Neuere Geschichte

„Dörflicher Einzelhandel und globale Güter in Deutschland und England 1650-1810“

Gefördert durch die DFG

Zusammenfassung

Der Wandel des Einzelhandels gilt als Kernelement der Entstehung der modernen Konsumgesellschaft. Dennoch wurde die Geschichte seiner Veränderung zwischen 1600 und 1850 überwiegend als Geschichte städtischer Läden oder Hausierer geschrieben, wobei die Existenz und Entwicklung, die regionale Streuung, die Lagerbestände, die Verkaufstechniken, die Kunden und Versorgungsnetze sowie das Geschlecht dörflicher Ladenbesitzer meist vernachlässigt wurden. Die vorhandenen Forschungen zum frühneuzeitlichen Einzelhandel beziehen sich vor allem auf Großbritannien und die Niederlande, während die Zahl der Studien zu anderen europäischen Regionen, insbesondere zu Deutschland, gering ist und robuste internationale Vergleiche praktisch nicht existieren. Für europäische Kolonialmächte ist die Integration neuer globaler Güter in das Alltagsleben zudem eng mit den Interpretationen der Imperien durch die Zeitgenossen verknüpft. Diese Vorstellungen bedürfen einer kritischen Prüfung und lassen die Frage offen, wie diese Güter von den Menschen in Ländern ohne Kolonien verstanden wurden.

Das Projekt geht diesen Fragen nach, indem es sich auf Dorfläden konzentriert und deren Anzahl und Entwicklung in den englischen East Midlands und den deutschen Territorien Württemberg und Schleswig-Holstein vergleicht. Durch die Konzentration auf den Zeitraum von 1650 bis 1810 können die Auswirkungen von großflächigen Veränderungen wie Kolonialismus und Industrialisierung untersucht werden. Im Rahmen des Projekts werden Faktoren für die regionale Entwicklung der dörflichen Ladenbesitzer sowie die Rolle von Geschlecht und Nebenbeschäftigungen ermittelt. Es wird das Angebot dieser Geschäfte untersucht, insbesondere im Hinblick auf mögliche Spezialisierungen und globale/koloniale Waren. Auf diese Weise wird es möglich sein, die Bedeutung von Imperien für die Verfügbarkeit und Interpretation globaler Produkte durch die Verbraucher in beiden Regionen kritisch zu bewerten. Schließlich werden sich verändernde Verkaufstechniken sowie die Versorgungs- und Kundennetzwerke von Dorfläden analysiert.

Die Untersuchung des dörflichen Einzelhandels in einer international vergleichenden Perspektive stellt nicht nur einen vernachlässigten Akteur ins Zentrum, sondern ändert auch unser Verständnis von Umfang und Geschwindigkeit des Wandels des Einzelhandels in der Frühen Neuzeit im Allgemeinen und wirft Licht auf die Versorgungsquellen der Landbevölkerung, die in beiden Regionen einen großen Teil bzw. die Mehrheit der Bevölkerung ausmachte. Das Projekt verspricht somit einen wichtigen Beitrag zu unserem Verständnis der lokalen und regionalen Wirtschaft, der Beziehung zwischen Protoindustrialisierung und der Vermarktlichung des Haushalts sowie der Auswirkungen gesamteuropäischer/globaler Veränderungen auf Dorfgemeinschaften und Konsumkulturen in der frühen Neuzeit zu liefern. Es erlaubt auch zu prüfen, inwieweit kleine/ländliche Unternehmen aktive Akteure des wirtschaftlichen und sozialen Wandels waren.