Osteuropäische Geschichte und Landeskunde

Exkursion nach Moskau im Juni 2010

Exkursionsbericht

(von Lenka Fehrenbach und Verena Hehl)

„Nach Moskau, nach Moskau!“ diesem Ruf frei nach Tschechow folgte vom 6. bis zum 13. Juni 2010 unsere 19-köpfige Exkursionsgruppe des Instituts für osteuropäische Geschichte und Landeskunde, um die Kultur und Geschichte der russischen Hauptstadt zu erleben und zu entdecken. Nachdem wir uns im Wintersemester im Rahmen einer Übung eingehend in die Geschichte Moskaus mit den Schwerpunkten „Altes Moskau“, „Großer Terror und Erinnerungskultur“ und „Das sowjetische Moskau: Gesellschaftliche Mobilisierung und Städtebau “ eingearbeitet hatten, freuten wir uns auf den Besuch der schillernden Millionenmetropole.

Die pulsierende russische Hauptstadt präsentierte sich uns als ein Ort der Gegensätze: modern glänzende Glaspaläste und goldene Kuppeln restaurierter Kirchen neben heruntergekommenen Wohnbausiedlungen, Großraumlimousinen mit getönten Scheiben neben alten Mütterchen, die am Eingang der Metro ihr auf der Datscha gezogenes Gemüse verkauften, um ihre spärliche Rente aufzubessern. Rund 10,5 Millionen Einwohner hat Moskau nach offiziellen Angaben und so unterschiedlich sind auch die Stadtviertel; nie wussten wir, wo wir aus der Metro auftauchen und was wir hinter der nächsten Straßenkreuzung entdecken würden. Nach dem Prinzip „am Anfang war der Kreml, dann kam alles andere hinzu“ begannen wir unsere Exkursion im ‚Zentrum der Macht‘: dem Kreml. Das Territorium umfasst Parlamentsgebäude, Plätze und Kirchen, die alle von der berühmten roten Ziegelmauer eingeschlossen werden. Besonders die prunkvollen Kirchen mit ihren Ikonen, Fresken und goldenen Kuppeln vermittelten uns ein Gefühl für das „Alte Moskau“.

Ein ganz anderes Russland zeigte sich uns in der Provinzstadt Sergiev Posad etwa eine Stunde außerhalb Moskaus. Das „graue“ Stadtbild stand in Kontrast zu dem teilweise neu renovierten Dreifaltigkeitskloster. Auch innerhalb der Klostermauern setzte sich dieser Gegensatz fort. Wir begegneten traditionell gekleideten russisch-orthodoxen Mönchen mit Mobiltelefonen am Ohr und Digitalkameras in der Hand. Die Synthese von traditionellen Werten und moderner Technik scheint problemlos möglich.

Ungewohnter war für uns der russische Umgang mit der Geschichte. Wir diskutierten im Deutschen Historischen Institut (DHI) mit den renommierten Historikern Alexander Vatlin und Elena Zubkova über die russische Geschichtspolitik und Erinnerungskultur. Der Schwerpunkt des Gesprächs lag auf dem Umgang mit der Stalinzeit und dem „Großen Vaterländischen Krieg“. Dies war für uns sehr aufschlussreich, da wir das offizielle russische Geschichtsverständnis im Stadtbild und in der deutschen Berichterstattung über Russland als eine Mischung aus Aufarbeitung, Verdrängung und Glorifizierung wahrgenommen hatten. Die Verherrlichung des sowjetischen Sieges im Zweiten Weltkrieg manifestiert sich beispielsweise im Siegespark Poklonnaja Gora. Die Parkanlage wirkte auf uns gleichzeitig eindrücklich und befremdlich. Auf einem riesigen Areal schritten wir auf den zentralen Siegesobelisken zu, der symbolträchtige 141,8 Meter hoch ist – 10 Zentimeter für jeden Kriegstag – vorbei an Denkmälern für die Armeedivisionen und Gedenktafeln. Im Zentrum angekommen wurden wir sprachlos angesichts der patriotisch-kitschigen Ausgestaltung der „Hallen des Ruhmes und der Erinnerung“ im Zentralen Museum des Großen Vaterländischen Krieges 1941-1945. Immer wieder stießen wir während unserer Streifzüge durch Russlands Hauptstadt auf Symbole, Inschriften und Statuen, die an den Sieg im zweiten Weltkrieg erinnerten.

Dagegen schien für die Erinnerung an die Zeit des „Großen Terrors“ in der Metropole kaum Raum zu sein. Ein von der Organisation „Memorial“ errichtetes Mahnmal zum Gedenken an die Opfer der willkürlichen Säuberungen von 1937 vor dem damaligen und heutigen Hauptsitz des Geheimdienstes, der Lubjanka, musste erst einmal gesucht und gefunden werden und wirkte sehr unscheinbar. Ein besonderer Höhepunkt, weil für Touristen ansonsten nicht zugänglich, war für uns die Besichtigung zweier architektonischer Besonderheiten der Stadt: die Lomonosov Universitätund das Wohnhaus Narkomfin. Eine Führung in der Universität, der im sogenannten Zuckerbäckerstil gebauten und an exponierter Stelle gelegenen Universität, offenbarte uns eine gigantische und repräsentativ gestaltete Campusanlage sowie schöne Stadtansichten aus den Fenstern des universitätseigenen geologischen Museums. Ganz anders stellte sich das im konstruktivistischen Stil 1929/30 errichtete Kommunehaus Narkomfin dar, dessen Bausubstanz heute am Zerfallen ist. Das Ziel des Architekten war es, eine soziale Utopie zu verwirklichen und den Menschen eine eigene Wohnung zur Verfügung zu stellen. Diese war in erster Linie als Schlaf- und Wohnstätte gedacht, da das eigentliche Leben sich in öffentlichen Räumen wie Kantine, Waschsalon oder auf der Sonnenterasse abspielen sollte. Bei der Besichtigung von zwei Wohnungen in dem heute weitgehend leerstehenden Haus wurde allerdings deutlich, dass diese Vorstellungen Theorie geblieben waren. Die Bewohner nahmen aus Wunsch nach Privatsphäre Eingriffe in die Aufteilung der Räumlichkeiten vor und bauten Bäder und Küchen ein.

Bindeglied zwischen „alt und neu“, „gestern und heute“, „hier und dort“ waren für uns Stalins „Paläste für das Volk“: die Metro. Unter Stalin als Prestigeobjekt begonnen, transportiert sie heute täglich rund neun Millionen Menschen. Auch wir benutzten die Metro mehrmals am Tag und waren fasziniert von den unterschiedlichen Stationen, die mit Statuen, Mosaiken, Marmor und Glas geschmückt und verschiedenen Themengebieten gewidmet waren. Die Stationen aus den 1930er Jahren greifen beispielsweise Fliegerei, Fortschrittsglaube und Elektrifizierung auf, die der 1940er erscheinen mit ihrem Stuck, ihren Mosaiken und Kronleuchtern prachtvoller und repräsentativer. Die modernen Stationen sind dagegen in einer schlichten Formensprache aus Glas und Stahlgehalten. So ermöglichte uns die Metro nicht nur eine „Reise durch die Stadt“, sondern auch eine „Reise durch die Zeit“.

Wir danken Frau Dr. Katharina Kucher, Frau Agnes Wiglusch und Herrn Prof. Dr. Klaus Gestwa für die hervorragende Planung und Vorbereitung der Exkursion, die für uns zu einem unvergesslichen Erlebnis geworden ist. Besonderer Dank gilt auch dem Förderverein Geschichte, der diese Reise durch seine großzügige finanzielle Unterstützung mit ermöglicht hat.