Vorlesungen

Vorlesung: Daseinsvorsorge – Sozialstaat – Kirchliche Wohlfahrtspflege (Vertiefungslehrveranstaltung)

Prof. Dr. Möhring-Hesse

Prof. Dr. Möhring-Hesse

Viele Güter und Dienste sind für das alltägliche Leben der Menschen notwendig – und sind nach allgemeinem Urteil in einem Maße notwendig, dass jedermann und jedefrau in den Genuss dieser Güter und Dienste kommen soll, wann immer sie ihrer akut bedürfen. In diesem Sinn gehören sie – wie die Wasser- und Abfallversorgung, wie das Straßennetz und das Internet – zur öffentlichen Daseinsvorsorge. Diese Güter und Dienste werden nur dann in ausreichendem Umfang und von guter Qualität bereitgestellt und können nur dann von allen genutzt werden, wenn der Staat für deren Erstellung und deren »Verteilung« Sorge trägt. Auch dieser Bereich der Daseinsvorsorge ist also »staatsbedürftig« (Ernst Forsthoff). Wird dem Staat deshalb die Gewährleistung der Daseinsvorsorge aufgegeben, hängt die Legitimation staatlicher Herrschaft daran, dass diese Güter und Dienste auch erstellt und zur Verfügung stehen. Der Staat »braucht« also die Daseinsvorsorge, so wie diese ihn »braucht«.

Zumal in Deutschland wirken die Kirchen über ihre Wohlfahrtsverbände und deren Einrichtungen daran mit, dass diese Güter und Dienste erstellt und den Nutzer:innen bereitgestellt wird. Sie vollziehen darin ihre Diakonie – und sie werden gesellschaftlich geschätzt, weil sie daran mitwirken. Häufig wird aber auch kritisiert, dass die Kirchen an der öffentlichen Daseinsvorsorge beteiligt werde und dass der Sozialstaat ihre Wohlfahrtspflege refinanziert.

In diesem Seminar wollen wir einen Blick auf diesen relevanten Bereich des deutschen Sozialstaats und einen ebenso relevanten Bereich der Volkswirtschaft, die Sozialwirtschaft, werfen – und in diesem Zusammenhang auch auf die Kirchliche Wohlfahrtspflege als eine maßgebliche Kooperationspartnerin des Sozialstaats und als eine starke Akteurin der Sozialwirtschaft. Aus der Analyse der Daseinsvorsorge wollen wir eine Sozialethik der Gemeingüter gewinnen – und diese zur Kritik der gegenwärtigen Lage in der Daseinsvorsorge, damit auch zur Kritik des deutschen Sozialstaats und der Kirchlichen Wohlfahrtspflege nutzen.

Literatur

Bieling, Hans-Jürgen/Möhring-Hesse, Matthias (2020): Den Staat in die Pflicht nehmen. Staatliche Gewährleistung der öffentlichen Infrastruktur, in: Politikum, Jg. 6, Nr. 3, S. 10–17.
Foundational Economy Collective (2019): Die Ökonomie des Alltagslebens. Für eine neue Infrastrukturpolitik. Berlin: Suhrkamp Verlag.
Möhring-Hesse, Matthias (2020): Nach der Subsidiarität. Sinnverlust und Persistenz der Kirchlichen Wohlfahrtspflege, in: Amos. Internationale Zeitschrift für christliche Sozialethik, Jg. 14, Nr. 4, S. 3–2.

Seminare

Hauptseminar: Konfessionelle Traditionen theologischer Sozialethik, deren Erosion und Persistenz

Prof. Dr. Möhring-Hesse

Prof. Dr. Möhring-Hesse

In den sozialethischen Diskursen der beiden (in Deutschland dominanten) christlichen Konfessionen war über eine lange Zeit hinweg die Abgrenzung der jeweils eigenen Sozialethik von einer stereotyp vorgestellten Sozialethik der jeweils anderen Konfession prägend. Konfessionelle Marker waren "Naturrecht" auf der einen "Rechtfertigung" und "Zwei Reiche Lehre" auf der anderen, Thomas auf der einen und Luther auf der anderen, "natürliche Vernunft" auf der einen und Bibeltheologie auf der anderen Seite. Verstärkt wurde dieser Konfessionalismus der sozialethischen Diskurse durch deren unterschiedliches Setting: In der katholischen Theologie wurde – zumindest in Deutschland – die Sozialethik zu einem eigenen theologischen Fach, in der evangelischen Theologie entwickelte sie sich als Teil der systematischen Theologie, in ersten Fall konnte man sich auf das Milieu des Politischen und Sozialen Katholizismus beziehen und im zweiten Fall war man auf staatliche Politik und die sie tragenden Parteien aus, im ersten Fall legte man kirchenamtliche Dokumente aus und im zweiten Fall schrieb man an kirchlichen "Denkschriften" mit. Längst haben sich die sozialethischen Diskurse in beiden Konfessionen von deren typischen Markern gelöst; so hat man sich auch aus deren kontroverstheologischen Oppositionen befreit. Eher unterschwellig halten sich aber die konfessionellen Besonderheiten durch, was immer dann auffällt, wenn in ökumenischen Konstellationen grundlegende Plausibilitäten nicht geteilt, Argumente von den jeweils anderen anders verstanden und für die jeweils anderen unbekannte Autoritäten angerufen werden. Dass konfessionelle Besonderheiten auch in der nicht mehr konfessionell ausgerichteten Sozialethik nachwirken und fortbestehen, soll in diesem Seminar erkundet werden. Der an der ein oder anderen Stelle betriebene Rekonfessionalisierung gilt zwar nicht das Hauptaugenmerk, soll aber zur Kenntnis genommen werden.

Literatur

Gabriel, Ingeborg/Papadercs, Alejandros K./Kortner,  Ulrich H.J. (Hg.): Perspektiven ökumenischer Sozialethik. Der Auftrag der Kirchen im größeren Europa, Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verlag

Hauptseminar: Politik auf Gottes Seite. Religiöser Fundamentalismus

Prof. Dr. Möhring-Hesse

Prof. Dr. Möhring-Hesse

Gott stört in der Politik. Tragen politische Akteure "Gott" oder genauer: das, was sie für Gott und was sie von Gott halten, in politische Auseinandersetzungen ein, belasten sie die jeweils anderen mit Inhalten oder Gründen, die diese nicht verstehen und mit denen sie sich deshalb nicht sinnvoll auseinandersetzen können. Zugleich belasten sie die Auseinandersetzungen mit starken Geltungen, sodass sich diese in antagonistischen Widersprüchen verfangen – und Verständigung sowie kreative Entdeckungen erschwert und unwahrscheinlich werden. Womöglich liegt man aber mit dieser Einschätzung falsch – und eine solch religiös aufgeladene Politik realisiert lediglich den agonalen Charakter des Politischen.

Mit dem Adjektiv "fundamentalistisch" lassen sich Politiken von Glaubenden bezeichnen, die – den angesprochenen Störungen zu trotz – ihre religiösen Wahrheiten verallgemeinern, diese Wahrheiten politisch durchsetzen wollen oder zur Begründung von politischen Forderungen nehmen. Entgegen einem allgemeinen Vorurteil gibt es solch einen Fundamentalismus nicht nur in protestantischen Bewegungen und im "Islamismus"; es gibt ihn auch im katholischen Christentum, aus der katholischen Kirche und auch aus der katholischen Theologie heraus – und dies nicht nur in Polen und Ungarn. Für gewöhnlich bewertet man solch fundamentalistische Politiken in der zeitgenössischen Theologie negativ – zumindest dann, wenn man sie anderen zum Vorwurf macht. Womöglich liegt man aber mit dieser Beurteilung falsch – und fundamentalistische Politik realisiert lediglich den Ernst, mit dem Glaubende Politik betreiben, und damit den Ernst ihrer politischen Gegenstände.

In dem Seminar wollen wir uns aus einer Analyse von religiös konnotierter Politik mit "Gott" als Inhalt oder als Argument einen genaueren Begriff vom religiösen Fundamentalismus machen. Über die kritische Auseinandersetzung damit soll eine Theorie des Politischen gewonnen werden, die politische Glaubenspraxis "zulässt", und eine Theologie politischer Glaubenspraxis, die auf Bedingungen und Erfordernisse des Politischen hinreichend Rücksicht nimmt.

Literatur

Ebertz, Michael N. (1992): Wider die Relativierung der heiligen Ordnung: Fundamentalimus im Katholizismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 33, 11-22.
Gabriel, Karl (2008): Religion und Politik zwischen Fundamentalismus und Zivilgesellschaft, in Ethik und Gesellschaft 2/2008: Politik aus dem Glauben, online unter: <http://www.ethik-und-gesellschaft.de/texte/EuG-1-2008_Gabriel.pdf>.
Riesebrodt, Martin (2000): Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus undder "Kampf der Kulturen", München: Beck.

Projektseminar: Religiöse Kulturen des Sorgens

Prof. Dr. Möhring-Hesse, Michael Brugger

Prof. Dr. Möhring-Hesse, Michael Brugger

Die sozialwissenschaftlichen und sozialethischen Diskurse rund um den Care-Begriff sind vielfältig. In diesen Diskursen wird die adäquate gesellschaftliche Organisation der Felder sozialer Reproduktion thematisiert. Egal ob in der Erziehung von Kindern oder in der Pflege von alten oder kranken Menschen, wissenschaftlich wird häufig struktureller Mangel und Unterversorgung diagnostiziert und prognostiziert. Die "Sorgenden" selbst tragen die Konflikte, die mit dem Mangel zusammenhängen, in Schlagworten wie "Pflegenotstand" oder "Im falschen System relevant" in die Öffentlichkeit. In Gewerkschaften, Vereinen und Bewegungen organisiert sich zunehmend Protest.

Im Seminar wollen wir den Blick auf Akteur:innen lenken, die in sorgenden Berufen tätig sind und ihr Tun selbst religiös einordnen oder innerhalb religiöser Organisationen arbeiten – im Krankenhaus, Pflegeheim oder -dienst, im Kindergarten. Dabei werden wir hinter die Kulissen von Statistiken und Prognosen schauen. Wir wollen mit Akteur:innen selbst ins Gespräch kommen, die im "Notstand" oder "falschen System" arbeiten müssen. Welche religiösen Kulturen des Sorgens gibt es im Kindergarten, Pflegedienst oder Krankenhaus? Und – wie verhalten sich diese zu den oben beschriebenen Konflikten? Wir erkunden die Ethiken, also Wertorientierungen, Überzeugungen, Konfliktstrategien der Akteur:innen unterschiedlicher religiöser Herkunft und wollen damit eine theologische Sozialethik des Sorgens umreißen.

Lehrmethode:

Interviews und Besuche; Lektüre; Interpretationssitzungen
An drei Terminen sind Exkursionen vorgesehen, diese werden voraussichtlich von 14 Uhr bis 18 Uhr dauern. Eine gewisse zeitliche Flexibilität am Montagnachmittag ist erforderlich.

Grundkurs: Sozialethik global – Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit

Michael Brugger

Michael Brugger

Globale Krisen bestimmen aktuelle politische Diskurse. Ob Covid19-Pandemie, Klimawandel, Welthandel oder die Regulierung der Finanzmärkte – eine Vielzahl "politischer Angelegenheiten" überschreiten die Grenzen von Nationalstaaten und Staatenverbunden und betreffen Menschen weltweit mit sehr unterschiedlichen Auswirkungen. Christinnen und Christen engagieren sich dabei über Kirchenzugehörigkeiten und Staatengrenzen hinweg für Lösungen solcher globalen Probleme. Dies geschieht innerhalb der Strukturen der Weltkirche, wie auch in zivilgesellschaftlichen oder politischen Organisationen.

Sozialethik reflektiert als theologische Disziplin auf dieses Engagement und trägt zu dessen Orientierung bei. Sie bewegt sich dafür innerhalb politisch-philosophischer Diskurse, denn sie fragt normativ-theoretisch nach der »gerechten« oder »richtigen« Ordnung sozialer Beziehungen und gesellschaftlicher Verhältnisse.

Im Grundkurs wollen wir zunächst nach dem Verhältnis von christlichem Glauben und politischem Engagement fragen. Darauf aufbauend lernen wir anhand der Begriffe Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit beispielhaft globale Konfliktfelder und anknüpfende politisch-philosophische Argumentationen kennen und üben den Umgang mit solchen Begriffen.

Wir arbeiten mit Texten und sind im Gespräch mit kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren.

Oberseminar: Aktuelle Fragen der theologischen Sozialethik

Prof. Dr. Möhring-Hesse

Prof. Dr. Möhring-Hesse

Diskussion aktueller Theorie- und Forschungsarbeiten in der theologischen Sozialethik sowie Besprechung laufender Promotionsprojekte, vermutlich wieder in Kooperation mit den Lehrstühlen der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt/Main und der Universität Mainz.

Anmeldung, möglichst in der Sprechstunde des Dozenten, ist erforderlich.