Uni-Tübingen

Projektbereich G: Reflexion

Wie in der zweiten Förder­periode untersucht der Projekt­bereich G die Wechsel­wirkungen zwischen Reflexionen und der zentralen Achse unseres Modells: Diagnose – Praxis. Wir analysieren zwei gegen­läufige Bewegungen. Zum einen erfahren und reflektieren Menschen in Phasen der Selbst­alarmierung, im Zuge von Bedrohungs­diagnosen und Bewältigungs­praxis, dass Ord­nungen veränderbar, dass sie formbar sind. Die Erfahrung von und die Reflexion über die Kontingenz von Ord­nungen erzeugen zum anderen neue Ordnungs­verständnisse, die ihrerseits Effekte auf die Wechsel­beziehung zwischen Diagnose und Praxis haben. Ord­nungen prägen als lebens­weltliche Phänomene die Wahr­nehmungen von Akteuren und leiten die Wahl angemessener Diagnosen und Bewältigungs­strategien an. Anders herum prägen Diagnosen und erfolgreiche wie erfolglose Bewältigungs­praktiken das Selbstverständnis der Akteure hinsichtlich ihrer Ordnung. Die Reflexion über Ordnung hat somit grund­legende Aus­wirkungen zum einen auf das Selbst­verständnis und die Identitäts­bestimmung der jeweiligen Akteure. Sie ist zugleich un­trennbar mit dem Prozess der praktischen Be­wältigung von Be­drohungen verbunden. 

Eine der wesentlichen Leistungen von Projekt­bereich G für den SFB ins­gesamt liegt darin, dass er die Frage nach dem Selbst­verständnis und der Selbst­reflexion in verschiedenen Ord­nungen stellt: religiösen (G01, G02), politischen und kulturellen (G03, G04), wissens­theoretischen (G05) und medial konstruierten, fiktionalen und potenziellen Ord­nungen (G06). Die Vielfalt der Ordnungen ist wertvoll zur genaueren Unter­suchung der Grund­frage der dritten Förder­periode nach dia­chronen und syn­chronen Inter­dependenzen von Ord­nungen. Der Projekt­bereich G ist inter­disziplinär ausgelegt. Neben verschiedenen Bereichen der Geschichts­wissenschaft sind die Griechische Philologie, Evangelische Theologie, Empirische Kultur­wissenschaft, Medizin­ethik und die Amerikanistik beteiligt. Weil alle Teil­projekte Fortsetzungs­projekte sind, ist die inter­disziplinäre Zusammen­arbeit im Projekt­bereich gut etabliert, was vor allem für den Beginn der dritten Förder­periode ein Vorteil für den SFB ins­gesamt sein wird. 

Dem SFB-Anliegen verpflichtet, etablierte historische Ab­grenzungen und Epochen­gliederungen kritisch zu hinter­fragen und durch die Applikation des Modells ‚Bedrohter Ordnungen‘ historische Abläufe und Prozesse neu zu inter­pretieren, ist der Projekt­bereich G trans­epochal aufgestellt: Die Teil­projekte reichen von der Spät­antike (G01) über das Mitt­elalter (G02) bis ins 20. Jahrhundert (G03, G04, G06) und die unmittel­bare Gegen­wart mit höchst aktuellen Phänomenen (G05) hinein. Räumlich sind ver­schiedene Regionen Europas vertreten (G01, G02, G03) daneben die USA (G06), West­afrika (G05) und Australien, Neu­seeland, Kanada (G04). Mehrere Teil­projekte interessieren sich gerade für die Inter­dependenzen zwischen Räumen und Zeiten. Die seit der zweiten Förder­periode im Projektbereich etablierte Ver­schränkung zeitlich und räumlich weit streuender und auch im Hinblick auf die unter­suchten Ordnungen multipolarer Teil­unter­suchungen ermöglicht dem Projekt­bereich spannende Fragen nach den dia­chronen und syn­chronen Mustern, nach Vor­stellungen von Ordnung und nach reflexiven Strategien während des re-ordering.

Die Teil­projekte sind durch zahlreiche inter­disziplinäre, thematisch und/oder methodisch beschreibbare Verbindungs­linien verschränkt. Hinsichtlich der inhärenten Gender­thematik sind die Teil­projekte G02, G04 und G06 miteinander ver­bunden. Die unter­suchten Ordnungen sind in G01, G02 und in G06 religiös motiviert bzw. konnotiert, aber auch von National­konzepten getragen (G03, G04). Eine kulturelle Selbst­vergewisserung im re-ordering wird in den Teil­projekten G01, G03, G04 erkennbar. Medien als Kommunikations­formen sowie als Strategie­instrumente bestimmter Modi des re-ordering mit erheblichem Reflexions­potenzial spielen im gesamten Projekt­bereich G eine zentrale Rolle. Literarische Propaganda­schriften (G01) werden ebenso analysiert wie schriftliche, visuelle (und überhaupt multimodale), nicht-fiktionale Texte und Quellen (G02, G03, G04, G05, G06), aber auch fiktionale Texte (G06) und neue Medien des 21. Jahr­hunderts (G05). 

Weil einige Teil­projekte stärker die syn­chrone (G01, G03, G05), andere die dia­chrone Inter­dependenz von Ordnungen betonen (G02, G04, G06), ergeben sich zahl­reiche Möglichkeiten der Zusammen­arbeit mit Teil­projekten aus den beiden anderen Projekt­bereichen. Von den vier Mustern des re-ordering, die den SFB in der dritten Phase besonders interessieren, sind im Projekt­bereich ‚Reflexion‘ naturgemäß die Identitäts­narrative und normativen Ordnungs­entwürfe sowie die alarmierenden Bedrohungs­topoi und Existenz­referenzen von zentraler Bedeutung, wenngleich auch die beiden anderen Muster in verschiedenen G-Teil­projekten nach­weisbar sind.