Institut für Kriminologie

TJVU-Nachuntersuchung

Mit der Nachuntersuchung zur Tübinger Jungtäter - Vergleichsuntersuchung soll versucht werden, auf den im ersten Forschungsabschnitt Ende der 60er Jahre gewonnenen detaillierten Informationen zur Lebensentwicklung der Probanden von der ersten bis zur dritten Lebensdekade aufzubauen und nunmehr ihren weiteren Werdegang in der 4. und 5. Lebensdekade zu verfolgen. Auf diese Weise soll Aufschluß darüber gewonnen werden, wie sie mit ihren damals festgestellten Fähigkeiten, Eigenschaften, Kompetenzen und Ressourcen umgegangen sind, insbesondere aber, ob und wie es zum Abbruch krimineller Karrieren bzw. zu (erneuter) Straffälligkeit gekommen ist. Die Erhebung mußte im Gegensatz zum ersten Forschungsabschnitt mangels personeller und finanzieller Kapazitäten von vornherein auf die persönliche Befragung der Probanden und auf Aktenanalysen (Strafregisterauszüge und Strafakten) beschränkt bleiben.

Seit 1987 wurde systematisch versucht, möglichst zu allen 400 Probanden wieder Kontakt aufzunehmen, ein Unterfangen, das mit vielfältigen Schwierigkeiten verbunden war (und ist). Inzwischen konnte mit circa der Hälfte der ehemaligen H-Probanden und rund zwei Drittel der V-Probanden ein eingehendes Interview geführt werden. Schon die ersten dabei gewonnenen Eindrücke lassen ein breites Spektrum von Verhaltensstilen erkennen, die erneut den engen Zusammenhang von Lebensstil und Kriminalität bestätigen. Bei einer ersten detaillierten qualitativen Auswertung einer Teilgruppe von insgesamt 62 ehemaligen Strafgefangenen konnten die näheren Umstände und typischen Formen des Abbruchs einer kriminellen Karriere sowie die damit verbundenen Wandlungen im Lebensstil und in der Selbstwahrnehmung der Probanden herausgearbeitet werden.

Neben dieser dem "klassischen Tübinger Ansatz" verpflichteten Studie und einer quantitativen Auswertung des Delinquenzbereiches der ehemaligen H-Probanden im zweiten Forschungsabschnitt wurden anhand von Bundeszentralregisterauszügen Daten über die Verurteilungen, Tatbestandsverwirklichungen und Inhaftierungszeiten aller 400 Probanden zwischen ihrem 15. und 50. Lebensjahr erhoben. Vor dem Hintergrund copingtheoretischer sowie struktur- und interaktionssoziologischer Überlegungen wird versucht, sowohl die innere Dynamik offiziell registrierter Delinquenz als auch den Zusammenhang mit strukturellen Faktoren (soziale, ökonomische, kulturelle Dispositionen) aufzudecken. Dies wiederum kann als Teil einer umfassenderen, vornehmlich theoretischen Studie zum Thema "Kausalität und Kriminalität" gesehen werden, in der wesentliche Ergebnisse der internationalen Forschung zur kriminellen Karriere vor dem Hintergrund von deren erkenntnis- und kriminalitätstheoretischen Grundannahmen einer kritischen Betrachtung unterzogen und die Reichweite kausal-deterministischer Erklärungsmodelle, wie sie beispielsweise in der Individualprognose Verwendung finden, analysiert wird.