Uni-Tübingen

Teilprojekt D04: USA und Sowjetunion. Transformationen einer weltpolitischen Ordnungskonkurrenz 1975 – 1989

Abstract

Der Kalte Krieg war eine weltweite Auseinandersetzung zweier sich gegenseitig ausschließender politischer und industriegesellschaftlicher Ordnungen mit jeweils universellem Geltungsanspruch. Dieser Konflikt war in Phasen gegliedert, in denen die globale Ordnungskonkurrenz unterschiedliche „Aggregatszustände“ (Eckart Conze) annahm.

Erforscht wird, warum die Entspannungspolitik zwischen den beiden Supermächten nach einer Hochphase in den 1970er Jahren am Ende des Jahrzehnts zunehmend in die Kritik geriet und es zu einer hochexplosiven internationalen Spannungssituation kam (Untersuchung 1). Weiter gilt es herauszufinden, wie es möglich war, dass dieser kommunikativ forcierte „zweite Kalte Krieg“ Mitte der 1980er Jahre einer neuen Phase der Abrüstung wich und dieser Verständigungsprozess („neue Détente“) schließlich zur Transformation der Ordnungskonkurrenz zwischen den Supermächten führte (Untersuchung 2).

Das Teilprojekt geht davon aus, dass diese wechselseitige Bedrohungskommunikation und die Ordnungskonkurrenz beider Supermächte entscheidend von den Strukturbrüchen der Industriemoderne und innenpolitischen Problemen beeinflusst wurden. Ziel ist es deshalb, die internationale Geschichte des Kalten Krieges in der Zeit von 1975 bis 1988 mit innergesellschaftlichen Transformationsprozessen zusammenzudenken.

Projektteam

Projektleitung:

Prof. Dr. Georg Schild

Dr. Katharina Kucher

Mitarbeiter:

Martin Deuerlein, M. A.

Roman Krawielicki, M. A.

Fachgebiete und Arbeitsrichtung

Zeitgeschichte

Projektbeschreibung

Das Teilprojekt untersucht die weltpolitische Ordnungskonkurrenz zwischen den USA und der Sowjetunion. In ihrem Ringen um Dominanz und Einfluss sahen die beiden Supermächte die Existenz einer konkurrierenden Ordnung als Bedrohung ihres eigenen Gesellschaftsentwurfs.

Die Untersuchungen richten ihren Blick deshalb auf die sich wandelnde Bedrohungskommunikation, die sich aus der Ordnungskonkurrenz der Supermächte ergab und die internationalen Spannungen des Kalten Krieges bestimmte. Im Mittelpunkt stehen kommunikative Strategien und Praktiken der politischen Führung und ihrer maßgebenden Berater. Dieser thematische Zugriff eignet sich dazu, die Geschichte des Kalten Krieges als interaktiven Prozess zu begreifen und zu verdeutlichen, dass die Regierungen in Moskau und Washington mit ihren Wahrnehmungs-, Deutungs- und Redeweisen in komplexe Kommunikationsstrukturen eingebunden waren.

Die beiden Untersuchungen behandeln zwei aufeinanderfolgende, aber miteinander verbundene Zeitabschnitte, in denen der Kalte Krieg seinen Aggregatszustand zweimal grundlegend veränderte. Während die erste Untersuchung die Eskalation der internationalen Konflikte und der damit verbundenen Bedrohungskommunikation von 1975-1983 thematisiert, beschäftigt sich die zweite mit Deeskalationsprozessen, die 1983/84 einsetzten und schließlich zur Transformation der Ordnungskonkurrenz führten.

Untersuchung 1

Die erste Untersuchung (Martin Deuerlein) fragt danach, wie die Entspannungspolitik, die eine stabil erscheinende internationale Ordnung geschaffen hatte, in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre in eine verschärfte Konfrontation zwischen den beiden Supermächten umschlagen konnte. Im Rahmen der globalen Ordnungskonkurrenz rangen in beiden Staaten unterschiedliche Gruppen darum, wie der Kalte Krieg ausgetragen werden sollte. Analysiert werden ideologisch geprägte Perzeptionsmuster, die oft dazu führten, dass politische Äußerungen und Prozesse auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs als Bedrohung eingeschätzt wurden und im politischen Wechselspiel zwischen Moskau und Washington Spannungen heraufbeschworen. Das Projekt wird eingehender untersuchen,

Ziel ist es, anhand dieser Themen zu veranschaulichen, wie die eskalierende Bedrohungskommunikation zwischen den Supermächten und die tiefgreifenden innergesellschaftlichen Wandlungsprozesse wechselseitig aufeinander einwirkten.

Untersuchung 2

Seinen Höhepunkt erreichte der „Zweite Kalte Krieg“ im Jahr 1983. Im März hielt Ronald Reagan seine berühmt gewordenen SDI- und Evil Empire-Reden; im September schoss die sowjetische Luftwaffe ein koreanisches Passagierflugzeug (KAL 007) über Sachalin ab; im Herbst begann die Nato-Nachrüstung; im November glaubten Teile der sowjetischen Führung ernsthaft, die Nato plane im Rahmen ihres Manövers Able Archer einen nuklearen Erstschlag. Gerade der letzte Vorfall machte den politisch Verantwortlichen deutlich, welch bedrohliches Ausmaß das gegenseitige Misstrauen angenommen hatte. An diesem Wendepunkt setzt die zweite Untersuchung an (Roman Krawielicki). Ihr Ziel ist es, die Deeskalation der Bedrohungskommunikation seit 1984 zu analysieren und zu zeigen, wie sich die fortgesetzte Ordnungskonkurrenz der Supermächte im Rahmen eines abrüstungspolitischen Verrechtlichungs- und Verständigungsprozesses entschärfte. Ängste, die zuvor Handlungsoptionen der Diplomatie verschlossen hatten, verloren an politischer Wirkung. Das Projekt wird besonders eingehend untersuchen,

Ziel ist es, ausführlich darzulegen, wie der soziale und politische Wandel in der Sowjetunion und in den USA von der Deeskalation der Bedrohungskommunikation beeinflusst wurden. Persönliche Treffen, populäre Spielfilme und die Medienberichterstattung dekonstruierten die etablierten Bedrohungsszenarien. Die Angst vor dem ideologischen Feind wich der Furcht vor einem ‚nuklearen Holocaust‘; die „Rehumanisierung“ des weltpolitischen Konkurrenten erzeugte Druck zum politischen Handeln und begünstigte die Transformation der globalen Ordnungskonkurrenz.

Das Teilprojekt im SFB

Für den SFB erscheint das Teilprojekt in dreierlei Hinsicht gewinnbringend: Erstens thematisiert es explizit die bedrohliche Ordnungskonkurrenz des Kalten Krieges und beschäftigt sich eingehend mit der Epoche, in der die Begriffe „Bedrohung“ und „bedroht“, angesichts der stets möglichen atomaren Selbstvernichtung der Weltgesellschaft in der politischen und publizistischen Sprache, nahezu inflationär gebraucht wurden. Zweitens behandelt es den Zusammenhang zwischen Wahrnehmung, Kommunikation und Emotion; es bemüht sich, konzeptionelle Vorschläge zu machen, wie sich individuelle Wahrnehmungsprozesse mit der sozialen Kommunikation von Bedrohung verbinden lassen. Indem das Teilprojekt die gesellschaftliche Dimension internationaler Geschichte in den Blick nimmt, versucht es drittens, die Verschränkung einer internationalen Ordnung mit innergesellschaftlichen Ordnungen in einer Bedrohungssituation aufzuzeigen. Damit leistet es einen Beitrag zur Frage, wie sich, angesichts der spannungsreichen Interdependenzen von äußerer Bedrohung und innerem Strukturbruch, der Begriff der Ordnungskonfiguration profilieren lässt, um ihn für die Analyse von beschleunigtem sozialen Wandel anwendbar zu machen.

Projektbezogene Vorträge und Publikationen

Deuerlein, Martin

Krawielicki, Roman

Kucher, Katharina

Schild, Georg

Tagungen, Workshops, Konferenzen

Projektrelevante Lehrveranstaltungen

Deuerlein, Martin

Krawielicki, Roman