammengefasst. Es gibt tatsächlich eine statistische Befragung unter über 450 Studierende in Deutschland. Und da sagen tatsächlich über 85 % der Befragten, dass sie den Studiengang gewählt haben, weil sie sich nicht wirklich für ein naturwissenschaftliches Fach per se interessiert haben, sondern für das Schnittfeld aus verschiedenen Naturwissenschaften. Und natürlich auch sehr stark für die biomedizinische Anwendung. Das ist schon ein extrem starker Motivator für den Studiengang und ist natürlich auch ein ganz logischer Zugang aus der Schule, in der man eben die klassischen Fächer Chemie, Biologie, Mathematik, Physik, eben die MINT Fächer, als Grundlage hat. Man kann in der Schule nicht ins Fach Pharmazie reinschnuppern. Das ist aber eben wie gesagt als Querschnitt zwischen den Fächern eine ganz hervorragende Wahl. Und meine Studierenden, die ich so im Laufe der letzten 25 Semester hier in Tübingen beobachtet habe, sind nach wie vor von der Kombination begeistert. Natürlich hat jeder so seine Schwerpunkte und auch seine persönlichen Neigungen, aber dafür gibt es ja eben auch ein sehr breites, diverses Feld an fachlichen Aspekten zwischen Naturwissenschaft, Biomedizin, technischen Aspekten bis hin sogar ins Rechtliche hinein. Das heißt also: Es ist für jeden was dabei.

A. B.: Ja, dann klingt das schon so, dass das erfüllt wird, was die Studierenden so an Vorstellungen mitbringen. Zumindest von dem, was wir jetzt gehört haben. Wie war es denn bei Ihnen? Wie sind Sie denn selbst zur Pharmazie gekommen? Was war Ihre Motivation?

F. B.: Ja, manchmal sind Personen prägender als Ereignisse oder Überlegungen. Und mich hat sehr früh, ein niedergelassener Apotheker beeindruckt, der auch promoviert war und mit großer Geduld und großer Kompetenz die Kunden/die Patienten in seiner Apotheke beraten hat. Und das hat so ein bisschen abgefärbt. Ich konnte mir damals sehr gut vorstellen, dass eine Kombination aus Selbstständigkeit, Wissenschaft und eben der Patientenzuwendung – mit stark kommunikativen Elementen – für mich ein spannendes Berufsbild abgeben würden. In der Mittel- und Oberstufe kamen dann in der Familie Krankheit und auch ein Todesfall dazu. Das war ein sehr starker Motivatorfür mich in die Wissenschaft zu gehen. Da bin ich dann noch mal abgebogen von der ökonomischen Tätigkeit, von der Selbstständigkeit, in die Wissenschaft und wie ich jetzt hinzufügen muss, natürlich neben Forschung auch in die Lehre, was sehr viel Spaß macht. Ich habe es nie bereut.

C. J.: Das sind auf jeden Fall sehr persönliche und starke Motivationsgründe. Ich glaube viele Studierende rutschen auch manchmal eher in irgendwelche Studiengänge rein, haben vielleicht gar keine so konkreten Vorstellungen, aber Sie waren da biografisch schon stark geprägt und sind offensichtlich auch immer noch sehr begeistert von ihrem Fach?

F. B.: Auf jeden Fall. Was mir persönlich auch wichtig ist zu betonen – weil wir gerade das Thema Schnittfeld an Naturwissenschaften hatten – das klingt alles recht technisch, recht neutral, aber ein extrem starker Motivator im Studiengang ist natürlich entweder später mit Patienten zu arbeiten oder zumindest für Patienten zu arbeiten. Und ich glaube, das ist eine emotionale Verbindung zum Studiengang, die vielleicht etwas größer ist als in anderen naturwissenschaftlichen Studiengängen und deshalb auch den Heilberuf der/des Apothekerin/Apothekers ausmacht und prägt. Die Vielfalt an Möglichkeiten ist eben exorbitant und klang ja auch gerade schon als Motivation an, das teilen auch viele Studierende: Es ist fast mit einer Beschäftigungsgarantie versehen. Also wenn Sie Pharmazie zu Ende studieren, Ihre Approbation in der Tasche haben, haben Sie eigentlich fast eine lebenslange Beschäftigungsgarantie und gleichzeitig eine sehr breite Auswahl an Tätigkeiten. Aber da kommen wir sicher später noch dazu.

A. B.: Ja, ich glaube dann brennen viele jetzt auch schon darauf zu erfahren, wie denn so ein Studium aussieht. Wir haben auch einige der Studierenden gefragt, wie denn ihre typische Stundenwoche so verläuft.

Studieninhalte (07:32)

Studi 1: Also normalerweise sind Vormittags Vorlesungen und Nachmittags dann Laborpraktika und dann hat man noch abends Zeit um Protokolle zu schreiben oder in die Bib zu gehen.

Studi 2: Eine typische Studienwoche sieht bei mir so aus, dass ich morgens Vorlesungen und Seminare habe, mittags dann Labor und abends bin ich dann am Protokolle schreiben für diese Labore oder am Nachbereiten der Vorlesungen. Danach trifft man sich meistens mit seinen Kommilitonen irgendwo. Also Pharmazie ist da relativ verschult, das heißt es ist eigentlich ein sehr geregelter Wochenablauf, was durchaus angenehm ist.

Studi 3: Ja, also so eine typische Woche besteht aus vielen Vorlesungen und auch viel Labor. Deswegen ist man wirklich meistens den ganzen Tag an der Uni.

Studi 4: Ich bin gerade im achten Semester und wir haben die Fächer Klinische Pharmazie und Arzneimittelanalytik. In der Klinischen Pharmazie bekommen wir Patientenfälle und diskutieren zum Beispiel Medikationspläne und in der Arzneimittelanalytik haben wir ein chemisches Praktikum, bei dem wir in Proben Arzneimittel nachweisen müssen.

Studi 5: Wir haben natürlich ganz normal Vorlesungen und Seminare, aber wir haben eben auch ganz viel Labor, was meiner Meinung nach das Semester sehr abwechslungsreich macht. Ich habe jetzt zum Beispiel das dritte Fachsemester hinter mir, da hatten wir ein Labor der Organischen Chemie und da durfte man eben auch einige Wirkstoffe oder zum Beispiel Farbstoffe herstellen, was wirklich sehr interessant ist, weil man dann eben die Theorie der Vorlesung auch das erste Mal praktisch umsetzen kann.

C. J.: Also was jetzt ja ganz klar herausgekommen ist, ist: Das Studium ist sehr abwechslungsreich, es ist verschult, man hat klare Wochenpläne und es klingt aber auch so, als gäbe es viel zu tun. Man hat, glaube ich, eine sehr volle Woche. Wie anspruchsvoll und wie zeitintensiv ist denn das Studium der Pharmazie?

F. B.: Also man muss ganz klar sagen, das Studium ist verschult, was positive und negative Aspekte hat, aber daherkommt, dass es ein Staatsexamenstudiengang ist. Der Staat nimmt sich hier die Freiheit durch die Approbationsordnung sehr stark regulativ und standardisierend einzugreifen und Dinge festzulegen. Das ist also die rechtliche Grundlage, warum der Studiengang als verschult gilt. Das bedeutet aber auch, dass man sehr viele Garantien hat, wenn man auf alle Anweisungen achtet. Wenn man die Sachen fleißig verfolgt, hat man die Möglichkeit, das Studium in der Regelstudienzeit von acht Semestern Hochschulstudium abzuschließen. Und das ist, glaube ich, schon im Verhältnis zu anderen Studiengängen, in denen man viel selbst organisieren muss ein Vorteil. In anderen Studiengängen hört man auch mal: In diesem Semester können wir leider den Praktikumsplatz oder das Seminar nicht anbieten. Also der Aspekt verschult stimmt in der Pharmazie schon, hat aber Vor- und Nachteile. Auf der anderen Seite ist völlig richtig, dass es ein intensives Studium ist, weil man das Ganze nur so überhaupt in acht Semestern Regelstudienzeit durchziehen kann. Die Frage, wie lange das Studium dauern sollte, ist seit langem eine offene Diskussion. Wir hätten auch gerne mehr Zeit, um das Ganze mit mehr Teilaspekten mit den Studierenden besprechen zu können. Aber das ist eben auch wieder eine staatliche Vorgabe, an die wir uns halten müssen. Dementsprechend sind die Intensitäten auch anders als in einem Bachelor-Master-Studiengang. Aber ich glaube der hohe praktische Anteil und die Möglichkeit gemeinsam das Lernen zu gestalten, hilft den Leuten hier sehr. Vieles läuft parallel, weil viele Studierende das Gleiche machen und man sich da auch gut im Team organisieren kann. Und Teamfähigkeit ist letzten Endes, egal in welcher pharmazeutischen Tätigkeit man sich später wiederfindet, eine ganz wesentliche Eigenschaft.

A. B.: Ja. Sie haben gerade auch schon den praktischen Anteil genannt. Wie hoch ist denn dieser praktische Anteil im Studium?

F. B.: Also statistisch gesehen beträgt er tatsächlich zwischen Haupt- und Grundstudium gemischt etwa 60 %. Wobei ein gewisser Anteil auch als Seminare stattfindet, die praktikumsbegleitend sind. Aber der Hauptteil, also mehr als 50 %, kann man sagen, ist praktische Tätigkeit. Und das ist auch wieder was, was von sehr vielen Studierenden, etwa 40% in der vorhin schon zitierten Befragung, als echter Vorteil genannt wird. Also das sind nicht nur gerade die O-Töne unserer Studierenden, sondern auch viele Studierenden bundesweit, die sagen, dass diese sehr praktische Orientierung von Vorteil ist. Man sieht, wie die Theorie zur Anwendung kommt. Das ist etwas, was sehr ansprechend ist und auch eine gewisse Abwechslung im Alltag beschert.

C. J.: Und ja auch elementar wichtig für ganz viele Berufsfelder, in denen man tätig sein wird. In manchen bräuchte man vielleicht diesen praktischen Anteil nicht mehr, aber in den Allermeisten.

F. B.: Auf jeden Fall. Also allein die Vertiefung des theoretisch Gelernten ist immer hilfreich. Und dann ist natürlich klar: Wenn ich mich für eine sehr spezifische Ausprägung einer pharmazeutischen Tätigkeit entscheide, kann es sein, dass ich bestimmte Tätigkeiten, die ich im Studium hatte, sehr viel häufiger brauche als andere. Wenn Sie Qualitätssicherung machen in der pharmazeutischen Industrie, werden Sie eben sehr viel stärker auf die analytischen Praktika zurückkommen. Wenn Sie aber beispielsweise in der Apotheke die Leute beraten, dann wird das gerade angesprochene Medikationsmanagement zusätzlich zum Arzt wichtig: Mit den Leuten Pläne durchzugehen, eventuell auch aufzuklären, wenn Leute verschiedene Ärzte aufsuchen, ohne dass die Ärzte von der gegenseitigen Medikation wissen. Das läuft dann sehr häufig in der Apotheke zusammen und ist dort beispielsweise ein wesentlicher Punkt der pharmazeutischen Kommunikation, sodass am Ende nicht nur eine gut gemeinte Therapie, sondern auch eine erfolgreiche Therapie steht.

C. J.: Um nochmal auf den Inhalt des Studiums einzugehen. Mit welchen Bereichen und inhaltlichen Fachdisziplinen beschäftigt man sich dann im Pharmaziestudium?

F. B.: Also wenn ich es in Grund- und Hauptstudium erst mal untergliedern darf, dann ist im Grundstudium der mathematisch-naturwissenschaftliche Anteil sehr hoch. Man kann also sagen Chemie stellt etwa so rund 50 % der Studiengegenstände dar. Wobei es eben nicht nur reine Chemie ist, sondern auch die Analytik, bei der die Anwendung, als analytische Disziplin sehr wichtig ist. Pharmazeuten sind ja wesentlich in der Analytik tätig und da gibt es natürlich sehr grundlegende Fragestellungen zum Beispiel erst mal chemische wie: Wie sind Moleküle aufgebaut? Wie bewegen sie sich, wie dynamisch sind sie? Welche Struktur nehmen sie ein? Was ist die Besonderheit dieser Struktur? Oder auch: Wie können sie hergestellt werden? Welche einfachen chemischen Reaktionen sind dafür notwendig, um bestimmte pharmazeutisch interessante Moleküle herstellen zu können? Damit beschäftigt man sich im Grundstudium erst mal, um die Grundlagen zu legen, um reinzukommen. Und im Hauptstudium sieht man dann die genaue Anwendung, wenn es um moderne Arzneistoffe geht, die natürlich viel komplizierter in der Herstellung und Analytik aussehen. Grundsätzlich ist in der Analytik immer die Frage, wenn man es ganz einfach formulieren will: Was, wie viel und eventuell noch was zusätzlich? Das heißt, es geht darum zu identifizieren, was an Molekülen in einer bestimmten Substanz enthalten ist. Das können Arzneistoffe sein, das können Hilfsstoffe sein, das können aber auch Schadstoffe oder Giftstoffe sein, bis hin in die Toxikologie. Und auch kleinste Mengen an Rückständen zu analysieren ist Bestandteil dessen, was man hier lernen soll. Natürlich auch unter Einsatz von sowohl sehr einfachen, händischen Tools und Glasgeräten, ganz konventionell, wie man es aus alten Laboren kennt. Bis hin zu modernen technischen Verfahren und Instrumenten, die man einsetzt, um Fragestellungen der Analytik, der Qualitätssicherung, zum Beispiel von Medikamenten, verfolgen zu können. Daneben ist die Biologie eine wichtige Grundlagendisziplin. Da interessiert uns natürlich, in welchen Pflanzen, in welchen Mikroorganismen oder in welchen Pilzen Arzneistoffe wachsen, ganz natürlich als Naturstoffe entstehen und gebildet werden. Aber auch, wie solche Naturstoffe als Toxine, also als Giftstoffe wirken können. Daneben ist natürlich auch klar, dass man Mikroorganismen genau betrachtet, also Mikrobiologie und Hygiene beispielsweise lernen muss: Was sind nützliche Mikroorganismen und wie unterscheide ich diese von pharmazeutisch und medizinisch gefährlichen Mikroorganismen? Also Biologie hat eine Seite, die in Richtung Pflanzen und Mikroorganismenbiologie geht und natürlich in Richtung Humanbiologie. Und das ist natürlich auch für die Pharmazeuten immer gerade die Verbindung zur Medizin. Da geht es um die Frage, wie die Organe im Körper funktionieren, wie sie arrangiert sind, welche Funktionen sie wahrnehmen, aber auch eben wie intrazelluläre Botenstoffe, elektrische Impulse, Neurotransmitter, Hormone und so weiter den Organismus steuern. Sie sehen: Das ist alles sehr grundlegend, aber eben eine ganz wichtige Plattform, um dann im Hauptstudium so richtig in die Frage: „Wie funktionieren Arzneistoffe?“ einsteigen zu können.

A. B.: Darf ich da kurz dazwischen fragen? Hat man das Grundstudium dann entsprechend mit den Studierenden der anderen Fächer zusammen? Also kommt man dann im Studium mit den Mediziner*Innen oder mit denjenigen, die Biologie oder Chemie studieren zusammen?

F. B.: Partiell ja. Wir sind hier in Tübingen in der glücklichen Lage, sehr viele der Grundlagen selbst anzubieten, weil uns natürlich sehr wichtig ist, bei aller Wertschätzung für die Kollegen aus den anderen Disziplinen, möglichst früh auch die pharmazeutischen Komponenten der Grundlagenfächer herausstellen. Ich habe in meinem Leben als Studienberater gelernt, dass die Leute, gerade im Grundstudium, manchmal ein bisschen frustriert sind, weil sie geglaubt haben, dass es am ersten Tag bereits mitten in die Komplexität der Arzneistoffe geht und darum wie diese wirken. Und deshalb ist uns schon sehr wichtig, dass man die Leute früh an pharmazeutische Fragestellungen heranführt. Natürlich ist das einfacher möglich, wenn man selber die Veranstaltungen macht, als wenn man gemeinsam mit anderen naturwissenschaftliche Chemie oder andere naturwissenschaftliche Grundlagenfächer belegt. In der Mathematik haben wir zum Beispiel eine eigene Veranstaltung, weil die Statistik eine ganz wesentliche Grundlage fürs Verständnis der Pharmazie ist. Wie funktioniert eine Arzneimittelstudie? Wie muss ich bei der Qualitätssicherung auf eine Veränderung in dem Trend der Analytik reagieren? Ab wann ist eine Warngrenze überschritten und wie muss ich in den Herstellungsprozess eingreifen? Für diese Fragen ist die Statistik eine ganz wesentliche Grundlage. Darum machen wir das auch sehr gerne selbst für die Leute, weil wir eben sehr früh die Leitplanken schon einschlagen wollen für das, was für die Pharmazeuten am Ende wichtig ist.

A. B.: Ja gut, danke.

F. B.: Sehr gerne.

C. J.: Gibt es denn bei den Inhalten die Möglichkeit, selbst Inhalte zu wählen oder ist das meiste vorgegeben?

F. B.: Es ist tatsächlich so, dass wir an jeder Universität eine gewisse Freiheit von Forschung und Lehre haben, bestimmte Dinge auszugestalten. Aber es sind sowohl Stundenzahl, als auch Fächer, als auch Gegenstandskataloge sehr präzise festgelegt. Man hat also leichte Freiheitsgrade, aber grundsätzlich ist das, was an Stoff durchgenommen wird für alle verbindlich definiert. Ein Freiheitsgrad, der in der letzten Änderung der Approbationsordnung im Hauptstudium eingeschlagen wurde, ist das sogenannte Wahlpflichtfach. Und das ist auch eine hervorragende Möglichkeit für die Leute, so ab dem sechsten und siebten Semester dann mal in die forschungsnahen Bereiche reinzuschnuppern. Wir haben hier in Tübingen eine sogenannte Vollpharmazie. Das heißt also wirklich jegliche Art von Forschungsrichtung, die pharmazeutisch vorkommt, ist vertreten. Und das nutzen die Leute natürlich sehr gerne, um sich zu überlegen, ob ein weiterführendes Studium, neben der Approbation auch noch spannend für sie ist. Wir haben auch einen Masterstudiengang: „Pharmaceuticals Sciences and Technologies“, in den man mit der Approbation mit nur wenig Aufwand wechseln kann. Damit kann man in das wissenschaftliche Arbeiten einsteigen, eine eigene Master-Thesis schreiben, also einen wissenschaftlichen Abschluss zusätzlich zur Approbation erhalten. Und es ist relativ zeiteffizient für die Leute durchführbar, die sich im Wahlpflichtfach schon für die Forschungsrichtung entscheiden. Und dann kann man natürlich auch noch eine Promotion anschließen und sagen: Jetzt verschreibe ich mich ganz der Wissenschaft, jetzt möchte ich es wirklich wissen, das ist mein Lebensziel. Das ist ab dem Hauptstudium möglich, aber immer noch nicht zu spät. Man kann immer noch an der Stelle recht flexibel in Tübingen entscheiden: Was ist meine Ambition, was möchte ich mit meinem Leben anstellen? Und ich glaube, dass das durchaus ein faires Angebot für die Leute ist.

A. B.: Sie haben jetzt schon ein paar Mal einen Begriff fallen lassen: Die Approbation. Können wir das einmal kurz erklären, dass es auch klar ist, um was es sich da handelt?

F. B.: Also in bestimmten Berufen, zum Beispiel bei den Pharmazeuten oder auch bei den Medizinern, regelt der Staat die Ausbildung, erlässt also eine sogenannte Approbationsordnung. Und in dieser Approbationsordnung sind dann bestimmte Prüfungsteile vorgesehen. Bei den Pharmazeuten sind das drei Abschnitte: das Grundstudium, das dann mit dem ersten Abschnitt der pharmazeutischen Prüfung abgeschlossen wird, das Hauptstudium mit dem zweiten Abschnitt der pharmazeutischen Prüfung, und dann, nach einem praktischen Jahr, das hälftig in Offizinpharmazie und alternativ auch in Forschung, Industrie oder anderen Bereichen absolviert werden kann, gibt es dann noch die dritte pharmazeutische Staatsprüfung. Erst wenn alle diese drei erfolgreich absolviert sind und ausschließlich in einem Staatsexamenstudiengang Pharmazie, kann man die Approbation erhalten. Und die ist Voraussetzung dafür, dass ich zum Beispiel in einer Apotheke als Apothekerin und Apotheker tätig werden oder selbstständig eine eröffnen kann. Es gibt natürlich auch pharmazeutische Tätigkeiten, für die die Approbation nicht automatisch Voraussetzung ist, zum Beispiel in der Industrie.

C. J.: Bis man in der Wissenschaft oder auch in der Industrie landet, ist es ein langer Weg. Zumindest dauert es einige Semester und man sollte verschiedene Skills mitbringen um so ein Pharmaziestudium durchzuziehen. Dazu haben wir Tübinger Studierende gefragt, was sie selbst am Studium begeistert und wollen uns danach auch noch ein bisschen ausführlicher über die persönlichen Voraussetzungen unterhalten, die man so mitbringen sollte.

Persönliche Voraussetzungen (22:14)

Studi 1: Also besonders cool finde ich am Studium tatsächlich, dass wir sehr viel Labor haben und es in der Hinsicht dadurch dann auch sehr praxisorientiert ist, was meiner Meinung nach sehr viel Abwechslung in den Alltag bringt. Und außerdem finde ich es sehr interessant, dass wir so ein breit gefächertes Wissen uns aneignen können, von Chemie über Physiologie und die ganzen Verknüpfungen. Das macht das Studium auf jeden Fall super interessant.

Studi 2: Ja, die Tage sind eben super abwechslungsreich, gerade durch diese Mischung aus Theorie und Praxis. Es gibt natürlich immer Themen, die einen mehr oder weniger interessieren, aber das ist ja im Endeffekt auch ganz normal. Ich selbst habe jetzt zum Beispiel gerade das fünfte Semester abgeschlossen und letzte Woche dann noch mal eine Klausur auch in Pharmakologie geschrieben. Da lernt man dann zum Beispiel 20 verschiedene Krankheiten kennen und deren Behandlung auch mit den verschiedenen Arzneimitteln. Jetzt hat man echt das Gefühl, man kann so wirklich mitreden und hat jetzt echt ein gutes Verständnis, wie die Arzneimittel dann im Körper wirken.

Studi 3: Was mich am Studienfach der Pharmazie einfach extrem begeistert, ist diese enorme Vielfältigkeit. Wir haben Vorlesungen im Bereich der Biologie, der Chemie und der Medizin. Aber es ist jetzt nicht nur so, dass wir den ganzen Tag nur in Vorlesungen sitzen. Wir haben auch viele Praktika. Wir haben auch einen hohen Praxisanteil. Wir sitzen also im Labor und können unser Gelerntes halt auch direkt anwenden. Und das ist halt einfach enorm motivierend.

Studi 4: Mich begeistert am Pharmaziestudium die Vielfalt der Themen, die man behandelt und lernt. Die viele Laborarbeit macht total viel Spaß und ist auch ein super Ausgleich zu den sehr theoretischen Vorlesungen, die man hat. Und beides zusammen macht für mich die perfekte Mischung aus.

A. B.: Ja, die Vielfalt und das Abwechslungsreiche sorgen für Begeisterung bei den Studierenden, wie wir gehört haben. Jetzt würde ich gerne wissen, was man denn aus Ihrer Sicht als Voraussetzung braucht, wenn man Pharmazie studieren möchte.

F. B.: Also was natürlich schon angeklungen ist, ist diese Breite an naturwissenschaftlichem Interesse auch gepaart mit einer gewissen Anwendungsorientierung. Das heißt also, wer sagt: Ich möchte das nicht nur alles verstehen und lernen, sondern ich möchte auch ein ganz klares Ziel vor Augen haben, für was ich das lerne, der ist sicher im Pharmaziestudiengang richtig. Die Bandbreite reicht von den breiten Naturwissenschaften, über biomedizinische Anwendungen, aber auch technischen Anwendungen, zum Beispiel, wie bestimmte Arzneimittel und Arzneiformen hergestellt werden, oder wie eine Tablette verpresst wird. Das sind durchaus technische Aspekte, die auch eine Rolle spielen können. Darüber hinaus gibt es auch noch rechtliche Aspekte, eventuell in der Zulassung von Arzneimitteln. Da geht es sehr stark um Recht. Auch im Betrieb von einer Apotheke können rechtliche Aspekte eine Rolle spielen. Das heißt also, ein sehr breit aufgestelltes, gefächertes, vielfältiges Interesse spielt hier schon eine große Rolle. Was außerdem gut für den Studiengang ist, ist wie schon vorhin angeklungen, Teamfähigkeit, auch für den Beruf später. Das würde ich jedem empfehlen. Gerade für die Offizinpharmazie sollte jede:r eine gewisse kommunikative Ader haben. Also gerne mit Menschen sprechen und eine Hinwendung zu Menschen haben. Wenn man nicht gerne mit seinen Kunden, mit seinen Patienten jeden Tag redet, wird man sicher kein guter Offizinapotheker/ keine gute Offizinapothekerin werden. Daneben ist für die wissenschaftlichen Bereiche ein analytisches logisches Denken wichtig. Grundsätzlich auch eine hohe Konzentrationsfähigkeit, eine hohe Hingabe zur Richtigkeit und Präzision. Genauigkeit spielt auch eine Rolle. Man hat eine hohe Verantwortung. Man ist verantwortlich für das Leben von Menschen, zum Beispiel in der Herstellung von Arzneimitteln. Man hat auch gewisse Privilegien, die der Staat vorsieht, aber damit auch eine hohe Verantwortung. Wenn Sie zum Beispiel Betäubungsmittel abgeben müssen – Substanzen, die andere Leute süchtig machen können – und dabei gewährleisten müssen, dass das alles richtig vonstattengeht. Also es ist eine Tätigkeit, bei der sie auch Verantwortung für andere Menschen übernehmen können müssen und damit natürlich auch ein hohes Maß an Verlässlichkeit an den Tag legen müssen. Ob das der Herstellungsprozess ist, ob das die Qualitätssicherung ist oder ob das der tägliche Job in der Offizinpharmazie ist, von Krankenhauspharmazie gar nicht zu reden, bei der sie zum Beispiel für Patienten in der Tumortherapie Zytostatika herstellen müssen, also Medikamente, die dann frisch verabreicht werden.

A. B.: Ja, toll, dass Sie das ansprechen. Das wird sicherlich dann auch im Studium betont; das Thema Verlässlichkeit und vertrauensvolles Arbeiten.

F. B.: Auf jeden Fall. Dafür sind ja auch gerade die vielen praktischen Tätigkeiten da. Das klang vorhin auch schon mal im O-Ton unserer Studierenden an; dass man zum Beispiel auch in der Protokollierung der Tätigkeit verlässlich sein muss, dass Prozesse nachvollziehbar sind, dass man eben jederzeit für das Ergebnis seiner Arbeit einstehen können muss.

C. J.: Braucht man für die Arbeit im Labor ein gewisses handwerkliches Geschick?

F. B.: Ist sicher von Vorteil. Also ich sage mal so, ich habe noch niemanden mit lauter linken Daumen an beiden Händen erlebt. Aber es gibt natürlich Leute, die erst mal nicht den theoretischen Zugang haben, sich aber dafür in der Laborsituation sehr wohlfühlen und sehr gut zurechtkommen. Also es sind schon zwei unterschiedliche Skillsets, die hier trainiert werden müssen. Und auch da gibt es taktile Leute, die eben ein bisschen steilere Lernkurve erst durchlaufen müssen, bis es alles gut und reibungslos klappt. Aber meistens ist schon das Verständnis für die Grundlage dessen, was man tut, ganz wichtig und für die Richtigkeit und Präzision am Ende entscheidend. Das heißt also ohne theoretischen Unterbau kann auch keine praktische Tätigkeit sehr erfolgreich sein.

A. B.: Eine Sache haben Sie auch schon vorhin genannt bei den Voraussetzungen, nämlichKonzentrationsfähigkeit, da habe ich mich gefragt, wie es mit dem Auswendiglernen ist? Muss man nicht auch unheimlich viel auswendig lernen in dem Feld?

F. B.: Das ist schon richtig. Es gibt natürlich sehr viel vernetztes Wissen. Wir hatten ja vorhin übers Grundstudium gesprochen. Im Hauptstudium ist es natürlich so, dass wir aus einer chemischen Richtung, aus einer pharmakologischen Richtung, aus einer klinisch pharmazeutischen Richtung, aus einer technologischen Richtung, aus einer biologischen Richtung, also aus verschiedenen Perspektiven auf ganz ähnliche Zusammenhänge schauen. Deshalb ist auch das vernetzte Lernen von Wissen wichtig. Nur so kann man das beispielsweise dem Kunden plausibel und möglichst einfach in der Apotheke wiedergeben oder es in einem anderen Berufsbild, in der Analytik zum Beispiel, entsprechend vernetzt anwenden. Das ist ganz wichtig. Es ist sicher so, dass man vieles auswendig lernen muss. Ich bin immer der Meinung, je mehr man versteht, desto sparsamer muss man mit den Ressourcen dessen, was man einfach ins Gehirn reinstopft, umgehen. Und sind wir ehrlich, dass kennt sicher jeder Schüler, jede Schülerin: DasBulimielernen kurz vor der Klausur oder kurz vorm Abitur hat noch keinem was gebracht. Es geht schon darum, es tiefer verwurzelt und strukturiert ins Gedächtnis zu bringen und dann auf diesen Grundlagen wieder die Vielfalt dessen, was jeden Tag an neuem Wissen dazukommt, einordnen zu können. Das Spannende sind ja nicht die Klassiker, die wir im Studiengang lehren, sondern das, was jeden Tag, jedes Jahr an neuen Wirkstoffen dazukommt und dann in der Apotheke genau so kompetent beraten werden muss wie das, was vielleicht vor 50 Jahren schon mal in den Markt eingeführt wurde.

A. B.: Wir haben jetzt mit Pharmazie ein Studienfach, das in einem bundesweiten zentralen Vergabeverfahren, und zwar im DOSV, dem Dialogorientierten Serviceverfahren, vergeben wird. Das Verfahren ist für die Pharmazie bundesweit und dieses DOSV ist noch mal an bestimmte Auswahlkriterien geknüpft, die ich jetzt ganz kurz benenne. Wir wollen nicht auf die Details eingehen, aber die Kriterien beinhalten natürlich die Abiturnote, und den Pharmaziestudieneignungstest. Sie können auch, wie hier in Tübingen, Dienste, Berufsausbildungen, Berufserfahrung und auch bestimmte Preise beinhalten. Wir haben zu diesem Verfahren von der Zentralen Studienberatung aus Informationsveranstaltungen. Ich werde da die Webseite später in den Shownotes verlinken und man findet auch einige Informationen auf hochschulstart.de, die werde ich auch verlinken. Jetzt wollten wir aber Sie gerne noch zum pharmazeutischen Studieneignungstest befragen. Können Sie dazu was sagen, was das für Vorteile bringt und wie das abläuft?

F. B.: Ja, sehr gerne. Wir sind ja auch nicht unschuldig an dem pharmazeutischen Studieneignungstest, kurz PhaST genannt, weil wir nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil 2017/18, für die Pharmazie einen fachspezifischen Test entwickelt haben und uns dafür sehr genau angeschaut haben, was für Eigenschaften, was für Fähigkeiten, was für Kernkompetenzen braucht man denn im Studiengang und wie können wir das in Form von solchen Fragen abbilden? Wir haben einen Testlauf des Tests, also Sie können sich jederzeit online auf den Seiten der Firma ITB auf das Fragenkonzept, anhand einer Testbroschüre einstimmen. Da gibt es jeweils Beispielfragen, die zeigen welche Fragenformate es gibt und worauf es bei den Fragen ankommt. Wir sind auch gerade dabei zu überlegen, ob es vielleicht auch andere Literatur dazu geben sollte, die wir in den nächsten, ein, zwei Jahren auflegen werden als Vorbereitungsmaterial. Es ist also durchaus so, dass das stark nachgefragt wird und man auch angeschrieben wird, wie man sich optimal auf den Test vorbereiten kann. Ich bin der Meinung, man braucht gar nicht so eine intensive Vorbereitung. Sich ein paar Wochen mal in Ruhe mit dem Format zu beschäftigen, sich Gedanken über die Fragen zu machen, sich auch Gedanken drüber zu machen: Was wird dabei geprüft, das ist eigentlich die Kernauseinandersetzung. Das sollte ausreichen. Letzten Endes sind bei den Fähigkeiten zum Beispiel räumliches Denken mit dabei. Auch die gerade schon angesprochene memorative Kapazität: Sich komplexe Datenstrukturen einzuprägen und Fragen dazu zu beantworten. Aber auch Elemente wie Textverständnis spielen eine Rolle. Die Frage, ob Sie mit Diagrammen umgehen können, ob Sie mathematische, quantitative Zusammenhänge zum Beispiel in Formeln erkennen können? Aber auch, ob Sie konzentrationsfähig sind, ob Sie in sehr kurzer Zeit innerhalb einer sehr komplexen Fragestellung, die Sie so noch nie präsentiert bekommen haben, zu einer sinnvollen Selektion einer Antwort kommen können? Das wird hier alles geprüft. Ich bin der Meinung, es ist für jeden ein sehr faires Angebot, zusätzlich zu Abiturleistung. Die Teilnahme an PhaST, lohnt sich auf jeden Fall, weil Sie hier etwa 1/4 der maximal möglichen Punktzahl aus dem Abitur schon mit einer durchschnittlichen PhaST-Teilnahme erreichen können. Wenn Sie natürlich ganz schlecht sind, sind es weniger Punkte, ist klar, aber die statistische Chance, sich zu verbessern im Ranking ist gegeben und ich glaube, dass das auch einen spannenden Zugang zum Studiengang eröffnet. Übrigens haben wir für das kommende Wintersemester, also 2022/23, zum Ersten Mal Studienplätze, die nur nach dem PhaST vergeben werden und ab dann natürlich dauerhaft.

A. B.: Das heißt also, um das auch noch mal konkret zu machen: Das ist keine Pflicht, aber es ist empfehlenswert? Und wie und wann wird er dann durchgeführt? Können Sie das noch kurz umreißen?

F. B.: Sehr gerne. Also wir haben momentan vier Testtermine pro Jahr. Drei davon im Frühjahr/Sommer. Das heißt also typischerweise Ende April, Ende Mai, Ende Juni, sodass es für alte Abiturienten, die sich bis Ende Mai bewerben müssen, aber auch für neue Abiturienten, die dann vielleicht gerade noch im Abitur stecken, Termine gibt, am Test teilzunehmen. Mittlerweile gibt es so zwischen acht und zwölf Standorte, an denen der Test absolvierbar ist. Der Test wird an dem Computer, also digital, durchgeführt, aber in einem Testzentrum überwacht und unter standardisierten Bedingungen, damit eben eine echte Vergleichbarkeit gegeben ist. Und am Ende bekommen Sie Ihr Testzertifikat mit einer Nummer verschlüsselt, sodass Sie sich Ihre Punktzahl nicht frei aussuchen können, die sie dann bei hochschulstart eingeben. Und mit diesem Testzertifikat gehen Sie in den Bewerbungsprozess. Im Winter/Spätherbst haben wir dann typischerweise noch mal einen Termin, das heißt Ende November/Anfang Dezember ist noch mal einer. Der ist für Tübingen jetzt nicht ganz so relevant, weil wir nur einmal im Jahr, also nur zum Wintersemester zulassen. Aber es kann ja durchaus auch Leute geben, die zum Beispiel in einem Dienst stecken und sagen für die nächste Bewerbungskampagne fürs darauffolgende Wintersemester möchte ich schon mal im November oder Dezember teilnehmen, wenn ich gerade eben keine andere Belastung habe, sondern mich darauf einstellen kann, mich vorbereiten kann.

C. J.: Kann man den Test mehrfach machen?

F. B.: Man darf den Test einmal pro Kalenderjahr machen. Das haben wir extra so konzipiert, damit es fair zugeht und nicht derjenige, der sich die Testgebühr von 75€ pro Testteilnahme mehrfach leisten kann, einen Vorteil hat. Wir möchten, dass man einmal pro Bewerbung teilnimmt. Allerdings ist uns auch klar, dass es sein kann, dass jemand mal eine ganz schlechte Tagesform hat, vielleicht Kopfschmerzen oder ähnliches und dann danach mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist. Und sollte der in dieser Bewerbungsrunde nicht zum Zug kommen, hat er auch für das nächste Jahr wieder eine neue Chance.

A. B.: Gut, ich glaube, dann sind wir da ganz gut im Bilde. Wenn man dann das Studium begonnen und absolviert hat, dann bleibt noch die Frage: Wo möchte ich denn damit hin? Wir haben unsere Tübinger Studierenden natürlich auch gefragt, was sie denn so für Berufsvorstellungen haben.

Berufsperspektiven (37:16)

Studi 1: Was ich nach dem Studium beruflich machen möchte, weiß ich noch gar nicht genau. Eigentlich stehen einem alle Türen offen. Ich kann mir sehr gut eine Krankenhausapotheke vorstellen. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, noch den Master „Pharmaceutical Sciences and Technologies“ an der Uni Tübingen zu machen.

Studi 2: Also persönlich finde ich die Forschung sehr interessant. Während der Famulatur – das sind zweimal jeweils vier Wochen im Grundstudium, in denen man ein bisschen Berufserfahrung sammeln kann – war ich vier Wochen in der Krankenhausapotheke und das hat mich auch wirklich sehr interessiert. Also da wurden zum Beispiel auch Zytostatika hergestellt für Krebspatienten und Krebspatientinnen. Und ja, wer weiß, vielleicht zieht es mich ja auch in die Richtung.

Studi 3: Was ich nach meinem Studienabschluss machen will, weiß ich noch nicht so ganz. Ich würde am liebsten erst mal an der Uni bleiben, vielleicht in die Forschung gehen, weil ich das universitäre Flair einfach extrem angenehm finde. Aber Pharmazie bietet einem natürlich viele Möglichkeiten von der öffentlichen Apotheke über das Krankenhaus, in die Pharmaindustrie bis hin zur Forensik. Also da kommt es eigentlich nur auf die eigenen Ambitionen an.

Studi 4: Das weiß ich noch nicht ganz genau, aber das macht mir keine Sorgen. Was ich mir aber vorstellen kann, ist, dass ich weiterhin mit Köpfchen an naturwissenschaftlichen oder medizinischen Themen arbeite, wie beispielsweise in der Klinikapotheke, wo ich in der Arzneimittelinformation Probleme bei der Dosierung und Applikation von Medikamenten lösen muss oder im „Antibiotic Stewardship“, wo ich für jeweilige Erreger dann geeignete Therapien finden müsste.

Studi 5: Ja, ich muss ehrlich sagen, dass ich noch gar nicht ganz genau weiß, was ich danach machen möchte. Man hat ja echt viele Möglichkeiten. Also viele wollen ja auch zum Beispiel in die Apotheke. Ich muss ehrlich sagen, dass ich da noch gar nicht ganz genau weiß, ob ich das möchte. Wir haben ja auch die Möglichkeit, im Anschluss noch den Master „Pharmaceuticals Science and Technologies“ zu machen. Man könnte auch promovieren oder im Anschluss dann auch in die Industrie gehen. Wie gesagt, die Türen stehen einem ja weit offen. Ich bin echt gespannt, wo ich dann in ein paar Jahren landen werde.

C. J.: Wir haben jetzt im Verlauf unseres Gesprächs glaube ich schon von sehr vielen Berufsfeldern gehört und jetzt gerade auch noch mal. Haben Sie denn persönlich den Eindruck, dass es Bereiche gibt, in die überdurchschnittlich viele Studierende gehen wollen?

F. B.: Also es gibt natürlich einen sehr aktiven Markt, die Offizinpharmazie, in den die Leute aufgrund des dritten Abschnitts der pharmazeutischen Prüfungen mindestens ein halbes Jahr im Praktikum rein müssen.

C. J.: Ganz kurz, weil der Begriff jetzt schon so oft gefallen ist, könnten Sie noch einmal kurz definieren, was denn die Offizinpharmazie genau ist?

F. B.: Eine normale niedergelassene Apotheke, die jeder so im Stadtbild kennt, in die man reingeht, beraten wird, in der auch bestimmte Dienstleistungen angeboten werden und vor allen Dingen die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sichergestellt wird. Bei der Krankenhauspharmazie hingegen lernt man die Leute meist nicht selbst kennen, sondern entwickelt im Kontakt mit den Ärzten in den jeweiligen Abteilungen, zum Beispiel Therapiepläne, oder muss die Versorgung in den Kliniken sicherstellt, oder die Herstellung von komplexeren Arzneimitteln für die klinische Anwendung übernehmen. Also Offizin heißt immer niedergelassene Apotheke, so wie man es im Stadtbild kennt. Da ist statistisch die Offizinpharmazie natürlich ein Schwamm, kann man sagen, der unsere Absolventen gerne aufsaugt, weil ein sehr großer Bedarf da ist. Aber man sieht auch, gerade in den letzten Jahren, etwa wenn man die letzten fünf Jahre nimmt, dass es im Bereich der pharmazeutischen Industrie, im Bereich von Behörden, Körperschaften, von Lehranstalten, Berufsschulen, von Universitäten ein sehr viel größeres Stellenangebot gibt, als nur in der Offizinpharmazie. Das heißt, es gibt hier auch eine sehr große Nachfrage nach Absolventinnen und Absolventen. Natürlich ist man in einer Spezialisierung etwas stärker gefragt, wenn man vielleicht noch den Master – oder in manchen Tätigkeitsfeldern eine Promotion vorzuweisen – hat. Das heißt, das ist dann natürlich auch eventuell ein gewisses Commitment von zusätzlichen Jahren, die man in seine akademische Ausbildung investiert, um in den einen oder anderen spezialisierten Beruf zu kommen.

C. J.: Für welche konkreten Berufsfelder bräuchte ich beispielsweise einen Master oder eine abgeschlossene Promotion?

F. B.: Für Tätigkeit in der Industrie, in der Forschung, in der Herstellung, natürlich alles, was mit Lehre zu tun hat. Es ist mit Sicherheit auch in der Krankenhauspharmazie nicht schädlich nicht nur den Master, sondern dann auch noch die Promotion dranzuhängen. Genauso wie natürlich in der Forschung grundsätzlich.

A. B.: Geht die Promotion in der Pharmazie gar nicht direkt nach dem Staatsexamen?

F. B.: Wir empfehlen dringend den Master zwischenzuschalten. Das zusätzliche zeitliche Investment, das man hat, ist sehr klein. Man vertieft sehr stark, weil einem eben ein Jahr Grundstudium im Master bereits anrechenbar ist, weil man – mit dem Staatsexamen in Pharmazie – einen 4-jährigen Abschluss statt einem 3-jährigen Bachelorabschluss hat. Dementsprechend spart man sich das Grundstudium im Master, kann direkt in die Vertiefung einsteigen und damit natürlich auch das nachholen, was viele an Wahlfreiheit zum Teil dann im Hauptstudium und im Grundstudium vermissen. Man kann sich dann in eine bestimmte Richtung spezialisieren und lernt in der Masterarbeit eben das wissenschaftliche Arbeiten selbst kennen: Auch alle Höhen und Tiefen, die das wissenschaftliche Arbeiten mit sich bringt, auch alle Frustrationen, die es haben kann. Aber eben auch die Freude, wenn was funktioniert. Und das ist eigentlich wie eine hervorragende Generalprobe für eine Promotion, bei der man sich dann eben drei, vier Jahre auf ein wissenschaftliches Thema einlässt. Von daher ist sowohl für den, der die Promotion anbietet, als auch für den, der sie nachfragt, eigentlich eine Masterarbeit eine hervorragende Generalprobe.

C. J.: Fallen Ihnen ein paar eher außergewöhnliche Berufsfelder oder auch konkrete Jobs ein, in denen beispielsweise Tübinger Pharmaziestudierende, oder Leute aus Ihrem Netwerk, bereits gelandet sind?

F. B.: Auf jeden Fall, zum Beispiel in der Verwaltung, in Ministerien oder beispielsweise in der Unternehmensberatung, in Wissenschaftsredaktionen, oder im Verlagswesen. Nicht nur bei den klassischen pharmazeutischen Printmedien, sondern auch, wenn es um Bücher geht – nicht nur Lehrbücher. Die Bundeswehr ist natürlich ein Thema, das immer schon für den Sanitätsdienst ein wichtiges Anwendungsfeld ist, auch für Pharmazeuten. Und darüber hinaus gibt es natürlich sehr viele Spielarten der Tätigkeiten in der pharmazeutischen Industrie. Pharmazeutische Industrie ist mit Sicherheit eines der Wachstumsfelder, in dem viele neue Jobs angeboten werden und Pharmazeuten auch dringend gesucht werden.

A. B.: Nach wie vor ja.

C. J.: Klingt alles so, als wäre man, was die Berufsoption angeht breit aufgestellt und auf der sicheren Seite, wenn man das Pharmaziestudium abgeschlossen hat.

F. B.: Und das ist eben das schöne an der Kombination von Approbation und dem Master. Man hat alle flexiblen Möglichkeiten auch noch zu einem sehr späten Zeitpunkt und man hat es gerade bei den Studierenden ja auch gehört, manche Leute sind im Hauptstudium und sagen: Ich überlege mir jetzt, was ich gerne mit meinem Leben anfangen will. Und ich glaube, das ist ein sehr hohes Gut zu sagen: Man hat immer noch die Flexibilität, sich später für einen bestimmten Vertiefungsweg zu entscheiden und das dann zum eigenen Beruf zu machen. Und sind wir ehrlich, die Zufriedenheit im Beruf ist das Entscheidende für die Berufswahl.

C. J.: Definitiv.

A. B.: Das sehe ich auch so, ja.

C. J.: Ich glaube, dann habe ich eigentlich erst mal keine Fragen mehr soweit. Alex, wie ist es bei dir?

Insider-Tipps (45:03)

A. B.: Nein, ich habe jetzt eigentlich nur noch unsere Rubrik „Insider-Tipps“ auf dem Plan. Herr Böckler, haben Sie noch irgendwelche Tipps für diejenigen, die sich jetzt ganz besonders für das Fach interessieren, um da weiter einzusteigen?

F. B.: Ich nenne da sehr gerne die Sachen, die sehr leicht von den Zuhörerinnen und Zuhörern tatsächlich realisierbar sind. Ich bin der Meinung, es ist auf jeden Fall hilfreich, mal in der lokalen Apotheke vorbeizuschauen und mit der Apothekerin/dem Apotheker zu reden, sich anzuschauen, wie dort das Berufsfeld in der Offizin aussieht. Andere Tätigkeitsbereiche sind natürlich ein bisschen schwieriger einzusehen, aber vielleicht gibt es auch Leute, die hier Kontakte haben. Bezüglich des Studiums rate ich sehr gerne dazu, mit unserer Fachschaft Kontakt aufzunehmen. Ich bin der Meinung, Studierende können viel authentischer wiedergeben – wie sie es ja in den O-Tönen auch gezeigt haben – was das Studium wirklich ausmacht. Das sind Kontakte, die wir sehr gerne herstellen. Gerade unsere Tübinger Fachschaft ist da im höchsten Maße engagiert und dafür sind wir auch sehr dankbar. Daneben darf ich auch noch darauf hinweisen, dass wir gerade dabei sind in Tübingen ein Online Self-Assessment zu gestalten, das unter osa-farm.de in wahrscheinlich zwei, drei Monaten online gehen wird. Momentan ist es noch nicht verfügbar, aber ab Sommer 2022 sollte es dann verfügbar sein. Und da werden auch Ihnen, den Zuhörerinnen, Zuhörern, die sich dafür interessieren, die grundsätzlichen Fragestellungen des Pharmaziestudiengangs präsentiert. Sie können selbst ihre Neigungsfelder identifizieren, auch welche Inhalte wie stark im Studiengang vertreten sind. Das, was wir hier zum Teil ja nur anreißen konnten, selbst noch mal für sich erlebbar machen. Und auch das wäre eine Möglichkeit, sich dem Studiengang und seinen Inhalten anzunähern.

A. B.: Das sind ganz hilfreiche und sicherlich auch praktikable Tipps. Haben Sie noch irgendwas, was Sie jetzt den Hörerinnen und Hörern mit auf den Weg geben möchten?

F. B.: Wenn Sie Freude an Naturwissenschaften haben und das ganze mit einer Anwendungsorientierung für oder am Patienten verbinden möchten, ist das Pharmaziestudium mit Sicherheit die richtige Wahl. Dann freuen wir uns auf Sie als Bewerberinnen und Bewerber und Studierende in Zukunft hier in Tübingen.

C. J.: Das ist ein schönes Schlusswort.

A. B.: Genau das nehmen wir als solches. Und dann bleibt mir nur noch, Ihnen ganz herzlich zu danken, dass Sie hier waren, Herr Böckler.

F. B.: Sehr gerne. Es war eine große Freude. Und auch ich stehe natürlich gerne für Fragen von Zuhörerinnen und Zuhörern unter der Emailadresse, die Sie sicher auch in den Podcast mit integrieren werden, zur Verfügung.

A. B.: Gut, mache ich gerne. Ja, dann vielen Dank, Herr Böckler. An die Hörerinnen und Hörer, wenn ihr euch gerne zurückmelden möchtet mit Kritik, mit Feedback oder Fragen, dann schreibt uns gerne an hochschulreif@uni-tueningen.de. Und ansonsten bis zur nächsten Folge.

C. J.: Tschüss und bis zum nächsten Mal.

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Frank Böckler über die folgenden Themen: 
01:25 Persönliche Motivation
07:32 Studieninhalte
22:14 Persönliche Voraussetzungen
37:16 Berufsperspektiven
45:03 Insider-Tipps

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #07: Empirische Kulturwissenschaft

Was ist Kultur und wie kann man sie wissenschaftlich untersuchen? Wie gelingt der Blick hinter unseren Alltag? Welchen Beitrag kann die Kulturwissenschaft für eine moderne Gesellschaft leisten? Und wo arbeiten Kulturwissenschaftlerinnen ganz konkret? Diese und viele weitere Fragen rund ums Studium der Empirischen Kulturwissenschaft beantwortet Dr. Gesa Ingendahl in unserer siebten Folge von „hochschulreif“. Und auch Tübinger Studierende verraten, was ihnen am besten am Fach gefällt und wie ihre Berufswünsche aussehen.

Listen
Alexandra Becker (A. B.): Herzlich Willkommen bei „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch auch heute wieder ein Studienfach vor, damit Ihr wisst, was Euch in diesem Studium erwartet. Diesmal geht es um das Fach Empirische Kulturwissenschaft. Dafür sitze ich heute nicht mit meinem Kollegen Christoph Jäckle hier, denn Christoph ist zurzeit leider ohne Stimme. Da wir in den letzten Wochen aber wirklich Pech hatten mit unserer Terminfindung, haben wir uns entschlossen, dass wir heute trotzdem eine Folge für Euch aufzeichnen. Dafür habe ich eine Fachexpertin hier im Studio, nämlich Frau Dr. Gesa Ingendahl. Frau Ingendahl ist akademische Oberrätin am Ludwig Uhland Institut hier in Tübingen und zudem Studienfachberaterin für Empirische Kulturwissenschaft. Guten Morgen, Frau Ingendahl!

Dr. Gesa Ingendahl (G. I.): Schönen guten Morgen, Frau Becker!

A. B.: Ich freue mich sehr, dass Sie heute da sind. Ich würde sagen, wir steigen mit der Frage ein, die wir im Vorfeld immer an die Studierenden richten, nämlich mit der Frage, warum deren Studienwahl auf die Empirische Kulturwissenschaft gefallen ist.

Persönliche Motivation (00:53)

Studi 1: Ich habe mich für das Fach entschieden, weil ich es unglaublich spannend finde, unser gesellschaftliches Zusammenleben, unseren Alltag, der uns so selbstverständlich erscheint, aus einer wissenschaftlichen Perspektive zu hinterfragen.

Studi 2: Ich habe mich für die Empirische Kulturwissenschaft als Studiengang entschieden, da ich mich schon immer sehr für Themen wie Mode, Musik oder Subkulturen interessiert habe und was das mit uns als Gesellschaft macht.

Studi 3: Ich bin eher zufällig zu dem Studienfach gekommen. Ich brauchte zu Beginn meines Studiums noch ein Nebenfach und war dann das erste Semester über erstmal irritiert. Ich habe dann aber im zweiten Semester gemerkt, dass diese Irritation eine totale Bereicherung für mein Weltbild ist und mich dann entschieden, die EKW ins Hauptfach zu nehmen.

Studi 4: Entschieden habe ich mich für das Fach, weil das Fach, als ich es am Studieninfotag kennengelernt habe, spannend klang. Ich konnte mir aber nicht so viel darunter vorstellen. Ich war dann so neugierig, dass ich wissen wollte, was genau sich dahinter verbirgt.

Studi 5: Ich habe mir nach dem Abi echt lange überlegt, was ich machen soll, und habe erstmal einen Freiwilligendienst gemacht und gemerkt, meine Interessen sind breit gefächert. Da ist die Kulturwissenschaft perfekt als ein Fach, das den Alltag untersucht.

A. B.: Wir haben ganz unterschiedliche Motivationen gehört. Frau Ingendahl, mit welcher Vorstellung kommen denn die meisten Erstsemesterstudierenden Ihrer Erfahrung nach in das Fach und wird das dann in der Regel eingelöst oder eher gebrochen?

G. I.: „In der Regel“ und „die meisten“, das ist schon der Punkt, wo es eigentlich keine Regeln und die meisten gibt. Die Zugänge zur EKW – EKW heißt Empirische Kulturwissenschaft, ich werde wahrscheinlich in dem Gespräch öfters EKW sagen, das ist die gängige Abkürzung – sind fast so vielfältig wie das, was man dann damit machen kann. Klar gibt es die Vorstellung, das ist irgendetwas mit Kultur. Oder es gibt auch schon den Wunsch, dass es ein Studienfach ist, in dem man Kulturmanagementtechniken erlernt. Der häufigste Wunsch, warum man zur EKW kommt, ist tatsächlich, weil Wörter wie Kultur, Alltag und Diversität eine ganz große Rolle spielen, aber in der Regel noch nicht genau gewusst und verstanden wird, wie das denn jetzt wissenschaftlich erforscht werden kann.

A. B.: Was sind denn Fragen, die man sich aus ihrer Sicht stellen sollte, bevor man sich für das Studium entscheidet? Also gibt es da etwas, was man für sich klären sollte?

G. I.: Nein. Also das Fach EKW ist ein Fach, in dem man neugierig sein sollte. Das ist eine wichtige Voraussetzung. Und zwar neugierig sein auf etwas, von dem man noch keine Ahnung hat, was es sein kann. Offen sein ist auch von Bedeutung. Wenn man dann ein bisschen verstanden hat, was Alltag überhaupt ist, nämlich Alltag als Gewohnheiten, als Routinen, als das, worüber man im Normalfall überhaupt gar nicht nachdenkt. Und wenn man versteht, dass man dazu forschen und studieren kann, dann ist das, glaube ich, die größte Überwindung oder die größte Hürde. Wie wichtig Alltag und das Selbstverständliche ist, das haben wir während Corona massiv gemerkt, weil das eine Einschränkung, eine Veränderung war, die tief in unseren Alltag eingegriffen hat. Zum Beispiel, dass man alles nur noch digital machen musste und dann bei sich erst mal im Körper gemerkt hat, wie wichtig es ist, tatsächlich körperlich miteinander in einem Raum zu sitzen. Wie jetzt auch. Ja, das merke ich immer noch.

A. B.: Ja, das ist korrekt. Wir sitzen immer noch in getrennten Räumen. Das heißt, das ist natürlich anders, als wirklich eins zu eins gegenüber miteinander zu sprechen. Für uns auch. Da sind wir mit dieser Situation mitten in der Empirischen Kulturwissenschaft, wie ich schon höre. Wie ist es denn bei Ihnen gewesen, wie kamen Sie denn zur Empirischen Kulturwissenschaft?

G. I.: Ich gehöre zu denen, die Quereinsteiger:innen sind. Das gibt es bei uns sehr häufig. Dadurch, dass wir kein Schulfach sind, kennen viele Leute das Fach nicht, wenn sie anfangen zu studieren. Und bei mir war es auch so, dass ich nach der Schule meine zwei Leistungskurse studieren wollte, Geschichte und Französisch. Dann habe ich schnell gemerkt, dass das Fach Französisch für mich nicht in Frage kam, war dann bei der Studienfachberatung und die haben mich gefragt, was mich denn so interessiert. Dann habe ich gesagt: „Naja alles, was mit Alltag zu tun hat und mit Vergangenheit und wie das überhaupt dazu kommt, dass wir heute so einen Alltag haben, wie wir ihn haben”. Ich war damals in Münster, da hieß das Fach Empirische Kulturwissenschaft noch Volkskunde. Und die haben gesagt: „Dann gehen Sie doch mal zur Volkskunde“. Das war der Anfang einer großen Liebe, die mich nach Tübingen geführt hat, ans Ludwig-Uhland-Institut, was damals und auch heute noch einen guten Ruf in unserer Fächerlandschaft hat. Unser Fach heißt Empirische Kulturwissenschaft hier in Tübingen, aber zum Beispiel in Göttingen Kulturanthropologie oder in Berlin Europäische Ethnologie. Es ist aber alles diese spezifische Art von Alltagskulturwissenschaft, die sich darum bemüht, unsere eigene Gesellschaft und unseren Alltag, unsere Selbstverständlichkeiten und Routinen zu hinterfragen, wo die herkommen. Das ist einfach das, was mich fasziniert hat von Anfang an. Diese Möglichkeit zu verstehen, dass alles, was in unserer Gesellschaft passiert und wie wir miteinander umgehen als Menschen – jetzt nicht nur in Deutschland, sondern das ist dann weltweit Kultur – dass dieses Phänomen Kultur nicht vom Himmel fällt, sondern gemacht ist, und zwar durch das Zutun und miteinander Tun von den Menschen. Kultur, sagt man im ganz Kurzen, ist das, wie Menschen was machen, wenn sie was machen. Es geht um Alltagshandlungen: Wie wir uns miteinander verbinden und kommunizieren, wie wir uns abgrenzen voneinander, wie wir versuchen, eigene Gruppen zu bilden und uns miteinander in irgendeiner Form zu verhalten.

A. B.: Da haben wir jetzt eigentlich schon einen guten Einblick in die erste Definition, wie Kultur verstanden wird im Fach. Jetzt heißt der Studiengang Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen. Was heißt denn empirisch? Was an dem Studienfach ist empirisch?

G. I.: Also das Wort empirisch hat in letzter Zeit eine sehr einseitige Karriere gemacht, weil es manche Fächer gibt, die empirisch ausschließlich mit statistischen Erhebungen in Verbindung bringen. Auch da geht man zu den Menschen, erhebt Material mit ihnen zusammen, indem man sie was fragt, abfragt, Fragebögen erstellt oder etwas zählt.

A. B.: Da muss ich gestehen, das war auch so meine erste Idee von empirisch.

G. I.: Genau. Und das ist auch eine Form von empirisch, aber eben nicht die einzige. Die andere Form von empirisch ist diese Art von Erfahrung nicht über Standardisierung und über Statistik zu erreichen, sondern über qualitative Sozialforschung, indem wir mit den Menschen reden, sie reden lassen vor allen Dingen, sie beobachten bei ihrem Alltagshandeln. Sie reden lassen, möglichst breit und möglichst ausführlich, aus dem Grund, weil im ausführlichen Reden, wenn sie uns etwas erzählen, dann beginnen sie, uns ihre Weltsicht zu erläutern. In dieser Weltsicht ist immer die Perspektive enthalten, wie soll etwas sein, wie macht etwas Sinn, wenn ich mich so verhalte, wie ich mich verhalte, wenn ich so denke, wie ich denke. Diese Sinnhorizonte, so nennen wir das, die geben Aufschluss auf kulturelle Ordnungen. Auf jeden Fall ist das eine Art von Empirie, die erfahrungsgeleitet ist. Aus dieser erfahrungsgeleiteten Sichtweise, die wir darauf haben und die, die Menschen, die wir fragen, haben, daraus generieren wir dann Theorien.

A. B.: Da schauen wir uns auf jeden Fall nochmal konkrete Beispiele an. Und damit man sich so ein bisschen vorstellen kann, wie denn das Studium des Faches aussieht, haben wir Studierende gefragt, wie denn deren typische Studienwoche so abläuft. Da hören wir mal rein.

Studieninhalte (10:27)

Studi 1: Eine typische Stundenwoche verbringe ich eigentlich im LUI. Das ist unser Institut, das Ludwig-Uhland-Institut und in der Wilhelmstraße, weil da die Neue Aula ist, in der Vorlesungen stattfinden und die Bibliothek.

Studi 2: Eine typische Woche besteht aus mehreren Seminaren zu Themen, die einen interessieren und außerdem so ein bis zwei Vorlesungen. Wir lesen recht viel, teilweise auch anspruchsvolle Texte, dann als Vorbereitung für kleinere empirische Forschungen. Und in manchen Seminaren geht man auch auf Exkursionen.

Studi 3: Im Vergleich zur Schulzeit habe ich relativ wenig Wochenstunden, im Schnitt vielleicht so 8 bis 12. Dafür habe ich einiges zu lesen, um die Seminare gut vorzubereiten. Das kann mitunter auch sehr anstrengend sein, ist aber meistens sehr lohnend, weil dadurch die Seminardiskussionen sehr spannend sind und natürlich auch der Austausch mit den KommilitonInnen davor und danach.

Studi 4: Eine typische Studienwoche heißt bei uns, dass man gar nicht so viel Zeit in Vorlesungen verbringt, aber viel Zeit im Selbststudium. Das heißt, dass man Texte liest, dass man mal in der Bibliothek ist, dass man eigene Forschung macht und zum Beispiel Leute interviewt und beobachtet oder auch mal ins Archiv geht und da forscht.

A. B.: Da haben wir schon einen ganz schönen Einblick bekommen. Aber einmal für den Überblick, Frau Ingendahl, mit welchen Bereichen beschäftigt man sich im Studium, so grob erst mal?

G. I.: Also die Themen, die wir anbieten in den Modulen – also ich nenne jetzt einfach mal die Modultitel – das sind: Kulturanalyse, das sind die kulturtheoretischen und methodischen Einblicke, dann die Kulturen Europas und der Regionen, jüdische Lebenswelten und Populärkultur. Es geht viel um sammeln und präsentieren. Das sind so die Oberthemen.

A. B.: Und haben Sie Beispiele, was man da so macht? Wie ich das rausgehört habe, gibt es einmal Bereiche, wo man sich erst mal Überblickswissen aneignet, wo man auch die Methoden erlernt, aber auch ganz regionale Einteilungen. Sie haben einmal den europäischen Raum genannt. Haben Sie da konkrete Einzelbeispiele, wie man sich das dann vorstellen kann in diesen Bereichen?

G. I.: Also ich probiere es mal jetzt vom Lehrprogramm des Sommersemester 2022 ausgehend. Da gibt es Seminare, zum Beispiel wird es ein Exkursionsseminar geben nach Oberammergau. Das ist dieser Passionsfestspiel-Wallfahrtsort, in dem alle paar Jahre die ganze Dorfbevölkerung aufgerufen ist, an einem Passionsfestspiel teilzunehmen.

A. B.: Ja, alle zehn Jahre. Und ich habe Karten für diesen Sommer.

G. I.: Das ist das Spannende, wie im Jahre 2022 das Mittelalter aufgeführt wird. Das heißt, was für eine Perspektive man von heute auf das Mittelalter hat oder was man denkt und meint, was man mit diesem Passionsfestspiel in die Welt tragen will. Das ist das Eine, also wie wird das praktisch übersetzt ins Heute. Und das andere ist, wie die ganze Bevölkerung sozusagen zehn Jahre darauf hinlebt. Angefangen dabei, dass Männer ihre Bärte wachsen lassen müssen, aber auch die Arten und Weisen, wie da Gemeinschaften entstehen, indem klar ist, dass 25 Menschen aus dem Dorf irgendeine Gruppe spielen und das schon seit Jahren üben. Dieses Festspiel strukturiert die gesamte Dorfgemeinschaft und das wird untersucht werden. Da werden die Studierenden mit den Verantwortlichen, mit den Schauspielenden in Kontakt treten. Sie werden auch selbst dabei sein und schauen, wie das Publikum sich verhält. Das wird alles in diesem Exkursionsseminar untersucht werden. Das ist zum Beispiel ein Seminar. Dann gibt es ein ganz anderes, das beschäftigt sich mit der Tübinger Technikgeschichte, also tatsächlich im Großen mit diesem Thema Cyber Valley bei uns in Tübingen mit der KI (künstliche Intelligenz). Was passiert in einer Stadt, wenn technische Instrumente in die Stadtgesellschaft eingreifen? Ob das jetzt Ampeln sind oder Telefone.

A. B.: Geht es in der EKW um ganz aktuelle Entwicklungen auch innerhalb von Tübingen? Das wäre dann regional.

G. I.: Die EKW schaut immer von heute, immer von aktuellen Themen aus und versucht da einen Zugang zu finden, um diese aktuellen Themen erforschen zu können. Da muss man praktisch am Fall anfangen.

A. B.: Da habe ich tatsächlich eine Nachfrage. Wie kommt man denn dann an historisch vergangene Zeiten? Also das ist oder kann, wenn ich das richtig verstanden habe, auch ein Untersuchungsgegenstand sein. Wie funktioniert das denn?

G. I.: Das kann ich auch an einem Seminarbeispiel erläutern. Da geht es um 50 Jahre Club Voltaire, das ist das lokale soziokulturelle Zentrum.

A. B.: Mitten in der Altstadt, hier in Tübingen.

G. I.: Ein kleiner Club, der aber wirklich seit 50 Jahren Kleinkunst macht und das lokale Leben, das lokale Kulturleben prägt. Da wird so vorgegangen werden, dass die vielen schriftlichen Dokumente, die es seit 50 Jahren gibt, untersucht werden, ob das jetzt Plakate sind oder Aufschriebe von Diskussionen, von Vereinsorganisationen oder vom Plenum. Diese archivalischen Dokumente werden als Material genommen. Es wird geschaut, wie die aussehen, was da drinsteht, aber eben nicht nur auf der inhaltlichen Ebene, sondern immer auch auf der Ebene, wie sind sie gestaltet und an wen sind sie gerichtet. Dann werden aber auch die Menschen, es gibt noch viele Menschen, die seit der Gründung dabei sind, befragt. Die werden in sogenannten biografischen Interviews befragt, damit sie möglichst viel aus diesen ganzen 50 Jahren aus ihrer Sicht erzählen. Und diese vielen verschiedenen Perspektiven von den Quellen und von den verschiedenen Menschen werden dann zusammengeführt und daraus wird dann eine Analyse entwickelt.

A. B.: Darf ich noch mal auf die Methoden zurückkommen? Ich habe schon notiert, Interviews sind eine der Methoden, die man sich konkret vorstellen kann für qualitative Analysen, das haben Sie schon gesagt. Dann auch Materialsichtung und Beobachtung als Methoden. Können wir noch mal zusammenfassen, was die Kernmethoden sind des Faches?

G. I.: Genau, Interviews sind eine wichtige Geschichte in alle möglichen Richtungen. Also da gibt es die unterschiedlichsten Untergruppen von Interviews, ich habe biografische Interviews schon genannt. Es gibt aber auch sogenannte nur narrative oder situationsgebundene Interviews. Das lernt man alles ab dem ersten Semester, die Unterschiede und wie man die dann entwickelt. Das Wichtigste ist immer die Eingangsfrage, also wie kriegt man die Leute zum Reden, so wie Sie auch heute versuchen, mich zum Reden zu bekommen.

A. B.: Ja, ich sehe. Ich reflektiere gerade schon.

G. I.: Beobachten, das nennt man teilnehmende oder auch stille Beobachter, da gibt es verschiedene Formate. Die teilnehmende Beobachtung, das ist diejenige, die wir aus der Ethnologie und aus der Sozialanthropologie abgeschaut haben. Von der Ethnologie her sind sie gerne in Völker und Gesellschaften gegangen, die sie gar nicht kannten, die so fremd waren wie nur irgendwie möglich. Auf jeden Fall haben wir das von der Ethnologie abgeschaut, dass wir „going native” sozusagen in die Gesellschaft reingehen. Das ist die teilnehmende Beobachtung, dass wir also zum Beispiel Teil einer Gruppe, die wir untersuchen möchten, sind. Beim Club Voltaire, was ich eben angesprochen habe, wenn wir da jetzt eine teilnehmende Beobachtung machen wollten, dann müssten wir uns mindestens ein halbes Jahr in deren Plenumsveranstaltungen, Versammlungen, in die Kommunikation im Büro, in die Art wie der Club Voltaire funktioniert, praktisch hineinhören oder bei Oberammergau müssten wir praktisch mitspielen. Das ist teilnehmende Beobachtung. Man kann aber auch eine stille Beobachtung machen, indem man sich zum Beispiel für ein anderes Thema, wie Fahrradfahren in Tübingen, interessiert. Da kann man sich wunderbar an den Anfang der Fahrradstraße in der Innenstadt stellen, an die Karlstraße und einfach stundenlang schauen, wer da mit wem wie zusammentrifft und auseinanderfällt, während da ein Fahrrad durch die Straße fährt. Die Straße ist ein Shared Space. Die Fußgänger zum Beispiel finden, diese Straße ist ihre Straße und die Fahrradfahrenden empfinden das aber auch. Was dann passiert, das kann man sich einfach mal ein paar Stunden anschauen. Das wären andere Formen von Beobachtung. Und die dritte Methode ist die Dokumentenanalyse. Das ist, ins Archiv zu gehen und nach bestimmten Kriterien dort Inhalte zu erheben und zu schauen, wie alles mit einem Sinn versehen wird. Das sind die drei hauptsächlichen Methoden.

A. B.: Da lassen sich auch schon gut die Schnittstellen zu anderen Fächern erkennen. Ethnologie haben Sie gerade schon genannt. Ich muss da auch an die Soziologie denken. Das wäre auch interessant zu wissen, was machen die anders? Wie kann man die Fächer abgrenzen von der Empirischen Kulturwissenschaft?

G. I.: Sie haben gerade die Soziologie genannt. Das ist ein Fach, mit dem wir viel zu tun haben. Wir haben auch öfters Kooperationsveranstaltungen. Viele von den Sozialtheorien, die in der Soziologie entwickelt worden sind, können wir auch verwenden als Werkzeuge für unsere Interpretation. Die Soziologie forscht mittlerweile auch sehr viel häufiger mikroperspektivisch, wie wir das machen. Unser Königsweg ist, vom Fall auszugehen, von der kleinen Gruppe auszugehen und da dann uns mit den Menschen, die diese Gruppe bilden, zu beschäftigen. Bei der Soziologie ist der Fokus auf der Gruppe. Die gehen mehr von der Struktur her, von der schon etwas abstrakteren Ebene einer Gesellschaft aus und da dann auf die Gruppenstruktur und Gruppenfunktionen. Wir nehmen die Erkenntnisse, die sie haben, über diese Gruppenfunktionen und wie das alles miteinander zusammenhängt und wir schauen, wie ist der Umgang der einzelnen Menschen wiederum mit diesen Strukturen.

A. B.: Also die Perspektive ist einfach eine andere. Und in der Ethnologie?

G. I.: Die Ethnologie, muss ich sagen, die hat sich auch verändert. Also dieses „möglichst weit weg“ ist immer noch ein großes Thema, aber die Ethnologie schaut auch öfters “at home”. Die sind mittlerweile häufiger in Gruppen und sozialen Strukturen unterwegs, zum Beispiel in migrantischen Strukturen, die hier in Deutschland stattfinden. Das machen wir auch, aber wir untersuchen die dann nicht als Fremde an, sondern sie sind einfach Teil unserer Gesellschaft. Und wir müssen nicht erst mal eine Abgrenzung herstellen, eine Distanzierung, wir sehen die Vielfalt. Wir sind eine moderne Gesellschaft in Vielfalt und in Diversität. Das ist der Fokus und die Perspektive, von denen aus wir anfangen. Die Geschichtswissenschaft, die schaut in die Vergangenheit, weil sie da ist, weil sie eine Vergangenheit ist. Wir schauen aus der Gegenwart und was wir brauchen aus der Vergangenheit, um die Gegenwart zu verstehen.

A. B.: Das ist in dem Beispiel vorhin glaube ich schon ganz gut klar geworden, wie man den historischen Blick aus der Kulturwissenschaft auf die Dinge richten kann. Hat man dann auch bestimmte Schwerpunkte im Studium, die man setzen kann oder auf die man sich beispielsweise im aufbauenden Studium später spezialisiert?

G. I.: Im Bachelor ist man breit aufgestellt, man kann aber für sich in den Wahlmodulen Schwerpunkte setzen. Wenn es dann ans Masterstudium geht, da ist es so, dass das Masterstudium ausgestattet ist mit einem Stamm-EKW-Studiengang mit drei Profillinien. Und diese drei Profillinien sind einmal „Museum und Sammlung”, dann einmal „Diversität” als Thema und einmal „Kulturanalyse des Alltags”. Das ist mehr so der theoretisch-methodische Arm.

A. B.: Dann gehen wir mal an die Praxisfrage. Wir haben schon gehört, dass es beispielsweise Exkursionen gibt. Was sind da noch praktische Anteile? Also wo können die Studierenden schon richtig praktische Erfahrungen sammeln?

G. I.: Naja, praktische Erfahrungen sammeln die Studierenden tatsächlich ab dem ersten Semester in der Einführung in empirische Methoden. Da wird es zum ersten Mal kleine Feldstudien geben. So etwas, was ich eben gesagt habe, Fahrradfahren auf der Fahrradstraße zum Beispiel. Da werden die ersten Bausteine gelegt.

A. B.: Und das machen die Studierenden dann selbstständig?

G. I.: Wir schauen zusammen, was sie gerne untersuchen möchten zu einem bestimmten Thema, ob das jetzt Fahrradfahren in Tübingen ist oder Nachtgeschichten. Dann können sie sich selbst aussuchen, wo sie gerne forschen möchten. In dem anderen Einführungsseminar „Einführung in die kulturwissenschaftlichen Arbeitsfelder”, da gibt es viele beispielhafte Lektüretexte zu lesen, was Fallstudien erzählen. Aber man macht auch eine Exkursion in eine andere große Stadt. Da gibt es dann kleine Shortcuts zur Stadtforschung. Es werden sich Gruppen zusammenfinden und zu verschiedenen Themen der Stadtforschung kleine Feldstudien machen. Das geht im ersten Semester los und so geht es dann durchs weitere Studium. Es gibt immer Seminare, die neben und mit der Lektüre kleine Feldstudien machen.

A. B.: Also gleich von Anfang an.

G. I.: Genau, gleich von Anfang an wird es mitgenommen. Dann ist es verpflichtend ein Praktikum in einer Einrichtung zu machen, die eines dieser vielen Kulturarbeitsfelder abbildet – wir kommen vielleicht gleich noch zu den Berufsfeldern – das ist ein verpflichtendes Praktikum. Im Masterstudiengang haben wir ein Studienprojekt, das ist ein dreisemestriges Projekt. Das nimmt sehr viel Zeit dieses Masterstudiengangs in Anspruch. Da wird nach einem großen, breiten Oberthema, das ist gesetzt, gearbeitet und da sucht sich dann die ganze Gruppe eigene Themen aus, wie man dieses Oberthema bespielen kann. Das ist jetzt im Moment gerade KI in Tübingen. Bei KI in Tübingen sind sowohl ganz technische Fragestellungen möglich wie: Was machen die da eigentlich und was gibt es für Möglichkeiten? Aber es sind eben auch Fragen zu, wie verändert sich die Stadtgesellschaft und an welchen Gruppen macht man das fest? An den Protestgruppen, an den Arbeitnehmenden, die alle in die Stadt ziehen wollen, an der Stadtplanung, an den Menschen, die dahinziehen und ihre Arbeit erklären oder auch einfach nur in Ruhe forschen wollen? Also da gibt es ein breites Feld, was man untersuchen kann.

A. B.: Also hat man schon eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten. Wenn wir jetzt schon bei den Inhalten und auch in der Praxis des Studiums sind. Wir haben unsere Tübinger Studierenden gefragt, was sie denn an ihrem Studiengang begeistert.

Persönliche Voraussetzungen (27:46)

Studi 1: Mich begeistert an diesem Fach, dass wir uns mit den Dingen beschäftigen, die wir eigentlich für selbstverständlich halten und dadurch auf ganz neue Perspektiven kommen und neue Dinge immer wieder neu betrachten können.

Studi 2: Mich begeistert, dass das Fach anwendungsbezogen ist. In jeglichen Situationen in meinem tagtäglichen Leben denke ich: „Oh, das wäre spannend zu erforschen, oder hier kann ich eine Verknüpfung zu einem Seminar herstellen“.

Studi 3: Also begeistern kann ich mich für einiges. Da wäre einmal die familiäre Stimmung am Institut und die vielen DozentInnen, die Bock haben, gute Lehrangebote zu machen. Aber begeistern kann ich mich genauso für die Forschung, die sehr nah an dem Alltagsleben der Menschen dran ist. Und ich finde, dass auf diese Weise ein Verständnis davon zu entwickeln, wie Menschen mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, die sie hineingeboren wurden, umgehen, ziemlich interessant.

Studi 4: Mich begeistert vor allem der offene Umgang und die thematische Vielfältigkeit im Institut. Egal, was man für Interessen hat, man bekommt immer ein sehr breites Spektrum an Themen, mit denen man sich auseinandersetzen kann.

Studi 5: Was mich am Fach begeistert ist, dass es immer wieder neue Einblicke und Perspektiven aufbringt und ich die Welt wirklich in einem anderen Blickwinkel sehe. Auf einmal wird sogar eine Werbepause spannend, weil ich mir überlege, was sagt diese Werbung aus und wie hat sie sich verändert? Und was sagt das vielleicht auch über unsere Gesellschaft?

A. B.: In den Studierendenbeiträgen, wie ich finde, bildet sich gut ab, was wir schon über das Fach gehört haben. Was sind denn Voraussetzungen, die Ihrer Ansicht nach hilfreich sind, wenn man in das Studium geht? Wir haben am Anfang schon etwas dazu gehört. Vielleicht können wir das noch mal benennen.

G. I.: Also neugierig sein und offen bleiben ist eine Kernkompetenz. Und dieses neugierig sein, dann aber auch mit harter Arbeit des Lesens versuchen zu befriedigen, das ist eine andere Kompetenz. Wirklich etwas durchdringen wollen, also Texte durchdringen wollen, auch schwierige Texte. Den Blick über den Tellerrand interessant finden und sich immer wieder irritieren lassen wollen. Das kann auch manchmal nervig sein. Da sollte sich eine Bereitschaft zeigen, wissen zu wollen, wie Kultur funktioniert. Diese Art von Hinterfragung, das muss man mögen, dass es gut sein kann, dass man dasitzt und sich versucht zu entspannen und dann gleichzeitig anfängt zu überlegen, wieso reden die da im Podcast so miteinander und wieso ist das hier so ausgestattet?

A. B.: Das klingt ein bisschen nach der EKW-Brille, die man dann irgendwann aufhat. Sie haben schon gesagt, viel lesen. Wie ist es mit Fremdsprachen? Also gibt es in der Fachkultur viel Literatur auf Englisch, ist das eine wichtige Voraussetzung?

G. I.: Englisch sollte man auf jeden Fall gut lesen können, gut verstehen können und auch zunehmend sich gut darin ausdrücken können. Also das wird auf jeden Fall geübt bei uns im Studium. Wir bemühen uns gerade mehr und mehr, Seminare auf Englisch anzubieten, was eine Herausforderung ist, finde ich, weil für diese Art von Tiefeninterpretation muss man schon einen sehr guten englischen Sprachzusammenhang haben. Aber zumindest die Art und Weise, wie englische Literatur zu verstehen sein kann, das sollte man sich erarbeiten, wenn man das studiert. Das kann man auch währenddessen. Das wächst dann auch mit der Literatur, die man liest.

A. B.: Da hilft es manchmal, einen Teil des Studiums im Ausland zu verbringen. Wie ist das in der EKW? Kann man da ins Ausland, ist das erwünscht?

G. I.: Also die EKW unterstützt alle Menschen darin ins Ausland zu gehen, denn es erweitert nochmal die EKW-Brille und die Möglichkeiten zu verstehen, wie unterschiedlich das menschliche Zusammenleben sein kann und trotzdem alle das für ganz normal halten. Wir unterstützen das sehr. Wir haben eine eigene Auslandsstudienberatung. Wenn sie dann wiederkommen, werden sie auch in der Regel alles anrechnen können für den Studiengang hier, weil das immer kulturanthropologische Themenschwerpunkte sind, die dann mitgebracht werden.

A. B.: Das ist ja schon mal gut zu wissen. Dann ist die EKW ein Fach, das entweder als Hauptfach oder Nebenfach studiert werden kann, das heißt, es braucht ein Kombinationsfach. Schauen wir da rein, was es überhaupt für mögliche Fächer gibt. Gibt es Fächerkombinationen, die sich gut anbieten oder die sehr häufig auftreten?

G. I.: Also das mit dem häufig Auftreten muss ich erst mal wieder verneinen. Das ist wahnsinnig vielfältig, gute Nebenfächer für die EKW sind alle Fächer aus den Sozial- und Geisteswissenschaften, also auch aus den Theologien. Das ist frei wählbar und es wird auch konjunkturmäßig von den Studierenden sehr unterschiedlich gewählt. Ich sag in den Beratungssitzungen meistens, dass das ein bisschen die eigene persönliche Farbe in der EKW ist, was man zusätzlich noch stark für sich selbst mitnehmen will. Ob man mehr in der Sprachenrichtung ist, ob man die Gesellschaftsanalyse noch auf anderen Ebenen untersuchen will durch Politik oder Soziologie. Ob man jetzt schon weiß, dass man sich häufig im interkulturellen Zusammenhang aufhalten will, dann ist ein mögliches Nebenfach von Sinologie über Arabistik bis Englisch, also Anglistik. Es gibt auch die Möglichkeit, evangelische Theologie oder Jura als Nebenfach dazu zu studieren, weil das immer andere Facetten unserer Gesellschaft sind, die wiederum eine Perspektive darauf zeigen und eröffnen, wie eine Gesellschaft funktioniert.

A. B.: Das heißt, das ist oft die Qual der Wahl, weil man so viele Möglichkeiten hat. Aber das sind auf jeden Fall ganz gute Hinweise, wie man bei der Auswahl vorgehen kann, wenn man da noch nicht ganz festgelegt ist, in welche Richtung es gehen soll. Das kann auch schon ein bisschen die berufliche Richtung vorbereiten, wenn man dann weiß, wo es hingehen soll. Und wir haben unsere Tübinger Studierenden natürlich auch gefragt, was sie für Berufswünsche haben.

Berufsperspektiven (34:38)

Studi 1: Beruflich kann ich mir vorstellen, in der politischen Bildung zu arbeiten. Ich habe über ein Praktikum bei der Landeszentrale für politische Bildung diese Arbeit kennengelernt und dabei festgestellt, dass mir das Organisieren von Veranstaltungen und das Aufbereiten von Wissen sehr viel Spaß macht.

Studi 2: Ich interessiere mich mittlerweile sehr für den Medienbereich und möchte entweder redaktionell zum Beispiel im Radio arbeiten oder auch zum Beispiel in der Filmproduktion in der Requisite. Aber mit EKW kann man eigentlich so gut wie alles machen.

Studi 3: Im Studium konnte ich meinen Blick für das Erkennen von sozialen Ungleichheiten schärfen und habe dabei gleichzeitig gelernt, mich sprachlich und schriftlich gut auszudrücken. Und da ich während des Studiums glücklicherweise Zeit für politische Arbeit hatte, konnte ich beides direkt in unsere Gesellschaft einbringen, beispielsweise beim Organisieren von Bildungsveranstaltungen, Demonstrationen und beim Schreiben von Positionspapieren. Genau das ist es auch, was ich nach meinem Studium tun möchte, um die Welt ein Stück weit zu einem lebensfreundlichen Ort zu machen.

Studi 4: Ich möchte nach dem Studium gerne im Museumsbereich arbeiten und da fasziniert mich, dass man einerseits Ausstellungen inszenieren kann, andererseits weiterhin in der Forschung drin ist, sich mit Inhalten befasst und gleichzeitig die Inhalte so aufarbeitet, dass sie auch für andere Menschen interessant sind und sie sich das gerne anschauen und vielleicht auch was mitnehmen.

A. B.: Ja, da sind jetzt schon so Stichworte gefallen wie Medienbereich, Radio oder Film, der Museumsbereich, die politische Arbeit und Bildung. Was sind denn mögliche Berufe oder Berufsfelder?

G. I.: Ich will gerade vielleicht doch die ganz große Überschrift darüber fassen, weil sich das schon ein bisschen disparat anhört: Was EKW einfach sehr gut kann, ist vermitteln. Den Leuten etwas vermitteln, etwas erklären. Weil wir verschiedenste Perspektiven verstehen können, können wir das wiederum vermitteln. Das ist so eine Kulturvermittlungsfunktion letztlich und da sind wir in sehr vielen Bereichen tätig. Und das kann eben eine Art von Vermittlung sein, wie es schon gesagt worden ist, im Museum, in dem etwas präsentiert wird, ein Thema mit Objekten und Erklärtexten. Das kann auch sein über Veranstaltungsformate, indem man etwas anbietet und das so aufbereitet, dass Menschen damit zurechtkommen, verschiedene soziale Gruppen. Das ist dann immer zielgruppenspezifisch. Das kann genauso gut eben im Journalismus sein, in allen Formaten des Journalismus, das ist auch schon angeklungen. Das ist auch im Bereich der Kulturverwaltung nichts anderes. Die Behörden auf den verschiedenen Ebenen von der Kommune bis zum Bund, stellen Räume, Themen und Gelder bereit, um wiederum Gesellschaft zu erklären und Gesellschaft erklärbar zu machen auf den verschiedensten Ebenen. Dann Kulturinstitutionen in jede Richtung, also NGOs (Nichtregierungsorganisationen), Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen nach innen und nach außen kommunizieren, wie man gesehen werden möchte. Da ist auch ein neues Feld entstanden, wie Diversity-Management, die Vielfalt in Unternehmen, sich fruchtbar zu machen. Ein großes Spektrum.

A. B.: Das ist ein großes Spektrum. Wie ist es denn mit dem Berufseinstieg? Wie gelingt der nach dem Abschluss?

G. I.: Ja, das ist natürlich immer ein bisschen Aufschneiderei kann man sagen. Wir haben aber selbst öfters Befragungen gemacht von unseren AbsolventInnen und wir machen auch jedes Jahr im Winter ein sogenanntes Berufsfeldkolloquium, wo Absolventinnen und Absolventen des Fachs von ihren Einstiegen in den Beruf erzählen. Wir können zumindest sagen, dass der Einstieg sehr gut gelingt, und zwar immer schneller. Mittlerweile ist es tatsächlich so, dass sehr viele AbsolventInnen des Masters schon vor dem Ende der Masterprüfung ihre erste Stelle haben. Dadurch, dass diese Schnittstellenfunktion, diese Kulturvermittlung, immer wichtiger werden in unserer großen, unübersichtlichen Welt, gibt es auch immer mehr Stellen, die dafür geschaffen werden und deshalb gibt es auch immer mehr Bedarf für die EKW.

A. B.: Sie haben es gerade schon gesagt, der Masterabschluss und der Einstieg danach gelingt ganz gut. Jetzt ist der Master der weiterführende Studiengang von dem, wo jetzt unsere Hörerinnen und Hörer anfangen. Also diejenigen, die jetzt gerade Abitur machen, werden erst mal in den Bachelor einsteigen. Ist der Master notwendig oder kann man auch schon nach dem Bachelor in den Beruf?

G. I.: Man kann auf jeden Fall auch nach dem Bachelor in den Beruf. Das sind auch spannende Stellen. Es ist tatsächlich aber so, in diesem Kulturvermittlungsbereich arbeitet man häufig konzeptionell. Man muss neue Dinge entwickeln und man kann nicht etwas abarbeiten. Das hat was mit unserer deutschen Struktur, der Berufsstruktur zu tun. Deshalb ist dieser Bereich als Einstieg eine gute Sache. Aber für das, was die EKW leisten kann und was die meisten dann wahrscheinlich möchten, ist es wichtig, den Master zu machen. Einfach damit man an diese Stellen kommt, in denen man selbst etwas entwickeln kann. Ich würde sagen, dass man mit dem Masterstudiengang bei uns auf jeden Fall eine tiefergehende Qualität an kulturwissenschaftlicher Expertise gewinnt. Aber, dass man auch im Bachelor schon Bereiche und Wissen erreicht hat, dass man sehr gut was planen und entwickeln kann. Das wird aber dann häufig einfach von unserer Struktur her, von der Arbeitstätigkeitsstruktur, noch nicht so gesehen.

A. B.: Tipps zur weiteren Auseinandersetzung. Wenn ich jetzt die Folge hier gehört habe „Empirische Kulturwissenschaft“ und mir denke, könnte ich mir vorstellen zu studieren, würde ich mich aber gerne noch ein bisschen tiefergehend mit beschäftigen. Was kann man sich dann noch anschauen?

Insider-Tipps (41:01)

G. I.: Also was ich jetzt gerade echt ganz spannend finde, dass es dieses Podcast-Format gibt. Das scheint auch in unserem Fach ein sehr schönes mediales Format zu sein, um zu vermitteln, wie Kultur funktioniert. Deshalb kann ich wirklich empfehlen, dass man unter so einem Stichwort wie „Podcast Empirische Kulturwissenschaften“ sucht. Da gibt es nämlich jetzt mittlerweile eine ganze Menge an spannenden Podcasts von Studierenden aus ihren Projekten heraus, die mithilfe dieses Formats die Ergebnisse ihrer Forschungen zu den verschiedensten Themen des Alltags und der Alltagskultur veröffentlicht haben. Das kann ich auf jeden Fall empfehlen.

A. B.: Guter Tipp.

G. I.: Und ansonsten, mir fällt dann immer zuerst „Kitchen Stories” ein. Das hatte der Kollege aus der Soziologie schon genannt. Das ist das absolute Gegenbeispiel, wo man sehen kann, wie empirische Forschung eben tatsächlich in echt funktioniert, obwohl man denkt, sie würde anders funktionieren, weil man da sieht, was Forschung ist und was Forschung aber auch macht in einem Feld, wenn sie da ist, dass sie nämlich sehr wohl das Feld auch verändert, was sie untersucht. Und was ich auch einen wirklich interessanten Film für die EKW finde, auch wenn sich das gerade nicht so anhört, es gibt einen älteren Film, der heißt „Die Götter müssen verrückt sein“. Da fällt aus einem Flugzeug irgendwo in einem afrikanischen Land eine Colaflasche auf den Boden. Und die Menschen, die diese Colaflasche finden, die fangen an sich zu überlegen, was der Grund sein könnte und versuchen, irgendwas mit dieser Flasche zu machen, was sie denken, was damit gemeint war. Und das ist ein Film, der schön zeigt, wie Dinge, Objekte und der Blick darauf unterschiedlich sind, je nachdem aus welcher Perspektive und Sinndeutung man darauf schaut.

A. B.: Hm, also das heißt, er ist wahrscheinlich unfreiwillig dann interessant.

G. I.: Nein, der ist schon extra so gemacht. Also wenn, dann kann man jetzt denken, das war einfach ein Film, der hat die westliche Welt karikiert und das hat es sehr schön auf den Punkt gebracht.

A. B.: Von meiner Seite aus ist alles gesagt. Haben Sie noch etwas, was Sie gerne mit auf den Weg geben möchten?

G. I.: Ich finde wirklich, dass das das ein Fach ist, was einen überrascht. Und deshalb würde ich alle Leute einladen. Das Fach bietet so viel. Probieren Sie es aus!

A. B.: Dann sage ich mal vielen Dank für Ihre Antworten und Einblicke in das Fach.

G. I.: Ich bedanke mich sehr, dass ich heute dabei sein konnte. Ich hoffe, dass Sie auch auf unserer Homepage und bei dem Film – wir haben einen kleinen Imagefilm zur EKW gedreht – vielleicht noch ein paar Antworten mehr auf Fragen finden können. Unsere Studienfachberatung ist offen für Fragen.

A. B.: Alle weiterführenden Infos werden wir in den Shownotes verlinken und ansonsten bei Fragen, Feedback, Kritik schreibt uns gerne an hochschulreif@uni-tuebingen.de

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Dr. Gesa Ingendahl über die folgenden Themen: 
00:53 Persönliche Motivation
10:27 Studieninhalte
27:46 Persönliche Voraussetzungen
34:38 Berufsperspektiven 
41:01 Insider-Tipps

Hier geht es zum Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft, dort findet ihr auch den erwähnten Image-Film der Tübinger Kulturwissenschaft "Dem Alltag auf der Spur". Weitere Einblicke in kulturwissenschaftliche Forschungsgebiete und Erinnerungsberichte ehemaliger Studierender gibt es im LUI-Podcast. Für Fragen rund ums Studium der EKW in Tübingen steht die Studienfachberatung zur Verfügung.

Zitierte Filme aus den Insider-Tipps:

  • Bergmark, Jörgen/Hamer, Bent (Produktion), Hamer, Bent (Regie): Kitchen Stories (Salmer fra kjøkkenet), Norwegen/Schweden 2003.
  • Uys, Jamie (Poduktion und Regie): Die Götter müssen verrückt sein (The Gods Must Be Crazy), Südafrika/Botswana 1980.

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #06: Pflege

Was unterscheidet ein Pflegestudium von einer Ausbildung? In welchen Bereichen arbeiten Absolventinnen und Absolventen? Und welche Chancen bietet die Akademisierung des Fachs? Über die Inhalte, Besonderheiten und Berufswege, die ein Pflegestudium eröffnet, sprechen wir mit Professorin Dr. Cornelia Mahler, Direktorin der Abteilung Pflegewissenschaft und Studiendekanin am Campus für Gesundheitswissenschaften Tübingen-Esslingen. Neben unserem Gast berichten auch wieder Tübinger Studierende über ihr Studium.

Listen
Christoph Jäckle (C. J.): Herzlich Willkommen zu „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch auch heute wieder ein Studienfach vor, damit ihr Euch bei eurer Studienwahl gut orientieren könnt. Wir, das sind meine Kollegin Alexandra Becker und ich, Christoph Jäckle. Hallo Alex!

Alexandra Becker (A. B.): Hallo Christoph!

C. J.: Heute haben wir uns Frau Professorin Dr. Cornelia Mahler ins Studio eingeladen. Frau Mahler, Sie sind die Studiendekanin des Studiengangs Pflege am Campus für Gesundheitswissenschaften Tübingen-Esslingen. Hallo Frau Mahler, schön, dass Sie zu uns gefunden haben.

Prof. Dr. Cornelia Mahler (C. M.): Hallo, danke für die Einladung. Hat mich sehr gefreut.

C. J.: Ich muss gestehen, ich wusste selbst bis vor kurzem noch gar nicht, dass man Pflege auch studieren kann. Für mich war Pflege bisher vor allem ein Ausbildungsberuf. Von daher bin ich auch persönlich sehr interessiert, was Sie uns heute alles aus Ihrem Alltag erzählen können, was wir von den Studierenden hören werden und was es dann letztlich mit dem Studium der Pflege im Unterschied zur Ausbildung auf sich hat. Zunächst hören wir uns mal an, warum sich Tübinger Studierende für das Pflegestudium hier entschieden haben.

Persönliche Motivation (1:06)

Studi 1: Mir war schon relativ früh klar, dass mir die Pflege sehr viel Spaß macht, habe dann ein paar Praktika gemacht, habe mit vielen Fachkräften geredet, die mir Tipps gegeben haben.

Studi 2: Ich habe erst relativ spät gemerkt, dass Pflege das ist, was ich später als Beruf machen möchte. Bei einem Sozialpraktikum hat mir die Arbeit mit den Menschen sehr viel Spaß gemacht.

Studi 3: Dann dachte ich mir, wenn ich jetzt schon zwei Jahre länger in der Schule saß, könnte ich ja auch einfach studieren und die tieferen Einblicke in jedem Bereich mitnehmen. Nicht bloß die Pflege, sondern auch das wissenschaftliche Arbeiten, was dahinter steckt.

Studi 4: Und zwar habe ich damals gesehen, als ich mich beworben habe, dass man sehr viel tiefer und sehr fachspezifisch in die Materie reingeht. Das hat mich damals sehr angesprochen, weil man nicht nur das Thema Pflege an sich behandelt, sondern man kann ein bisschen in die Medizin reinschnuppern, man kann in die Psychiatrie reinschnuppern.

A. B.: Frau Mahler, jetzt haben wir schon gehört, es ging um die Qualifikation und auch um inhaltliche Ausrichtung des Studiums. Wird das denn eingelöst, wie die Studierenden das berichtet haben?

C. M.: Ja, auf jeden Fall wird es eingelöst, wie es berichtet wird. Das Studium ist sehr praxisorientiert, aber auch sehr theorieorientiert. Also es findet ein großer Anteil an berufsqualifizierenden Aspekten statt, die sowohl in der Theorie wie auch in der Praxis stattfinden, sodass die Studierenden, wenn sie fertig sind, die staatliche Berufszulassung haben, um als Pflegefachmann/Pflegefachfrau, so heißt das jetzt seit 2000, einen Abschluss zu haben, wie auch einen akademischen Abschluss. Mit einem akademischen Abschluss geht man tiefer in die Materie rein, so wie es die Studierenden schon berichtet haben. Es freut mich, dass sie das wirklich so erleben und so sehen. Und auch das wissenschaftliche Arbeiten ist für uns ein wichtiger Aspekt. Denn wenn man eine Disziplin, einen Beruf weiterentwickeln will, dann braucht man auch wissenschaftliche Erkenntnisse, Forschungserkenntnisse aus dem Fachbereich.

A. B.: Und wenn man sich jetzt tatsächlich für ein Studium der Pflege entscheidet, was für Fragen sollte man sich vorher stellen oder sollte man für sich vorher klären?

C. M: Wichtig ist natürlich immer das Arbeiten mit Menschen. Tatsächlich darf ich niemand sein, der Angst hat auf Menschen zuzugehen oder eher zurückgezogen ist. Ich brauche eine gewisse Freude, mich mit Menschen in Verbindung zu setzen, denn Pflege ist ein Beruf, der sehr stark von der Beziehung abhängt. Die Beziehung, die ich zu allen möglichen Personen lerne aufzubauen, ob das ältere Menschen sind, ob das Kinder sind, ob das Angehörige sind oder Personen, die in anderen Gesundheitsfachberufen arbeiten. Denn wir arbeiten in einem Team. Auch das ist etwas, was wichtig ist, dass ich gerne im Team arbeite und ein Interesse habe, nicht nur an krankheitsbezogenen Aspekten, sondern an gesundheitswissenschaftlichen Aspekten. Was hält mich gesund? Was sind Aspekte, die wichtig sind, damit ich gesund bleibe? Und die aktuelle Situation zeigt uns ja, wie wichtig diese Aspekte sind.

A. B.: Für uns war das auch ein Teil der Motivation, weil das ein sehr aktuelles Thema ist, dass immer wieder über Pflege und die Bedingungen im Beruf Pflege diskutiert wird.

C. M.: Ja, das ist wichtig und richtig, was Sie sagen, über die Bedingungen wird gesprochen. Aber ich glaube, die Pandemie hat auch gezeigt, dass dieser Beruf ein sehr zukunftsträchtiger Beruf ist. Sie brauchen nie Angst haben, wenn Sie sich in diesem Beruf qualifizieren, dass Sie keinen Job kriegen werden. Sie werden auf jeden Fall einen Job kriegen, egal wo, egal in welchem Bereich. Pflege ist so ein vielfältiger Beruf. Ich glaube, das ist den meisten Leuten gar nicht bewusst, was alles dahintersteckt. Man hat so sein Bild im Kopf, Pflege im Krankenhaus, momentan noch in der Intensivpflege. Das sind die Bilder, die momentan sehr stark über die Medien transportiert werden, auch in den Altenpflegeheimen, wo ältere Menschen versorgt werden. Aber es gibt natürlich auch Kinder, Jugendliche, die betreut werden müssen. Das ist der eine Bereich. Aber es gibt vielfältige Arbeitsbereiche: Ob das im Gesundheitsamt ist, Prävention, gesundheitsfördernde Aspekte, die notwendig sind. In anderen Ländern sind Pflegende in Schulen, sogenannte Schoolnurses, tätig, um die Gesundheitskompetenz zu stärken. Das sind alles wichtige Bereiche, die vielen Personen einfach gar nicht bewusst sind, wo Pflege überall notwendig ist.

C. J.: Sie hatten ja vorher schon erwähnt, dass man mit dem Abschluss des Studiums sowohl den Abschluss Bachelor of Science als akademischen Grad erhält, aber gleichzeitig auch die staatliche Berufszulassung als Pflegefachfrau bzw. Pflegefachmann. Das wiederum vereint die Bereiche Kinderkrankenpflege, Altenpflege, Gesundheitspflege, was davor die einzelnen Ausbildungsberufe waren.

C. M.: Genau bis vor kurzem, also bis 2000, gab es die. Und da muss man sagen, wir sind das einzige Land weltweit, die sich drei Grundqualifikationen geleistet hat. In jedem anderen Land ist das eine einheitliche Qualifikation. Wir nennen das eine generalistische Ausbildung, wo Menschen aller Altersgruppen versorgt werden oder wo man lernt, Menschen aus allen Altersgruppen und in allen Settings zu versorgen. Also erst die Grundqualifikation und anschließend eine Spezifizierung und Fokussierung stattfindet. Das ist eines der großen Neuerungen seit 2020.

A. B.: Das haben wir auch recherchieren müssen, weil wir uns in der Vorbereitung natürlich gefragt haben, wie man das von den einzelnen Berufen oder Berufsbildern abgrenzen kann, die es vorher gab.

C. M.: Ich möchte an dieser Stelle erwähnen: Pflege ist ein Beruf, der sich auch ständig weiterentwickelt. Sie würden nicht erwarten, dass der Mediziner, der vor 50 Jahren sich entwickelt hat, dass der genau das Gleiche macht. So ist es auch in der Pflege. Auch wir, unsere Kompetenzen, müssen sich ständig weiterentwickeln, sind ständig mit komplexeren Situationen konfrontiert. Die Patienten unterlaufen sehr komplexe Behandlungen, die sehr differenziert sind. Da muss sich auch die Pflege darauf einstellen. Auch auf die Personen, die anschließend mit diesen chronischen Erkrankungen leben, ob das neue Herzklappen sind, ob das andere Verfahren sind im Bereich der Transplantation, sodass da eine Unterstützung im Alltag natürlich notwendig ist. Das ist eine zentrale pflegerische Aufgabe, diese Person in ihrem Alltag zu unterstützen.

A. B.: Sie haben schon einige Male angesprochen, dass es ein Berufsfeld ist, das ständig in der Veränderung ist. Wir haben uns gefragt, wie sind Sie in die Pflege kommen? Können Sie das einmal umreißen als Beispiel?

C. M.: Ja, sehr gerne. Also als Beispiel, ich habe Abitur gemacht vor vielen, vielen Jahren. Und mein Wunsch war seinerzeit, mit Menschen zu arbeiten, in einem sozialen Umfeld zu arbeiten. Aber ich wollte nicht Ärztin werden. Mir war relativ klar, dass ich da nicht nah genug am Menschen bin. Und als ich damals die Ausbildung zur Krankenschwester, wie es damals noch hieß, begonnen habe, haben insbesondere meine Eltern gesagt: „Was, du hast doch Abitur, du musst doch dann Medizin studieren!“ und ich sagte „Nein!“ Ich wollte das nicht. Es wurde nicht gesagt, wenn man Abi hat, dass man dann in die Pflege geht. Ich hatte das Glück, an einer Schule zu lernen, die eine Modellschule war, die nur Abiturienten genommen hat, und habe so meinen Weg letztendlich über die Ausbildung gemacht, habe anschließend zu einer Zeit, wo Teilzeitarbeit nicht möglich war und ich Kinder hatte, angefangen zu studieren. Damals gab es noch keine Pflegestudiengänge, sodass ich den normalen akademischen Weg der Uni gegangen bin, nach meiner Ausbildung und Berufserfahrung noch mal 5 Jahre studiert habe, um einen Masterstudiengang abzuschließen und bin über viele verschiedene Umwege, weil ich eigentlich immer die Pflege weiterentwickeln wollte, zu einer Lehrstuhlinhaberin einer neuen Abteilung geworden. Wenn mir jemand das vor 20 Jahren gesagt hätte, hätte ich gesagt, du spinnst! Ja, das gibt es hier in Deutschland? Ich hatte aber immer das Ausland vor Augen, wo schon seit vielen Jahren die Pflege ein akademischer Beruf ist, wo es ganz selbstverständlich ist, dass man diesen Beruf an einer Hochschule lernt, studiert, sowohl die Theorie und wie auch die Praxis absolviert. Sodass es für mich immer klar war: Es muss sich auch hier in Deutschland irgendwann mal weiterentwickeln. Deshalb bin ich sehr froh, dass es in Tübingen seit 2018 den Studiengang Pflege gibt, um damit ein Zeichen zu setzen, dass die Gesundheitsversorgung sich weiterentwickelt.

Studieninhalte (12:11)

A. B.: Dann lassen Sie uns doch tiefer einsteigen, wie die Ausbildung an der Uni heute aussieht. Wir haben vorab Studierende gefragt, wie ihre typische Studienwoche so aussieht. Hören wir da mal rein!

Studi 1: Eine typische Studienwoche bei mir ist relativ voll. Viel Selbststudium, auch viele Vorlesungen. Dann haben wir einmal in der Woche eine Gruppenanleitung, wo wir die Tätigkeiten, die wir später in der Pflege ausüben wollen, erlernen. Entweder an uns selber oder auch an Puppen. Da werden ganz praktische Dinge gelernt, wie beispielsweise die Körperpflege und Blutabnehmen zum Beispiel. Und einmal in der Woche einen Tag, an dem wir arbeiten sind.

Studi 2: Momentan sieht eine typische Studienwoche so aus, dass man drei Tage die Woche Vorlesungen hat und einen Tag Praxis. Dann hat man noch praktische Seminare, wo man die Theorie anwenden kann.

C. J.: Ja, es ist eine abwechslungsreiche Ausbildung bzw. Studium mit Vorlesungen und praktischen Anteilen. Aber kurz zusammengefasst, welches sind die Kerninhalte, die im Studium erlernt werden?

C. M.: Kerninhalte, da muss man tatsächlich Theorie und Praxis trennen. Praktisch, das haben die Studierenden schon gesagt, geht es viel darum, in der Praxis Fähigkeiten einzuüben, die einzelnen Schritte zu lernen. In der Theorie, so einen umfassenden Studiengang wie Pflege findet man selten, weil Sie sowohl medizinische Grundlagen, pädagogische Grundlagen, psychologische Grundlagen, aber auch pflegewissenschaftliche Grundlagen benötigen, um die Personen umfassend zu betreuen. Aus allen Bereichen bekommen sie theoretischen Input. Im ersten Teil vom Studium geht es um den gesunden Menschen. Denn erst wenn wir uns mit dem gesunden Menschen auseinandersetzen, wissen wir und können abschätzen, was es bedeutet, wenn man Einschränkungen hat oder beeinträchtigt ist an unterschiedlichen Stellen. Und dann im zweiten, dritten Semester sind ein großer Schwerpunkt die medizinischen Themen, die medizinischen Diagnosen und Therapien, gepaart mit dem, was man aus pflegerischer Perspektive macht. Und wenn medizinische Grundlagen vorhanden sind, geht es wesentlich stärker in eine pflegewissenschaftliche Orientierung, Auseinandersetzung mit den sogenannten Interventionen, mit den pflegerischen Maßnahmen, die man bei bestimmten Phänomenen anwenden kann.

C. J.: Wie ist ungefähr das Verhältnis von praktischen und theoretischen Anteilen im Studium?

C. M.: Vielleicht ein bisschen ungewöhnlich für ein Studium, da ein sehr hoher Praxisanteil vorhanden ist. Wir müssen natürlich all das absolvieren, was man in der Ausbildung macht, aber wir haben den theoretischen Teil erhöht, um auch dem Studium gerecht zu werden. Das Verhältnis von Theorie und Praxis entspricht etwa zwei zu eins, also zwei Teile Theorie zu einem Teil Praxis.

C. J.: Sie haben erwähnt, dass man im Bereich der Medizin inhaltlich mit dem wissenschaftlichen Teil zu tun hat. Wie eng sind die Berührungspunkte zum Medizinstudium? Sitzt man teilweise in gleichen Veranstaltungen?

C. M.: Leider noch nicht so viel, wie wir es gerne hätten. Die Berührungspunkte sind so, dass wir auf dem gleichen Campus sind. Wir sind an der medizinischen Fakultät und so sind enge Verbindungen zwischen den Studierenden da. Gerade hat sich die Fachschaft gegründet, sodass auch zwischen den unterschiedlichen Fachschaften eine enge Verbindung besteht. Wir fangen an mit einzelnen Vorlesungen, wo an der einen oder anderen Stelle Pflegende und Medizinstudierende gemeinsam lernen und lernen gemeinsam zu arbeiten. Das Thema interprofessionelles Arbeiten ist tatsächlich ein neuer Aspekt im Bereich der Gesundheitsversorgung, dass man zunehmend darauf Wert legt. Nicht erst, wenn man fertig und in einer beruflichen Tätigkeit ist, sondern sich schon zu einem frühen Zeitpunkt während der Ausbildung besser kennenlernt, weil wir häufig viel zu wenig von den anderen Gesundheitsberufen wissen.

A. B.: Und wenn ich mir vorstelle, jemand möchte eigentlich gern Medizin studieren, anders als es bei Ihnen war, möchte eigentlich in diesen Beruf und überlegt sich: „Dann mache ich erst mal eine Pflegestudium und bin damit inhaltlich schon relativ nah dran.“ Was würden Sie diesen Leuten raten?

C. M.: Die Frage ist, wieso sie dann ein Pflegestudium machen wollen. Was nicht geht ist, vom Pflegestudium ins Medizinstudium zu wechseln und sich dann gewisse Sachen anrechnen zu lassen. Das ist eine Überlegung für manche. Das funktioniert nicht, nur Pflege zu studieren, weil man nicht ins Medizinstudium reinkommt.

A. B.: Der Hinweis, Anrechnen lassen ist nicht möglich, ist ein wichtiger Hinweis!

C. M.: Unbedingt. Ich glaube, man muss einfach sehen, die Pflege wird zunehmend zu einem akademischen Beruf. Auch im Anschluss an ein Pflegestudium kann man noch Masterstudiengänge machen, sich akademisch weiterentwickeln, promovieren, sogar einen Lehrstuhl einnehmen. Wer weiß, was in den nächsten 20 Jahren noch möglich ist. Ich sehe um mich rum, dass an vielen Universitäten Abteilungen für Pflegewissenschaft entstehen. Es ist ein Bereich, der sich stark weiterentwickelt, sodass es da auch gute Möglichkeiten gibt weiter voranzukommen.

C. J.: Wenn wir auf den Tübinger Studiengang schauen, ist auch eine Besonderheit im Vergleich zu anderen Studiengängen, dass man an zwei verschiedenen Standorten studiert, in Tübingen und in Esslingen. Warum ist das so?

C. M.: Tübingen und Esslingen haben sich zusammengeschlossen, um das Beste aus zwei Welten herzuholen. In Esslingen gibt es schon seit 20 Jahren Pflegestudiengänge, die sich allerdings eher auf weiterqualifizierende Studiengänge wie Pflegemanagement, Pflegepädagogik konzentriert haben. Erst jetzt mit der Möglichkeit, grundständig in der Pflege zu qualifizieren, war für Esslingen klar, dass sie brauchen eine medizinische Fakultät mit im Boot brauchen. Da haben wir das Beste aus beiden Welten dabei!

C. J.: Und vermutlich ist das auch im Studienalltag so organisiert, dass es machbar ist, da hin und her zu pendeln? Man ist einen Tag hier und einen Tag woanders?

C. M.: Auf jeden Fall ist es machbar. Die ersten Semester sind vorwiegend in Tübingen. Das heißt, dass mal ein Tag in Esslingen ist. Zum Ende des Studiums ist man mehr in Esslingen und hat einzelne Tage in Tübingen.

A. B.: Dann darf ich da noch mal nachfragen? Das heißt, jetzt sind die Studierenden schon an beiden Studienstandorten. Wenn man noch einen Master machen möchte, dann kann man das in Esslingen fortführen? In Tübingen haben wir ja aktuell nicht die Möglichkeit, noch einen Masterstudiengang in der Pflege draufzusetzen. Esslingen bietet das aber an, so wie ich das gehört habe?

C. M.: Genau, Esslingen bietet es an, auch in Kooperation mit uns. Der Studiengang ist zwar in Esslingen verortet, aber ich bin zum Teil in Esslingen als sogenannte Brückenprofessorin tätig. Wir arbeiten da eng zusammen. Nicht nur im Bachelor, auch zukünftig im Master.

A. B.: Das ist wieder ein ganz neuer Begriff, „Brückenprofessorin“ habe ich noch nicht gehört.

Persönliche Voraussetzungen (21:37)

C. J.: Da tut sich viel auf dem Gebiet der Lehre in der Pflege, definitiv! Ich würde sagen, wir hören mal rein, was die Tübinger Studierenden denn an ihrem Pflegestudium begeistert.

Studi 1: Mich begeistert am Studium Pflege der Umgang untereinander mit meinen Kommilitonen. Wir sind uns alle sehr nah. Aber auch, dass wir sehr tief in alles reinschauen können. Wir bekommen viel Medizinisches immer erklärt und das ist total spannend und vielfältig. Und natürlich der Umgang mit den Menschen und mit den Patienten.

Studi 2: Was mich persönlich so begeistert ist, dass es so praxisnah ist. Und ich glaube, das macht den Studiengang auch so besonders.

A. B.: Ja, wir hören das Thema Praxisnähe, man kennt sich untereinander, wurde hervorgehoben. Was sind aus Ihrer Sicht Voraussetzungen, die man als Studienanfänger/-anfängerin mitbringen sollte?

C. M.: Als Studienanfänger, klar Abi, als Person die Lust und die Freude, sich auf andere Situationen einzulassen, mit Menschen umzugehen. Wichtig ist, Dinge hinterfragen zu wollen, Dinge nicht immer so anzusehen: „So ist es heute so wird es immer sein.“ Sondern zu fragen, muss das immer so sein? Bestes Beispiel, was unser Pflegedirektor schon bei der ersten Begrüßung erzählt hat: Warum müssen eigentlich die Blumen abends immer raus gestellt werden? Er hatte noch in Erinnerung, dass er während seiner Ausbildung er immer abends die Blumen aus dem Zimmer rausstellen musste auf den Flur. Gibt es da eine Begründung? Machen wir Dinge, bloß weil man sie immer schon so gemacht hat? Ein gesundes, kritisches Hinterfragen an bestimmten Stellen ist etwas, was wirklich wichtig ist. Man muss auch ein bisschen… Frustrationstoleranz klingt da sehr negativ, aber man muss, schon manchmal…

C. J.: …wahrscheinlich auch ein robuster Mensch sein oder so eine Persönlichkeit? Pflege ist ja auch ein sehr fordernder Beruf.

C. M.: Ja, es ist ein sehr fordernder Beruf. Aber ich glaube auch, man kann das zu einem gewissen Grad lernen, wie man mit solchen Situationen umgeht. Da bieten wir unseren Studierenden die entsprechenden Lehrveranstaltung an, sowohl um das aus einer theoretischen Perspektive zu beleuchten, als auch um praktisch mit solchen Situationen umzugehen. Zum Beispiel im Rollenspiel – wir haben auch inzwischen ein Supervisionsangebot für unsere Studierenden, gerade weil sie immer wieder mit krisenhaften Situationen konfrontiert werden, da aber aufgefangen werden können. Es gibt nichts Schlimmeres als plötzlich alleine dazustehen, ohne zu wissen, was man machen soll.

C. J.: Würden Sie sagen, dass einer der Vorteile des Studiums im Vergleich zur Ausbildung ist, dass man noch mehr kritisch reflektiert, was ansonsten „nur“ erlernt wird für die Praxis?

C. M.: Unbedingt! Selbst das, was in Lehrbüchern steht! Einfach auch mal gucken, was in unterschiedlichen Lehrbüchern steht. Manchmal stehen da andere Dinge. Also Dinge, die man sieht, Abläufe, die man sieht, kritisch hinterfragen. Auf die Praxis bezogen: Wenn ich Kolleginnen und Kollegen sehe, wie sie bestimmte – ich spreche mal nur Hygiene an, weil das momentan ein Thema ist – hygienische Handlungen durchführen; diese noch mal zu hinterfragen: Ist das jetzt korrekt, so wie sie das macht? Oder warum macht die das anders? Welche Prinzipien stehen da dahinter? Um auch zu sagen: „Nein, so ist es richtig und ich mach's so wie es korrekt ist.“ Und spreche vielleicht auch die Kollegin drauf an oder frag sie: „Wieso machst du das so?“ Durchaus da mit einem kritischen Auge drauf schauen. Da höre ich auch aus der Praxis von unseren Kooperationspartnern, dass unsere Studierende anders fragen, Dinge hinterfragen, kritisch und neugierig sind auf viele Dinge, die erstaunen.

C. J.: Und ansonsten erstmal als gesetzt wahrgenommen werden würden?

A. B.: Man ist nah dran an der Forschung und an den Veränderungsprozessen. Dann frage ich mich, wenn man sagt, „okay, so ein Pflegestudium hört sich nach genau dem Richtigen an für mich“, wie gut stehen die Chancen auf den Studienplatz? Wie gut kommt man in den Studiengang rein?

C. M.: Wir haben hier in Tübingen-Esslingen 60 Studienplätze. Wir sind ein Studiengang, der im Aufbau ist. Daher kommt man momentan noch gut rein. Aber ich muss sagen, ich bin schon relativ gespannt, wie es nächstes Jahr wird. Wir sehen, es ist inzwischen durchaus attraktiv, Pflege zu studieren. Insbesondere natürlich, wenn man Abitur hat. Man hat anschließend andere Weiterqualifikationsmöglichkeiten, als wenn man eine Ausbildung macht.

Berufsperspektiven (27:38)

C. J.: Dann würde ich sagen, wir hören mal rein, wo sich Tübinger Studierende später beruflich sehen und sprechen dann darüber, welche Möglichkeiten einem offenstehen.

Studi 1: Ich möchte nach meinem Studium eventuell noch einen Masterstudiengang machen und ansonsten werde ich definitiv in der Pflege arbeiten. Mein Fokus liegt bei dem Studiengang auf der Ausbildung, die ich danach habe, meine abgeschlossene Ausbildung zur Pflegefachfrau.

Studi 2: Ich möchte tatsächlich nach meinem Studium gerne in der Pflege bleiben. Ich würde gerne noch eine Fachweiterbildung machen. Mich reizt das Thema Intensivpflege sehr, was ja aktuell auch ein sehr großes Thema ist. Aber ich muss sagen, dass das Studium natürlich auch viele andere Möglichkeiten bietet.

C. J.: Sie hatten es vorher schon erwähnt, das Studium und die Ausbildung sind eine generalistische Ausbildung. Eine Grundausbildung, mit der ich bewegt bin, bereits im Beruf Fuß zu fassen, zu arbeiten und mich aber auch fachlich weiterbilden kann. In welchen Spezialisierungen kann man sich weiterbilden? Vielleicht ein paar Ausblicke.

C. M.: Es gibt jetzt zunehmend Masterstudiengänge, die für die berufliche Praxis qualifizieren. Ob das im Bereich der Versorgung chronisch kranker Patienten ist, onkologische Patienten oder auch im Bereich Anästhesie und Intensivpflege. Momentan sind das noch vorwiegend Fachweiterbildungen, aber es wird zunehmend Masterstudiengänge in diesem Bereich geben. Die bauen sich auf, auch in der Primärversorgung, das nennt sich neudeutsch Community Health Nursing, um quasi erweiterte Rollen zu haben, um mit einem Hausarzt zusammen Patienten gemeinsam zu versorgen in der Häuslichkeit. Das ist der eine Bereich, wenn man klinisch-praktisch weiterdenkt, um in der Versorgung zu bleiben. Aber natürlich brauchen wir langfristig auch Personen, die sich in anderen Bereichen qualifizieren. Ob das Lehrende für die Studiengänge sind, Personen, die dort unterstützen oder Personen, die in der Praxis unsere Studierende begleiten, sogenannte Praxisanleiter. Das sind Pflegende mit einer zusätzlichen pflegepädagogischen Qualifikation, die diese praktischen Skills systematisch vermitteln können. Also Möglichkeiten ohne Ende!

C. J.: Wenn ich nach dem Studium erst in der klassischen klinischen Versorgung der Pflege arbeiten möchte, hat man da irgendwie Vor- oder Nachteile im Vergleich zu einer Person, die nur die Ausbildung gemacht hat, ohne Studium?

C. M.: Ich persönlich würde sagen, nur Vorteile. Meine Erfahrung ist, dass eine Person mit einem Studium sich deutlich schneller weiterentwickeln kann, entweder dass sie ihren Fachbereich weiterentwickeln, aber auch zunehmend eigenständige Aufgaben übertragen werden, wo ihre wissenschaftliche Qualifikation eine gute Grundlage ist, um Konzepte mit zu erarbeiten, um an der Entwicklung von neuen Konzepten, Verfahren beteiligt zu werden. Weiterentwicklung von Innovationen in der Gesundheitsversorgung, da werden diese Kompetenzen natürlich gebraucht. Wenn man ein bisschen out of the box denken kann, ein bisschen breiter. Neulich hat eine Studentin zu mir gesagt „Menschenskinder, das ist so klasse, wir kriegen hier so viel übers gesamte Gesundheitssystem vermittelt!“ Krankenpflege findet ja nicht nur im Krankenhaus statt, sondern im gesamten Gesundheitssystem. Da einen Überblick zu bekommen, was es überall für gesetzliche Grundlagen gibt, das ist schon sehr vielfältig.

A. B.: Jetzt muss man ja sagen, während einer dualen Berufsausbildung bekommt man eine Ausbildungsvergütung. Die Lage im Studium ist anders. Wie sieht es denn da aus?

C. M.: Also während des Studiums studiert man, da gibt es keine Ausbildungsvergütung. Es kann sein, dass einem die Kooperationseinrichtungen für die Praktika eine Aufwandsentschädigung bezahlen können. Aber das ist nicht gesetzt, dass es da etwas gibt. Wir haben momentan die glückliche Lage, dass es funktioniert. Aber das ist nichts, was gesetzlich vorgeschrieben ist wie bei den Hebammen. Bei den Hebammen ist es ins neue Hebammenreformgesetz mit aufgenommen worden, in der Pflege ist das nicht passiert. Ja, da hoffen wir darauf, dass sich das langfristig ändert. Die Politik weiß darum. Und wir haben jetzt eine neue Regierung. Mal gucken, ob sich da was tut.

A. B.: Inhaltlich haben wir die Vorteile im Studium herausgestellt. Es ist natürlich gut zu wissen, wie die finanziellen Bedingungen sind. Wie sieht das nach dem Studium aus? Stehen einem da bestimmte Türen offen mit einem Studium, die man in der Ausbildung nicht so leicht erreicht?

C. M.: Das ist auch ein sich entwickelnder Bereich. Natürlich stehen einem andere Wege offen. Wenn man in die Stellenanzeigen guckt, werden zunehmend Leute mit einem Studienabschluss gesucht. Insbesondere deshalb, wir wissen das aus Studien, weil da, wo Personen mit einem akademischen Abschluss in der Pflege eingestellt sind, die Qualität der Versorgung eine bessere ist. Dazu gibt es internationale Studien, die das festgestellt haben, sodass insbesondere die großen Kliniken, aber auch kleinere Kliniken, schauen, dass sie akademisch qualifiziertes Personal haben, das sie natürlich auch für konzeptionelle Arbeit, für Qualitätssicherung der Arbeit beauftragen können.

A. B.: Für die es dann auch mehr Geld gibt?

C. M.: Für die es dann auch mehr Geld gibt! Da entwickelt sich momentan tatsächlich tarifrechtlich einiges weiter. Ja, da tut sich was. Da muss sich was tun und da wird sich auch was tun. Das ist ganz klar!

C. J.: Klingt für mich auf jeden Fall so, als würde es sich definitiv lohnen, dieses Studium auch einer Ausbildung vorzuziehen, wenn man Lust hat auf Studieren. Wenn man sagt, ich bin der Praktiker, die Praktikerin, ich muss nicht sechs Semester lang Vorlesungen besuchen und sehr viel theoretisches Wissen lernen, das muss man in der Berufsschule mit Sicherheit auch! Aber ansonsten überwiegen, so klingt es für mich, die Vorteile, das Potenzial, das man danach im Beruf haben wird.

A. B.: Also wer Lust hat, an Veränderungsprozessen teilzuhaben, so klingt es ganz stark, ist im Studium gut aufgehoben.

C. M.: Unbedingt! Auch wieder ein Zitat einer Studentin von mir, die hat mal zu mir gesagt „Frau Mahler, also meine Cousine, die macht die ganz normale Ausbildung und ich verstehe das nicht. Wir haben immer total viel Lust in die Praxis zu gehen und wenn sie in die Praxis geht, da hat die gar keine Lust drauf.“ Das ist ein bisschen paradox, weil man immer sagt, die Leute aus dem Studium, die sind so verkopft, die wollen eigentlich gar nicht in die Praxis, die wissen gar nicht, wie das geht. Das Gegenteil ist der Fall! Die brennen darauf, ihre Kenntnisse und Fertigkeiten anzuwenden, weil sie eben Lernende sind und keine Arbeitenden. Ich glaube, das ist der große Unterschied zwischen Studium und Ausbildung. Das eine sind Lernende, die sich auch als lernende Studierende verstehen, klar während des Praktikums arbeiten sie. Aber diejenigen, die eine Ausbildung machen, die sind in einem Ausbildungsverhältnis mit einem Arbeitgeber. Und das ist das, wo ich immer denke, wir haben über das Studium deutlich mehr Freiheiten, das Studium zu gestalten.

C. J.: Und eine andere Haltung.

A. B.: Die Freiheiten im Studium, das glaube ich, ist eine sehr andere Bedingung als die vertragliche Bindung an einen bestimmten Arbeitgeber, eine Arbeitgeberin, die doch ein ganz anderes Setting mitgeben in diesem Lernprozess.

Insider-Tipps (37:35)

A. B: Ja, wir haben jetzt eine neue Kategorie zum Abschluss eingeführt. Frau Mahler, nämlich bitten wir unsere Gäste, ob sie Tipps haben zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Fach. Das können Stichworte zur Recherche sein, es kann ein Literaturtipp sein. Haben Sie da noch die eine oder andere Idee?

C. M.: Da geben Sie mir jetzt eine harte Nuss zu knacken. Ins Ausland zu schauen, kann ich einfach jedem empfehlen! Das englischsprachige Ausland auf jeden Fall, aber auch im europäischen Ausland. Ob das in Dänemark, in Schweden ist, in fast jedem Land ist es eigentlich normal, Pflege zu studieren und nicht eine Ausbildung zu machen. Über einen Berufsverband der Pflegeberufe gibt es auch viele Informationen, die die Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Bereich aufzeigen oder auch die Vielfältigkeit des Pflegeberufs.

A. B.: Haben Sie sonst noch was, was Sie den Hörerinnen und Hörer mit auf den Weg geben möchten?

C. M.: Einfach ein Ausspruch: Pflege ist ein krisensicherer Beruf!

A. B.: Gut, dann nehmen wir das doch so als Schlusswort. Vielen Dank, dass Sie heute unser Gast waren! An die Hörerinnen und Hörer da draußen: Wenn Ihr Anregungen oder auch Fragen habt, schreibt uns gerne unter hochschulreif@uni-tuebingen.de und ansonsten findet Ihr weitere Links und Infos in den Shownotes.

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Cornelia Mahler über die folgenden Themen: 
01:06 Persönliche Motivation
12:11 Studieninhalte
21:37 Persönliche Voraussetzungen
27:38 Berufsperspektiven
37:35 Insider-Tipps

Zum Berufsverband für Pflegeberufe geht es hier: https://www.dbfk.de

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #05: Soziologie

Womit beschäftigt man sich im Soziologiestudium? Welche Kompetenzen sind wichtig im Studium? Und in welchen Bereichen arbeiten Soziologinnen und Soziologen? Für unsere Folge zum Studienfach Soziologie haben wir Professor Dr. Jörg Strübing eingeladen. Er erklärt, was genau Soziologinnen und Soziologen untersuchen, wie soziologische Erkenntnisse gewonnen werden und für welche Zwecke sie praktisch nützlich sind. Wie immer berichten auch Studierende über ihre Erfahrungen rund ums Studium.

Listen
Alexandra Becker (A. B.): Herzlich Willkommen bei „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch auch heute wieder ein Studienfach vor und informieren, was Euch im Studium so erwartet. Wir, das sind mein Kollege Christoph Jäckle und ich, Alexandra Becker. Hallo Christoph!

Christoph Jäckle (C. J.): Hallo Alexandra!

A. B.: Wir sind vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen und haben auch diesmal wieder einen Gast für euch im Studio. Heute wird sich alles um das Fach Soziologie drehen. Dazu haben wir uns Professor Jörg Strübing eingeladen. Jörg Strübing lehrt am Institut für Soziologie und ist dort auch Studienfachberater. Er kennt sich also bestens mit allem rund um das Fach Soziologie aus. Hallo Herr Strübing!

Prof. Dr. Jörg Strübing (J. S.): Hallo!

A. B.: Hallo, schönen guten Morgen! Herr Strübing, wir lassen an dieser Stelle immer zuallererst die Studierenden des Faches zu Wort kommen. Und die haben wir gefragt, warum sie sich für das Fach Soziologie entschieden haben.

Persönliche Motivation (1:00)

Studi 1: Für ein Studium der Soziologie habe ich mich entschieden, weil ich mich für Menschen interessiere, und zwar vor allem für gesellschaftliche Strukturen und Veränderungsprozesse. Besonders spannend finde ich, dass die Soziologie Teil der gesellschaftlichen Verhältnisse ist, die sie erforscht.

Studi 2: Ich habe nach dem Abi im Zivildienst den Eindruck gewonnen, dass es in einer Gesellschaft bestimmte Strukturen gibt, die auf die Handlungsspielräume der Individuen wirken. Und es kam mir so vor, als wäre die Soziologie eine gute Art und Weise, diese Strukturen zu untersuchen, weil sie immer das Individuum in ihrem Kontext sieht.

Studi 3: Ich habe damals vor dem Abitur schon sehr gern Editorials, Meinungen über Politik und Gesellschaft in den Medien gelesen und hatte nur eine ganz grobe Idee, dass ich so etwas gern lernen möchte. Aber welches Studienfach mir solche Inhalte beibringen würde, wusste ich überhaupt nicht. Und erst nach ein paar Semestern war ich mir sicher, dass ich das richtige Fach gewählt habe.

C. J.: Ja, Herr Strübing, die persönlichen Gründe, die wir hier gerade von den Tübinger Studierenden gehört haben, waren ja sehr unterschiedlich. Wie war denn Ihr erster spontaner Eindruck? Werden sich diese Erwartungshaltungen im Studium so bewähren?

J. S.: Ja, es ist interessant, wenn wir Menschen hören, die am Anfang dieses Weges in die Soziologie stehen. Dann kommen die oft mit dieser Idee: Da sind so Strukturen. Und dann sind da die Individuen und die Strukturen, die prägen die Individuen. Das ist schon mal ein schöner Startpunkt. Aber vor allen Dingen, weil wir dann in der Lage sind, sie auch nachhaltig zu irritieren in diesem Studium, weil das die Voraussetzung für Erkenntnis ist. Und sie werden dann im Studium vielleicht lernen, dass die Strukturen nicht irgendwelche Dinger sind, die da oben wie Gerüste über uns schweben und uns dann in einer bestimmten Weise formen, sondern dass Strukturen vielleicht doch etwas sind, was wir permanent in Interaktion miteinander tun. Und dann wird die Sache auch für uns soziologisch besonders spannend.

C. J.: Das ist quasi schon die allererste kurze Definition, was diese Strukturen eigentlich sind? Ein ständiger Interaktionsprozess zwischen Menschen?

J. S.: Zumindest ist das eine Sichtweise, die in der Soziologie vertreten wird. Die Soziologie ist, das muss man vielleicht immer gleich vorwegsagen, nicht so einfach wie manche Naturwissenschaft, wo es eine große Theorie gibt. Die wird gelehrt und dann weiß man das und alle wissen das Gleiche. Sondern die Soziologie hat eine Reihe unterschiedlicher Theorieperspektiven, die manchmal gegeneinander stehen, manchmal nebeneinander stehen, aber wenn alles gut läuft in einem fruchtbaren Austausch miteinander kommen. Und das macht das Fach spannend. Wir haben nicht die eine Meinung, das eine Wissen über Gesellschaft oder über Soziales, sondern wir haben unterschiedliche Blickwinkel, die jeweils theoretisch ausgeprägt sind und können von diesen unterschiedlichen Blickwinkeln Unterschiedliches sehen. Das macht das Fach, finde ich, sehr attraktiv.

C. J.: Zu den verschiedenen Blickwinkeln und Theorien kommen wir bestimmt noch. Aber noch mal zurück zur Studienwahl und die Motivationsgründe. Wenn wir jetzt schon gemerkt haben, vielleicht waren nicht alle Erwartungshaltungen, die genannt werden, schon perfekt zutreffend. Welche Fragen sollte man sich denn, wenn man jetzt gerade sein Abitur gemacht hat oder demnächst macht, stellen, um für sich selbst herauszufinden, ob Soziologie vielleicht das Richtige für einen ist?

J. S.: Das erste was man sich fragen muss ist, bin ich auf diesen Gegenstand, auf Soziales, die Gesellschaft, eigentlich hinreichend neugierig? Will ich das wissen? Wenn ich keine Neugierde für mein Fach habe, dann brauche ich gar nicht anfangen zu studieren. Wenn ich mich nicht für Menschen und für Interaktion, für soziale Prozesse und Strukturen interessiere, nachhaltig, dann macht es auch keinen Sinn.

A. B.: Und war es das, was Sie selber auch bewegt hat, dass Sie sich für das Fach entschieden haben? Oder was war Ihre Motivation? Wie sind Sie dazu gekommen?

J. S.: Also bei mir war es ein bisschen untypisch. Es war in den späten 70er-Jahren, schon eine Weile her, und damals in der Oberstufe wollte ich Sozialarbeiter werden. Ich wollte die Welt verändern, das wollte man so, da war Klimawandel nicht das Thema, aber soziale Ungerechtigkeiten waren wichtige Themen. Da wollte ich den Menschen helfen. Diese Helfermotivation hat mich nicht in die Soziologie getrieben, sondern in die Sozialpädagogik. Das habe ich angefangen und auch zu Ende studiert, aber irgendwie wuchs so ein Unbehagen, weil man immer so ein bisschen von der Hand in den Mund gelebt hat. Es ging immer gleich um praktische Maßnahmen, bevor man eigentlich verstanden hat, wie eigentlich so eine Gesellschaft funktioniert. Wie geht das eigentlich, dass man arm wird? Wie lebt es sich eigentlich, wenn man sogenannt „behindert“ ist? Oder all solche Fragen. Die wurden eigentlich gar nicht wirklich zu Ende bearbeitet. Es gab kaum theoretischen Hintergrund, nichts, was irgendwie kohärent war. Deswegen habe ich nach dem Studium entschieden, dass ich nicht in den Beruf einsteige, sondern noch mal ein Soziologiestudium anhänge.

C. J.: Da würd ich sagen, wir hören uns doch gleich mal von den Tübinger Studierenden an, wie so eine Studienwoche momentan bei ihnen aussieht, was sie da alles erwartet.

Studieninhalte (5:57)

Studi 1: Es ist so, dass man die Veranstaltungen besucht, dass man die Vorlesungen und Seminare vor- und nachbereitet. Das bedeutet eben vor allem viel zu lesen.

Studi 2: Typischerweise liest man jede Woche vor einer Seminarstunde einen bestimmten Text, dann wird im Seminar darüber diskutiert. Am Ende des Semesters schreibt man eine Hausarbeit dazu.

Studi 3: Zunächst mache ich mir einen Plan, was ich zu machen habe in dieser spezifischen Woche. Dann bereite ich die verschiedenen Kurse und Vorlesungen vor, also Texte lesen. Und dann sind die Kurse, die Nachbereitung der Kurse und zwischendurch immer wieder mal Gespräche und Diskussionen mit KommilitonInnen.

Studi 4: Grundsätzlich ist es so, dass man in Soziologie viel lesen muss, auf Deutsch und auf Englisch. Ich habe mich dazu dann oft mit anderen Studierenden ausgetauscht. Wir haben uns getroffen, über die Texte diskutiert, gemeinsam gelernt auf Klausuren, uns gegenseitig unsere Hausarbeiten korrekturgelesen.

A. B.: Wir haben jetzt schon gehört, das viele Lesen und auch der Austausch scheinen ganz wichtig zu sein. Wenn wir uns das Studium genauer anschauen, was lernen denn Studierende tatsächlich im Studium? Wie sieht das inhaltlich aus?

J. S.: Vielleicht knüpfen wir kurz beim Lesen an. Das ist in der Tat so, dass die Soziologie ein Fach ist, was viel mit Text umgeht, aber nicht nur rezeptiv. Also nicht nur, wir lesen und streichen an oder so etwas, sondern wir schreiben auch und sprechen natürlich viel. Sprache spielt eine wichtige Rolle in diesem Fach. Und dann, wenn es in die Inhalte geht, lernen wir natürlich auf allen Dimensionen, was den Gegenstand und die Erschließung des Gegenstands ausmacht. Wenn wir über Gesellschaft reden, dann müssen wir in der Tat über das reden, was schon als Strukturen anklang, aber natürlich auch über das, was als Individuum benannt wird. Wie kommt es eigentlich zu Individuen? Sind die einfach immer schon da? Also haben wir den handelnden Akteur oder so etwas immer schon? Oder muss der erst hervorgebracht werden? Und die Gesellschaft, ist die immer schon da? Oder muss die vielleicht auch permanent reproduziert werden, damit sie bleibt, damit sie existiert? Und wie macht man das eigentlich? Das sind alles inhaltliche Fragen, die wir uns erschließen. Wie können wir diese verschiedenen Aspekte von Gesellschaftlichkeit, über die wir im Alltag sprechen, ein bisschen systematisch verfügbar machen? Dabei hilft uns Theorie. Also das heißt, wir müssen auch wissen, was die Alten gedacht haben.

A. B.: Das ist quasi die Frage danach, wie die Studierenden eigentlich lernen. Das heißt das, was hinter dem vielen Lesen steckt. Erst mal zu schauen, was es so an Ansichten, an Gedanken gab?

J. S.: Ja, das ist aber nur der eine Teil. Man muss natürlich lesen. Die Theorie, wie sie sich aufgeschichtet hat über Jahrzehnte in der Soziologie, damit man ein Verständnis hat dafür, wie welche Probleme wo auftauchten, welche wissenschaftlichen Probleme aufgetaucht sind und wie man sie gelöst hat. Aber es geht auch um gegenstandsbezogenes Lesen. Also wir lesen über soziale Ungleichheit oder wir lesen über die Soziologie des Körpers. Oder wir lesen über die Konstruktion von sozialem Geschlecht. Da haben wir dann empirische Texte, auch Texte, die also Aspekte von Wirklichkeit methodisch einfangen, bearbeiten und dann präsentieren.

A. B.: Das heißt, das sind auch Fragen, die eventuell später die Studierenden auch selber bearbeiten, empirisch oder auch theoretisch?

J. S.: Ja, wer Soziologie in die Richtung betreibt, dort zu forschen, wird sich in einem dieser Themen oder in mehreren dieser Themenfelder wiederfinden und sich für irgendwas auch entscheiden müssen. Und Soziologie ist ein sehr großes Fach. Ich bin im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und wir haben 35 Sektionen, die alle unterschiedliche Gegenstandsbereiche unseres Faches abdecken. Es ist schon sehr breit und da findet sozusagen jede und jeder irgendetwas, worin er sich vertiefen kann. Das passiert natürlich über die Bildungsbiographie im Fach, nicht gleich am Anfang. Man muss sich nicht gleich im ersten Semester entscheiden „Ich mache jetzt Soziologie des Körpers“ oder so, sondern man entwickelt langsam ein Interesse für alles und arbeitet sich dann ein in diesen Bereich.

A. B.: Ja, vielleicht können wir die mal grob umreißen. Was sind denn so die großen Felder, die es gibt in der Soziologie?

J. S.: Na ja, ein großes Feld ist auf jeden Fall mal die Sozialstrukturanalyse, also dass wir uns und vor allem der Gesellschaft immer wieder klar machen, wie unsere Gesellschaft in großen Aggregaten geschichtet, sortiert und organisiert ist. Dass wir wissen, welche Milieus wo zu verorten sind, wie sie sich typischerweise verhalten, wie ihr Konsumverhalten ist. All solche Dinge interessieren uns natürlich. Das macht die Sozialstrukturanalyse. Die ist sehr oft verbunden mit Kompetenzen, vor allem im Bereich der standardisierten quantifizierenden Methoden also, wo man viel rechnet, viel Statistik macht und große Datensätze bewegt. Dann haben wir aber auch die Soziologie der Interaktion, wo wir uns sehr mikroskopisch, sehr detailliert und genau darauf beziehen, wie Menschen miteinander handeln. Das heißt, wie das eine Handeln an das andere anschließt. Woher weiß man eigentlich, wann man wie anschließen kann oder sollte? All solche Dinge wollen erforscht sein und das ist ein sehr spannendes Gebiet. Erving Goffman ist ein großer Name in dem Zusammenhang oder Harold Garfinkel. Das sind die Extrempole, könnte man fast sagen, in der Größendimension einmal makrostrukturell auf die Gesellschaft zu blicken, Sozialstrukturanalyse. Oder mikrosoziologisch drauf zu schauen, wie einzelne Prozesse verlaufen, wie Praktiken des miteinander Handelns aussehen, auch zum Beispiel wie man mit Dingen handelt und ob eventuell Dinge mithandeln. Wenn wir über künstliche Intelligenz reden, über selbstfahrende Autos, auch das sind soziologische Fragen, unter anderem wie eigentlich das Interaktionsverhältnis oder Interaktivitätsverhältnis zwischen Menschen und Dingen aussieht und was das für einen Einfluss wiederum auf die Gesellschaft haben kann.

A. B.: Wie man in der Soziologie arbeitet, haben Sie schon angerissen. Haben Sie da Beispiele, was typische Methoden sind, die man im Studium lernt oder wie man an bestimmte Sachen herangeht?

J. S.: Ja, die Soziologie ist, wie einer unserer Altvorderen Max Weber formuliert hat, eine Wirklichkeitswissenschaft. Abgrenzend gegenüber Philosophie, Logik oder solchen Fächern, haben wir immer einen empirischen Bezug auf einen bestimmten empirischen Gegenstand, die Gesellschaft, das Soziale, die Menschen und ihr Handeln miteinander. Und das heißt notwendig, wir brauchen Methoden, mit denen wir uns diese Wirklichkeit zugänglich machen können. Das ist gar nicht so einfach. Wir haben es, wie Alfred Schütz gesagt hat, mit Konstruktionen zweiter Ordnung zu tun. Das Ding, das wir erforschen, das erforscht sich oder deutet sich auf eine gewisse Art immer schon selbst. Wir haben als Alltagsmenschen immer schon ein Bild von uns und von den anderen und handeln auch auf der Basis dieses Bildes, das wir haben. Und das macht natürlich den Zugang schwieriger. Denn so positivistisch Herangehen im Sinne von „die Fakten sind die Fakten, so wie ich sie jetzt eingesammelt habe“, das funktioniert nicht. Sondern wir müssen uns immer fragen, was bedeuten diese scheinbaren Fakten, diese Daten, die wir da gesammelt haben? Dafür gibt es unterschiedliche Verfahren. Ich habe vorhin schon angedeutet, quantitativ und qualitativ ist eine große Unterscheidung. Wir lernen in unterschiedlicher Weise verbale, d.h. sprachliche Daten, zu produzieren oder einzusammeln, wie immer man das dann betrachtet. Sie kennen das von standardisierten Fragebögen, die man manchmal bekommt, meistens online heutzutage. Auch aus Interviews, wo wir wirklich hingehen und mit Leuten sprechen, die Leute zum Sprechen bringen, Leute ganze Biografien von sich erzählen lassen zum Beispiel. Oder wir lauschen Gruppendiskussionen, die wir angezettelt haben und gucken, wie die Leute da miteinander umgehen, wie sie ihre Argumente aufbauen und so weiter. Das sind solche Verfahren. Das Beobachten ist sehr wichtig bis hin zur Ethnographie. Das heißt, wir gehen teilweise für längere Zeit in irgendwelche Milieus, Organisationen, Bereiche der Gesellschaft und versuchen uns dort aus der Binnenperspektive zu erschließen, wie das eigentlich funktioniert. Wie es eigentlich ist, dass ich obdachlos sei. Das kann sich eigentlich keiner von uns vorstellen. Wenn man nicht hingeht, mit den Leuten redet, mit ihnen mitgeht, nicht auch unter der Brücke schläft, ohne sich anzubiedern, nur um zu sehen, wie das funktioniert, dann lernt man Dinge, die man anders nicht lernen kann. Und das ist auch ein wichtiger Bereich unserer Methoden, die wir zu vermitteln versuchen.

C. J.: Welche verschiedenen Arten von Prüfungsleistungen gibt es denn am Schluss, die Studierende erbringen müssen?

J. S.: Nun, im Laufe des Studiums haben wir unterschiedliche Prüfungsleistungen. Das reicht von Multiple-Choice-Klausuren nach großen Vorlesungen, über Hausarbeiten, über Essays, also kürzere Texte zu bestimmten Themen, und manchmal auch Arbeit mit Daten in einzelnen Veranstaltungen. Da macht man auch mal ein Stück Datenauswertung, was ein Teil der Prüfungsleistungen sein kann. Bis dahin geht das.

A. B.: Das führt mich zu einer Frage, die sicherlich wichtig ist: Wie viel Mathe muss ich denn können? Ist das ein wichtiger Teil im Studium der Soziologie?

J. S.: Es gibt zwei Bereiche neben der Lust an Sprache und Schreiben, die wichtige Kompetenzen sind oder Bereitschaften, die man mitbringen sollte. Wir brauchen keine Matheasse, die sind vielleicht sogar fast fehl am Platz. Aber wir brauchen Menschen, die keine Angst vor Zahlen haben. Manche haben eine hohe Affinität dazu, die machen vielleicht später eher standardisierte Sozialforschung, und manche haben da mehr eine passive Kompetenz. Man muss natürlich jede Statistik lesen können und verstehen, was gemeint ist. Nicht jeder muss jedes statistische Verfahren können. Dafür ist es wichtig, auch andere Verfahren zu erlernen, wie das Auswerten von qualitativen Daten, d.h. von Beobachtungsprotokollen und Interviewabschriften und so etwas. Das ist eine eigene Wissenschaft für sich.

A. B.: Sie haben auch schon einige Schnittstellen genannt zur Soziologie, beispielsweise Soziale Arbeit. Ich dachte auch an Politikwissenschaft oder Erziehungswissenschaft, Philosophie. Wir haben schon einiges gehört. Wie kann man denn die Soziologie klar davon abgrenzen?

J. S.: Noch ein kleiner Schlenker zurück. Historisch gesehen haben diese Fächer sich auseinander entwickelt oder so eine Art Ursuppe von wissenschaftlicher Neugier entwickelt, die zunehmend auf Gesellschaftliches bezogen war. Wenn man das aus der heutigen Perspektive sortieren will, kann man so viel sagen: Die Soziologie ist aus meiner Sicht immer die Grundlagenwissenschaft für alles Gesellschaftliche. Wenn ich verstehen will, wie Gesellschaft aber auch ihre Teilbereiche funktionieren, dann brauche ich soziologisches Grundwissen. Das brauchen Erziehungswissenschaftlerinnen genauso wie Politikwissenschaftlerinnen. Auch Sportwissenschaftler brauchen das interessanterweise für bestimmte Aspekte ihres Faches. Überall, wo Gesellschaftlichkeit in einem wichtigen Maße eine Rolle spielt, ist das wichtig.

A. B.: Man kann vielleicht festhalten, dass die Grenze nicht immer ganz klar zu ziehen ist und dass es Schnittstellen zwischen den Fächern gibt. Das sind ja oft auch die interessanten Zusammenstöße.

J. S.: Das ist auch, wenn ich das noch einwerfen darf, später wichtig für die Perspektive der Berufswahl. Wenn wir sehen, dass die Fächer gar nicht so scharf gegeneinander abzugrenzen sind, dann heißt das, dass auch die Berufsbilder nicht vollkommen klar gegeneinander abgegrenzt sind. Soziologie qualifiziert für ein relativ breites Berufsfeld, aber nicht für ein spezifisches.

Persönliche Voraussetzungen (19:06)

A. B.: Wir haben Studierende unter anderem gefragt, was sie denn am Studium so begeistert in ihrem Fach.

Studi 1: Was mich besonders begeistert am Studium der Soziologie ist, dass es sehr vielfältig und sehr spannend ist. Und man hat sowohl die Möglichkeit sehr große Fragen zu stellen, aber auch sich auf ganz kleine Fragestellungen zu stürzen und darin Expertin zu werden.

Studi 2: Vor allem gefällt mir, dass man lernt mit unterschiedlichen Perspektiven und Methoden umzugehen. Es gibt keinen festgelegten Kanon, was gelesen und gelernt werden muss. Man wird dazu angeregt, kritisch zu denken und zu hinterfragen. Auch in Seminaren wird viel diskutiert. Man lernt Alltagswissen zu hinterfragen. Wissen, von dem man dachte, das sehen doch alle so, ist doch klar, wie das ist.

Studi 3: Was mich am meisten begeistert ist, dass man theoretisch unbegrenzte Themenbereiche zu entdecken hat. Und man kann sich immer ein neues Thema aussuchen, was einen begeistert.

C. J.: Wir haben es gerade in den Aussagen der Studierenden gehört und von Ihnen vorhin auch schon in die Richtung: Die Themenvielfalt ist enorm groß. Ich stelle mir dabei die Frage, ob das zwar eine Chance für viele Studierende und für viele Forscher:innen bietet, aber bietet es auch die Gefahr für Studierende, sich irgendwann im Studium verlieren zu können?

J. S.: Die Vielfalt der Themen darf man nicht so denken, dass man alles wissen muss, sondern es geht eigentlich darum, dass man exemplarisch an bestimmten Feldern der Soziologie die Arbeitsweise des Faches kennenlernt, methodisch und theoretisch. Dann muss man sich natürlich auf die Bereiche beschränken, die das jeweilige Institut bietet. Jedes Institut in Deutschland hat einen unterschiedlichen fachlichen Zuschnitt. Sie finden immer irgendwo etwas nicht, aber irgendwo anders dann schon, was sie hier vielleicht vermissen würden. Man hat hier eine überschaubare Zahl von Feldern, die einem aufgetan werden, das reicht für ein Studium vollständig. Man lernt daran alles, was man lernen können sollte. Und man kann immer noch entscheiden, wenn man im Master studiert, ob man noch andere Bereiche der Soziologie kennenlernen will, die woanders geboten werden, oder ob man Bereiche von hier vertiefen will. Es ist nicht die Gefahr, sich zu verlaufen, aber man muss verstehen, dass man die Gegenstandsbereiche, die man hier anpackt, erst mal in der Ausbildung im Studium exemplarisch lernt. Dass es nicht darum geht, darin gleich die Expertin zu sein, sondern daran zu lernen, wie es funktioniert. Dann hat man ein Rüstzeug, mit dem man sich auch andere Felder gut erschließen kann.

C. J.: Wir hatten es vorher schon von der Mathematik als eine Voraussetzung, die man mitbringen sollte. Gibt es noch weitere?

J. S.: Ja, Lesen, Schreiben habe ich schon erwähnt und das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es ist wirklich wichtig, dass man Sprachen mag, dass man liest, auch neben dem Studium. Wenn man viel liest, auch Belletristik, dann kriegt man ein anderes Sprachgefühl. Das gilt übrigens auch für den anderen Bereich, der noch sehr wichtig ist für dieses Studium, Englisch. Sie brauchen Englischkompetenz! Von der Schule bringen Sie etwas mit, mehr oder weniger, aber Sie sollten die Neugier und die Bereitschaft haben, diese Englischkompetenz auch im Praktischen auszubauen. Also: Reden und Schreiben und Lesen. Das heißt zum Beispiel, man liest auch mal einen Roman auf Englisch, nur um das Sprachgefühl zu kriegen, und sperrt sich nicht, wenn eine Hausarbeit in Englisch geschrieben werden soll und übt daran einfach. Niemand ist am Anfang perfekt, aber die Bereitschaft sich mit der Sprache auseinanderzusetzen, ist wichtig.

C. J.: Wenn man Soziologie beispielsweise als Hauptfach studiert, muss man sich auch ein Nebenfach aussuchen im Bachelorstudium. Welche Nebenfachkombinationen sind da sinnvoll oder werden häufig gewählt?

J. S.: Sehr häufig sind natürlich die Nachbarfächer Politikwissenschaft und Erziehungswissenschaft. Wir haben noch die Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen als eine Spezialität, die es nur ganz selten in Deutschland gibt. Auch das ist eine beliebte Kombination. Dann gibt es auch Menschen, die andere Kombis wählen, weil sie noch was anderes im Blick haben. Leute, die in den Journalismus wollen, machen vielleicht im Nebenfach Medienwissenschaften. Es gibt Leute, die naturwissenschaftliche Nebenfächer haben, weil sie irgendwas im Blick haben, was sie interessiert. Andere machen Theologie. Man sollte ja meinen, dass Theologie und Soziologie gar nicht zusammengehen, wenn wir Marx lesen und der sagt, Religion ist Opium des Volkes oder so etwas. Dann meint man, das geht nicht, aber es geht sehr gut zusammen. Genauso geht sehr gut zusammen Religionswissenschaften, wenn man aus einer wissenschaftlichen Perspektive auf Religiosität schaut. Das ist eigentlich ein Bereich soziologischen Denkens über Glauben und Religiosität. Da gibt es spannende Kombinationen. Wir haben hier in Tübingen eine große Vielzahl von Nebenfachmöglichkeiten und man ist damit nicht hundertprozentig festgelegt, wenn man dieses oder jenes Nebenfach belegt. Aber wenn man schon eine Idee hat, in welche Richtung man sich interessiert, ist es klug, ein Fach in diese Richtung zu wählen.

A. B.: Zur Evangelischen Theologie haben wir tatsächlich schon eine Folge aufgenommen. Also wen es interessiert oder wer da neugierig ist: Hört da gerne mal rein!

C. J.: Bei uns geht es in erster Linie um die Bachelor-Studiengänge und die bestmögliche Studienwahl dazu, aber das Thema Master ist natürlich auch wichtig und sinnvoll gleich mitzudenken. Würden Sie sagen, es ist wichtig, einen Master in Soziologie zu machen? Oder es ist für bestimmte Berufsfelder nötig?

J. S.: Grundsätzlich gilt wie in fast jedem Fach: Wenn man einen Master hat, dann kann man beruflich in der Regel höher einsteigen. Aber wir haben durchaus viele, die aus dem Bachelor nicht weitermachen mit dem Master. Es macht wahrscheinlich ein bisschen mehr als die Hälfte, die in Richtung Master geht, aber es geht auch ein nennenswerter Teil direkt in Beruf. Beruf, das heißt nicht in die Wissenschaft, dafür bräuchte man den Master. Beruf heißt zum Beispiel, dass man in Organisations- oder Personalabteilungen von Firmen wechselt oder in die Sozialadministration, also im Staat irgendwo aktiv ist. Oder dass man in Bildungseinrichtungen Bildungsarbeit macht, Fortbildungsgeschäft, Beratung all so etwas. Da gibt es eine große Vielzahl. Man kann auch von dort Richtung Journalismus loslaufen, muss vielleicht noch ein bisschen nachqualifizieren, praktisch und theoretisch. Da geht es schon los, aber in dieser großen Breite, die ich angedeutet habe. Der Master ist erforderlich, wenn man in Richtung Wissenschaft gehen will, eine Promotion anstrebt oder etwas in die Richtung, weil man im Master viel stärker die Forschungsmethoden lernt. Erst wenn man den Master gemacht hat, kann man wirklich auch selbstständig forschen, würde ich behaupten, und dann zum Beispiel eine Promotion angehen.

Berufsperspektiven (26:21)

C. J.: Dann würde ich sagen, widmen wir uns doch weiter dem Thema Berufsfelder, die nach dem Studium offen stehen, und hören uns an, was Tübinger Studierende für Vorstellungen haben, wo sie beruflich später landen könnten.

Studi 1: Danach kann ich mir zwei Richtungen vorstellen. Das eine wäre eher in Richtung Bildung, zum Beispiel als Referentin für Diversität. Ich habe auch schon ein Praktikum gemacht an der Landeszentrale für politische Bildung im Bereich Frauenpolitik. Oder ich gehe eher in Richtung Sozialforschung. Da habe ich auch schon ein Praktikum in einem Sozialforschungsinstitut gemacht.

Studi 2: Für mich ist es sehr spannend, das Fachwissen in Soziologie und vor allem in Ethnologie im journalistischen Bereich in der Berichterstattung anwenden zu können. Deswegen will ich mich in dem Bereich gern weiterentwickeln.

Studi 3: Ich möchte nach dem Studium in der Wissenschaft bleiben, möglicherweise als ein Sozial- oder Meinungsforscher in einem Institut oder an der Universität. Und ich fände die Arbeit mit Studierenden sehr spannend und die darin entstehende Atmosphäre des Austauschs. Deswegen fände ich das ziemlich cool.

A. B.: Gibt es im Studium viele, die sich innerhalb des Studiums erst orientieren? Diese diesen Zeitraum, diese Möglichkeit hat man?

J. S.: Ja, es kommen selten Menschen zu uns ins Studium, die am Anfang wissen, was sie wollen. Die erste Mühe besteht eigentlich darin, erst einmal deutlich zu machen, für was man sich eigentlich entschieden hat. Die Unterscheidung Sozialarbeit vs. Soziologie ist so eine stehende Redewendung bei uns. Wir haben am Anfang oft noch Studierende, die sagen: „Ja, ich studiere Soziologie, weil ich den Menschen helfen will." Das ist natürlich ein gutes Motiv, Menschen helfen zu wollen, aber das ist nicht primär das Anliegen der Soziologie. Die Soziologie versucht zu analysieren, wie Soziales, wie gesellschaftliche Prozesse verlaufen. Das ist hilfreich für die Gesellschaft und andere, die helfen wollen. Zum Beispiel in der Sozialarbeit oder in anderen Feldern, die brauchen dieses Wissen. Aber das ist nicht primär die Aufgabe der Soziologie, der Soziologinnen und Soziologen, praktische Hilfe zu leisten. Man muss die Orientierung klarkriegen. Dann kommen die Studierenden in Kontakt mit den verschiedenen Gegenstandsbereichen unseres Faches und finden in der Regel Dinge, die sie interessieren. Nach drei Jahren hat man in der Regel schon eine Vorstellung, wo man es spannend fände.

A. B.: Und wie kann zum Beispiel ganz konkret so eine Orientierung aussehen, wenn ich noch auf der Suche bin im Studium? Gibt es die Möglichkeit, Praxiserfahrung zu sammeln und wenn ja, in welchem Rahmen?

J. S.: Unser Studiengang hat ein Pflichtpraktikum. Man macht typischerweise so ungefähr im fünften Semester, wenn man schon ein bisschen Soziologie kann, ein mehrwöchiges Praktikum. Das ist verpflichtend. Man reflektiert das hinterher und schreibt einen Praktikumsbericht. Das ist für viele ein entscheidender Schritt, eine Verortung zu finden. Oft versuchen Leute, da wo sie ein Praktikum gemacht haben, die Richtung, die sie da ausprobiert haben, weiterzuentwickeln. Dann haben sie schon Anknüpfungspunkte für ein berufliches Netzwerk, erste zumindest. Das vereinfacht die Sache natürlich.
A.B: Wo Sie das jetzt schon anklingen lassen: Wie sind denn die Berufschancen? Wie leicht kommt man nach dem Studium in die Praxis?

J. S.: Mein Eindruck ist, von drohender Arbeitslosigkeit sollte man sich wirklich überhaupt nicht beeindrucken lassen. Das ist einfach nicht mehr der Fall. Wenn man sein Studium halbwegs ordentlich absolviert hat, dann stehen einem zwar nicht alle Türen offen, aber es stehen einem auf jeden Fall Türen offen. Es gibt keine nennenswerte Arbeitslosigkeit in unserem Feld, das war früher mal. Es gab Zeiten, da war es nicht so ganz einfach, als Soziologin oder Soziologe unterzukommen. Aber mittlerweile ist es aus meiner Wahrnehmung kein Problem mehr. Ein Problem ist eher, dass man in diesen drei Jahren seine Orientierung findet, wo man hin will und sich mit dem entsprechenden Nachdruck in dieses Feld hineinbegibt.

A. B.: Da Orientierung tatsächlich auch schon so ein Thema ist – das ist jetzt ein Experiment, diese Kategorie haben wir noch nicht gehabt – haben Sie, sagen wir, drei Stichworte für eine weitere Recherche? Das können Berufsorientierungssachen sein oder praktische Sachen oder auch ein Filmtitel oder irgendein Literaturtipp?

Insider-Tipps (31:04)

J. S.: Ja, da gibt es ganz Verschiedenes. Ich finde zum Beispiel für mich sehr inspirierend, einen alten Roman von Upton Sinclair, „Der Dschungel" heißt er. Und da geht es um die Zustände in der Fleischindustrie im Chicago der Boomzeiten, Al Capone Zeit und davor, als Chicago massiv gewachsen ist, unendliche Migrantenströme in die Stadt hineinströmten, es große Slums gab und riesige Fleischfabriken. In diesen Fabriken ging es ziemlich übel zu und Upton Sinclair hat es in Form eines Sozialreportage-Romans beschrieben. Ein Roman, der auch Wirklichkeitseffekte hatte, weil die Gesetzeslage in Chicago angepasst wurde und die Restriktionen für die Fleischindustrie massiv verschärft wurden, mit Hygienevorschriften und so. Das ist ein richtiger fullflashed Blick in die Mitte der Gesellschaft. Was passiert da eigentlich? Das finde ich interessant. Und wenn man sich angucken will, wie Soziologen und Soziologen arbeiten, könnte man auch etwas Altes angucken, nämlich einen Film, der heißt „Einstweilen wird es Mittag" von Karin Brandauer. Ein österreichischer Film. Da geht es um eine berühmte klassische Studie aus der Soziologie, die Marienthal-Studie, wo es um Arbeitslosigkeit geht. Ein ganzes Dorf wird plötzlich arbeitslos. Was passiert da eigentlich? Wie verändert sich die kleine Gesellschaft dieser kleinen Stadt im Angesicht einer plötzlich auftretenden allumfassenden Erwerbslosigkeit, weil alle Fabrikarbeiter auf einen Schlag entlassen werden? Hochgradig interessant, nicht nur was das Phänomen betrifft, sondern auch wie das Forscherinnen Team dort arbeitet. Daran kann man vieles lernen. Natürlich machen wir es heute nicht mehr so wie damals, aber man kann viele Grundprobleme der soziologischen Forschungsarbeit kennenlernen. Das finde ich sehr inspirierend.

C. J.: Das klingt spannend, den werde ich mir auf jeden Fall auch anschauen, den kenne ich noch nicht. Ich bin selber großer Filmfan.

J. S.: Ach so, dann natürlich noch Kitchen Stories, den vielleicht einige kennen. Kitchen Stories ist ein Film, der in Schweden und Norwegen spielt. Da geht es um einen schwedischen Küchenproduzenten, um eine Firma. Die wollen rausfinden, wie sie sich den Markt der alleinlebenden Männer erschließen können. Sie wissen aber nicht, was alleinlebende Männer in Küchen so treiben. Also rüsten sie ein großes Expeditionsteam aus, lauter Forscher. Die fahren mit einem Wagen, mit Caravan und einem Tennishochstuhl rüber nach Norwegen, vom Linksverkehr nach Rechtsverkehr nach Norwegen, und besuchen dort auf dem Land lebende einsame Männer in ihren dörflichen Häusern. Die bauen den Tennishochstuhl in der Küche auf, sitzen da oben und spielen sozusagen den neutralen Beobachter. Ja, sie gucken von oben nach unten, was die alle so machen, beobachten das, schreiben alles auf. Und dann kommt es natürlich zu Verwicklungen. Eigentlich sollen die ja keinen Kontakt haben mit „denen da unten“.

C. J.: Aber sitzen in der Küche.

J. S.: Aber natürlich gibt es dann Kontakt und es geht auch andersherum. Dann geht der Mann unten aus der Küche irgendwann in den ersten Stock bohrt ein Loch in die Decke und beobachtet jetzt den Beobachter. Faszinierend, ein wirklich toller Film, den wir auch immer gerne für unsere Studierenden zeigen.

A. B.: Ich hätte ja gedacht, dass auch Loriot noch mit drin ist, ich bin ja ein großer Fan und habe auch gesehen, dass Vicco von Bülow sogar Ehrenmitglied des Soziologieverbandes ist.

J. S.: Ich werde nicht müde das zu betonen, weil Vicco von Bülow tatsächlich jemand war, der einen hochgradig soziologischen Blick auf Gesellschaft hatte. Leider ist Loriot in der aktuellen Studierendengeneration nicht mehr ganz so bekannt. Aber es lohnt sich, unbedingt! Ich habe auch in jeder meiner Einführungen „Was ist Soziologie?“ für den Studientag immer einen Clip drin, von Loriot in der Badewanne. Meine Kollegin Maren Müller hat auch immer was von Loriot dabei, weil man daran so gut sehen kann, gerade auf dieser Mikroebene, wie Interaktion funktioniert, wie eins ins anders greift, wie bestimmte Vorurteile, die Kommunikation beeinflussen, welche Absurditäten dann auch daraus entstehen. Und dann ja, jetzt komme ich, glaube ich, schon mit diesem Zitat, das mir noch am Herzen liegt. Es passt nämlich hier sehr schön rein. Wenn man sich Loriot intensiv angeschaut hat, kann man eigentlich schon etwas erringen, was Peter L. Berger, ein Soziologe, die erste Stufe der Weisheit genannt hat. Die erste Stufe der Weisheit in der Soziologie ist, sagt er, dass die Dinge nicht sind, was sie scheinen. Und das finde ich, das kann man bei Loriot immer sehr schön sehen, weil es immer irgendwann umkippt und ins Absurde dreht.

C. J.: Dann würde ich sagen, wir nehmen das als schönes Schlusswort für diese Frage. Außer Alex, hast du noch eine Frage?

A. B.: Ich habe keine Fragen mehr und werde auf jeden Fall mit diesem Blick demnächst auch mal auf Loriot schauen.

C. J.: Und ich freue mich schon auf die Kitchen Stories und andere Filmvorschläge, die sie uns genannt haben. Und ich bedanke mich ganz herzlich, Herr Strübing, fürs Kommen und dass Sie uns und unseren Zuhörerinnen und Zuhörern Rede und Antwort gestanden haben und uns viel über Ihr Fach Soziologie erzählt haben.

J. S.: Ja, herzlichen Dank auch von meiner Seite. Ich würde alle, die sich für Soziologie interessieren, einladen unserem Instagram-Kanal zu folgen, wo wir immer wieder was Neues über das Fach Soziologie und über das Institut bringen. Da kann man, glaube ich, auch ein gutes Gefühl dafür kriegen, was Soziologie eigentlich ist.

A. B.: Können wir in den Shownotes verlinken.

C. J.: Wunderbar! Falls Ihr ansonsten noch weitere Infos zu unserem Podcast oder zur Uni Tübingen und den Studienmöglichkeiten benötigt, geht auf www.uni-tuebingen.de/hoschulreif
Da findet Ihr Infos zu unserem Podcast. Ansonsten, falls Ihr Fragen oder Anregungen habt, schreibt uns eine E-Mail an hochschulreif@uni-tuebingen.de

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Jörg Strübing über die folgenden Themen: 
01:00 Persönliche Motivation
05:57 Studieninhalte
19:06 Persönliche Voraussetzungen
26:21 Berufsperspektiven
31:04 Insider-Tipps

Hier geht es zum Instagram-Kanal der Tübinger Soziologie: https://www.instagram.com/inside.soziologie/ und zur Seite der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

Zitierte Titel aus den Insidertipps:

  • Brandauer, Karin (Regie): Einstweilen wird es Mittag, Österreich 1988.
  • Hamer, Bent (Regie): Kitchen Stories (Salmer fra kjøkkenet), Norwegen/Schweden 2003.
  • Sinclair, Upton: Der Dschungel (Originaltitel: The Jungle), erschienen 1905/06.
  • Loriot (Künstlerpseudonym), Filme und Bücher siehe auch unter dem Klarnamen Vicco von Bülow.

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreif@uni-tuebingen.de


Folge #04: Mathematik

Was unterscheidet die Hochschulmathematik von Mathe in der Schule? Welche Herausforderungen gibt es im Mathestudium? Und wie kreativ kann so ein Studium sein? Zu Gast für unsere Folge über das Studienfach Mathematik ist Professor Dr. Thomas Markwig. Er gibt Einblicke in die verschiedenen Bereiche der Mathematik, in Vorzüge und Herausforderungen des Studiums sowie in mögliche Berufsperspektiven. Außerdem verraten Studierende, was ihnen am Mathestudium am besten gefällt und wie ihre Berufswünsche aussehen.

Listen
Christoph Jäckle (C. J.): Herzlich Willkommen bei „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. In unserem Podcast stellen wir Euch in jeder Folge ein Studienfach vor, damit Ihr wisst, was Euch im Studium dieses Faches so erwarten wird. Wir, das sind meine liebe Kollegin Alexandra Becker und ich, Christoph Jäckle. Hallo Alex!

Alexandra Becker (A. B.): Hallo Christoph!

C. J.: Alex und ich sind beide vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen und haben auch heute wieder einen Gast bei uns im Studio. Heute wird sich alles um das Fach Mathematik drehen. Dazu haben wir uns Prof. Dr. Thomas Markwig eingeladen. Thomas Markwig ist Studiendekan des Fachbereichs Mathematik und kennt sich daher bestens mit allem aus, was das Studienfach Mathematik betrifft. Hallo Herr Markwig!

Prof. Dr. Thomas Markwig (T. M.): Hallo!

C. J.: Herr Markwig, bevor wir gleich von Ihnen selbst hören werden, warum Sie sich für das Fach Mathematik entschieden haben, lassen wir wie immer erst mal einige Tübinger Studierende zu Wort kommen.

Persönliche Motivation (00:57)

Studi 1: Mir hat Mathe einfach schon immer richtig Spaß gemacht, auch in der Schule. Dann hatte ich auch noch den Vorteil, dass ich durch den Vertiefungskurs Mathe schon ein bisschen Einblick in das Uni-Mathe kriegen konnte. Deswegen habe ich mich für Mathe entschieden.

Studi 2: Ich muss sagen, ich habe absolut keine Ahnung mehr, wie ich auf die Idee kam, Mathe zu studieren. Aber das war die beste Entscheidung, die ich hätte treffen können.

Studi 3: Zum einen habe ich mich für ein Mathe Studium entschieden, weil Mathe mir in der Schule immer ganz gut gelegen hat und zum anderen wusste ich nach der Schule einfach nicht, was überhaupt tun. Es war also ein ziemliches Einfach-mal-Ausprobieren.

Studi 4: Ich habe mich für Mathe auf Lehramt entschieden, weil ich in der Schule immer den Teil spannend gefunden hätte, zu dem mein Lehrer gesagt hat: „Das lernt ihr dann in der Uni“. Und weil Mathe wahnsinnig faszinierend ist.

A. B.: Herr Markwig, wir haben schon gehört, Mathe in der Schule hat Spaß gemacht oder da war die Neugier ganz groß. Wie war es denn bei Ihnen? Warum haben Sie sich für die Mathematik entschieden?

T. M.: Also, dass mir Mathematik sehr viel Spaß gemacht hat in der Schule, das kann ich sicherlich unterstreichen. Ich wollte Lehrer werden, wahrscheinlich einfach, weil es das Berufsfeld war, das ich aus der langen Schulzeit am besten kannte. Ich habe mir dann überlegt, dass ich am besten die Fächer studiere, die mir am meisten Spaß machen. Das waren Mathematik, Geschichte und Biologie. Und das habe ich gemacht. Dann habe ich erst während des Studiums gemerkt, um wie viel mehr Spaß mir Mathematik macht im Vergleich mit allem anderen. Ich bin bei dem Wunsch geblieben, zu unterrichten. Allerdings wollte ich dann doch nicht an die Schule zurück, sondern lieber an der Universität bleiben. Ich habe diesen Weg eingeschlagen und ich hatte das große Glück, die notwendige Unterstützung zu finden, um das am Ende auch erfolgreich machen und an der Universität bleiben zu können und dort Mathematik unterrichten zu dürfen.

A. B.: Also Mathematik sticht Geschichte und Biologie bei Ihnen. Gab es denn bei der Studienwahl Kriterien, die Sie berücksichtigt haben? Sie haben gesagt, Sie wollten Lehrer werden. War das einfach alles klar für Sie? Oder hatten Sie auch bestimmte Strategien zu entscheiden, warum es jetzt tatsächlich Mathematik auf Lehramt werden soll?

T. M.: In der Tat habe ich mir keine Gedanken darum gemacht, was Alternativen sein könnten. Das ist ganz anders als bei meiner Frau, die auch Mathematikprofessorin hier in Tübingen ist. Die hat sich sehr genau überlegt, was sie machen möchte. Das war allerdings nicht Professorin für Mathematik zu werden. Es ist auch bei ihr letzten Endes das, was sie überlegt hat, nicht wirklich zum Zug gekommen, sondern sie hat sich dann davon leiten lassen, was das Studium bringt. Und ich glaube, diese Offenheit muss man mitbringen. Aber ich würde trotzdem jedem angehenden Studierenden empfehlen, sich ein bisschen besser zu informieren, als ich es meinerzeit gemacht habe, was man eigentlich mit den Fächern, für die man sich interessiert, später machen kann, was für Berufsfelder einem da offenstehen. Ich hatte offen gestanden überhaupt keine Ahnung davon, was außer dem Lehramt aus einem Mathematikstudium erwachsen könnte.

A.B.: Ja, das werden wir heute bestimmt auch noch hören. Dann schauen wir uns doch mal ein bisschen genauer an, was man im Studium inhaltlich so macht. Da haben wir auch Studierende gefragt, wie denn eine ganz typische Studienwoche bei ihnen aussieht.

Studieninhalte (04:10)

Studi 1: Im Masterstudium hört man vor allem Vorlesungen und bearbeitet Übungsaufgaben. Dazu gibt es dann Fragestunden und Übungsgruppen, in denen Probleme mit den Inhalten und auch die Übungsaufgaben besprochen werden.

Studi 2: Das Mathestudium besteht im Prinzip aus Vorlesungen, wie zum Beispiel Geometrie, Stochastik, Algebra und Ähnlichem.

Studi 3: Also normalerweise sind es im Vergleich zu anderen Fächern wahrscheinlich eher wenige, aber dafür sehr komplexe und intensive Vorlesungen. Und was man die meiste Zeit tatsächlich macht, ist wahrscheinlich Übungsblätter lösen, weil die Übungsblätter sehr zeitintensiv sind.

Studi 4: Die typische Studienwoche besteht im Endeffekt aus sehr viel Knobeln, versuchen zu verstehen. Daran verzweifeln, es verstehen zu wollen. Wenn man Glück hat, es dann doch noch verstehen und sich dann sehr darüber freuen, dass man es verstanden hat.

Studi 5: Ich glaube, die Hauptarbeit besteht darin, das Skript nachzuarbeiten. Das heißt, das zu verstehen, was in der Vorlesung neu gemacht wurde. Und dann auf jeden Fall die Übungsblätter zu bearbeiten. Das heißt, alleine oder auch mit anderen Leuten über die Aufgaben zu diskutieren und damit den Stoff aus der Vorlesung zu festigen.

C. J.: Also das Studium der Mathematik klingt auf jeden Fall nach immer wieder auftretenden Hochs und Tiefs und vielen Emotionen, einem sich freuen, wenn man etwas verstanden hat und daran verzweifeln, wenn man stundenlang einen Lösungsweg sucht oder etwas zu verstehen versucht und einfach nicht darauf kommt. Aber noch mal einen Schritt zurück. Herr Markwig, was ist der grundlegende Unterschied zwischen Mathe in der Schule und Mathe an der Uni?

T. M.: Mathematik in der Schule, da wird es in aller Regel darum gehen, Rechenverfahren zu lernen und diese anzuwenden. Natürlich wird auch erklärt, wozu die Rechenverfahren gut sind und es wird auch oft versucht zu begründen, weshalb man diese Verfahren gewählt hat und nicht andere. Aber letzten Endes, wenn man eine gute Schulnote haben möchte, dann muss man die Rechenverfahren anwenden können. Man wird natürlich auch im Mathematikstudium Rechenverfahren lernen und die Rechenverfahren der Schule wiederholen. Man wird auch da wissen müssen, wie man eine Ableitung von der Funktion ausrechnet. Aber uns interessiert eigentlich gar nicht so sehr, wie man für eine konkrete Funktion auf die Ableitung kommt, sondern uns interessiert vielmehr, was denn die Ableitung eigentlich ist, wie diese über einen Grenzwertprozess definiert wird, was ein Grenzwertprozess in diesem Zusammenhang überhaupt ist. Das wollen wir verstehen. Und dann wollen wir natürlich beweisen, dass bestimmte Aussagen, die wir treffen, auch wirklich richtig sind. Weshalb ist die Ableitung von xn [x hoch n] einfach n mal xn-1 [x hoch n minus 1]? Weshalb ist das so? Nicht, wie wende ich das an, sondern weshalb ist das eigentlich richtig? Das Weshalb, das steht hinter allem und das ist sozusagen das, was den Alltag des Mathematikers auch ausmacht. Wir werden immer wieder neue Theorien entwickeln. Wir werden dabei immer auf die Frage stoßen, wieso sollte dieses oder jenes gelten.

C. J.: Ich habe da eine Parallele oder einen schönen Vergleich gelesen, dass man sich es auch so vorstellen kann, dass man in der Schule im Endeffekt das Rezeptbuch bereits vor sich hat, wie bei einem Kochvorgang und die Gerichte nachkocht. Wohingegen wenn man Mathematik studiert, man eher zu einem Koch ausgebildet wird, der dann auch selbst neue Rezepte entdecken kann und mit den verschiedenen Elementen, die in der Küche benutzt werden, in der Mathematik arbeiten kann. Ist es also auch ein kreatives Studium, eine kreative Arbeit?

T. M.: Ja, definitiv. Da wird sehr viel Kreativität verlangt. Jetzt vielleicht eine andere Kreativität, als sie im Kunstsektor benötigt wird, aber definitiv. Wenn Sie neue Ergebnisse erzielen wollen, dann brauchen Sie die Ideen, was gelten kann. Ich selbst arbeite zurzeit im Bereich der tropischen Geometrie und wenn wir zwanzig Jahre zurückgehen, dann hätte Ihnen niemand sagen können, was tropische Geometrie sein sollte. Das ist ein sehr junges Gebiet, bei dem man versucht, Methoden aus unterschiedlichen Bereichen der Mathematik zusammenzubringen, um interessante Fragen zu beantworten.

C. J.: Was könnte so eine Frage zum Beispiel sein? Fällt Ihnen ein Beispiel ein, dass ich mir als Nicht-Mathematiker vorstellen kann, was man mit tropischer Geometrie machen kann, welche Fragen man da beantworten kann?

T. M.: Wir könnten eine sehr simple Frage stellen: Wie viele Geraden durch zwei Punkte in der Ebene gibt es? Und jeder wird sehr schnell sehen, dass wenn man zwei Punkte in der Ebene festlegt, dann gibt es genau eine Gerade dadurch. Das ist eine Kurve vom Grad 1. Nun kann man auch Kurven vom höheren Grad betrachten, etwa Kurven vom Grad 3 und da kann man sich fragen, wie viele Kurven vom Grad 3 gibt es durch 8 Punkte, die vielleicht noch eine Zusatzbedingung erfüllen, dass sie rational sind. Diese Zahl ist 12, eine andere Zahl. Und da kann man fragen, wie geht das weiter, wenn man höhere Grade nimmt und eine Punktzahl festlegt, sodass die Zahl endlich wird. Diese Zahlen steigen sehr schnell. Die kommen letzten Endes aus Anwendungen der Physik heraus – wenn man sich dafür interessiert. Das sind die kromophyten Invarianten, wofür Mathematiker die Fields-Medaille bekommen haben – das ist die höchste Auszeichnung, die es in der Mathematik gibt – für die Entwicklungen, die dazu geführt haben. Heute kann man mithilfe von Methoden der tropischen Geometrie auf viel einfachere Art und Weise zeigen, dass diese Zahlen korrekt sind. Dahinter stehen tiefe Verbindungen zwischen den, man nennt sie algebraischen Kurven, mit denen man angefangen hat, und diesen Objekten, den tropischen Kurven der diskreten Mathematik. Diese Verbindung, die ist schwierig, aber innerhalb der tropischen Geometrie diese Zahlen zu beweisen, ist ein ganzes Stück einfacher.

A. B.: Ich musste tatsächlich noch gerade an die Rhetorik denken und an den philosophischen Hintergrund. Da würde ich sagen, kann man sicherlich beide Fächer wieder zusammenführen in ihrer Geschichte. Dann ist es auch eine sehr lange Tradition, die dahintersteckt. Würden Sie auch sagen, dass es hochgradig philosophisch sein kann oder hergehen kann in der Mathematik?

T. M.: Also es gibt sicherlich eine sehr interessante Beziehung zwischen der Philosophie und der Mathematik, vor allen Dingen in den Denkstrukturen. Letzten Endes das, was die Mathematik ausmacht, ist das wir es lernen, Probleme zu analysieren und Lösungsstrategien zu entwickeln. Das geht aber nur deswegen effizient, weil wir eine sehr formale, verkürzte Sprechweise haben, mit der wir in der Lage sind, uns sehr präzise auszudrücken. Und das ist letzten Endes etwas, was die Philosophen in der gleichen Art und Weise brauchen. Meine Frau hat sich übrigens seinerzeit im Hauptstudium dazu entschieden, im Nebenfach auf die Philosophie zu wechseln, weil sie genau diese Beziehungen sehr gereizt haben.

C. J.: Jetzt kam ja in den in den O-Tönen von den Studierenden schon mehrfach auch zum Ausdruck, dass der eine Bereich im Studium Vorlesungen sind, in denen dann relativ knapp zusammenfassend die neuen Themen eingeführt werden. Danach muss man aber auch viel in eigenverantwortlicher Arbeit in Lerngruppen sich selbst erschließen. Ist es eine große Herausforderung für viele Studierende, diese eigenverantwortliche Herangehensweise?

T. M.: Also die erste Herausforderung an die Studierenden ist, in der Hochschulmathematik anzukommen. Und da gehört dazu, die mathematische Fachsprache zu lernen. Man hat das Gefühl, dass man in der Mathematik Deutsch redet. Das ist so. Aber wie ich eben gesagt habe, benutzt man in der Mathematik, um sich effizient zu verständigen, eine sehr formale, verkürzte Sprechweise. Und diese muss man in den ersten Semestern lernen. Das ist ein durchaus harter Weg. Meine ersten Übungsblätter, auf denen ich Lösungen aufgeschrieben habe, als die zurückkamen, die waren von vorn bis hinten rot. Das hat ein ganzes Jahr lang gedauert bis ich einigermaßen sattelfest darin war, mich sauber in der Mathematik auszudrücken. Das ist die erste große Herausforderung. Eine zweite Herausforderung ist natürlich, dass man bereit sein muss, sich mit Fragen zu beschäftigen, zu versuchen, Lösungen zu entwickeln und zu akzeptieren, dass man die eventuell nicht herausbekommt. Es ist keine Seltenheit, dass man allein und auch mit anderen zusammen drei, vier Stunden an einer Aufgabe sitzt, versucht eine Lösung zu finden und keine hat. Und das kann frustrieren. Dann kommt irgendwann die Übungsstunde, man bekommt die Lösung gezeigt und dann sagt man: „Eigentlich gar nicht so schwer, aber ich bin nicht drauf gekommen“. Aber diese drei, vier Stunden, das war keine verlorene Zeit, denn in den drei, vier Stunden hat man alle Inhalte wiederholt, die in der Vorlesung waren. Man hat alle Methoden versucht anzuwenden, die man in den Beweisen in der Vorlesung gelernt hat. Und auch wenn das für das konkrete Problem vielleicht nicht erfolgreich war, ist das ein enormer Lernprozess, das probiert zu haben. Aber es verlangt eine hohe Frustrationstoleranz. Damit muss man leben.

C. J.: Jetzt hatten wir es und Sie hatten schon über die die tropische Geometrie gesprochen. Sie haben über diese mathematisch formale Sprache gesprochen. Welche Methoden, welche Bereiche werden sonst noch im Studium der Mathematik, vor allem auch im grundständigen Bachelorstudium, vermittelt?

T. M.: Also man steigt ein mit zwei Bereichen. Das ist zum einen die Analysis, bei der es um die Untersuchung von Grenzwertprozessen und von Funktionen geht. Und zum anderen mit der linearen Algebra, bei der es um die Untersuchung von algebraischen Strukturen geht und vor allen Dingen um lineare Strukturen, die einfacher sind als die meisten Funktionen, die man betrachtet, die eben nicht linear sind. Das ist der Einstieg. Dann nach einem Jahr, wenn man die Grundlagen der Mathematik, die man für alle weiteren Vorlesungen benötigt gelernt hat – da gehört zum einen die mathematische Sprache dazu und zum anderen aber eben auch die Grundlagen der Analysis und der linearen Algebra – dann wird das Ganze ein bisschen aufgefächert. Dann hat man Vorlesungen zur Stochastik und zu Numerik. Das sind eher angewandte Bereiche der Mathematik, aber eben auch vertiefende Vorlesungen zur Algebra oder zur komplexen Funktionentheorie. Das sind dann eher reine Bereiche der Mathematik. Das ist ein fester Kanon. Da kann man sagen, den lernt man im Prinzip an jeder Universität in Deutschland in den ersten zwei Jahren in der Mathematik, wenn man einen Bachelor of Science Studiengang einschlägt. Erst danach, ab dem dritten Jahr und im Master vertieft man sich. Und das macht dann schon einen wesentlichen Unterschied, an welcher Universität man ist, was eben gerade die Forschungsbereiche sind, die durch die dortigen Professoren vertreten sind, weil über die Forschungsbereiche kann man dann etwas erfahren.

C. J.: Würden Sie allen Studierenden raten, auch ein Masterstudium an das Bachelorstudium anzuschließen?

T.M.: Ja, definitiv. Also zum einen, man kommt damit erheblich weiter. Man lernt dann wirklich neue Fragestellungen in der Mathematik kennen, an die man im Bachelor nur sehr schwer herankommt. Und zum anderen glaube ich, dass es nach wie vor für den Arbeitsmarkt, wenn wir jetzt von den Science Studenten sprechen, wesentlich besser ist, wenn man einen Master-Abschluss hat, wie wenn man einen Bachelor-Abschluss hat. Im Lehramt ist es sowieso keine Frage. Sie werden als Lehrer nicht eingestellt, wenn Sie keinen Master of Education Abschluss haben, sondern einen Bachelor of Education.

A.B.: Und wie lange dauert das Studium dann so im Schnitt? Haben Sie da eine Einschätzung, was ist die Regelstudienzeit oder was ist der Schnitt des Studiums in etwa?

T.M.: Also die Regelstudienzeit für den Bachelorstudiengang ist 6 Semester und für den Masterstudiengang 4 Semester. In Tübingen sind die Zeiten meist ein bisschen länger. Es ist nicht hundertprozentig klar, woran das liegt. Im Lehramtsstudium würde ich sagen, ist einer der Gründe sicherlich die hohen Überschneidungen zwischen den Fächern. Das hat auch damit zu tun, dass die Mathematik im Wesentlichen mit jedem anderen Lehramtsfach an der Universität kombinierbar ist und bilaterale Absprachen, was die Lehrveranstaltung betrifft, da sehr schwer sind. Das bedeutet, dass Studierende häufig Überschneidungen haben, die dazu führen, dass sich das Studium verlängert. Dann ist es aber natürlich auch so, dass wenn man mit dem Mathematikstudium beginnt, es einfach ganz anders ist als die Schulmathematik. Das führt dazu, dass man am Anfang vielleicht falsch einsteigt, dass man vielleicht mit dem Gefühl herangeht, in der Schule musste ich immer nur vor den Klassenarbeiten 2 Tage lernen und dann hat das vollkommen gereicht. Und das ist im Mathematikstudium fatal. Die Fülle an Neuem, die man lernt – an neuen Inhalten und an neuen Methoden – die ist so groß, dass wenn man das Ganze mal zwei Wochen hat liegen lassen, man in aller Regel so weit hinten dran ist, dass man in der Vorlesung nicht mehr folgen kann und dass man dann auch nicht mehr in der Lage ist, die Übungsaufgaben zu bearbeiten. Das führt durchaus dazu, dass man unter Umständen nach dem ersten Semester feststellt, ich hätte anders anfangen müssen beim Lernen. Das weiß ich jetzt, jetzt kann ich es machen. Aber dann muss man eben noch mal neu beginnen.

C.J.: Also wirklich von Anfang an dranbleiben und mitlernen.

T.M.: Ja, was wir in Tübingen bieten, ist den sogenannten Sommereinstieg und der bedingt, dass die Anfängerveranstaltungen bei uns in jedem Semester angeboten werden. Das heißt, es ist erst mal egal, ob man im Winter- oder im Sommersemester beginnt. Aber vor allen Dingen, wenn man ein Semester verpasst hat, kann man einfach im nächsten Semester mit den Anfängervorlesungen nochmal anfangen und man verliert nur dieses eine Semester und nicht mehr. Das ist sicherlich etwas, was dazu beiträgt, dass die Studienzeiten bei manchen Studierenden länger sind. Aber dann ist es auch so, dass wir ein reichhaltiges Angebot haben. Und der eine oder andere Student, der entscheidet sich halt, ein bisschen mehr zu machen und dafür lieber etwas länger zu studieren.

C.J.: Ja, das schadet häufig nicht. Dann lieber ein halbes Jahr oder ein Semester oder zwei Semester länger zu brauchen, aber dafür dann auch das Studium so abzuschließen, sodass man selbst damit zufrieden ist und auch alles gelernt hat, was nötig war.

T.M.: Was kein Problem ist, das sollte man vielleicht erwähnen, ist in die Kurse hereinzukommen in der Mathematik. Manchmal, wenn man eine Wissenschaft studiert, wie Biologie, wo man Praktika besuchen muss, dann ist die Zahl der Praktikumsplätze unter Umständen beschränkt. Das ist bei uns in der Mathematik nicht so. Egal wie viele Studenten bei uns anfangen, wir haben immer genug Übungsgruppen für die Leute. Und wir haben keine festen Praktika, die zahlenmäßig beschränkt werden. Das heißt, man kommt immer in die Lehrveranstaltung rein, in die man rein möchte. Das einzige Problem, dass man haben kann ist, dass man eine Überschneidung mit einer Pflichtveranstaltung im zweiten Fach hat, wenn man im Lehramtsstudium unterwegs ist.

C.J.: Dann würde ich sagen, wir hören uns mal an, warum Tübinger Mathematikstudierende so begeistert sind vom Mathestudium.

Persönliche Voraussetzungen (18:22)

Studi 1: Da gibt es wirklich sehr viel. Also ich bin einfach so ein Fan von Logik und die Mathematik ist einfach sehr genau und sehr strukturiert. Es gibt nicht so viel Platz für ungenaue Interpretationen oder so, sondern entweder etwas gilt oder etwas gilt eben nicht.

Studi 2: Mich begeistert an Mathe vor allem das abstrakte Denken.

Studi 3: Also faszinierend am Mathematikstudium finde ich immer wieder, wie nah die Gedanken „Ich bin unfassbar dumm“ und „Wow, bin ich genial“ liegen können.

Studi 4: So gern man im Studium manchmal verzweifeln könnte, so sehr gibt es auch einfach Momente, in denen man die Fragen, auf die man dachte, das werde ich nie verstehen oder die Aufgaben, bei denen man denkt, wie soll ich das jemals schaffen, wenn man das plötzlich schafft.

Studi 5: Also was ich am besten am Mathestudium finde, sind diese Aha-Momente. Wenn man seit Ewigkeiten über einer Sache gebrütet hat und etwas, was man vor ein paar Wochen oder vielleicht sogar Monaten noch überhaupt nicht verstanden hat, dann irgendwann endlich Klick macht. Das ist der beste Moment.

A.B.: Ja, also die Höhenflüge der Studierenden kommen doch sehr leidenschaftlich rüber. Wir haben schon gehört, es reicht eben nicht, nur gut rechnen zu können. Was wären denn so Voraussetzungen, die Sie Studierenden oder Studieninteressierten noch mitgeben würden? Was erleichtert einem das Mathestudium?

T.M.: Also man sollte definitiv einfach Spaß daran haben, sich mit Problemen zu beschäftigen, lange darüber nachzudenken, zu knobeln. Ich sage mal jemand, der sehr gerne Sudokus löst – das ist vielleicht ein bisschen verkürzt, es darauf zu reduzieren – aber wenn man Spaß an solchen Rätseln hat, dann wird man auch Spaß daran haben, sich mit mathematischen Fragestellungen auseinanderzusetzen. Wie schon gesagt, man braucht eine gewisse Kreativität, wenn man neue Dinge in der Mathematik entwickeln möchte. Also langfristig, wenn man nicht nur das Studium machen möchte, sondern vielleicht bei der Mathematik bleiben will, dann braucht man eine gewisse Kreativität und man braucht auch eine gewisse Frustrationstoleranz. Das habe ich auch schon mal gesagt, denn es wird immer wieder Höhen und Tiefen geben. Und was ich definitiv unterstreichen kann, ist das, was die Studierenden vorhin gesagt haben. Wenn man sich mit einem Problem beschäftigt, lange beschäftigt, und man hat dann endlich eine Lösung dafür gefunden. Das ist ein wirkliches Glücksgefühl, das dabei aufkommt. Wenn man sich dann hinsetzen kann, das aufschreiben kann und das so zu Papier bringen kann, dass man findet, so muss man das genau sagen, das ist richtig schön. Das ist auch später so. Das ist nicht nur im Studium so. Das hält dauerhaft an.

A.B.: Also ich kann es schon beinahe nachempfinden. Ich würde sagen, auch diese Klischees, die man so hört, dass man im Mathestudium alleine vor sich hin brütet, das kam jetzt schon zur Geltung, dass das durchaus nicht so ist, also dass man durchaus auch in Lerngruppen arbeitet. Ist das etwas, was wirklich Usus ist? Würden Sie sagen, es ist ganz wichtig teamfähig zu sein und sich auch auszutauschen in der Mathematik? Oder funktioniert es auch für sich allein?

T.M.: Also es ist eine wichtige Sache, dass man Mathematik im Gespräch mit anderen betreibt. Mathematik für sich allein zu machen, ist sehr schwer. Es gibt sicherlich auch Mathematiker, die so herausragend sind, dass sie niemand anderen brauchen und die genialsten Ideen allein haben und dann auch allein für sich entwickeln können. Aber wenn man in der Mathematik etwas erreichen will, dann muss man über die Mathematik mit anderen reden und das auch schon im Studium. Wir stellen jede Woche Übungsaufgaben und die Erwartung ist nicht, dass die Studenten sich zu Hause hinsetzen und diese Übungsaufgaben komplett allein lösen und dann Lösungen einreichen. Sondern die Idee ist, dass sie sich hinsetzen und sich austauschen, dass wenn einer die Idee hat, dass jemand anderes die aufgreift und ebenfalls versucht, diese Idee weiterzuentwickeln. Am Ende sollte man versuchen, das, was man verstanden hat, selbst zu Papier zu bringen. Das ist am Anfang des Studiums wichtig, damit man lernt, die mathematische Sprache zu benutzen und Rückmeldung dazu bekommt, wie man selbst sie benutzt hat. Aber Arbeit im Team ist essenziell.

A.B.: Und was jetzt natürlich auch noch spannend ist, wenn man all das mitbringt und sich für ein Mathestudium entscheidet, wo soll es denn damit hingehen? Und auch da haben wir Studierende in Tübingen gefragt, was die denn so für Ideen haben oder Wünsche, was sie später mal machen möchten.

Berufsperspektiven (22:42)

Studi 1: Ich studiere Mathe auf Lehramt und habe auch vor in die Schule zu gehen und dort Lehrer zu werden für Mathe.

Studi 2: Also das ändert sich bei mir alle paar Monate. Ich habe eine Zeit lang überlegt, noch irgendwie in Richtung Medizintechnik zu gehen. Gerade bin ich eher so auf dem Zweig Machine Learning, das heißt ich höre im Nebenfach Machine-Learning-Vorlesungen.

Studi 3: Nach dem Studium könnte ich mir vorstellen, irgendwas in Richtung KI (künstliche Intelligenz) bzw. maschinelles Lernen zu machen, weil das Thema an sich einfach sehr spannend ist und natürlich auch unglaublich viel Zukunftspotenzial besitzt. Und Mathematiker sind dort auch sehr gefragt.

Studi 4: Was ich nach dem Studium mache, steht bei mir durch den angestrebten Abschluss schon fest. Ich werde Lehrerin. Ich persönlich kann mir vorstellen, neben der Schullaufbahn auch in die Schulbuchentwicklung oder in die Erwachsenenbildung zu gehen.

Studi 5: Also ich bin gerade sogar fertig geworden mit dem Studium und jetzt promoviere ich erst mal. Und danach würde ich gerne entweder in der Forschung bleiben oder in die Wirtschaft gehen und mich zum Beispiel mit Themen wie Machine Learning beschäftigen.

C.J.: Jetzt ist mehrfach der Begriff Machine Learning als mögliches Berufsfeld gefallen und auch KI. Herr Markwig, können Sie ganz kurz versuchen zusammenzufassen, was Machine Learning ist und warum man dafür Mathematikstudierende oder -absolvent:innen braucht?

T.M.: Also Machine Learning ist ein Bereich, der in der Informatik angesiedelt ist. Das, was ich offen gestanden nicht weiß, ist, was am Ende wirklich die Kollegen des Machine Learning machen. Das, was ich sagen kann, ist, Machine Learning ist ein Bereich, der in der Informatik im Augenblick sehr stark ausgebaut wird. Und gerade in Tübingen ist ein großes Zentrum dafür entwickelt worden, mit mehreren Professuren in der Informatik. Das Ziel ist letzten Endes, dass man möchte, dass zum Beispiel autonomes Fahren funktioniert und dass man Maschinen entwickelt, die in der Lage sind, Situationen einzuschätzen und darauf zu reagieren. In der künstlichen Intelligenz geht man noch ein Stück weiter. Da möchte man, dass die Maschinen selbst lernen, dass die in Zukunft auch neue Situationen erfassen können, die sie bisher nicht erfassen konnten. Inwieweit das im Machine Learning gemacht wird, weiß ich nicht. Aber Big Data ist ein Schlagwort, dass da mit herein gehört, dass man enorme Datenmengen hat, die verarbeitet werden müssen. Das ist eine Herausforderung, weil diese Daten dann unter Umständen in sehr kurzer Zeit verarbeitet werden müssen.

C.J.: Aber das heißt, da arbeiten dann auch Mathematiker:innen sehr eng mit Informatiker:innen zusammen, oder?

T.M: Klar. Ich meine erst mal ist die Unterscheidung zwischen Informatik und Mathematik ein Stück weit eine künstliche. Letzten Endes die Strukturen, die man dem Computer versucht beizubringen, die dort abgebildet werden, die Algorithmen, die implementiert werden, das ist dasselbe, was wir in der Mathematik auch machen, algorithmisch zu arbeiten und zu denken. Die Gebiete sind sehr nah beieinander. Und dann ist es so, dass letzten Endes in der Informatik viele Bereiche, wie zum Beispiel das Machine Learning, stark mathematisch geprägt sind, dass da viele tiefliegende mathematische Methoden benötigt werden, die dann eingehen und die dort Anwendung finden.

C.J.: Welche anderen Berufsfelder vielleicht klassische oder eher auch schon Berufsfelder, die es schon früher gab, sind für Mathematiker:innen vorstellbar?

T.M.: Also wir haben vor einiger Zeit eine Vortragsreihe ins Leben gerufen, die heißt „Mathematiker:innen im Beruf“. Das Ziel der Vortragsreihe ist unseren Studierenden zu zeigen, was man alles machen kann. Das wird übrigens von den Studierenden selbst organisiert. Die suchen sich ehemalige Absolventen oder Berufsfelder, die sie interessieren, und laden dann Vortragende ein. Wir hatten in dieser Vortragsreihe Leute vom Deutschen Wetterdienst da, wir hatten Besuch vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt. Wir haben ein Engineering Director von Google eingeladen und Leute, die in Banken oder bei Versicherungen arbeiten. Wir hatten auch von Ditch Silent jemanden da, die modellieren die elektrischen Netzwerke – wie der Strom in ganz Europa geleitet wird. Zudem hatten wir Gäste aus der Entwicklungsabteilung von Daimler bei der Vortragsreihe. Es gibt enorm viele Bereiche, wo Mathematiker eingesetzt werden und nicht, weil sie irgendeinen bestimmten Inhalt in der Mathematik gelernt haben, sondern weil sie eben Problemlösestrategien gelernt haben, auf eine sehr effiziente Art und Weise.

A.B.: Also was ich da raus höre, ist auch, dass es noch genug Raum im Studium gibt, sich zu orientieren. Sie haben selber aus ihrer eigenen Erfahrung erzählt, dass Sie sich noch mal umentschieden haben mit ihrem ursprünglichen Berufswunsch. Sprich, man muss vielleicht nicht von Anfang an eine genaue Vorstellung haben. Manche haben das, aber es gibt auch noch genügend Zeit, sich im Studium zurechtzufinden.

T.M.: Auf alle Fälle! Ich selbst bin in einem Gebiet der reinen Mathematik unterwegs. Ich habe eben tropische Geometrie genannt. Das ist nicht der einzige Teil. Algebraische Geometrie, Computeralgebra, tropische Geometrie – das ist das Spannungsfeld, in dem ich mich bewege. Das sind reine mathematische Fragestellungen. Wir haben zunächst keinerlei Anwendung im Blick. Alle Absolventen, die ich über die Jahre hinweg begleitet habe, hatten binnen von spätestens einem halben Jahr nach ihrem Abschluss eine Arbeitsstelle, die sie haben wollten und die ihnen Spaß gemacht hat. Viele hatten schon Angebote, bevor sie überhaupt weggegangen sind. Und das auch bei Unternehmen wie Banken oder Versicherungen, wo der Wunsch besteht, dass die Leute eine spezielle mathematische Ausbildung mitbringen. Das war egal. Sie sind einfach extrem gut qualifiziert gewesen und das hat gereicht.

A.B.: Vielleicht können wir auch noch mal ganz kurz den Blick auf das Lehramt werfen. Wie sind da die Chancen mit dem Fach Mathematik als Kombinationsfach?

T.M.: Gleich vorweg, dass aus meiner Sicht unsere besten Absolventen an die Schulen gehören! Also ich würde mir wünschen, dass die besten Mathematiker, die wir ausbilden, an die Schulen gehen, weil wir einfach gut qualifizierte Lehrer brauchen. Natürlich brauchen Lehrer auch didaktische und pädagogische Fähigkeiten. Man braucht auch ein zweites Fach hier in Deutschland. Aber neben diesen Fähigkeiten ist es ganz wichtig, dass man in seinem Fach sehr solide ausgebildet und davon begeistert ist. Deswegen wünsche ich mir die besten Absolventen an den Schulen. Mathematik ist in vielen Bundesländern immer noch ein Mangelfach. In Baden-Württemberg offiziell nicht, da sind die Mangelfächer Physik und Informatik. Aber trotzdem, die Mathematik ist ein Fach, wo Lehrer gebraucht werden und wo man in aller Regel kein allzu großes Problem hat, eine Anstellung zu finden.

C.J.: Mangelfach bedeutet, dass es grundsätzlich momentan einfach zu wenig Lehrpersonal in dem Bereich gibt?

T.M.: Dass es meistens weniger Bewerber als offene Stellen gibt.

A.B.: Gut, das sind doch alles in allem gute Aussichten. Und insofern glaube ich, haben wir einen guten Rundumschlag geschafft heute. Hast du noch Fragen, Christoph?

C.J.: Ich glaube nicht. Mein Eindruck ist, wenn man sich einmal durchgequält und auch durchgehalten hat bei dem Studium und natürlich auch ganz viel Erfolgserlebnisse gehabt hat, wird man am Schluss auf jeden Fall dafür belohnt und kann dann mit der mathematischen Brille, die man auf hat und mit den ganzen Skills, die man erworben hat, auf jeden Fall überall spannende Berufsmöglichkeiten entdecken.

A.B.: Herr Markwig, haben Sie noch abschließende Worte?

T.M.: Ja, ich würde jeden, der sich für Mathematik interessiert, dazu anhalten wollen, sich mit Mathematik zu beschäftigen. Und ich möchte sagen, man kann auch in jungen Jahren sehr erfolgreiche Dinge erreichen. Ein Gebiet, das man aus der Schulmathematik kennt, ist sicherlich die Ebene der Elementargeometrie, wo man sich mit der Lage von Geraden zueinander, mit Aussagen über Winkel in Dreiecken beschäftigt. Und das sind Fragestellungen, die haben schon die alten Griechen beschäftigt. Das Lehrbuch von Euklid ist bis ins 19. Jahrhundert hinein das Standardwerk gewesen, nach dem Geometrie an den Schulen unterrichtet wurde. Da sind Fragen dabei wie, wie teile ich denn eigentlich einen Winkel mit Zirkel und Lineal in zwei gleich große Winkel? Jeder Schüler lernt das in der Schule. Man lernt nicht in der Schule, wie man einen Winkel mit Zirkel und Lineal in drei Teile zerlegt. Jetzt könnte man sich fragen, ob denn die Dreiteilung weniger interessant ist als die Halbierung. Und das ist es nicht, sondern die Aussage ist, man kann das nicht. Die Griechen wussten, dass sie es nicht hinbekommen haben. Sie wussten aber nicht, dass es nicht geht. Die Frage, weshalb das nicht geht – das ist das Faszinierende an der Mathematik – das ist eine geometrische Fragestellung. Will man die beantworten, braucht man die Algebra. Es gibt algebraische Methoden, mithilfe derer man beweisen kann, dass die Winkeldreiteilung nicht möglich ist. Diese algebraischen Methoden wurden von zwei Mathematikern entwickelt: Évariste Galois und Niels Henrik Abel. Abel ist, glaube ich, 26 Jahre alt geworden ist. Évariste Galois ist 21 geworden. Die hatten diese fundamentalen Theorien in jungen Jahren bereits entwickelt und haben damit eine Mathematik begründet, die heute jeder Lehramtsstudierende und jeder Bachelor-of-Science-Studierende in seinem zweiten Studienjahr kennenlernt, die Galois-Theorie. Ich will nur sagen, man kann in jungen Jahren sehr schöne Sachen machen. Und das Faszinierende bei der Mathematik ist immer, wie Dinge, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, auf einmal zueinander in Beziehung gesetzt werden. Das ist auch etwas, wofür Mathematiker später eingestellt werden, weil sie in Unternehmen unter Umständen Strukturen entdecken, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, die aber Gemeinsamkeiten haben und dann dazu beitragen können, dass die effizienter verwaltet werden.

A.B.: Das ist doch ein schönes Schlusswort. Dann schließen wir ab mit den vielversprechenden Perspektiven und bedanken uns bei Ihnen, Herr Markwig, dass Sie heute da waren, dass Sie Zeit hatten, alle Fragen zu beantworten.

T.M.: Ja, ich bin gern hier gewesen. Danke.

A.B.: Dann gibt es nur noch zu sagen: weiterführende Infos gibt es auf der Webseite bzw. wenn Fragen, Rückmeldungen, Kritik anstehen, dann schreibt uns gerne unter hochschulreif@uni-tuebingen.de. Und wir sagen Tschüss und bis zum nächsten Mal!

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Thomas Markwig über die folgenden Themen: 
00:57 Persönliche Motivation
04:10 Studieninhalte
18:22 Persönliche Voraussetzungen
22:42 Berufsperspektiven

Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer der Uni Tübingen bieten ein Orientierungsangebot speziell für MINT-Fächer an, bei dem MINT-Studierende Deine Schule besuchen und von ihren Studieneindrücken berichten.

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreif@uni-tuebingen.de


Folge #03: Jura / Rechtswissenschaft

Stimmt es, dass man mit einem Abschluss in Jura beruflich später alles machen kann? Wie lange dauert so ein Studium eigentlich? Und wie sieht eine typische Woche im Jurastudium aus? Über alle Fragen rund ums Jurastudium sprechen wir mit dem Tübinger Studienfachberater Daniel Höfer. Im Vorfeld haben wir Studierende für euch gefragt, warum sie sich für ein Jurastudium entschieden haben, was sie in ihrem Studienalltag so machen und welche Berufswünsche sie haben.

Listen
Christoph Jäckle (C. J.): Herzlich Willkommen bei "hochschulreif", dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. In unserem Podcast stellen wir Euch in jeder Folge ein Studienfach vor, damit Ihr wisst, was Euch im Studium dieses Faches so erwartet. Wir, das sind meine liebe Kollegin Alexandra Becker und ich Christoph Jäckle. Hallo Alex!

Alexandra Becker (A. B.): Hallo Christoph!

C. J.: Alex und ich sind beide vom Team der Zentralen Studienberatung, der Uni Tübingen, und wir haben auch heute wieder einen Gast bei uns im Studio. Heute wird sich alles um das Fach Jura drehen. Dazu haben wir uns Daniel Höfer eingeladen. Daniel Höfer ist Mitarbeiter an der Juristischen Fakultät in Tübingen und dort Studienfachberater. Also für uns der perfekte Experte für alle Fragen, rund um das Jurastudium in Tübingen. Hallo Herr Höfer!

Daniel Höfer (D. H.): Guten Tag, Herr Jäckle, guten Tag Frau Becker, ich freue mich, dass ich heute da sein darf.

C. J.: Schön, dass Sie es geschafft haben. Wir freuen uns auch sehr, Sie als Gast hier zu haben.

A. B.:  Schön, dass Sie da sind.

C. J.: Herr Höfer, Sie haben selbst auch Jura studiert. Und wir interessieren uns brennend dafür, warum Sie das damals getan haben. Und bevor Sie uns das gleich erzählen, hören wir uns mal an, warum sich aktuelle Tübinger Studierende für ihr Studienfach entschieden haben.

Persönliche Motivation (01:12)

Studi 1: Ja, man lernt unser Staatswesen ganz wunderbar kennen. Und ich habe in der Schule schon immer ein Faible gehabt für Politik, für Gesellschaft, für Geschichte. Und da passt Jura einfach, weil es sehr, sehr viele Bereiche abdeckt von meinen Interessen.

Studi 2: Weil ich bei einem Girls‘ Day mitgemacht habe, im Gericht, und das sehr spannend fand und deswegen ein Praktikum, in der Schule, bei einer Anwaltskanzlei gemacht habe.

Studi 3: Das war mehr so ein Schuss ins Blaue, wenn ich ehrlich bin. So die richtige Berufung hatte ich nicht, aber das war so eine Art Experiment. Und bisher ist es geglückt.

Studi 4: Nach meinem Abitur stand für mich eigentlich fest, dass ich Lehramt studieren möchte. Von daher war der Wechsel zum Jurastudium tatsächlich ein mehr oder minder spontaner Wechsel. Ich habe mich sehr spontan in die Materie verliebt und fand die Logik dahinter, und die Möglichkeit zu argumentieren, so unglaublich spannend. Aber auch, dass Jura nie an Aktualität verliert.

A. B.: Ja, Herr Höfer, wie war das bei Ihnen? Wie haben Sie sich denn für Ihr Studium entschieden?

D. H.: Nun, bei mir war das so, dass ich zunächst mal davon ausgegangen bin, was mir an Fächern in der Schule besonders Spaß gemacht hat, was mich besonders interessiert hat. Und das waren neben Kunst, man denkt es nicht, vor allen Dingen die Fächer Gemeinschaftskunde und Geschichte. Und dann habe ich zunächst mit dem Gedanken gespielt, dass ich vielleicht Lehrer werden könnte für Geschichte. Und im Laufe der Zeit, das hat vielleicht so in der 12. und 13. Klasse angefangen, war der Gedanke auch, wie sieht es denn mit Jura aus? Denn damit kann man ja eigentlich alles machen, heißt es immer. Wir werden auch sehen: Das stimmt zwar nicht, operieren darf man damit nicht. Aber sonst ist doch relativ viel möglich. Und daher habe ich mich am Ende entschieden, da ich einfach kein zweites Fach gefunden habe, was gut gepasst hätte, jetzt einfach mal Jura zu studieren. Das war natürlich auch ein bisschen blauäugig, da es sich ein relativ langes Studium handelt. Aber ich habe gedacht, ich probiere das mal aus und bin dabei sozusagen einfach hängengeblieben.

A. B.: Und gab es da etwas, das Sie in der Entscheidung bestärkt oder motiviert hat, als Sie es ausprobiert haben?

D. H.: Ja klar, sonst wäre ich nicht dabeigeblieben. Ja und was waren das für Punkte? Also zum einen ist es eben eine besondere Art zu denken und zu argumentieren, die man lernt. Das ist eine sehr analytische Herangehensweise, da wir ja immer – dazu kommen wir später vielleicht noch – unsere spezielle juristische Methodik und Arbeitsweise anwenden müssen. Und die erlauben es einem einfach einen sehr nüchternen Blick auf die Dinge einzunehmen und Dinge logisch zu strukturieren. Wobei man Jura natürlich nicht mit Mathematik oder so vergleichen kann. Aber es hat schon sehr starke logische Regeln, die da im Hintergrund stehen und das hat mir gefallen. Ich meine, wofür haben wir Recht? Recht ist für die Menschen. Recht ist dazu da, unser gesellschaftliches Zusammenleben zu regeln, Konflikte zu lösen. Und zu verstehen, wie gesellschaftliches Zusammenleben funktioniert und wie Konflikte etwa auch in der Politik, aber auch im Kleinen gelöst werden. Und welche Verfahrensweisen es da gibt. Das fand ich sehr spannend.

A. B.: Jetzt haben Sie schon ein paar Einblicke über die Inhalte gegeben. Wir haben Studierende gefragt, was man denn so macht im Jurastudium und wie in etwa so eine typische Studienwoche bei ihnen aussieht. Da hören wir jetzt mal rein.

Studieninhalte (04:43)

Studi 1: Eine typische Studienwoche existiert bei mir eigentlich nicht. Es kommt immer darauf an, ob gerade eine Hausarbeit oder eine Klausur ansteht.

Studi 2: Also im Studium wird man natürlich in vielen Vorlesungen sitzen. Wobei einem da mehr die Theorie beigebracht wird.

Studi 3: Momentan, jetzt mal die Semesterferien ausgenommen, sitze ich am Rechner von morgens um 8.30 Uhr meistens bis irgendwann mittags und hab meine Vorlesungen. Und dann mache ich gerne Fälle oder übe mit Altklausuren.

Studi 4: In den Semesterferien, schreibe ich Hausarbeiten oder im jetzigen Fall eine Seminararbeit. Und das verdeutlicht, finde ich, auch ganz gut, wie das Jurastudium ist. Man hat eigentlich immer viel zu tun.

C. J.: Also im Endeffekt kann ich es mir so vorstellen: Es gibt einen theoretischen Unterbau, den lerne ich in Vorlesungen oder bekomme ihn dort vermittelt. Und dann muss ich über logisches Schließen anhand von Gesetzestexten das Ganze in Fällen versuchen anzuwenden. Kann man sich das so vorstellen?

D. H.: Ja. Also Ausgangspunkt einer jeglichen rechtlichen Lösung eines Falles, oder einer Konfliktsituation, ist natürlich immer das Gesetz. Und das Gesetz, also die Normen des Gesetzes, die sind verschiedentlich strukturiert. Viele davon sind Normen, die wir als Rechtsfolgen anordnende Normen bezeichnen. Das sind Vorschriften im Gesetz, die sagen: Wenn A und B, das sind die Tatbestandsmerkale, dann tritt eine bestimmte Rechtsfolge ein. Das ist dann C. Und dann frage ich mich: Ist denn C passiert? Ist C eingetreten? Und dafür muss ich eben prüfen, ob A und B erfüllt sind. Also ein einfaches Beispiel wäre etwa der Paragraf 985 BGB. Dort heißt es: Der Eigentümer kann von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen. Jetzt frage ich mich, ob der Eigentümer oder eine bestimmte Person, eine Person A, von einer Person B die Herausgabe einer Sache verlangen kann. Und dann muss ich eben prüfen, ist die Person A Eigentümer und ist die Person B der Besitzer der Sache. Das wären mein Merkmal A und mein Merkmal B. Und dann tritt die Rechtsfolge ein, dass eben Person A von Person B die Herausgabe der Sache verlangen kann.

C. J.: Sie haben ja jetzt gerade ein Beispiel genannt, bei dem es um Eigentumsverhältnisse ging. Welche anderen gesetzlichen Bereiche lernt man in einem Jurastudium kennen?

D. H.: Naja, das, was wir eben hatten, die Frage, ob der Eigentümer von einer bestimmten Person die Sache herausfordern kann, das ist Zivilrecht. Zivilrecht regelt die Rechtsverhältnisse zwischen gleichgeordneten Privatrechtssubjekten, sagen wir als Juristen. Und damit ist im Prinzip gemeint, zwischen jedem von uns, wenn wir miteinander agieren. Also wenn Sie, Herr Jäckle, morgens beim Bäcker Ihre Brötchen kaufen, dann ist das Zivilrecht. Und wenn Sie, Frau Becker, eine neue Wohnung anmieten, dann ist das auch Zivilrecht.

A. B.: Dann sind wir in dem Fall jeweils die Subjekte, die handeln.

D. H.: Genau. Und dann geht es immer um die Fragen, im Verhältnis zum Beispiel zu Ihrem Vermieter: Was können Sie verlangen, wenn Sie jetzt meinetwegen Wasser in der Wohnung haben? Wenn da eine Wand undicht ist oder so etwas. Oder Herr Jäckle, Sie beißen in Ihrem Brötchen auf eine Scherbe und verletzen sich. Können Sie Schadensersatz verlangen für die Behandlungskosten? Das wäre Zivilrecht. Das ist der Bereich des Arbeitsrechtes. Es ist aber auch der Bereich des Gesellschaftsrechts, also zum Beispiel wie läuft eine Aktionärsversammlung bei einer großen Aktiengesellschaft ab? Das ist auch Zivilrecht oder Arbeitsrecht ist Zivilrecht. Und das unterscheidet sich vom öffentlichen Recht dadurch, dass das öffentliche Recht, vereinfacht gesagt, ein Subordinationsverhältnis regelt. Da kommt der Staat und sagt dem Bürger, was er zu tun hat oder gewährt dem Bürger etwas. Aber wir haben dabei eine andere Rollenverteilung. Und da ist eben der Staat involviert. Beispielsweise wenn man vom Staat Bafög möchte und das beantragt oder umgekehrt, wenn der Staat von Ihnen, Herr Jäckle, Steuern möchte. Oder, Frau Becker, Ihr Auto abschleppt, weil Sie im Parkverbot stehen.

C. J.: Also immer ein Rechtsfall, bei dem dann ein persönliches Subjekt im Endeffekt mit dem Staat in Aktion tritt.

D. H.: Ja, das ist der weite Bereich des öffentlichen Rechts. Es gehören tatsächlich zum öffentlichen Recht noch andere Dinge. Wie zum Beispiel die innere Verfasstheit unseres Staates. Also wie das alles so läuft, wie Gesetze gemacht werden, was man aus der Gemeinschaftskunde kennt. Das ist der Bereich des Staatsrechts, das gehört auch zum öffentlichen Recht. Und dann gehören noch das internationale und das supranationale Recht dazu, also insbesondere das Europarecht. Das ist auch öffentliches Recht. Also immer, wenn der Staat irgendwie dabei ist.

A. B.: Und das sind jetzt die zwei großen Fachbereiche, in die das Studium unterteilt ist, oder gibt es noch angrenzende Felder?


D. H.: Es gibt tatsächlich noch einen dritten Bereich, das ist das Strafrecht. Das Strafrecht ist im Prinzip auch öffentliches Recht, weil der Staat einen Bürger bestrafen möchte. Auf der anderen Seite hat sich das zu einer Sondermaterie entwickelt, denn man hat das schon früh bei den ordentlichen Gerichten angeknüpft. Und es hat sich auch dogmatisch einfach zu einer Sondermaterie entwickelt, sodass wir heute im Studium von drei großen Rechtsgebieten ausgehen können. Das ist das Zivilrecht, das Strafrecht und das öffentliche Recht, die gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Diese drei Bereiche, machen die Inhalte im Studium aus.

C. J.: Wie lange dauert denn das Studium bis zum Staatsexamen beziehungsweise bis man beide Staatsexamina in der Tasche hat? Wenn alles klappt.

D. H.: Also das Studium endet durch die erste juristische Prüfung und die besteht aus der Staatsprüfung im Pflichtfachbereich und aus der universitären Schwerpunktbereichsprüfung im Schwerpunktbereich. Die bilden dann zusammen im Verhältnis 70/30 die Note in der ersten juristischen Prüfung, durch die das Studium abgeschlossen wird. Und dieser Ausbildungsabschnitt, der dauert im Durchschnitt 11,3 Semester. Wobei die Regelstudienzeit vom Gesetzgeber auf 10 Semester angesetzt wurde. Erst 2019 hat er das erhöht von 9 auf 10 Semestern. Man muss aber tatsächlich im Schnitt mit 11,3 rechnen. Wenn man nun diese erste juristische Prüfung bestanden hat, dann hat man die Berechtigung in den juristischen Vorbereitungsdienst zu gehen, das Rechtsreferendariat. Das dauert nochmal zwei Jahre und wird mit der zweiten juristischen Staatsprüfung abgeschlossen. Und wenn man die zweite juristische Staatsprüfung bestanden hat, dann hat man die Befähigung zum Richteramt. Dann kann man Richterin, Rechtsanwältin, Staatsanwältin werden, also diese klassischen juristischen Berufe ergreifen. Man kann auch noch eine ganze Reihe mehr Berufe ausüben, die auch in gewisser Weise an diese Befähigung zum Richteramt geknüpft sind.

A. B.: Ich würde gerne nochmal zurückgehen auf einen Bereich, den sie ganz am Anfang genannt haben, inhaltlich, nämlich das Argumentieren und die Logik. Ist das denn etwas, was auch eine eigene Ausbildung erfährt im Studium oder lernt man das einfach nebenbei mit?

D. H.: Also die juristische Methodenlehre wird im Wesentlichen eigentlich in den Vorlesungen und den Fallbesprechungen mitvermittelt. Um da nochmal zurückzukommen auf eine Frage, die der Herr Jäckle vorhin gestellt hat, auf die ich noch gar nicht so richtig eingegangen bin. Und zwar ist es tatsächlich so, dass wir zunächst Vorlesungen haben, in denen der Stoff und die Dogmatik mehr oder minder abstrakt vermittelt werden. Begleitend zu diesen Vorlesungen gibt es Fallbesprechungen. Das sind Arbeitsgemeinschaften, in denen man dann übt, das konkret auf Fälle anzuwenden. Das ist so ein bisschen eine Zweiteilung. Einmal die Vorlesungen, die von den Professorinnen und Professoren gehalten werden und dann die Fallbesprechungen, die von akademischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehalten werden. Und dann gibt's noch ein Drittes, das sind die Übungen. Die Übungen haben den großen Rahmen einer Vorlesung, wohingegen dann aber der Stoff nicht mehr abstrakt vermittelt wird, sondern man auch konkrete Fälle löst. Und die Übungen sind dann auch unser Format, in dem Prüfungsleistungen, das sind die bereits von den Studierenden angesprochenen Hausarbeiten, aber auch die Klausuren, geschrieben werden.

C. J.: Was ich mich gerade noch gefragt habe, war, wie viele Studierende, das denn so im Schnitt durchhalten? Gibt's da viele, die irgendwann abbrechen, weil es einfach doch ein sehr, sehr anspruchsvolles und langes Studium ist?

D. H.: Also diese Frage kann man gar nicht so einfach beantworten. Jedenfalls haben wir keine Statistiken dazu und erheben das nicht. Das wird nämlich erschwert durch Verschiedenes. Wir können feststellen, dass gerade nach dem zweiten, vielleicht auch schon nach dem ersten Semester, und nach dem dritten Semester viele Studierende das Studium nicht mehr wirklich vorantreiben und Fristen verstreichen lassen oder einfach gehen. Und wenn die gehen, dann ist das manchmal ein Studienortwechsel. Manchmal ist es die endgültige Aufgabe des Studiums. Es gibt aber auch immer wieder Fälle, das habe ich alle paar Wochen mal, dass jemand wieder einsteigen möchte in das Studium. Gerade auch der Studienortwechsel findet, da das Studium relativ lang ist, doch immer wieder mal statt. Wir können das gar nicht auseinanderhalten. Von daher ist das wirklich schwer zu beantworten. Ich müsste jetzt einfach eine Zahl raten und das wäre relativ unseriös, deswegen würde ich es lieber lassen.

C. J.: Gehen wir mal auf die andere Seite. Nämlich, was die Studierenden am Studium hält, was sie begeistert. Auch dazu haben wir Studierende gefragt und hören da jetzt rein.

Persönliche Voraussetzungen (14:12)

Studi 1: Am Jurastudium begeistert mich das logische und systematische Arbeiten, das Argumentieren.

Studi 2: Die Art, Fälle zu lösen. Dass das sehr systematisch ist, dass man immer genau weiß, wo man ist, was man machen muss und wie man vorgeht.

Studi 3: Manchmal geht es um Kriminalfälle, quasi im Strafrecht. Dann geht‘s wieder um die großen Fragen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens im Staatsrecht. Und dann geht's wieder um Dinge, die wir jeden Tag machen, nämlich Verträge abschließen im Zivilrecht.

Studi 4: Alle haben dieselbe Grundlage, das Gesetz. Und Fälle sind ja nicht immer eindeutig. Und dann musst du eben mit dieser Grundlage versuchen, das Ganze zu lösen.

Studi 5: Fachmäßig mag ich besonders gerne Völkerrecht. Und ich glaube, es ist wichtig, dass man möglichst schnell den Bereich findet, den man spannend findet als Motivation für das weitere Studium.

A. B.: Wie die Studierenden jetzt über ihr Fach berichten, klingt das ja sehr lebendig. Jetzt gibt es aber das Vorurteil, dass Jura doch ein recht trockenes Fach sei. Was bedeutet das denn Herr Höfer, vielleicht haben Sie ein Beispiel aus dem Fälle-Lösen dazu, woran man das festmachen kann.

D. H.: Naja, da ist zunächst einmal zu überlegen, was ist mit trocken gemeint? Das kann alles Mögliche bedeuten und damit können verschiedene Vorstellungen verknüpft sein. Was ich gerne zugebe, ist, dass Jura ein Fach ist, bei dem man durchaus auch auswendig lernen muss. Aber das ist in anderen Fächern vielleicht noch mehr. Sie sitzen nicht jeden Tag nur da und lernen auswendig, aber Sie müssen immer wieder Dinge auswendig lernen. Beispielsweise sprach ich vorhin schon an, dass wir oft Begriffe im Gesetz haben, da besteht die Frage: Welche Vorstellung verbindet der Gesetzgeber damit? Was meint er damit? Und das ist oft schon durch Gerichte und höchst richterlich, das heißt etwa vom BGH (Bundesgerichtshof), entschieden worden, was unter einem gewissen Begriff zu verstehen ist. Dann wird das oftmals nicht mehr in Frage gestellt, weil alle damit einverstanden sind. Und eben solche Definitionen muss man im Idealfall auch auswendig können. Das macht natürlich einen deutlichen Teil des Studiums aus, diese Dinge auswendig zu lernen, aber das kann man nicht für alle Normen leisten. Ich sprach auch schon an, dass man viele gesetzliche Vorschriften im Laufe des Studiums nicht kennenlernen wird oder jedenfalls mal nicht auswendig können muss, sodass die wesentliche Arbeit immer noch bleibt: Wenn man eine Norm aufgefunden hat und denkt, dass die zur Lösung des Falles beiträgt, selbst zu erörtern, was diese Begriffe bedeuten könnten. Da ist sehr viel Argumentation gefragt. Damit ist die Frage verbunden: Was soll denn diese Vorschrift erreichen? Wie war das denn früher? Man hat eine historische Perspektive: Was genau, welchen Zweck hat der Gesetzgeber verfolgt? Wie fügt sich das denn in die Gesamtheit der gesetzlichen Vorschriften ein? Das Verfassungsrecht, das Europarecht, wie stehen die dazu? Und so, durch ein Hin und Her, durch ein Betrachten dieses Begriffes aus verschiedenen Blickwinkeln, entwickelt man eine Lösung, was nun unter diesem Begriff zu verstehen sein soll. Das empfinde ich alles andere als trocken, sondern es ist ein wunderbares Argumentieren. Zunächst einmal mit sich selbst; aber auch das kann sehr viel Freude bereiten, wenn man an einem Begriff so viel arbeiten kann. Das wiederum mag anderen als Klein-Klein erscheinen, aber ich denke, das macht einen großen Reiz der juristischen Arbeit aus. Diesen Reiz muss man nachempfinden können.

A. B.: Wenn man also für sich schon entschieden hat: Das Jurastudium ist genau das Richtige für mich. Kann man denn dann damit rechnen, dass man auch einen Platz bekommt? Der Studiengang ist ja in Tübingen zulassungsbeschränkt. Oder sollte man sich lieber einen Plan B zurechtlegen?

D. H.: Na, das kommt drauf an, ob man zur Not bereit ist, auch ein paar Semester zu warten, denn wir haben ja im Wintersemester immer 288 und im Sommer so rund 140 Studienplätze zu vergeben. Davon gehen immer ein paar ab für besondere Fälle: Nicht-EU-Ausländer, Härtefälle, Spitzensportler, Zweitstudierende. Und der Rest wird zu 90 Prozent nach einem Auswahlverfahren vergeben. Und da ist für die Verfahrensnote, also die Note, mit der man an diesem Verfahren teilnimmt, im Wesentlichen die Abinote relevant. Da hängt es dann davon ab, wie das Bewerberfeld aufgestellt ist. Wenn wir jetzt sehr viele gute Abiturientinnen und Abiturienten haben, die sich mit einem Einser-Schnitt bewerben, dann tut man sich mit einer 2,1 schwer, denn es wird letztlich zunächst diejenige oder derjenige mit der besten Note bedient, dann die Person mit der zweitbesten Note, dann die drittbesten und so weiter und so fort. So hängt es letztlich vom Bewerberfeld ab. Natürlich gibt es da gewisse Erfahrungswerte. Zum Wintersemester kann man sagen: Da liegt der Grenzwert immer so zwischen 2,0 und 2,3, aber da gibt es auch mal Ausreißer. Und wenn man es über die Verfahrensnote nicht schafft, dann kann man es gegebenenfalls über Wartesemester schaffen. Da reden wir so von zwei bis drei Wartesemestern.

A. B.: Und dann wäre für den Fall ein Plan B, zumindest für diese Zeit, schon mal nicht schlecht. Wir haben auch Studierende gefragt, ob sie schon eine Idee haben, was sie denn nach dem Studium beruflich machen wollen und hören uns jetzt mal an, was die Studierenden darauf geantwortet haben.

Berufsperspektiven (19:48)

Studi 1: Ich weiß noch nicht genau, was ich nach dem Studium machen möchte, weil ich gerne etwas im Völkerrecht machen würde und das schwierig ist. Das sind nicht die typischen juristischen Berufe.

Studi 2: Was in Betracht käme, wäre natürlich ein Richteramt oder Staatsanwalt. Das wäre dann schon wieder mehr die Richtung Strafrecht. Generell als Anwalt oder Richter ins Familienrecht zu gehen wäre eine Option. Was ich auch überlege, ist: Es gibt den Schwerpunkt Kriminologie, der mir sehr gut gefällt. Dass man eher in die Richtung geht und doch viel weniger in die, sagen wir mal traditionelle, juristische Richtung.

Studi 3: Wenn ich mir aussuchen dürfte, was ich nach dem Studium beruflich machen wollen würde, würde ich ganz klar sagen, dass ich eine Notarstätigkeit nachgehen wollen würde. Ich sehe mich aber auch sehr im Bereich des Erb- oder Familienrechts, weil das die Bereiche waren, die ich bisher am allerspannendsten fand.

Studi 4: Als Jurist kann man beispielsweise auch als Geschäftsführer in Verbänden oder in Unternehmen arbeiten und dort in der Rechtsabteilung. Also ich kann mir vorstellen, unterschiedliche Rollen zu begleiten. Aber wenn man mich momentan fragt, was meine größte Leidenschaft ist, dann vermutlich für den Anwaltsberuf.

C. J.: Das waren schon einige sehr unterschiedliche Berufsfelder, die genannt worden sind. Vielleicht gehen wir gleich mal auf die nicht ganz klassischen Berufsfelder ein. Jeder kennt den Beruf des Rechtsanwalts und des Richters. Und auch was ein Notar macht, haben wahrscheinlich viele mal gehört. Aber in welchen abwegigeren, Berufsfeldern kommen denn auch Absolventen und Absolventinnen unter?

D. H.: Vielleicht doch noch ganz kurz auf diese Klassischen eingehend: die überwiegende Anzahl der Absolventen und Absolventinnen geht in den Anwaltsberuf. Das muss man sagen. Wenn man von diesen klassischen Berufen absieht, gibt es sehr viele Möglichkeiten. Die sind auch schon angeklungen. Da war die Rede von Verbandstätigkeit. Wir haben beispielsweise in den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, z.B. bei Südwestmetall und bei der IG Metall, Juristinnen und Juristen, die dort einerseits Unternehmen oder Gewerkschaftsmitglieder beraten und auf der anderen Seite auch in der Leitung dieser Verbände tätig sind; dann auch vielleicht eher politisch. Wir haben darüber hinaus in anderen privatrechtlichen Organisationen Juristinnen und Juristen. Das können sein, was man sich so unter NGOs vorstellt, Amnesty International beispielsweise oder andere Menschenrechtsorganisationen, Umweltschutzverbände oder Verbraucherschutzverbände. Die beschäftigen auch Juristinnen und Juristen. In dieser Verbands- und NGO-Schiene kann man beruflich tätig werden. Man kann auch im Verwaltungsdienst tätig werden. Ganz klassisch auf dem Landratsamt beispielsweise oder auf dem Finanzamt als Sachgebietsleiterin oder -leiter etwa. Das heißt, da steigt man oftmals schon mit Personalverantwortung in den Beruf ein. Und neben dieser klassischen Verwaltungsschiene, wie ich es nennen möchte, also in der Innenverwaltung, Landratsamt, Regierungspräsidium oder in der Steuerverwaltung, gibt es eine Vielzahl von Behörden in Deutschland. Um ein paar zu nennen: die Agentur für Arbeit, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Landesämter für Verfassungsschutz, auch Polizeibehörden. Die Bundeswehr beschäftigt Juristinnen und Juristen, die verschiedenen Ministerien beschäftigen Juristinnen und Juristen. Da gibt es ein sehr breites Spektrum. Auch im Staatsdienst und im privatwirtschaftlichen Bereich kann man viele Dinge nennen. Schon angeklungen sind Unternehmensleitungen etwa. Man sagte früher: Was eine ordentliche Aktiengesellschaft ist, hat mindestens einen Juristen – und damals sagte man eben noch Juristen - im Vorstand. Aber natürlich beschäftigen Unternehmen nicht nur Juristinnen und Juristen in der Führungsebene, sondern vor allen Dingen auch in ihren Rechtsabteilungen, in ihren Compliance Abteilungen, in ihren Steuerabteilungen, in ihren HR-Abteilungen, bei Versicherungen, auch in der Schadensregulierung, bei Banken, im Forderungsmanagement. Da finden wir überall Juristinnen und Juristen. Und wir finden sie natürlich auch noch in Bereichen, die wir gar nicht so auf dem Schirm haben, z.B. im Bereich des Journalismus, nicht unbedingt nur als Gerichtsreporterin oder Gerichtsreporter, sondern auch als politische Korrespondenten etwa.

A. B.: Also da klingt dann doch ein bisschen durch, dass alle Türen offenstehen, wenn auch nicht die OP-Tür, um nochmal darauf zurückzukommen. Ich habe mich jetzt noch gefragt, wir sind schon so weit durch das Studium gegangen, dass wir von einem ersten und einem zweiten Staatsexamen sprechen: Braucht es denn für alle dieser Berufe auch das zweite Staatsexamen? Oder wäre man für einen Teilbereich auch schon nach dem ersten Staatsexamen fertig?

D. H.: Das ist so, dass die erste juristische Prüfung kein berufsqualifizierender Abschluss ist. Die gibt einem letztlich erstmal nur die Möglichkeit, in den Vorbereitungsdienst zu gehen. Und erst wenn man den abgeschlossen hat, hat man die Befähigung zum Richteramt. Und die ist Voraussetzung für die Tätigkeit als Rechtsanwältin, als Staatsanwältin, als Richterin, als Notarin. Sie eröffnet darüber hinaus, wenn es auch nicht der einzige Weg ist, die Möglichkeit, in den höheren allgemeinen Verwaltungsdienst zu gehen. Darüber hinaus, wenn man jetzt nur das erste Staatsexamen hat, gibt es auch Möglichkeiten tätig zu werden, z.B. bei Versicherungen oder bei Banken, vielleicht auch in Unternehmen in einer HR-Abteilung oder so etwas. Nur muss man immer wissen, dass man dort auch mit Volljuristinnen und Volljuristen, also mit denen, die das zweite Staatsexamen haben, konkurriert und letztlich dann doch die schlechteren Karten hat.

C. J.: Kann oder muss man dann auch während des Studiums schon Praxiserfahrungen sammeln?

D. H.: Ja, in gewissem Umfang ist es so, dass man für die Zulassung zur Staatsprüfung in der ersten juristischen Prüfung tatsächlich drei Monate Praktika in der vorlesungsfreien Zeit nachweisen muss. Darüber hinaus kann man auch mehr machen, aber das ist oftmals schwer unterzukriegen. Denn wie wir schon erfahren haben, ist es ein Studium, das einen auch zeitlich gesehen relativ in Anspruch nimmt.

C. J.: Ja wow, das war ein ganz schön großer Blumenstrauß an verschiedenen Berufsmöglichkeiten. Da muss wahrscheinlich jeder für sich selbst seinen Schwerpunkt irgendwie finden oder seine Leidenschaft. Sie hatten schon gesagt, dass die meisten oder sehr viele als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt tätig werden, auch da in verschiedenen Bereichen. Da brauche ich wahrscheinlich irgendwann eine Expertise in einer bestimmten Fachrichtung.

A. B.: Welche Voraussetzungen sollte man denn als Studienanfänger:in mitbringen? Also welche Kompetenzen und Fähigkeiten sind wichtig für ein Jurastudium?

D. H. Für das Studium sollte man, zunächst mal, und das sollte an allererster Stelle stehen, ein entsprechendes Interesse gerade an politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen mitbringen. Man sollte auch ein logisches Denkvermögen mitbringen, das kann man sich an guten Noten in Mathematik und Physik herleiten, die könnten dafür ein Indikator sein. Ob sie es sind oder nicht: zwingend sicherlich nicht, aber es gibt jedenfalls eine gewisse Koinzidenz, sag ich mal. Und man sollte Sprachgefühl mitbringen. Das heißt, man sollte schreiben können, keine blumigen Texte, nichts Ausschweifendes, sondern man soll kurz, präzise und knapp formulieren können. Und man soll auf der anderen Seite auch mit Texten, die einem selbst vorliegen, umgehen können, die Bedeutungen des Textes ergründen können. Das heißt ein Gefühl dafür zu haben, für Sprache. Das sind, denke ich, die drei am besten beschreibbaren Voraussetzungen. Darüber hinaus benötigt man aber sicherlich noch eine weitere oder eine Reihe weiterer Kompetenzen. Also man benötigt ein gewisses Sitzfleisch. Man muss auch in der Lage sein, mal acht Stunden am Tag, oder regelmäßig acht Stunden am Tag, am Schreibtisch sitzen zu können und sich konzentrieren zu können. Das kann man zu einem gewissen Grad auch lernen. Man sollte ein gewisses Durchhaltevermögen, eine gewisse Ausdauer mitbringen. Und man sollte auch die Fähigkeit mitbringen, auch mit Rückschlägen umgehen zu können.

A. B.: Ja, das war soweit ein ganz guter Rundumschlag rund um das Jurastudium. Christoph, hast du noch irgendwelche Fragen offen?

C. J.: Ich glaube momentan nicht. Nein.

A. B.: Gut, dann sage ich: Vielen Dank, Herr Höfer, dass Sie da waren und sich Zeit genommen haben, alle Fragen zu beantworten.

D. H.: Ja, ich bedanke mich auch ganz herzlich, dass ich heute hier sein durfte und mit Ihnen sprechen durfte und die Gelegenheit hatte, Studieninteressierte Schülerinnen und Schüler über das Jurastudium zu informieren. Das ist uns immer ein sehr großes Anliegen, denn das ist eine wichtige Entscheidung, die in diesem Lebensabschnitt man zu treffen hat. Die sollte man möglichst gut informiert treffen. Gerade wenn es darum geht, ein Studium wie das Jurastudium aufzunehmen, was doch, wie wir gehört haben, relativ lange dauert.

A. B.: Ja, da sind sie dann auch ein guter Ansprechpartner. Ansonsten an alle Hörerinnen und Hörer, wenn es noch weitere Fragen gibt, oder Anregungen und Kritik: Wir verlinken unseren Kontakt in den Shownotes und auch weitere Informationen sind dort zu finden. Und wir hören uns beim nächsten Mal!

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Daniel Höfer über die folgenden Themen: 
01:12 Persönliche Motivation
04:43 Studieninhalte
14:12 Persönliche Voraussetzungen
19:48 Berufsperspektiven

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen oder direkt bei der Studienfachberatung für Jura. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Folge #02: Evangelische Theologie

Wie viele alte Sprachen muss ich im Theologiestudium lernen? Und wie wichtig ist mein Glaube für das Studium? Über diese und andere Fragen sprechen wir mit unserem Studiogast Professor Dr. Volker Leppin zum Studienfach Evangelische Theologie. Außerdem berichten Tübinger Studierende über ihre Beweggründe für ein Theologiestudium, was sie an ihrem Studium begeistert und wohin sie beruflich damit möchten.

Listen
Alexandra Becker (A. B.): Herzlich Willkommen bei „hochschulreif", dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch hier in jeder Folge ein Studienfach vor, damit Ihr Euch vorstellen könnt, was Euch im Studium etwa erwartet. Wir, das sind mein Kollege Christoph Jäckle und ich, Alexandra Becker. Hallo Christoph!

Christoph Jäckle (C. J.): Hallo Alex!

A. B.: Wir beide sind vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen und laden uns in jeder Folge einen Gast ein, mit dem wir über das jeweilige Fach sprechen. Heute dreht sich alles um das Fach Evangelische Theologie. Dazu haben wir uns Professor Volker Leppin eingeladen. Volker Leppin lehrt am Institut für Spätmittelalter und Reformation den Bereich Kirchengeschichte. Damit ist er also genau richtig hier bei uns. Hallo Herr Leppin!

Prof. Dr. Volker Leppin (V. L.): Hallo, vielen Dank für die Einladung!

A. B.: Schön, dass Sie heute da sind! Herr Leppin, wir sind schon wahnsinnig gespannt, warum Sie sich damals für Evangelische Theologie entschieden haben. Lassen Sie uns aber zunächst hören, was Studierende auf diese Frage geantwortet haben.

Persönliche Motivation (01:05)

Studi 1: Ich habe mich schon immer für Philosophie, alte Kulturen und christliche Bräuche interessiert und ich habe mich gerne mit biblischen Texten beschäftigt.

Studi 2: Der Hauptgrund ist mein Glaube. Er macht einen großen Teil von meinem Leben aus. Das war für mich eine Motivation und ein Grund, dieses Fach zu studieren, dass ich einfach noch mehr darüber lernen kann.

Studi 3: Mein Religionslehrer hat mir damals eine Informationsbroschüre für die Abi-Info-Tagung des Evangelischen Stifts gegeben. Dort war ich absolut begeistert von dem Studiengang.

Studi 4: Ich war schon immer sehr engagiert, beispielsweise in der Kinderkirche bei uns in der Gemeinde. Auch in der Schule war Religion immer mein Lieblingsfach. Außerdem kam unser Pfarrer in der Gemeinde auf mich zu und hat nachgefragt, ob das nicht etwas für mich wäre.

C. J.: Das waren schon ein paar spannende, persönliche Beweggründe für das Studium. Herr Leppin, können Sie sich noch daran erinnern, was bei Ihnen den Ausschlag gegeben hat? Warum haben Sie sich für das Studienfach Evangelische Theologie entschieden?

V. L.: Das fängt erst einmal ganz langweilig an. Ich bin Pfarrerssohn. Es lag nahe, an die Theologie zu denken. Das war aber nicht der einzige Grund. Ich bin in Marburg aufgewachsen. In einer Stadt, die damals in den 80er Jahren eine sehr starke intellektuelle Präsenz von atheistisch denkenden Menschen hatte. Viele meiner Mitschüler und Mitschülerinnen waren selbst ausdrücklich Atheisten. Wir sind in sehr intensive, interessante Diskussionen gekommen. Dann dachte ich mir, ich will es jetzt genauer wissen. Ich will wissen, stimmt das: Wissenschaftlich kann man nicht glauben? Oder ist nicht vielleicht doch etwas dran? Nach ein paar Jahren Theologiestudium würde ich sagen, es ist etwas dran.

C. J.: Wären für Sie damals auch noch andere Fächer infrage gekommen? Denn man hätte auch sagen können, ich schaue mir diesen Gegenstand von einer anderen Perspektive aus an und studiere Philosophie.

V. L.: Tatsächlich wäre die andere Möglichkeit ganz weit weg gewesen. Ich habe viel über Mathematik nachgedacht. Ich hatte Mathe im Leistungskurs. Dann habe ich überlegt: In welchem Studiengang lerne ich Dinge oder beschäftige ich mich mit Dingen, die viel mit mir zu tun haben? Ich dachte, das ist in der Theologie eher der Fall als in Mathematik.

C. J.: Sie haben, wenn ich das richtig weiß, selbst während Ihres Studiums auch Zeit im Ausland verbracht. Ist das denn üblich bei einem Studium der Evangelischen Theologie?

V. L.: Gerade bei uns in Tübingen gibt es viele Studierende, die das machen. Wir haben auch sehr viele Austauschprogramme über unterschiedliche Institutionen. Die Fakultät, auch das vorhin genannte Evangelische Stift vermitteln Auslandsstudiengänge und das weitet den Horizont. Wir lernen dann in anderen Kontexten kennen, wie die Dinge, mit denen man sich hier beschäftigt, auch mal ganz anders angeschaut werden können.

A. B.: Da bin ich jetzt aber auch neugierig, wo Sie waren. Erzählen Sie doch mal!

V. L.: Ich war ein Jahr in Jerusalem. Das war dort eine Institution, ein Kloster, die Dormitio Abtei, das deutschsprachig besetzt ist, und einen Studiengang für deutsche Studierende ermöglicht hat. So hatten wir nicht den Aufwand, wie es bei anderen Studiengängen in Israel der Fall ist, modernes Hebräisch lernen zu müssen. Wir hatten aber viele Kontakte im Land und haben das Land durch viele Reisen erkundet. Es war ein unglaublich inspirierendes Jahr.

C. J.: Es wurde jetzt auch schon zweimal das Evangelische Stift genannt und ich kann mir vorstellen, dass viele unsere Zuhörerinnen und Zuhörer das gar nicht kennen. Können Sie uns kurz etwas dazu sagen?

V. L.: Das Evangelische Stift ist eine Einrichtung mit fast 500 jähriger Geschichte. In der Zeit der Reformation für den Nachwuchs, insbesondere von Theologen – damals noch nicht für Theologinnen, inzwischen aber auch für Theologinnen – im damaligen Herzogtum Württemberg gegründet. Diese Institution hat durchgehalten und wird heute von der Landeskirche Württemberg finanziert und getragen. Sie gibt Stipendien aus für Studierende, die in Württemberg Pfarrer/Pfarrerinnen oder Lehrer/Lehrerinnen werden wollen. Es ist nicht das einzige Wohnheim, dass sehr stark auf Theologie ausgerichtet ist. Es gibt auch das Albrecht-Bengel-Haus. Das ist ein Wohnheim, das mit einem sogenannten evangelikalen Hintergrund gegründet worden ist. Also mit einer bestimmten Haltung, die das Verhältnis zu der akademischen Theologie in den eigenen Einrichtungen des Albrecht-Bengel-Hauses noch einmal diskutiert und da Studierende aus ganz Deutschland in diesem Haus sammelt.

C. J.: Und wie muss ich mir das vorstellen, wenn ich da als Studierender wohne? Ist es dann ein reines miteinander Wohnen oder werden dort auch Gesprächsrunden angeboten? Gibt es dort auch Lehreinheiten? Oder es ist tatsächlich einfach nur gemeinschaftliches Wohnen von Studierenden der Theologie?

V. L.: In beiden Häusern gibt es noch eigene Lehrveranstaltungen, die zusammen mit den anderen, die dort wohnen, besucht werden können. Ein eigenes Programm. Dazu kommt auch: die Leute, die dort studieren, die treffen von morgens bis abends Studierende, die am selben Thema sitzen. Das merken wir in der Fakultät. Das sind Menschen, die legen die Theologie nicht ab, wenn das Seminar beendet ist, sondern sie sind weiter im Gespräch und tragen die Frage weiter, wie es jetzt eigentlich mit den theologischen Themen steht.

C. J.: Also ein schönes, besonderes Angebot in Tübingen, wenn man Theologie studiert und die Möglichkeit hat, dort auch zu wohnen.

V. L.: Da ist Tübingen wirklich ausgezeichnet aufgestellt mit diesen Wohnhäusern. Und dazu gibt es natürlich auch viele, die in der Stadt verteilt sind. Es kann auch sein, dass man sagt, ich möchte mal andere Menschen treffen. Ich möchte vielleicht mal Mathematiker und Juristinnen treffen. Dazu ist die Möglichkeit in Tübingen genauso da.

C. J.: Wir haben Studierende auch gefragt, wie denn ihr Studienalltag so aussieht. Hören wir uns das doch mal an.

Studieninhalte (06:31)

Studi 1: Ich bin im ersten Semester bzw. ich fange jetzt mein zweites an, deshalb sieht bei mir der Studienalltag noch nach sehr viel Sprachenlernen aus.

Studi 2: Eine typische Studienwoche sieht bei mir so aus, dass ich die meisten Veranstaltungen zwischen Montag und Donnerstag habe. Die Vorlesungen finden in der Regel vormittags statt, während die Seminare und Übungen nachmittags stattfinden. Im Gegensatz zum Schulunterricht, ist es im Studium so, dass man sich genug Zeit einplanen sollte, um vor- und nachzubereiten.

Studi 3: Insgesamt finde ich, steckt meine Studienwoche in der evangelischen Theologie voller Austausch, teilweise persönlichem Austausch in Lerngruppen oder Vorbereitungsgruppen mit anderen Studenten.

A. B.: Jetzt haben wir gehört, wie Studierende hier ihren Studienalltag organisieren. Und da stellt sich natürlich die Frage: Was ist das inhaltlich? Welche Fachbereiche gibt es, wenn man mit der evangelischen Theologie beginnt?

V. L.: Der Beginn, das wurde schon eben von der einen Kommilitonin angesprochen, besteht meistens erst einmal darin, sich die alten Sprachen anzueignen. Es wird kaum jemanden geben, der oder die Latein, Griechisch und Hebräisch vom Abitur mitbringt. Manche bringen Latein mit, ganz wenige noch zusätzlich Griechisch, sodass erstmal diese Sprachen nachgeholt werden müssen, um dann vorbereitet zu sein auf diese unterschiedlichen Fachbereiche. Wir haben zum einen zwei Fachbereiche im Feld der biblischen Wissenschaft: Altes und Neues Testament. Da geht es darum, diese Texte im Original und in ihrem religionsgeschichtlichen Kontext kennenzulernen. Also zu schauen: Was steckt dahinter, dass es die Sinnflutgeschichte gibt und schon eine viel ältere mesopotamische Geschichte, in der auch so etwas Ähnliches vorkommt wie die Sintflut? Wie kommt das? Wie rutscht das in die Bibel hinein? Dann gibt es den Bereich, den ich selbst vertrete, die Kirchengeschichte, wo es darum geht, die zweitausend Jahre Entwicklung des Christentums seit den Anfängen verstehend nachzuvollziehen. Unter anderem auch die Frage, warum haben wir heute unterschiedliche Konfessionen? Warum haben wir in Tübingen nebeneinander eine evangelische und eine katholische Fakultät? Das hat historische Hintergründe. Und natürlich hat das auch aktuelle Gründe. Da sind wir im Bereich der systematischen Theologie, wo es darum geht zu sehen: Wie steht das Christentum eigentlich heute da? Wie kann man heute das Christentum verstehend wissenschaftlich erklären und durchbuchstabieren? Eine Studentin hatte vorhin gesagt: „Ich habe mich schon immer für Philosophie interessiert." Die wird wahrscheinlich viel Spaß an der systematischen Theologie haben, wo es auch darum geht, Theologie philosophisch zu reflektieren. Und dann gibt es noch den Bereich der Praktischen Theologie, in dem darüber nachgedacht wird, wie sind die Arbeitsfelder – die klassischen Arbeitsfelder Pfarramt und Lehramt – in der heutigen Gesellschaft? Auch, was bedeutet es heutzutage, am Sonntagvormittag Verkündigung zu betreiben, wenn man vielleicht in Sachsen oder Thüringen in einem Umfeld ist, in dem den allermeisten Menschen dieser Sonntag nichts Religiöses mehr sagt?

A. B.: Sie haben schon die Sprachen angesprochen. Das ist auch ein Feld, das nach sehr viel Arbeit klingt. Und man könnte ja fragen, wozu denn diese ganzen alten Sprachen, die niemand mehr spricht, wenn doch eigentlich alles schon übersetzt ist? Was würden Sie sagen, warum ist es wichtig, diese Sprachen zu können?

V. L.: Ich beobachte gerade an der jetzigen Generation, die jetzt ins Studium kommt, dass sie beneidenswerterweise über Sprachen verfügen, wenn es beispielsweise darum geht, Filme zu gucken. Ich sehe das bei vielen jungen Menschen. Wenn die wissen, da ist ein Film ursprünglich auf Englisch gedreht, dann gucken sie den auch lieber auf Englisch, weil da mehr Geschmack des Originals drin ist, weil man mehr mitkriegt, wie das ursprünglich tatsächlich gedacht und gefühlt worden ist, obwohl es den Film auch synchronisiert gibt. Diese Synchronisation kann meistens das Original nicht wirklich voll wiedergeben. Und so ähnlich ist es mit dem biblischen Text auch, ganz besonders beim Alten Testament. Die hebräische Sprache funktioniert ganz anders als die deutsche Sprache, ist in der grammatischen Struktur ganz anders. Aber auch beim Neuen Testament; das Griechische hat andere Möglichkeiten zu differenzieren. Wenn ich also ganz genau verstehen will, worum es geht, dann kann ich mich auf keine Übersetzung, sie mag noch so gut sein, verlassen, sondern dann muss ich in das Original schauen. Im Lateinischen gilt dann sogar, dass viele der lateinischen Texte nicht übersetzt sind. Und natürlich gilt genauso für das Lateinische, das ich genauer verstehe, wenn ich in das Original hineinschaue.

A. B.: Das war ein schönes Beispiel mit dem Film. Vielleicht kennt das der ein oder andere auch, dass man manchmal merkt, wenn Ironie so ganz seltsam ins Deutsche übersetzt ist und im Englischen, wie Sie das auch als Beispiel genannt haben, das nochmal ganz andere Bedeutungsnuancen hat. So kann ich mir das auch gut vorstellen.

C. J.: Schön, Sie hatten ja verschiedene Fachbereiche, verschiedene Disziplinen schon genannt, wie einen historischen Zugang, einen philosophischen Zugang. Können Sie an ein, zwei kleinen Beispielen – vielleicht ein Seminar, ein Thema oder eine konkrete Fragestellung – kurz erklären, wie so ein methodischer Zugang ist? Mit welchen konkreten Fragen beschäftige ich mich zum Beispiel, wenn ich kirchenhistorisch ein Seminar besuche oder philosophisch in dem Bereich unterwegs bin?

V. L.: Also kirchenhistorisch kann ein Thema sein: Die Mystik von Frauen im Mittelalter. Was sind das für Texte, was sind das für Gestalten, die davon ausgehen, es gibt eine intensive Einigung mit Gott? Gott kommt in mein Leben, kommt sogar in meinen Körper hinein, kommt in meine Seele hinein. Wie drücken diese Frauen sich aus? Das kann ein Seminarthema sein. Ein ganz anderes Seminarthema im Bereich Systematische Theologie am Übergang zur Religionsphilosophie kann sein: Gottesbeweise. Kann ich überhaupt die Existenz Gottes beweisen? Wie hat das Anselm von Canterbury versucht? Wieso hat Immanuel Kant gesagt, mit dem Gottesbeweis sieht es eher schwierig aus? Wie kommt es, dass trotzdem noch im 20. und 21. Jahrhundert Religionsphilosophen sagen, es gibt die Möglichkeit, Gott zu beweisen? Das wird dann jeweils anhand der entsprechenden Texte durchdiskutiert. Und um vielleicht dann doch noch das dritte Feld mit der Exegese, mit den biblischen Fächern, zu öffnen. Da kann ein Thema etwa sein: Wie ist das Verhältnis des Apostels Paulus zu seinen Gemeinden? Wir kennen aus der Bibel einen Römerbrief, wir kennen zwei Korintherbriefe. Wie sieht das in den Gemeinden aus, wenn Paulus schildert, da wird auf eine bestimmte Weise das Abendmahl gefeiert? Was steht sozial dahinter, dass die Leute offensichtlich Schwierigkeiten damit haben, ihr Essen irgendwo hinzubringen und gemeinsam zu essen? Da sind Arme und Reiche beieinander. Daraus kann man Rückschlüsse auf die soziale Situation der Gemeinden ziehen.

C. J.: Zusammengefasst, im Endeffekt sind es dann textwissenschaftliche Zugänge, es sind gesellschaftliche Zugänge, historische Zugänge. Je nachdem eben, aus welchem Bereich man sich das jeweilige Thema genau erschließt?

V. L.: Das Methodenspektrum ist tatsächlich sehr, sehr breit. Auch das Feld, was man abschreitet. Es geht vom Alten Orient im zweiten, dritten Jahrtausend vor Christus bis in die unmittelbare Gegenwart mit soziologischen Theorien der Gegenwart. Es ist schon – nicht ein Rundumschlag, das klingt ein bisschen blöd – es ist eine Tour, die durch viele, viele Wissensfelder hindurchführt.

A. B.: Wie ist das denn, wenn man sich so ganz wissenschaftlich der Theologie annähert? Sie haben schon angesprochen, der eigene Glaube spielt auch eine Rolle bei den meisten Studierenden, vielleicht auch bei allen. Was passiert, wenn man mit seinem Glauben ins Hadern kommt? Passiert das vielen? Haben Sie, das schon miterlebt?

V. L.: Das passiert jedenfalls einigen, gehört vielleicht in gewisser Weise insgesamt dazu, dass man mindestens kleine Krisen hat. Und bei manchen wächst es sich zu großen Krisen aus, die dann auch ganz unterschiedlich ausgehen könnten. Das Erste, was passieren sollte, ist natürlich, dass man sich an Freunde, Freundinnen, vielleicht Lehrende an der Fakultät wendet und offen das Gespräch sucht und sagt, hier und da habe ich Schwierigkeiten. Mit einem selbst, kann es den Weg finden, – das habe ich leider erlebt – dass Menschen sagen, ich kann jetzt nicht mehr hinter dem Theologiestudium stehen. Das ist dann persönlich schwierig für die Personen, oft muss man aber sagen, auch ein Stück Persönlichkeitsentwicklung. Die Menschen sagen sich dann, jetzt habe ich eine Position gefunden, wenn auch eine andere, als ich vor ein paar Jahren dachte. Bei den allermeisten ist es der Fall, dass der eigene Glaube reift. Wenn ich in der Lage bin, Dinge genauer zu verstehen, genauer zu begründen und merke mein Glaube sitzt doch noch einmal tiefer als etwa die Frage, ist jetzt dieser Brief tatsächlich vom Apostel Paulus geschrieben oder nicht. Wir gehen heute davon aus, dass etwa die Briefe an Timotheus, die auf Paulus zurückgeführt werden, biblisch tatsächlich nicht von ihm stammen. Das kann manche sehr irritieren. Die Frage ist aber, hängt mein Glaube daran fest? Ist das wirklich die Frage? Und wenn ich dazu dränge zu sehen, mein Glaube sitzt noch einmal tiefer, dann ist das ein ganz wichtiges Stück der eigenen Entwicklung.

C. J.: Wir haben auch Studierende gefragt, welche persönlichen Voraussetzungen sie mitbringen beziehungsweise was sie am Studium so begeistert. Vielleicht hören wir da mal kurz herein.

Persönliche Voraussetzungen (15:42)

Studi 1: Mich begeistert, dass man sich in seinem Studium mit der Bibel beschäftigen kann und da einfach so viel drüber lernen kann und sich mit so vielen wichtigen zentralen Lebensfragen auseinandersetzt.

Studi 2: Ich habe evangelische Theologie online angefangen zu studieren und habe im Vergleich zu meinen anderen Lehramtsfächern sehr schnell gemerkt, dass in der evangelischen Theologie doch die größte Offenheit unter den Studierenden da ist und ich sehr viele neue Leute kennengelernt habe, auch online.

Studi 3: Ich finde, es ist ein echt schönes Studium für mich, weil ich meinen Interessen nachgehen kann. Theologie ist außerdem sehr vielfältig, also von der Kirchengeschichte hin bis zur Auslegung und Übersetzung der Bibel ist wirklich alles mit dabei.

Studi 4: Zusammengefasst kann man sagen, wenn man evangelische Theologie studiert, hat man ein sehr abwechslungsreiches, ein sehr freies, aber auch ein sehr wissenschaftliches Studium und man sich auf jeden Fall mit kritischen Fragen auseinandersetzen wird.

C. J.: Also was ich bei all den Aussagen von Studierenden raushöre, ist, dass ganz viele einen sehr persönlichen Zugang zu diesem Studium haben und sich das von anderen Studienfächern unterscheidet. Ich glaube, weil viele sich durch diesen gemeinsamen Glauben und auch das gemeinsame Diskutieren mit ganz persönlichen Fragen auseinandersetzen.

V. L.: Das ist definitiv so. Und wir hatten ja eben schon das Thema, was macht das mit mir? Haben von der Krise her gedacht. Aber es gibt den großen, breiten, normalen Weg, in dem jede wissenschaftliche Frage und jede wissenschaftliche Antwort in irgendeiner Weise doch etwas mit meinem Glauben zu tun hat und ich mich persönlich dazu stellen muss. Das macht dieses Studium faszinierend. Das macht das wirklich zu einer Reise der eigenen Lebensentwicklung.

C. J.: Es ist vermutlich nicht zwingend nötig, selbst evangelisch zu sein und selbst einen starken Glauben zu haben. Aber wahrscheinlich haben es die meisten Studierenden, oder?

V. L.: Formalrechtlich ist es tatsächlich so, dass man für die Abschlüsse Mitglied einer evangelischen Kirche sein muss. So sind die Regelungen in Deutschland. Was das Inhaltliche angeht, gibt es eben auch unter denjenigen, die Mitglieder in der Kirche sind, natürlich diejenigen, die näher dran sind, und diejenigen, die mehr Distanz haben. Und diejenigen, die mehr Distanz haben, das sind nicht die schlechtesten.

C. J.: Muss ich mich schon ganz früh festlegen, ob ich Richtung Lehramt gehen möchte oder ob ich mir eventuell auch eine Arbeit als Pfarrer vorstellen kann oder in einem ganz anderen Bereich?

V. L.: Es gibt immer Wechsel und Wechselmöglichkeiten. Viele Veranstaltungen sind für beide Studiengänge nutzbar. Den größten Unterschied macht wahrscheinlich das Lernen des Hebräischen aus. Für das Lehramt muss man nicht Hebräisch lernen. Das heißt, man hat dann auch alttestamentliche Veranstaltungen, die auf den deutschen Text zurückgreifen und nicht auf den hebräischen. Das müsste man dann, wenn man vom Lehramt Richtung Pfarramt wechselt, noch einmal ändern.

A. B.: Jetzt haben wir schon durch die verschiedenen Studiengänge, die es in dem Fach gibt, das ein oder andere berufliche Feld kennengelernt. Vielleicht können wir uns da anhören, was Studierende denn so für Pläne haben, was sie nach dem Studium machen möchten.

Berufsperspektiven (18:56)

Studi 1: Ich möchte vor allem Religionslehrerin werden. Ich finde es so schön, wenn man in das Klassenzimmer reingehen kann und die Schüler erst einmal ankommen dürfen. Das ist ein Fach, wo es wirklich um die Schüler geht und gar nicht groß um die Leistungen.

Studi 2: Nach dem Studium möchte ich gern in das Vikariat gehen. Das ist eine praktische Ausbildung für angehende Pfarrerinnen. Ich möchte Pfarrerin werden seit meiner Konfirmation.

Studi 3: Eine Möglichkeit, die ich mir eventuell auch vorstellen kann, ist, eine Weiterbildung zur Schulseelsorge zu machen. Das heißt, da noch tiefer zu gehen.

A. B.: Man merkt schon an den Tönen, dass Pfarrer/Pfarrerin oder Lehrer/Lehrerin wohl überwiegt. Was kann man denn außerhalb dieser Bereiche noch machen?

V. L.: Das sind im Grunde dann individuelle Entwicklungen, die auf diesen klassischen Berufsfeldausbildungen aufbauen. Es sind viele Theologinnen und Theologen etwa in den Bereich von Stiftungen gegangen, wo es um gesellschaftliche Betrachtung geht. Es gibt viele, die im Verlagswesen arbeiten. Es gibt tatsächlich auch Personen, die in der freien Wirtschaft im Personalmanagement arbeiten. Auch deswegen, weil Theologie als ein Fach gilt, in dem man relativ viele unterschiedliche Horizonte wahrnimmt, und das hilft im Personalmanagement. Insofern gilt Theologie auch von der Arbeitgeberseite als ein Studium, das für relativ viele Kompetenzen ausbildet, ohne, dass man sagen kann, von Theologie her ist, außerhalb von Kirche und Schule, genau das das Feld, in dem man arbeiten kann.

C. J.: Ist es verpflichtend, während des eigenen Studiums schon Praxiserfahrung zu sammeln? Muss man Praktika machen?

V. L.: Also im Lehramt ist es sogar so, dass wir in Tübingen ein Praxissemester haben, in dem die Studierenden tatsächlich intensive Erfahrungen mit der Schule machen. Im Pfarramt ist es auch so, dass ein Praktikum mindestens in einer Gemeinde erwartet wird. Dazu wird gerade vonseiten der württembergischen Landeskirche erwartet, dass in der Regel schon vor dem Studium praktische Erfahrungen im Sinne eines FSJ oder dergleichen gemacht werden, dass man also nicht allein den intellektuellen Weg wählt.

C. J.: Und machen auch viele Studierende ein Auslandssemester?

V. L.: Das machen sehr viele. Die meisten natürlich im englischsprachigen Ausland, weil es sich von der Sprache her ergibt. Aber wir haben von Tübingen aus beispielsweise auch Verbindungen mit der protestantischen Fakultät in Straßburg. Das heißt, wer im Französischen fit ist, hat dort wunderbare Möglichkeiten. Wir haben viele Studierende, die nach Rom gehen. Wir haben die Studierenden, die nach Israel gehen, also auch diejenigen, die dort auf Ivrit, dem modernen Hebräisch, studieren. Die kriegen bei uns in der Fakultät auch Kurse in modernem Hebräisch, sodass sie da schon einigermaßen vorbereitet sind. Das nutzen sie und in der Regel kommen begeistert zurück.

A. B.: Wechseln viele während des Studiums die Hochschule und ist das wichtig in der evangelischen Theologie?

V. L.: Es ist jedenfalls gut, mal zu wechseln, ein oder zweimal zu wechseln, weil man dann noch einmal lernt, dass man das, was man in Tübingen als selbstverständlich gelernt hat, vielleicht in Greifswald, Göttingen oder in Münster auf ganz andere Weise betrachtet. Das gehört auch mit dazu, dass man in Geisteswissenschaften immer von einer bestimmten Perspektive her Dinge betrachtet, dass die Methode bestimmte Perspektiven enthält und da sind die Standorte jeweils unterschiedlich. Also es empfiehlt sich, für den eigenen Weg zu wechseln. In der Theologie ist das Wechseln auch relativ einfach. Dadurch, dass die evangelische Kirche in Deutschland eine Rahmenordnung für die kirchlichen Abschlüsse erlassen hat, orientieren sich die verschiedenen Fakultäten tatsächlich in etwa an demselben Lehrplan.

A. B.: So lernt man dann unterschiedliche Denkschulen kennen.

V. L.: Genau und wird dadurch auch kräftig herausgefordert.

C. J.: Ich glaube, ich habe keine weitere Frage momentan. Alex, wie ist es bei dir?

A. B.: Also für mich sind alle Fragen bestens beantwortet.

V. L.: Okay, prima.

C. J.: Klasse, ja, dann sage ich ganz lieben Dank, Herr Leppin, dass Sie da waren und dass Sie uns so viel Spannendes über das Studium der evangelischen Theologie berichtet haben. Ich hoffe, Ihr Hörerinnen und Hörer konntet einiges mitnehmen für Euch, falls Ihr Euch für das Studium interessiert. Und falls Ihr noch Fragen habt, schreibt uns eine E-Mail, die findet Ihr bei uns in den Shownotes und ansonsten ganz lieben Dank und…

A. B.: …bis zum nächsten Mal!

V. L.: Genau. Und an die Hörenden, fragen Sie auch gerne direkt in der Evangelisch-Theologischen Fakultät nach, auch da werden Sie immer Antwort bekommen. Wir freuen uns über Ihr Interesse und freuen uns auf Sie!

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Volker Leppin über die folgenden Themen: 
01:05 Persönliche Motivation
06:31 Studieninhalte
15:42 Persönliche Voraussetzungen
18:56 Berufsperspektiven

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreif@uni-tuebingen.de


Folge #01: Germanistik / Deutsch

Ist Germanistik eigentlich ein "Laberfach"? Und was macht man später überhaupt damit? Die Antworten auf diese und viele weitere Fragen erfahrt ihr in unserer ersten Folge von "hochschulreif". Für das Studienfach Germanistik/Deutsch haben wir Professorin Dr. Annette Gerok-Reiter eingeladen. Mit ihr sprechen wir unter anderem darüber, was sie selbst zum Studium motiviert hat, was ihr im Studium so alles lernt und in welchen Berufsfeldern Germanistinnen und Germanisten arbeiten können. Zu allen Themen hört ihr auch Statements von Tübinger Studierenden.

Listen
Alexandra Becker (A. B:): Herzlich willkommen bei „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch hier in jeder Folge ein Studienfach vor, damit ihr Euch vorstellen könnt, was Euch im Studium etwa erwartet. Wir, das sind mein Kollege Christoph Jäckle und ich, Alexandra Becker. Hallo Christoph!

Christoph Jäckle (C. J.): Hallo Alex!

A. B.: Wir beide sind vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen und laden uns in jeder Folge einen Gast ein, mit dem wir über das jeweilige Fach sprechen. Heute dreht sich alles um das Fach Germanistik. Dazu haben wir uns Professorin Annette Gerok-Reiter eingeladen. Annette Gerok-Reiter lehrt die deutsche Literatur des Mittelalters und hat sogar selbst an der Uni Tübingen studiert. Damit ist sie heute genau richtig hier bei uns. Frau Gerok-Reiter wir freuen uns, dass Sie heute da sind.

Prof. Dr. Annette Gerok-Reiter (A. G-R.): Ja, schön, ich freue mich auch.

Persönliche Motivation (0:53)

A. B.: Wir sind schon sehr gespannt zu hören, warum Sie Germanistik studiert haben. Zuvor haben wir Studierende gefragt, warum sie sich für das Deutschstudium entschieden haben. Und Folgendes haben wir gehört:

Studi 1: Darauf habe ich wahrscheinlich die typischen Antworten, nämlich, dass zum einen Deutsch schon immer mein Lieblingsfach in der Schule war und zum anderen habe ich auch schon immer gerne gelesen.

Studi 2: Ich war nach der Schule unentschlossen, was ich studieren wollte und habe dann erst mit Physik angefangen, parallel Germanistikveranstaltungen besucht und mich dann letztlich dazu umentschieden.

Studi 3: Ich habe mich dazu entschieden Germanistik zu studieren, weil ich mich schon immer für alle möglichen Sprachen und auch Literatur begeistern konnte. Besonders viel Spaß hat es mir damals in der Schule gemacht, literarische Texte auch in der Theater-AG schauspielerisch umzusetzen.

Studi 4: Also ganz klassisch lese ich natürlich gerne. Ich schreibe auch sogar gerne. Ich finde Sprache auch extrem interessant, sowohl wie sie entstanden ist, als auch wie sie funktioniert. Da ist Germanistik einfach die naheliegende Wahl und ich bereue es auch nicht.

Studi 5: Mir hat das Fach Deutsch in der Schule von Anfang an immer großen Spaß gemacht und ich habe mir vor dem Studium mal eine Vorlesung an der Uni angeschaut. Das war in der Einführungsvorlesung der Sprachwissenschaft und das hat mich dann noch einmal mehr dazu motiviert.

C. J.: Frau Gerok-Reiter, Sie haben ja selbst auch Germanistik studiert, damals auch in Tübingen und vermutlich noch nicht modularisiert als Bachelorstudiengang, sondern noch auf Magister. Wie sind Sie denn selbst damals zu Ihrer Studienentscheidung gekommen?

A. G-R.: Ja, in der Schule habe ich ganz gern Mathe gemacht, also einen ganz anderen Bereich, aber eben auch Deutsch. Und dann war da schon die Wahl: In welche Richtung soll ich gehen? Und da hat eben doch das Fach Deutsch den Ausschlag gegeben. Der Umgang mit der eigenen Sprache, das war mir sehr wichtig. Ich war immer davon fasziniert: Wie funktioniert die eigene Sprache? Ich fand das so interessant, weil man da ganz besonders detailliert hineinschauen kann. Man meint viel zu kennen und merkt dann plötzlich auch die eigene Sprache ist irgendwie ein merkwürdiges Gebilde, ein Faszinosum. Und da genau hinzuschauen, wie das geht, dass aus dem Deutschen ein literarischer Text wird, ein Gedicht etwa, das dann ganz viel Emotion vermittelt. Das fand ich faszinierend. Aber auch, wie funktioniert überhaupt ein ordentlicher Satz? Was gehört dazu, dass wir uns untereinander gut verstehen? Wie kriegen wir das hin, dass es nicht dauernd in der Kommunikation Missverständnisse gibt? Dieser Bereich Sprache, wie funktioniert die auf verschiedenen Ebenen, das hat mich total fasziniert. Und vielleicht kann man auch anfügen, Lesen war natürlich ein wichtiger Punkt, aber ich fand auch sehr interessant in dem Bereich des Faches Deutsch, dass man ja mit vielen unterschiedlichen zeitlichen Kulturen im eigenen Sprachfeld zu tun hat. Das Fach Germanistik geht ja auch weit zurück in die Geschichte, geht bis ins achte Jahrhundert zurück und wieder bis in die Gegenwart. Man begegnet im eigenen Feld sehr verschiedenen Sprachstufen, aber eben auch Kulturen. Und diese Auseinandersetzung mit anderen Kulturen fand ich ungemein wichtig, weil sie auch immer wieder auf die Frage zurückführt, wie ist unsere Gegenwart heute gestaltet? Wie stehe ich in meiner eigenen Sprache und Kultur? Wie hat mich diese Sprache und Kultur geformt? Dann auch die Frage, was macht Sprache, was macht die deutsche Sprache, die deutsche Kultur, in der die Sprache eine wesentliche Rolle spielt, mit uns, mit mir selbst? Damit auch der Weg zu sich, der hat mich quasi in das Fach Deutsch geführt.

C. J.: Also man merkt Ihnen auf jeden Fall nach wie vor an, dass Sie eine ganz große Begeisterung für das Fach Germanistik bzw. das Fach Deutsch haben, die damals dann ja auch ganz offensichtlich für diese Studienwahlentscheidung wegweisend den Ausschlag gegeben hat. Wir haben jetzt schon mehrfach die Begriffe Germanistik und Deutsch verwendet. Vielleicht können Sie kurz zusammenfassen, was denn eigentlich der Unterschied zwischen Germanistik und Deutsch ist?

A. G-R.: Ja, im Grunde genommen geht das in eins. Germanistik ist der etwas weiterreichende Begriff. Das Deutsche gehört zu den sogenannten germanischen Sprachen, wie auch das Englische, das Dänische und so weiter. Es ist ein Teilbereich dieser großen germanischen Sprachfamilie und daher kommt dieser etwas ältere oder weitreichendere Name Germanistik. Deutsch bezieht sich dann vor allem auch auf das Lehramtsstudium, das eben das Fach Deutsch betrifft.

C. J.: Das heißt ganz simpel zusammengefasst, dass wenn ich auf Lehramt studiere, dann studiere ich Deutsch auf Lehramt und wenn ich mich für Germanistik entscheide, dann ist das eben das wissenschaftliche Fach Germanistik. Aber insgesamt ist es inhaltlich eigentlich relativ das Gleiche?

A. G-R.: Ja, das geht ganz zusammen. Die Trennung, die Sie aufgezeigt haben, kann man so im Prinzip ansetzen. Aber inhaltlich überlagern sich diese beiden Studiengänge, Lehramt bzw. Bachelor of Education und Bachelor oder Master of Arts, ganz stark. Viele Kurse werden gemeinsam abgehalten.

Studieninhalte (6:15)

C. J.: Wir haben Studierende auch gefragt, wie denn bei ihnen ein typischer Studienalltag, eine Studienwoche aussieht, sowohl bei Deutsch-auf-Lehramt-Studierenden als auch bei Germanistikstudierenden. Hören wir mal rein.

Studi 1: Vielleicht denkt man beim Germanistikstudium als erstes an die Klassiker wie Goethe und Schiller. Aber man beschäftigt sich nicht nur mit denen, sondern auch mit ganz vielen anderen Schriftstellern und literarischen Werken. Außerdem hat man auch einen Teil zur mittelhochdeutschen Literatur und zur Linguistik, bekommt also einen ganz umfassenden Einblick.

Studi 2: Eine Woche ist schon abwechslungsreich, da ich nach Interesse verschiedene Veranstaltungen in den verschiedenen Bereichen der Germanistik frei zusammenstellen kann.

Studi 3: Ich habe beispielsweise montags ein tolles Seminar zu Sprachlehrmethoden im Bereich Deutsch als Zweitsprache und donnerstags ein Literaturseminar zu Shakespeare. Und ich mag daran besonders das Arbeiten mit dem Text und auch das Zerlegen der einzelnen Szenen.

Studi 4: Man liest natürlich sehr viel und was auch echt cool ist, dass man sehr frei ist in seinem Stundenplan.

A. B.: Wir haben jetzt schon aus ganz verschiedenen Bereichen des Studiums von Studierenden gehört, was sie so im Studium machen. Aber gehen wir da noch mal einen Schritt zurück. Ganz allgemein, was machen denn Germanisten oder Germanistinnen eigentlich? Wozu dient das Studium?

A. G.-R.: Das Studium dient natürlich in erster Linie dazu, die eigene beziehungsweise die deutsche Sprache, die meistens, aber nicht immer Muttersprache ist, kennenzulernen. Und zwar sowohl im Bereich des Linguistischen, also des Sprachwissenschaftlichen, indem man sich fragt, wie funktioniert genau diese Sprache? Was muss zusammenkommen, dass wir uns verstehen, dass die Sprache sozusagen auch zielgerichtet ausgeführt werden kann? Welche Operationen sind da durchzuführen? Oder welche Vorgaben bringt die deutsche Sprache auch mit? Das ist der eine Bereich und der andere Bereich ist eben eher der literarische Bereich, den die Literaturwissenschaften in diesem Feld verfolgen. Die mittelalterliche Literatur wird da angeschaut, aber auch die neuere Literatur. Da ist die Zeitgrenze ganz grob so um 1500 oder im 16. Jahrhundert. Und in diesen literarischen Feldern fragt man vor allem danach, wie es gelingen kann, dass Wörter kombiniert werden – um es einmal ganz einfach zu sagen – und aus einer Kombination von Wörtern dann ein Kunstwerk entsteht, das sehr viel mehr aussagen kann, als eine reine Aussage es vermag. Ein Beispiel, wenn ich sage: „Ich liebe dich.“, dann ist das sozusagen eine Allerweltsplattitüde unter Umständen. Wie machen das etwa Gedichte, dass sie das, was ein einfacher Satz sehr direkt sagen möchte, so ausdrücken, dass sehr viel mehr an Emotionsnuancen herüberkommt, an Gefühlsfeldern, an Wünschen, an Sehnsüchten, als das, was ein ganz einfacher Satz mitbringt. Das herauszukriegen finde ich unglaublich faszinierend. Was muss da passieren in verschiedenen Zeiten, um sehr viel mehr zu sagen als „Ich liebe dich“? Was heißt Liebe? Was muss dazukommen, damit auch beim Rezipienten wirklich etwas gefühlsmäßig sozusagen losgeht, dass man in gewisser Weise getriggert wird. Dann auch zu überlegen, ja, was ist denn eigentlich Liebe? Was meine ich damit? Was meinen andere Zeiten und andere Kulturen und Literaturen damit? Das ist ein Faszination an diesem Feld Sprache in ganz verschiedenen Bereichen, im Funktionalen, aber auch im Künstlerischen. Das ist es, womit man sich vor allem beschäftigt.

A. B.: Ja, das ist ein schönes Beispiel, das sich eigentlich in alle Bereiche des Studiums ausdehnen lässt. Vielleicht können wir die verschiedenen Bereiche, die im Studium absolviert werden, fachlich auch noch mal benennen und was der Zugang in die jeweilige Perspektive ist.

A. G.-R.: Ich deutete das eben schon an. Ein großer Bereich, das ist die Linguistik, die Sprachwissenschaft, die quasi funktional zergliedernd fragt: Wie funktionieren das Sprechen und die Sprache an und für sich? Was muss passieren, um den Satz „Ich liebe dich“ ordentlich zu gestalten und so zu gestalten, dass er auch zu verstehen ist. Das ist natürlich interessanter, wenn man sehr viel komplexere Sätze vor sich hat oder das Thema missversteht, was ich vorhin auch schon angewandt habe. Wann führt ein solcher Satz etwa zu Missverständnissen? Das ist ja nun eine Situation aus dem alltäglichen Leben. Missverständnisse kommen ganz oft vor. Welches Weltwissen, welches Vorverständnis braucht man, um Aussagen sinngerichtet, dem Rezipienten oder dem Hörer zuzuführen? Und die anderen beiden Bereiche sind, wenn man die Hauptbereiche anschaut, der Bereich der älteren deutschen Literatur, der sogenannten Mediävistik, und der Bereich der neueren deutschen Literatur, die eben die Literaturen ab 1500 oder ab dem 16. Jahrhundert umfasst. Diese drei Hauptgebiete werden in der Tübinger Germanistik noch von anderen Bereichen flankiert. Man kann auch innerhalb des Deutschstudiums kombinieren, das Studium des Deutschen zum Beispiel mit den internationalen Literaturen. Es gibt auch den Zweig Deutsch als Zweitsprache. All das kann integriert werden in die Studiengänge des Deutschen Seminars beziehungsweise des Faches Deutsch.

A. B.: Ich komme nochmal zurück auf die Zugänge, auf die verschiedenen Methoden, mit denen man wissenschaftlich arbeitet. Haben Sie da vielleicht noch aus dem einen oder anderen Bereich ein anschauliches Beispiel, was man tatsächlich dann mit dem Text macht? Wie komme ich da ran? Mit welchem Instrument?

A. G.-R.: Ich gehe jetzt mal stärker auf die Literaturwissenschaften ein, die ja auch mehr mein Feld sind. Wobei ich von der Genese auch sagen kann, ich war lange Zeit in der neueren deutschen Literatur zugange, bin dann erst später in die Mediävistik gewechselt, kenne also beide Felder recht gut. Die Zugänge. Das Wichtigste ist, dass man liest und liest und liest. Also ganz nah an die Texte herankommt. Und zwar, wenn man den linguistischen Bereich dazu nimmt, egal welcher Textbereich das ist, egal ob es ein Zeitungsartikel ist, eine Analyse eines Fernseh- oder Radiointerviews, einer Fernsehaufzeichnung ist oder ob das ein literarischer Text im emphatischen Sinn ist: Man muss nah an die Sprache ran. Im literarischen Bereich sage ich gern: Man muss die Sprache schmecken! Man muss also eine Art durchaus sinnliche Beziehung zur Sprache entwickeln, gerade wenn man es mit Kunstwerken zu tun hat, um dann heraus zu analysieren. Das ist wieder eher der rationale Bereich: Was passiert denn da, dass ich so affiziert werde und dass mich ein, sagen wir mal 15-zeiliges Gedicht ungemein anspricht? Und das Zweite, was im literarischen Bereich sehr wichtig ist, dass man immer konfrontiert ist, auch mit den verschiedenen, nennen wir es mal Kulturmustern, die in einem Text transportiert werden oder die dessen Grundlage bilden und die einerseits in die verschiedenen Kulturen und Zeiten, mit denen man im Studium konfrontiert wird, hineinführen, aber andererseits auch immer in den Vergleich mit der eigenen Zeit führen. Also nochmal um bei diesem Beispiel des Liebesthemas zu bleiben, wie ist heute unser Kulturmuster des Liebens? Ist es nur ein Kulturmuster oder sind es ganz viele? Was sagen die heutigen Literaturen, die heutigen Texte darüber? Auch im Vergleich mit Lebensformen natürlich. Und wie sieht es aus, wenn wir ins 19. Jahrhundert gehen? Wie sieht es aus, wenn wir ins 16. Jahrhundert gehen? Oder wie sieht es aus, wenn wir ins Mittelalter gehen? Welche Kulturmuster der Partnerschaft treffen wir dort an? Und da Einblick zu gewinnen und dann eben vergleichend an die Gegenwart heranzuhalten, das ist ungemein spannend. Das ist auch der Ort, wo Selbstbegegnung stattfindet in der Auseinandersetzung mit fremden Zeiten, Sprachstufen und Kulturen.

A. B.: Ja, das hört sich auch schon nach einem Feld an, in dem man wahrscheinlich zeitlebens nicht auslernt. Jetzt ist die Frage, so ein Studium ist ja begrenzt, wie lange dauert denn das Studium?

A. G.-R.: Da gibt es im Grunde genommen klare Vorgaben. Für die Bachelor-Studiengänge, egal ob Bachelor of Arts oder Bachelor of Education, sind sechs Semester vorgesehen. Aber man kann auch ohne Probleme länger studieren. In der Regel sind es doch fast immer bis zu acht Semestern, die hier angesetzt werden. Im Masterbereich ist die reguläre Studienzeit auf vier Semester angesetzt. Auch da kommt es durchaus vor, dass einmal fünf oder auch sechs Semester studiert werden. Manche schaffen es auch tatsächlich in der Gesamtregelzeit von zehn Semestern Bachelor und Master zu absolvieren.

A. B.: Jetzt haben wir ja schon diese Zweiteilung von Bachelor und Master, sowohl in dem System auf Arts als auch auf Education. Wie ist das denn? Reicht der Bachelor oder ist es wichtig, auch den Master zu machen?

A. G.-R.: Im Bereich Bachelor/Master of Arts, außerhalb des Lehramts, kann man durchaus mit dem Bachelorabschluss von der Uni gehen, hat etwas Tolles in der Tasche und kann dann in Berufsfelder wechseln. Das kommt immer wieder vor und ist einfach ein gutes Angebot für diejenigen, die sagen „Ja, mein Koffer ist gepackt, ich kann jetzt schon ins Berufsleben gehen. Für das, was ich machen will, bin ich gut ausgestattet“. Schwierig ist es im Lehramt, da braucht man in jedem Fall den Master of Education noch zusätzlich, um dann ins Referendariat zu gehen. Die meisten sind aber, das muss man schon sagen, so fasziniert vom Bachelorstudium, dass sie auch weiter studieren wollen. Manche wechseln in andere Masterbereiche, das kommt durchaus vor und ist auch eine sehr schöne Möglichkeit. Andere machen im Bereich der Germanistik weiter, um einfach nochmal vertieft in die Felder hineinzugehen, die man sich schon erschlossen hat. Also man kann nach dem Bachelor, wenn es nicht Lehramt ist, auch von der Uni gehen. Aber oft ist die Neugier da gerade entfacht, ist auch die Faszination angekommen. Man fängt an, sich wohlzufühlen in den verschiedenen Sektionen, die einem angeboten werden. Denn das überrascht einen oft, wenn man ins Fach Deutsch hineinkommt oder in die Germanistik, wie verschieden die Angebote sind, die einem offeriert werden. Und wenn man das einmal gemerkt hat, dann will man auch alles auskosten und macht noch weiter.

A. B.: Ich ergänze noch kurz zum Referendariat. Wer den Begriff nicht kennt, das ist der Vorbereitungsdienst an den Schulen, also die praktische Ausbildung zum Lehrer, zur Lehrerin, die jeweils nochmal mit dem Staatsexamen abgeschlossen wird. Unsere Germanistikstudierenden in Tübingen haben wir gefragt, was sie denn am Studium begeistert und hören uns da nochmal an, was sie gesagt haben.

Persönliche Voraussetzungen (18:58)

Studi 1: Was mich am meisten am Germanistikstudium begeistert, ist glaube ich, der Austausch mit den anderen Studierenden, also vor allem die Diskussion und das ins Gespräch kommen über Literatur.

Studi 2: Was sehr cool ist, dass man, wenn man gerne liest, quasi einfach sein Hobby studiert mit anderen.

Studi 3: Mir macht es einfach Spaß mich mit Literatur zu beschäftigen und ich finde, man kann ganz oft einfach was für sich persönlich aus Literatur ziehen.

Studi 4: Mich begeistert vor allem die Vielfalt der ganzen unterschiedlichen Texte der Literatur, von lustigen mittelalterlichen Erzählungen bis hin zu Texten, die einen nachdenklich stimmen.

Studi 5: Ich mag am Germanistikstudium, dass man sein Verständnis für die eigene Sprache, aber auch generell für Literatur stark vertieft, indem man beides in anderen Sprachstufen analysiert.

C. J.: Frau Gerok-Reiter, ganz kurz zusammengefasst in drei Begriffen, welche Voraussetzungen sollte man als Studienanfänger mitbringen, wenn man sich für ein Germanistikstudium interessiert?

A. G.-R.: Interesse an der eigenen Sprache. Man sollte gerne lesen, auf jeden Fall. Und ein großes Interesse an der Auseinandersetzung mit der eigenen Kulturtradition, das wären die drei Punkte, die ich nennen würde.

C. J.: Manche Kritiker oder manche Menschen werfen der Germanistik oder auch anderen geisteswissenschaftlichen Fächern vor, das seien Laberfächer und alles ist reininterpretiert oder gar nicht so haltbar. Was würden Sie denen entgegnen?

A. G.-R.: Oh ja, das ist ein Vorwurf, über den ich lächeln muss. Ja, natürlich, man redet viel. Aber das ist gut! Das ist das Forum, wo wir auch versuchen zu vermitteln oder worin die Studierenden geübt werden sollen: Wie argumentieren wir? Wie sprechen wir? Wie nehmen wir uns ernst im Gespräch? Was ist ein gutes Argument? Diese Fragestellung teilen wir etwa auch mit der Rhetorik und das ist zentral in unserer öffentlichen und demokratischen Auseinandersetzung. Ich finde, wir merken das in den heutigen Zeiten mehr denn je! Was heißt gutes Argumentieren? Ein Argumentieren, das auch Respekt hat vor der Meinung des anderen. Natürlich versuchen wir das, was wir als Meinung von uns geben, wissenschaftlich zu fundieren. Das ist der zweite Strang: Wie fundiert man ein Argument wissenschaftlich? Das heißt vor allem, wie legen wir offen, auf welchen Grundlagen wir argumentieren? Das finde ich auch einen ungemein wichtigen Akt, gerade in der heutigen Zeit, wo wir sehen, wie Fake News rauf und runter vermittelt werden. Das ist nicht wissenschaftlich. Wissenschaftlich heißt, ich habe eine Meinung, aber ich habe nicht nur einfach eine Meinung, sondern ich kann sie begründen. Und auch das reicht noch nicht. Als Drittes lege ich offen, was meine Voraussetzungen sind, um die Begründungen aufzubauen. Das ist ein hochkomplexer Prozess, den man ganz besonders schulen kann in der eigenen Sprache, weil man da nicht ständig drüber nachdenken muss, welche Vokabeln man nutzen muss. Man kann sehr vertieft in dieses Feld hineingehen und man muss es besonders sorgfältig tun, weil man mit Stoffen zu tun hat, die oft künstlerisch geformt sind, wo man in sehr subtile Bereiche hineinkommt und wo man genau lernen muss, nicht nur zu sagen, mir gefällt das Gedicht oder der Text ist schön, tut mir gut, lese ich gern am Strand liegend, sondern man muss sehr differenziert am Ende sagen können, warum der Text einen genau fesselt. Ist es die Sprachstruktur? Sind es die Satzgefüge? Sind es die Themen Liebe, Tod, Genderrollen und so weiter? Das bieten die Literaturen, diese großartigen Themen. Wie kommt es zustande, dass ich gepackt bin und auch gerne mit anderen über diese Texte spreche? Man redet viel, ja. Aber es ist genau diese Schulung, zu unterscheiden, was heißt labern und was heißt argumentieren. Und das ist eine Kenntnis, die man meines Erachtens in ganz fundamentaler Weise in andere Berufsfelder mitnehmen kann und soll. Das ist die Stärke der Germanisten, die dann in andere Felder einzubringen ist.

Berufsperspektiven (23:42)

C. J.: Ja, wenn wir schon dabei sind, Vorurteile zu widerlegen. Ein anderes Vorurteil, das man manchmal hört, ist, dass Germanisten oder Geisteswissenschaftler nach dem Studium vor allem als Taxifahrer im Berufsfeld tätig sein sollen. Wir haben Studierende der Germanistik gefragt, ob sie selbst schon berufliche Pläne nach ihrem Studium haben und unterhalten uns gleich darüber, was man denn außer Taxifahren sonst noch so machen kann nach seinem Studium.

Studi 1: Ich werde später einmal Lehrerin und freue mich schon sehr darauf, den Kindern und Jugendlichen Literatur, Textverständnis und auch Grammatik beizubringen.

Studi 2: Ich strebe eine akademische Laufbahn an, insofern würde ich eigentlich gern Professor werden. Jedoch halte ich es mir auch offen.

Studi 3: Ich studiere Germanistik im Bachelor of Education, mein zweites Fach ist Spanisch. Das heißt, mein Berufswunsch ist Lehrerin am Gymnasium.

Studi 4: Ich studiere gerade in erster Linie einfach, weil es mir sehr viel Spaß macht. Also ich halte mir meine Möglichkeiten offen, könnte mir aber sehr gut vorstellen, mal in einem Verlag oder in einer Bibliothek zu arbeiten.

Studi 5: Ich habe fest vor Lehrerin zu werden und sehe mich auch total in dem Beruf. Falls ich mich allerdings doch noch umentscheide, kann ich mir gut vorstellen im Journalismus zu arbeiten.

Studi 6: Also ich studiere Germanistik im Bachelor of Arts. Mich persönlich würde besonders das Kulturmanagement interessieren.

A. B.: Jetzt haben wir schon verschiedene Berufswünsche gehört. Was sind denn so die typischen Berufsfelder, in denen Germanistinnen oder Germanisten arbeiten?

A. G-R: Ja, es wurde sehr viel gesagt, natürlich ganz wichtig der Zweig der Schule, das ist ganz klar das Fach Deutsch. Dann wurde auch schon gesagt Kulturmanagement, Zeitungen, Radio, Fernsehen, die ganzen Medien kann man von dem Fach Deutsch aus bespielen und mitbespielen. Auch der Bereich, denke ich, der Fremdsprachenintegration in den Kulturbereich des Deutschen ist sehr wichtig. Kulturmanagement in dem Sinne, dass wir von unseren Angeboten auch sehr viel mit anderen Kulturen zu tun haben und da ein Instrument entwickeln, dass Fremde als Fremdes ernst zu nehmen, Mittel finden, wie man es verstehen kann, ohne es etwa zu okkupieren. Das finde ich, sind Voraussetzungen, die sehr wichtig sind im Bereich der Arbeit mit und in anderen Kulturfeldern. Und ich möchte noch ein weiteres Feld nennen, das Feld der Industrieberatung, das Feld des Coachings, auch Felder, die genuin gar nichts mit dem Fach Deutsch zu tun haben. Wir erleben immer mehr Abgänger und Abgängerinnen, die in diese Felder gehen. Und ich glaube, man muss realisieren, dass das Fach Deutsch eine ganz breite Möglichkeit hat, Grundlagen zu vermitteln. Und diese Grundlagen bestehen oft darin, sehr flexibel und kreativ Lösungen für Probleme zu suchen. Das klingt jetzt sehr allgemein, aber ich halte es für fundamental und man sollte es sehr wertschätzen, kreativ auf schwierige Situationen einzugehen. Das höre ich etwa von Leuten, die in den Coachingbereich gehen oder auch in den industriellen Bereich, etwa in die Werbebranche. Wie gehe ich mit einem Problem um und wie finde ich sehr schnell zu Denkformen, die etwas alternativ sind, die einen gewissen Pepp hineinbringen, die erlauben, einmal in eine ganz andere Richtung zu denken. Diese Übung im Denken auch mal auf ganz anderen Wegen, das ist etwas, was im Bereich des Studiums sehr stark gefördert wird.

A. B.: Ich glaube, an der Stelle ist es vielleicht auch Zeit für ein Outing, denn Christoph und Frau Gerok-Reiter, Sie wissen, dass ich selber auch Germanistik studiert habe, heute in der Zentralen Studienberatung arbeite und nun hier mit Ihnen sitze und diesen Podcast mache.

A. G.-R.: Ich würde gerne noch etwas nachsetzen zu dem, was ich eben gesagt habe. Ich glaube, beim Lehramtsstudiengang ist immer klar, wohin der Weg führt. Es ist aber für viele, die im Bachelor of Arts anfangen, tatsächlich am Anfang nicht immer nur ein schönes Gefühl, gar nicht zu wissen, wohin die Reise geht. Und da ist meine Erfahrung, das muss man eine Weile aushalten und vielleicht auch irgendwann genießen, diese Freiheit. Ich bin noch nicht festgelegt und ich darf einfach mal rechts und links gucken, um dann zu sehen, dass man tatsächlich aus dem Fach Deutsch heraus so eine breite Plattform, ein so breites Angebot bekommt, wie wir das jetzt eben auch gehört haben, um dann sehr differenziert und sehr auf die eigenen Wünsche zugeschnitten, doch Richtungen zu finden. Da ein bisschen Mut haben, ins Ungewisse zu gehen. Die Antworten kommen! Es ist vielleicht eine ganz schöne und inzwischen seltene Möglichkeit, sich auch diese Zeit nehmen zu dürfen.

A. B.: Ja, ich kann das sehr bestätigen! Es ist Fluch und Segen zugleich, aber den Segen manchmal zu sehen, ist auch wichtig. Ganz richtig.

C. J.: Und es schadet auf jeden Fall nicht, wenn man sich für so ein Fach, gerade wenn man im Bachelor studiert, mit der Zeit schon mal ein paar Sätze zurechtzulegen, die man den Eltern oder Freunden oder auf Familienfesten erzählen kann, was man denn damit alles machen könnte, auch wenn man es selbst noch gar nicht genau weiß.

A. B.: Da sind wir auch bei der Frage nach den Berufschancen bzw. wie ich meine Chancen verbessern kann. Wie sieht es denn mit der Praxis im Studium aus? Gibt es Raum für Praktika oder gibt es vielleicht sogar ein Pflichtpraktikum, das absolviert werden muss?

A. G.-R.: Generell stehen die Praktika nicht ganz im Vordergrund. Es ist eben ein wissenschaftliches Studium. Aber erstens, ganz viele Studierende machen Praktika in den Semesterferien. Das wird von uns auch sehr empfohlen, damit man frühzeitig die Berufswelt kennenlernt, frühzeitig sieht, in welche Richtung es gehen könnte und mit diesem doppelten Portfolio, einerseits Studium, andererseits Erfahrung in den Praktikumsbereichen, seine Aussichten auf Anstellung entschieden verbessert. Es wird also empfohlen, viele setzen das um. Das kann man zeitlich in den Semesterferien schaffen. Es gibt aber auch Studiengangsbereiche, in denen Praktika auch formal integriert sind und man dafür auch ECTS erwerben kann. Ein Beispiel ist etwa der Master Deutsche Literatur. Da ist eine ganze Spannweite an ECTS vorgesehen, die man über Praktika einspeisen kann. Auch im Master Literatur und Kulturtheorie ist das möglich. Und auch die Linguisten arbeiten immer wieder und intensiv mit praktischen Angeboten, etwa indem einzelne Studierende in Forschungszusammenhänge eingebunden werden, die in der Linguistik auch sehr praxisorientiert angesetzt werden. Also Praxis gehört nicht genuin zum Studium, ist aber in manchen Studiengängen durchaus verankert und wird in jedem Fall sehr stark aufgegriffen und kombiniert. Im Lehramt hat man natürlich die Praktika an den Schulen, da ist es auch dezidiert festgeschrieben, dass das dazugehört. Also man sitzt keineswegs nur hinter Büchern. Das wäre eine ganz falsche Vorstellung. A führen Bücher und Texte immer wieder ins Leben zurück und B erreicht man selber sozusagen die praktischen Felder über Praktika.

A. B.: Ich schiebe noch mal hinterher: Je nach Studiengang gibt es ein Pflichtpraktikum, beispielsweise im Bachelor of Education, im Bachelor of Arts gibt es das Pflichtpraktikum nicht. Es gibt aber andere Möglichkeiten, dann auf freiwilliger Basis das zu absolvieren und die ECTS, von denen Sie gerade gesprochen haben, das sind sogenannte Leistungspunkte, nur damit das die Schülerinnen und Schüler einmal gehört haben. Danach wird der Leistungsaufwand im Studium berechnet. Damit werden sie dann im Studium häufiger zu tun haben.

C. J.: Ich glaube, damit haben wir auch schon einen sehr umfassenden Einblick in das Studium und all die verschiedene Inhalte bekommen. Frau Gerok-Reiter, ganz herzlichen Dank, dass Sie heute bei uns waren. Alex, hast du noch irgendeine Frage, die dir auf dem Herzen brennt?

A. B.: Nein, für mich ist alles beantwortet. Vielen Dank, Frau Gerok-Reiter.

A. G.-R.: Ich danke auch und ich lade sozusagen alle ein. Probieren Sie es aus. Das Fach Deutsch bietet so viel, Sie werden sicher satt werden.

C. J.: Das ist doch ein wunderbar schönes Schlusswort. Ganz lieben Dank fürs Zuhören! Weitere Infos gibt es auf den Webseiten des Deutschen Seminars der Uni Tübingen. Auch auf der Website zum Bereich Studium der Uni Tübingen. Und ansonsten schreibt uns eine E-Mail an hochschulreif@unitübingen.de


Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Annette Gerok-Reiter über die folgenden Themen:
00:53 Persönliche Motivation
06:15 Studieninhalte
18:58 Persönliche Voraussetzungen
23:42 Berufsperspektiven

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet Ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


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