Institut für Theoretische Physik

Neutrinos: Schlüssel für neue Physik

Mitarbeiter:

Dr. V. Rodin, Dr. C. Moustakidis, Dr. Q. Li, L. Pacearescu

Gäste:

Prof. W.A. Kaminski (Lublin), Prof. T.S. Kosmas (Ioannina), Prof. S. Kovalenko (Dubna), Prof. A.A. Raduta (Bucharest), Dr. F. Simkovic (Bratislava), Prof. J.D. Vergados (Ioannina)

Neutrinos waren stets interessante Teilchen, seit sie 1930 durch Wolfgang Pauli zur Erhaltung der Energie- und Drehimpulse im Betazerfall in einem berühmten Brief an Prof. Geiger in Tübingen postuliert wurden. Neutrinos sind die einzigen Teilchen, von denen wir auch heute noch nicht wissen, ob sie identisch sind mit ihren Antiteilchen (Majorana-Teilchen) oder ob Teilchen und Antiteilchen verschieden sind (Dirac-Teilchen). Das Standardmodell, das die elektromagnetischen, die schwachen und die starken (Quantenchromodynamik) Kräfte beschreibt, nimmt an, dass Neutrinos Dirac-Teilchen sind. Es beschreibt die elektromagnetische und die schwache Wechselwirkung als eine einzige elektroschwache Kraft. Man vermutet, dass auch die starke und die elektroschwache Wechselwirkung durch eine einzige Kraft beschrieben werden kann. In diesen "Großvereinheitlichten" Theorien findet man in der Regel, dass das Neutrino identisch ist mit dem Antineutrino (Majorana-Teilchen) und dass die drei verschiedenen Neutrinos eine Masse haben. Wir versuchen aus dieser Annahme experimentell nachweisbare Observable abzuleiten, um "Großvereinheitlichte" Theorien zu verifizieren. Mit Majorana-Neutrinos endlicher Massen ist der doppelte Betazerfall ohne Aussendung von Neutrinos möglich, indem unter Aussendung zweier Elektronen in einem Kern zwei Neutronen in zwei Protonen verwandelt werden. Obwohl der doppelte Betazerfall bisher noch nicht experimentell gefunden wurde, weiß man, dass die Lebensdauer von Kernen, die einen solchen Zerfall zeigen könnten, länger als 1025 Jahre ist. Unsere Gruppe hat die zuverlässigste Theorie zur Beschreibung dieses doppelten Betazerfalls entwickelt. Mit Hilfe der experimentellen Daten und unserer Theorie ergibt sich eine Elektron-Neutrinomasse kleiner als etwa 0,6 eV. Man erhält weiter sehr restriktive Einschränkungen, wie eine Beschreibung der Natur aussehen muss, die die elektroschwache und die starke Wechselwirkung durch eine einzige Kraft beschreibt. Ein nächster Schritt ist die Vereinheitlichung aller Kräfte, einschließlich der Schwerkraft. Ein Schritt in diese Richtung ist vielleicht das so genannte supersymmetrische Modell. Im Rahmen der Supersymmetrie haben Bosonen und Fermionen ähnliche Eigenschaften. Aus der Tatsache, dass wir hier auf der Erde nur etwa die Hälfte der Neutrinos messen, die wir von den Kernreaktionen in der Sonne erwarten, schließen wir, dass sich Elektron-Neutrinos in andere Neutrinoarten verwandeln können (Neutrinooszillationen). Wir beschreiben die Mischung der drei Neutrinotypen: Elektron-, Muon-, Tau-Neutrinos und deren Oszillationen im Rahmen der Supersymmetrie. Diese von uns entwickelte Beschreibung der Neutrinomischung und der Neutrinomassen im Rahmen der Supersymmetrie erlaubt es mit Hilfe der Daten über die fehlenden Sonnenneutrinos, über den doppelten Betazerfall und über die Neutrinos, die durch Kernreaktionen der kosmischen Strahlung mit unserer Atmosphäre erzeugt werden, die Neutrinomassen bis etwa auf einen Faktor 10 festzulegen: die drei Neutrinomassen liegen danach zwischen 0,01 eV für Elektronneutrinos und 1 eV für Tau-Neutrinos. Supersymmetrie ist vielleicht ein Schritt in die Richtung der Verwirklichung eines alten Traumes der Menschheit, unser Universum aus einer einzigen Kraft zu verstehen.