Kirchenrecht

„Normativität – Religion – Mobilität“

Jede Religion ist durch eine gemeinsame Glaubensüberzeugung ihrer Anhänger gekennzeichnet. Dieser Glaube bedarf einer gewissen Verbindlichkeit, um Gemeinsamkeiten und damit Gemeinschaft schaffen zu können, und besagte Verbindlichkeit wird durch Glaubenssätze erzeugt, die oft normativen Charakter haben. Die jeweilige, z. B. jüdische, römisch-katholische, protestantische oder islamische Glaubensgemeinschaft fordert die Beachtung der betreffenden Lehre in unterschiedlichem Maße auch ein, sei es durch sozial-gemeinschaftlichen Druck, sei es durch (rechts-)förmliche Gehorsamspflichten, deren Verletzung etwa in der katholischen Kirche sogar strafrechtlich sanktioniert wird. Solch identitätsstiftende Glaubenssätze wurden nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit anderen Konfessionen und/oder Religionen geprägt und geformt. Schließlich ist jeder Kontakt zu anderen Glaubensüberzeugungen regelmäßig auch eine Anfrage an das eigene Bekenntnis und gibt insofern Anlass, dieses zu überdenken, es ggf. zu reformulieren oder sogar neu zu fassen bzw. es im Gegenteil zu betonen und abgrenzend einzuschärfen. Damit einher geht in der Regel auch eine entsprechende (Neu-)Positionierung zu der jeweils anderen Konfession bzw. Religion in Form der Ausgrenzung oder Integration. Die Begegnung mit dem religiös oder konfessionell Anderen erzeugt also normative Prozesse der Vergewisserung eigener Überzeugungen und Praktiken sowie der Verhandlung aus der Begegnung resultierender Anerkennungsansprüche. Solche Prozesse der Neujustierung wurden und werden insbesondere durch die Begegnung mit dem Fremden angestoßen, welche wiederum durch Mobilität und Migration befördert wird.

Auf Einladung von Prof. Dr. Bernhard Anuth, Prof. Dr. Michael Droege und Prof. Dr. Stephan Dusil als Mitgliedern des Instituts für Recht und Religion wurd dieses Themenfeld von Religion, Normativität und Mobilität bei einem Workshop am 1./2. März 2021 ausgeleuchtet. Die Universität Tübingen hat die Tagung im Rahmen ihrer Exzellenzinitiative zum Thema „Global Encounters“ gefördert, bei der „globale Begegnungen“ u. a. im Hinblick darauf erforscht werden sollen, ob kultureller Wandel nicht auch und vielleicht sogar besonders durch die Begegnung mit dem Anderen, dem Fremden hervorgerufen wird.

Die Ergebnisse der Tagung wurden Anfang 2023 in einem bei Mohr Siebeck in der Reihe "Untersuchungen zu Recht und Religion" erschienenen Sammelband veröffentlicht. Link