Uni-Tübingen

Projektbereiche

Die Architektur des SFB geht von den vier Begriffen des Modells re-ordering aus, die oben definiert und beschrieben sind. Ziel der Architektur ist es, die Beziehungen zu analysieren, die zwischen den Begriffen bestehen sowie die Wirkungen, die die mit den Begriffen umschriebenen Prozesse auf das re-ordering ausüben. Wir verstehen die Beziehungen zwischen den Begriffen als wechselseitig, als Feedbackschleifen, die auf die inhaltliche Füllung der Begriffe zurückwirken. Bedrohungsdiagnosen verändern sich, wenn Bewältigungspraxis nicht erfolgreich ist, wenn Mobilisierung an manchen Stellen gelingt und an anderen nicht, wenn Ordnungselemente ansichtig und reflektiert werden, mit denen niemand gerechnet hatte. Mobilisierungen verändern sich, wenn Diagnosen sich verändern oder wenn in der Bewältigungspraxis eingesetzte Ressourcen besonders gute oder besonders schlechte Erfolge zeitigen. Um diese wechselseitigen Dynamiken auf der Ebene der Operationalisierung des Modells einzufangen und nicht durch die Betrachtung von vier isolierten Begriffen aus den Augen zu verlieren, geht die Architektur von Begriffen aus, zielt aber auf Beziehungen zwischen den Begriffen und auf Wirkungen in Bezug auf das re-ordering im Ganzen.

Unser Modell weist aus, dass die vier Begriffe und damit auch die Relationen zwischen ihnen nicht gleichwertig sind. Diagnose und Praxis haben einen anderen Stellenwert als Mobilisierung und Reflexion. Nur über eine erfolgreiche Bedrohungsdiagnose kann der Raum des re-orderings geöffnet werden. Nur eine als erfolgreich geglaubte Bewältigungspraxis oder ein Zusammenbrechen der Hegemonialität der Bedrohungsdiagnose kann den Raum wieder schließen. Insofern kommt der Wechselwirkung zwischen Diagnose und Praxis ein besonderer Stellenwert zu. Sie ist Gegenstand des Projektbereichs E. Die Projektbereiche F und G hingegen konzentrieren sich auf die Wirkungen von Mobilisierung und Reflexion auf das re-ordering.

Projektbereich E: Diagnose – Bewältigungspraxis

Dieser Projektbereich untersucht die zentrale Achse des Modells „Diagnose-Bewältigungspraxis“. Wir fragen nach der Bedeutung von Lerneffekten für das re-ordering und konzentrieren uns daher auf zwei gegenläufige Bewegungen von Operationalisierung und Anpassung. Zunächst soll untersucht werden, wie Bedrohungsdiagnosen in konkrete Handlungsschritte und –anweisungen übersetzt werden. Im Anschluss daran soll beobachtet werden, ob und ggfs. in welcher Weise Erfolge oder Misserfolge von Plänen und Handlungen als Rückkopplungseffekte Bedrohungsdiagnosen verändern.

Zum Projektbereich E gehören die folgenden Teilprojekte:

Projektbereich F: Mobilisierung

Der Projektbereich untersucht die Einflüsse, die zwischen Mobilisierungsphänomenen und der zentralen Achse Diagnose-Praxis bestehen. Wir fragen nach der Bedeutung von Macht für das re-ordering und untersuchen daher zwei gegenläufige Bewegungen. Es geht zum einen um die Rolle von Überzeugung, Aushandlung und Zwang in bedrohten Ordnungen, die Menschen dazu bewegen, ihre spezifischen Kompetenzen und Ressourcen in die gemeinsame Abwehr einer Bedrohung einzubringen. Zum anderen ist es von besonderem Interesse, in welcher Weise Operationalisierungen und Anpassungen sowie die Erfahrung ihres Gelingens oder Misslingens auf Mobilisierungen zurückwirken.

Zum Projektbereich F gehören die folgenden Teilprojekte:

Projektbereich G: Reflexion

Der Projektbereich untersucht die Einflüsse, die zwischen Reflexionen und der zentrale Achse Diagnose-Praxis bestehen. Wir fragen nach der Bedeutung von Identitäten für das re-ordering und untersuchen daher zwei gegenläufige Bewegungen. Es geht zum einen um die Kontingenz von Ordnungen, die Menschen in Phasen der Selbstalarmierung im Zuge von Bedrohungsdiagnosen und Bewältigungspraxis erfahren und reflektieren. Zum anderen haben sich verändernde Ordnungsverständnisse ihrerseits Effekte für die Wechselbeziehung zwischen Diagnose und Praxis.

Zum Projektbereich G gehören die folgende Teilprojekte:

Re-ordering verstehen wir als einen umfassenden Prozess, der sich aus Diagnose, Reflexion, Mobilisierung und Bewältigung und den zwischen ihnen bestehenden Wechselwirkungen ergibt. Die Projektbereiche setzen komplementäre analytische Schwerpunkte innerhalb des Modells, befassen sich aber, ausgehend von ihrem jeweiligen Schwerpunkt, mit dem Gesamtprozess des re-orderings.

Gemeinsam können die drei Projektbereiche das re-ordering insgesamt analysieren. Alle drei Projektbereiche sind wie in der ersten Förderphase interdisziplinär und epochenübergreifend zusammengesetzt, um den leitenden Forschungszielen des SFB gerecht werden zu können. Ausgehend von der für sie zentralen Schwerpunktbildung sollen sie verallgemeinerbare Muster, Mechanismen und Praxislogiken in bedrohten Ordnungen rekonstruieren. Durch die zunächst projektbereichsspezifischen, später darüber hinausgreifenden dimensionengestützten Vergleiche können verallgemeinerbare Muster, Mechanismen und Praxislogiken herausgearbeitet werden, die nach Möglichkeit auf Ordnungstypen zurückgeführt werden sollen. Im letzten Jahr haben wir mit Weberschen Kategorien gearbeitet, um Ordnungstypen zu generieren (Machtordnungen, Wirtschaftsordnungen, Rechtfertigungsordnungen), ohne jedoch mit den Ergebnissen bereits zufrieden zu sein. Wir streben an, im Lauf der zweiten Förderphase hier größere Fortschritte zu machen, um die Architektur der dritten Phase von Ordnungstypen her zu konstruieren.

So kommen wir dem Anliegen näher, das sich in den Forschungen der letzten Jahre nach vorn geschoben hat: Bedrohte Ordnungen als sozialtheoretische Grundkategorie in die Sozial- und Kulturwissenschaften einzubringen. Mithilfe dieser Grundkategorie lassen sich die eingangs vorgestellten vier langfristigen Forschungsziele erreichen, die nach wie vor im Zentrum unseres Interesses stehen: Gegenwärtige Krisendiagnosen zu historisieren, Modi schnellen sozialen Wandels zu untersuchen, die Raum- und Zeitkategorien der beteiligten Wissenschaften kritisch zu diskutieren, und damit zur Grundlagenreflexion in den Sozial- und Kulturwissenschaften beizutragen.