C 05
Inselökonomien. Eine vergleichende Studie von Insel-Gesellschaften im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit
Fachklassifizierung | Mittelalterliche und Frühneuzeitliche Geschichte Archäologie des Mittelalters |
Projektleitung | Dürr, Renate, Prof. Dr. Eberhard Karls Universität Tübingen Fachbereich Geschichtswissenschaft Seminar für Neuere Geschichte Wilhelmstraße 36 72074 Tübingen Telefonnummer: 07071 29 74672 E-Mail-Adresse: renate.duerr@uni-tuebingen.de
Bartelheim, Martin, Prof. Dr. Eberhard Karls Universität Tübingen Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters Abteilung für Jüngere Urgeschichte und Frühgeschichte Schloss Hohentübingen Burgsteige 11 72070 Tübingen Telefonnummer: 07071 29 72406 E-Mail-Adresse: martin.bartelheim @uni-tuebingen.de
Staecker, Jörn, Prof. Dr. † Eberhard Karls Universität Tübingen Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters Abteilung für Archäologie des Mittelalters |
DoktorandInnen und Postdocs | Condit, Annika, M.A. SFB 1070 RessourcenKulturen
Dierksmeier, Laura, Dr. SFB 1070 RessourcenKulturen Gartenstr. 29 Raum 30672074 Tübingen Telefonnummer: 07071 29 73595 E-Mail-Adresse: laura.dierksmeier @uni-tuebingen.de |
Inseln wurden während des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit meist in ihrer Funktion als Durchgangsstationen für Migration und Handel, als Ziel von Expeditionen zum Erwerb exotischer Gegenstände oder als Versorgungsplätze für weite Reisen betrachtet. Die Besonderheiten, die kleinen Inseln (unter 10000 km2) eigentümlich sind, wurden dagegen selten untersucht, insbesondere nicht durch interdisziplinäre (archäologische und historische) Studien. Durch ihre isolierte Lage, Gefährdung durch Piraten, ihre Abhängigkeit vom Festland, ihre begrenzten geologischen Ressourcen und den Mangel an Trinkwasser teilen sich kleine Inseln viele Charakteristika. Der Umgang mit diesen ökonomischen und ökologischen Faktoren hängt weitgehend von den Einstellungen und Kenntnissen der Bewohner der jeweiligen Inseln ab. Vor diesem Hintergrund untersucht das Teilprojekt C05 des SFB 1070 die Geschichte kleiner skandinavischer und spanischer Inseln, um zu verstehen, wie materielle und geistige Ressourcen verwendet, diskutiert und bewahrt wurden.
Während der ersten Phase analysierte das Teilprojekt C05 die Vernichtung von Kapital auf Basis der wikingerzeitlichen Schatzfunde und mittelalterlichen Kirchenbauten auf der schwedischen Insel Gotland. Es konnte aufgezeigt werden, dass die isolierte Lage und die begrenzten Ressourcen eine eigenständige Inselökonomie bedingten, die sich in verschiedener Weise von der Ökonomie des Festlands unterschied. Die Vielzahl der Silberdeponierungen werden dabei als ein Ausdruck des Erbrechts verstanden, während die aufwändigen Neu- und Umbauten von Kirchen auf eine Neuordnung von Eigentumsrechten von Individuen und Gruppen hindeuten. Daraus lässt sich ableiten, dass Personen innerhalb einer Familie maßgeblich zur Prosperität beitrugen – sie also zur ‚Ressource‘ wurden – und dass gerade dieser Personenkreis von einem Streben nach Selbstdarstellung sowie materieller Manifestation geprägt war.
In dieser Phase betrachtet eine Fallstudie die Kulturgeschichte des Wassers auf spanischen Inseln der Frühen Neuzeit. Gerichtsakten beleuchten lokale Konflikte um den Zugang zu Wasser. In zahlreichen Fällen wurde Land ohne das Recht auf Zugang zum darunterliegenden Grundwasser verkauft. Gemeinschaftliche Anstrengungen, um Probleme mit zu viel (zum Beispiel durch Starkregen oder Sturmfluten) oder zu wenig Wasser zu lösen, können durch die performativen Funktionen der Rogativos sowie öffentliche Arbeiten verfolgt werden. Aufzeichnungen über Gemeindeversammlungen erhellen die Beschäftigung mit der schweren (und hauptsächlich von Frauen ausgeführten) Arbeit des Wassertragens und die Finanzierung von Offiziellen einer Wasserverschmutzungskontrolle (alcades de agua). Gelehrte Gesellschaften (wie die Sociedad Ecónomica de los Amigos del País) führten neue Technologien für den Wassertransport ein und förderten den Bau von Wassermühlen zur Energiegewinnung. Nicht immer waren fortschrittliche Technologien dem seit Generationen überlieferten lokalen Wissen überlegen, wozu das Filtern mit Sand, Entsalzung durch porösen Stein, Bewässerungssysteme und die Beschaffung reinen Wassers in Form von Schnee zählen. Die aus der Analyse der geschilderten Beobachtungen gewonnenen Ergebnisse werden mit jenen aus Skandinavien verglichen, um der Frage nachzugehen, inwieweit kleine Inseln ihre Ressourcen anders nutzten als auf dem Festland.
Die zweite Fallstudie untersucht mit archäologischen Mitteln wikingerzeitliche Depotfunde auf der schwedischen Insel Öland, wobei die Lage und Datierung, der Kontext, das Gewicht und die Zusammensetzung der Horte berücksichtigt werden. Darüber hinaus berücksichtigt die Studie die umgebende Landschaft mit Siedlungen, befestigten Anlagen, Häfen, Gräberfeldern, Kirchen und Runensteinen. Die Nähe Ölands zum schwedischen Festland gibt Anlass zu der Frage, ob die Art der Nutzung, Ansammlung, Vernichtung und Veränderung von Ressourcen derjenigen auf anderen skandinavischen Inseln gleicht, oder ob die wirtschaftlichen Strukturen und Erbrechte eher denjenigen auf dem feudal geprägten Festland entsprechen. Während Kirchen keine auffälligen Unterschiede zum Festland zeigen, weisen die früh- und hochmittelalterlichen Befestigungen vom Typ Eketorp, die Runensteine der Wikingerzeit und die Häufung von Depotfunden auf der Insel auf unterschiedliche Verhältnisse hin, deren Bedeutung es zu analysieren gilt. Vergleiche zwischen den verschiedenen Formen der Kapitalvernichtung (zum Beispiel durch Deponierung in Horten) oder Kapitalinvestition (zum Beispiel durch Kirchenbau) erlauben es, zeitliche und räumliche Schwerpunkte zu identifizieren, ebenso wie Vernetzungen, politische Zentren und Machtverschiebungen. Die für Öland erzielten Ergebnisse werden mit jenen der spanischen Inseln verglichen, um Rückschlüsse auf die Ressourcenverwendung auf kleinen Inseln zu ziehen.