Lehrveranstaltungen im Wintersemester 2022/23

Seminare

Hauptseminar: Die eine Welt nach der »Zeitenwende«: Geopolitik, Sicherheitspolitik und Weltwirtschaft

Prof. Dr. Möhring-Hesse

Prof. Dr. Möhring-Hesse

Drei Tage nach der russischen Invasion in die Ukraine sprach Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages von einer »Zeitenwende«: » ... das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.« Auch wenn man das mit der »Zeitenwende« nicht gar so punktuell nehmen, wenn man also den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine »nur« als ein Moment davon nehmen sollte, trifft der Begriff die weltpolitische und weltwirtschaftliche Situation recht gut: Die internationale Ordnung ist seit einiger Zeit in »Un-Ordnung« und ohne stabile und eindeutigen Konturen, die weltwirtschaftliche Lage ist instabil, die Lieferketten unterbrochen und die Wertschöpfungsketten hochriskant, die Sicherheitsordnung ist wenig sicher und deren »Friedensdividenden« längst aufgebraucht. Durch den Ukrainekrieg ist vor allem die »ökonomistische« Grundlage der Geo-, Außen- und Sicherheitspolitik radikal infrage gestellt, politische Macht und internationale Kohäsion über wirtschaftliche Macht und nicht über militärische Macht zu erzielen.

In dem Seminar wird die weltpolitische und weltwirtschaftliche Situation nach der »Zeitenwende« für verschiedene Themen untersucht. Wir werden uns mit den unterschiedlich imperialen Ländern China und Russland, mit »America First« und mit der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, aber auch mit der De-Globalisierung der weltwirtschaftlichen Produktion und Wertschöpfung, der globalen Energie- und Ernährungsversorgung und der Klimapolitik beschäftigen. Angesichts der Vielzahl der Themen werden wir uns eher einen Überblick verschaffen, statt genaue und tiefgründige Analysen zu betreiben. Dabei werden wir auch die Begriffe kritisch in den Blick nehmen müssen, mit deren Hilfe wir diesen Überblick gewinnen, – und dabei den Begriff ›Geopolitik‹ an erster Stelle. Schließlich wird nach der gerechten Ordnung der internationalen Beziehungen und der Weltwirtschaft gefragt – und danach, ob und wie man sinnvollerweise in diesen Zusammenhängen überhaupt an »Gerechtigkeit« denken kann und sollte. In der theologischen Sozialethik sollte man aber genau das tun, sofern man (zumindest auch) subsidiär auf das Solidaritäts- und Friedensengagement von Christ:innen Bezug nimmt. Nimmt man sich die Gerechtigkeit der internationalen Beziehungen vor, dann wird man vermutlich sehen, dass weder die »Dämonisierung« Russlands ein belastbares geopolitisches noch Aufrüstung allein ein vertrauenswürdiges sicherheitspolitisches Konzept für diese »eine« Welt nach der »Zeitenwende« ist.

Leistungsnachweis
Textlektüre und regelmäßige Teilnahme

Literatur
Deitelhoff, Nicole (2022): Zurück auf Null. Putins Krieg und die Europäische Sicherheitsordnung, in: Blätter für deutsche und internationale Politik Heft 6/2022, S.  69–76.
Politikum 5. Jg., Heft 5/2019 (»Neue Geopolitik«).
Neutatz, Dietmar u.a. (2022): Die Rückkehr der Imperien? Putins Krieg und seine globalen Implikationen, in: Journal of Modern European History Vol. 20, Issue 2/May 2022, pp. 148–160, online verfügbar: <doi.org/10.1177%2F16118944221095639>.

Hauptseminar: Religion und Ethik

Prof. Dr. Möhring-Hesse

Prof. Dr. Möhring-Hesse

In den westlichen Gesellschaften ist Ethik eine wichtige, für die ein oder den anderen der kritischen Zeitgenoss:innen sogar eine viel zu wichtige Denkform. Wenn sie ethisch denken, denken Menschen über das richtige, häufig auch über gute oder angemessene, jedenfalls über das deshalb gesollte Handeln – und erdenken sich dabei gemeinsam mit anderen geteilte Handlungsorientierungen. In pluralen Gesellschaften gelten diese ideelle und zugleich ideale Gemeinsamkeit als eine der seltenen Ressourcen für Übereinkunft, Gemeinsamkeit und Integration. ›Religion‹ steht demgegenüber für das in pluralen Gesellschaften besonders Besondere und das besonders Trennende. Kommt man in der Ethik überein, bleibt man sich über die Religionen hinweg fremd und gerät in Distanz. Manche Zeitgenoss:innen sehen deshalb in den Religionen und ihren Konfessionen die in liberalen Gesellschaften notwendigen Übereinkünfte und Gemeinsamkeiten und damit die soziale Kohäsion  gefährdet.

In dieser, aber auch in der darauf antwortenden religionsaffirmativen Gegenüberstellung von ›Ethik‹ und ›Religion‹ bleiben die dabei referierten Sachverhalte und deren Verhältnisse weitgehend unverstanden. In dem interreligös-theologischen Seminar soll diese Gegenüberstellung aufgeklärt und darüber aufgelöst werden: Religionen lassen sich theologisch als eine kommunitäre soziale Praxis begreifen werden, in der auch – manchmal mehr und manchmal weniger – Überzeugungen und Einstellungen vollzogen werden. Diese bestehen im Modus ihres gemeinsamen Vollzugs, deswegen aber nicht notwendigerweise in inhaltlicher Übereinstimmung. Deswegen sollte man bei Religionen zwar mit Ethiken, nicht aber mit nach innen übereinstimmenden und nach außen abweichenden Ethiken rechnen. Ethik sollte man hingegen als eine Denkform verstehen, die in Reflexion auf soziales Handeln auf gemeinsamen Handlungsfeldern vollzogen wird. Dass diese Denkform zumeist säkular ist, ergibt sich nicht durch substanzielle Beschränkungen von Inhalten und Rechtfertigungsgründen; dies ergibt sich einzig aus der diskursiven Verfassung dieser besonderen Art gemeinschaftlicher Reflexion unter den Bedingungen gleichberechtigter Teilnahme unterschiedlich gestimmter und deshalb auch unterschiedlich denkender Menschen. Die im Vollzug von Ethik intendierte Allgemeinheit muss an Religionen und an Religiosität nicht scheitern – genauso wenig wie Religionen und Religiosität an den in Ethik erdachten Allgemeinheiten. Religionen »haben« hauptsächlich in dem Sinne besondere Ethiken, als Handlungsorientierungen, die sich allgemein als vernünftig erweisen, in den jeweils besonderen Sinnzusammenhängen und Wirklichkeitsdeutungen eingefügt und beheimatet werden.

In dem Seminar werden theologische Konzeptionen zum Verhältnis von Religion und Ethik zur Kenntnis genommen – und über das Semester hinweg untereinander verglichen. Dabei wird auffallen, dass das Verhältnis von Ethik und Religion theologisch unterschiedlich bestimmt und dass unter ›Ehik‹ und ›Religion‹ Unterschiedliches verstanden wird. Die unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen sollen weder in eine theologische Metatheorie aufgehoben werden, noch wird man sich – gemeinsam – für eine von diesen entscheiden. Über das Semester hinweg wird aber untersucht, ob man die unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen, ob man zumindest die hinreichend plausiblen Konzeptionen in der oben angesprochenen Hypothese »versammeln« kann.

Leistungsnachweis
Referat und regelmäßige Teilnahme

Literatur
Moore, Peter (2022): Die Neuerfindung der Religion. Jenseits von Glauben und Skeptizismus, Zürich: Midas, 7. Kap.: »Religiös und gut? Der Glaube und die Moral«, S. 145–162.

Hauptseminar: »Culture Wars«: sozialethische Perspektiven auf tiefe Meinungsverschiedenheiten

Prof. Dr. Ammicht-Quinn

Prof. Dr. Ammicht-Quinn

In vielen demokratischen Ländern des Nordens zeigen sich vor allem in den letzten Jahren »tiefe Meinungsverschiedenheiten« (Keil/Poscher). Streite und Spaltungen durchziehen Freundeskreise und Familien, und in Öffentlichkeiten sind solche »culture wars« immer wieder von sprachlicher oder auch physischer Gewalt begleitet. Kennzeichen der Streitfragen ist, dass sie meist nicht durch zusätzliche Informationen oder gute Argumentationen aufzulösen sind, zugleich aber Fragen von hoher individueller oder gesellschaftlicher Bedeutung sind.

Im Pandemiekontext waren solche tiefen Meinungsverschiedenheiten (Coronaleugnung, Impf-gegnerschaft) dauernd präsent. Andere Themenbereiche, an denen sich solche Konflikte kristallisieren, reichen von Fragen queerer Lebensformen und Trans* über Fragen von Abtreibung und »political correctness« bis hin zu Streitfragen von Religions- und Gewissensfreiheit.

Das Seminar befasst sich mit diesen Streiten auf drei Ebenen:

  • Auf einer ersten Ebene geht es um Entstehungsbedingungen, Gründe und Anstöße für tiefe Meinungsverschiedenheiten und darum, welche moralischen Werte und Konzepte ihnen zugrunde liegen.
  • Auf einer zweiten Ebene sollen unterschiedliche Streitthemen analysiert und die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden gestellt werden ebenso wie die Frage nach der Rolle von Medien.
  • Auf der dritten Ebene geht es schließlich um die Bedeutung von Rationalitäten und Gefühlen in und für die Konflikte und darum, ob und wie ein guter Umgang mit tiefen Meinungsverschiedenheiten gefunden werden könnte.

Voraussetzung
Bereitschaft und Fähigkeit, auch englische Texte zu lesen

Leistungsnachweis
Essays und eine Präsentation

Grundkurs: Soziologisch denken – sozialethisch urteilen

Manuela Wannenmacher

Manuela Wannenmacher

Die theologische Sozialethik ist dasjenige Fach innerhalb der katholischen Theologie, welches sich mit gerechter Ordnung bzw. gerechten Ordnungen gesellschaftlicher bzw. sozialer Zusammenhänge auseinandersetzt. Für eine solche Auseinandersetzung ist dabei zunächst von Nöten derartige Zusammenhänge zu verstehen. Zu diesem Zwecke sollen im Grundkurs Sozialethik Ansätze soziologischen Denkens erschlossen und deren Bedeutung für eine theologische Sozialethik erkundet werden.

Leistungsnachweis
Gemäß den Prüfungsmodalitäten des jeweiligen Studiengangs
Wöchentlicher Lektüreeindruck

Literatur
Berger, Peter / Luckmann, Thomas (1980 [1966]): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Fischer Frankfurt/Mainz.
Möhring-Hesse, Matthias (2013): Horch, was kommt von draußen ‘rein? Zur Theologie christlicher Sozialethik im Anschluss an Gaudium et Spes, in: Vogt, Markus [Hrsg.], Theologie der Sozialethik, Herder Freiburg/Breisgau, S. 63-91.
Möhring-Hesse, Matthias (2019): Wissenschaftlichkeit der theologischen Sozialethik, in: Göck,Benedikt Paul / Ohler, Lukas Valentin [Hrsg.], Die Wissenschaftlichkeit der Theologie. Band 2: Katholische Disziplinen und ihre Wissenschaftstheorien, Aschendorff Verlag Münster, S. 217-243.

Seminar/Lektürekurs: »Trans. Gender and Race in an Age of Unsettled Identities« (Rogers Brubaker 2016)

Manuela Wannenmacher

Manuela Wannenmacher

Als sich Caitlyn Jenner 2015 als transgender outet, erfährt sie in der Öffentlichkeit sehr viel Unterstützung. Als Rachel Dolezal nur kurze Zeit später als transracial geoutet wird, ruft dies vor allem Unverständnis hervor. Rogers Brubaker geht in seinen Überlegungen von diesen beiden medienwirksamen Fällen aus und zeigt entlang der Gegenüberstellung von transgender und transrace die Kontingenz der sozialen Phänomene Gender und Race auf. Indem Brubaker nicht nur dazu auffordert entlang von, sondern mit trans zu denken, eröffnen sich spannende Möglichkeiten der Bearbeitung von Zugehörigkeiten sowie Zuschreibungen kontingenter Identitätskategorien.

Leistungsnachweis
Textlektüre und regelmäßige Teilnahme;
für 3 ECTS + Essays
für 6 ECTS benotet (SD M4, 5 Soziologie) + Hausarbeit

Literatur
Brubaker, Rogers (2016): trans. Gender and Race in an Age of Unsettled Identities, Princeton University Press Princeton (NJ).

Die Veranstaltung wird auch als Seminar am soziologischen Institut angeboten.

Oberseminar: Aktuelle Fragen der theologischen Sozialethik

Prof. Dr. Möhring-Hesse

Prof. Dr. Möhring-Hesse

Diskussion aktueller Theorie- und Forschungsarbeiten in der theologischen Sozialethik sowie Besprechung laufender Promotionsprojekte, vermutlich wieder in Kooperation mit den Lehrstühlen der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt/Main und der Universität Mainz.
Anmeldung, möglichst in der Sprechstunde des Dozenten, ist erforderlich.

Lektüre / Kolloquien

Interdisziplinäres Kolloquium: Christliches Handeln in Verantwortung vor sich und anderen

Lehrende des Moduls MGP 6

Lehrende des Moduls MGP 6

Besprechung übergreifender Themen aus den Vorlesungen des Moduls MGP 6 (Christliches Handeln in Verantwortung vor sich und anderen) und Prüfungsvorbereitung.