Geistliche Herrschaft im konfessionellen Zeitalter. Die Fürstpropstei Ellwangen während der Regierungszeit Christophs von Freyberg (1573-1584) und während der Zeit der Schwedischen Herrschaft (1631-1635)
Die Geschichte der frühneuzeitlichen Reichskirche weist bis heute zahlreiche Forschungsdesiderate auf. In meinem Dissertationsprojekt möchte ich mich daher mit einem Vertreter der Germania Sacra in der Zeit des ausgehenden 16. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts beschäftigen – einem Zeitraum, der von der bisherigen Forschung zur Reichskirche eher unberücksichtigt geblieben ist. Dies soll anhand der Fürstpropstei Ellwangen und zweier inhaltlicher Schwerpunktsetzungen geschehen. Einerseits möchte ich die Regierungszeit Christophs von Freyberg-Eisenberg (1573–1584) genauer in den Blick nehmen, andererseits soll die Zeit der Schwedischen Herrschaft (1631–1635) in der Fürstpropstei Ellwangen Gegenstand der Untersuchung sein. Eine solche inhaltliche Eingrenzung liegt in den für die weitere Herrschaftsgeschichte der Fürstpropstei Ellwangen konstitutiven Geschehnisse während dieser beiden Zeiträume begründet.
Christoph von Freyberg folgte in seinem Amt als Ellwanger Fürstpropst den beiden ungleich mächtigeren Heinrich von der Pfalz (1521–1552) und Otto Kardinal Truchsess von Waldburg (1553–1573), die während ihrer Amtszeiten großen politischen Druck auf das Stiftskapitel ausüben konnten und auch in Zeiten der Regierungsabwesenheit das politische Heft des Handelns fest in ihren Händen hielten. Davon emanzipierte sich das Stiftskapitel mit der Wahl Christophs im Jahr 1573 und schuf sich zugleich größere politische Handlungsspielräume. Die Fürstpropstei Ellwangen kehrte damit aber auch zu einer „Phase der provinzialisierten, isolierten Sonderexistenz“ (Dieter Stievermann) zurück, die erst mit der Anbindung der Fürstpropstei Ellwangen an die Katholische Liga im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges 1609 enden sollte. Aufgrund des deutlich geringeren Machtpotentials Christophs, der aus einer ritterlichen Familie stammte, sah sich das Ellwanger Stiftskapitel in die Lage versetzt, politischen Druck auf den Fürstpropst auszuüben und Herrschaftsverträge im Sinne der Stiftskapitulare auszuhandeln. Diese politischen Auseinandersetzungen wurden in der Folge grundlegend für das weitere Verhältnis von Fürstpropst und Stiftskapitel, weshalb die Regierungszeit Christophs von Freyberg im Fokus der Untersuchung stehen soll, zumal diese bisher von der Forschung nicht berücksichtigt worden ist.
Ein zweiter Schwerpunkt des Dissertationsprojektes bildet die schwedische Regierungszeit in Ellwangen 1631 bis 1635, die mit dem politischen Exil des Fürstpropsts und des Stiftskapitels einherging. Mit dem protestantischen Siegeszug Gustavs II. Adolf von Schweden seit dessen Landung auf Usedom im Juli 1630 gerieten insbesondere die katholischen Territorien der Germania Sacra in den Fokus der schwedischen Bestrebungen im Reich. Auch die Fürstpropstei Ellwangen wurde dabei besetzt und an die Schweden übergeben. Erst die geänderten politischen Verhältnisse nach der Schlacht bei Nördlingen am 5./6. September 1634 beendeten die schwedisch-hohenlohische Episode in Ellwangen, woraufhin Fürstpropst und Stiftskapitel aus ihrem Exil nach Ellwangen zurückkehrten. Es soll hier der Frage nachgegangen werden, inwiefern der Fürstpropst in diesem Zeitraum eine Art Exilherrschaft ausüben und politischen Zugriff auf seine Herrschaftsrechte entfalten konnte. Eine Arbeitshypothese lautet, dass in dieser existenzbedrohenden konfessionspolitischen Gemengelage die katholische Solidarität die politischen Differenzen zwischen Fürstpropst und Stiftskapitel überwogen hat, was sich dann auch auf die geistliche Herrschaft in der Fürstpropstei Ellwangen ausgewirkt hat.
Das Dissertationsprojekt wird nicht etatistisch-legalistisch vorgehen, sondern sich unter Rückgriff auf neuere Ansätze der „Kulturgeschichte des Politischen“ (Thomas Mergel/Barbara Stollberg-Rilinger) und der „akzeptanzorientierten Herrschaft“ (Stefan Brakensiek) dem Untersuchungsgegenstand annähern. Dabei wird insbesondere die Frage aufgeworfen, inwiefern das Konzept einer akzeptanzorientierten Herrschaft für einen mindermächtigen geistlichen Staat inklusive der distinktiven Doppelfunktion eines geistlichen Herrschers aufrechterhalten werden kann. Herrschaft wird dabei nicht bloß normativ, sondern insbesondere kommunikativ und performativ verstanden. In diesem Zusammenhang erfährt das Ellwanger Stiftskapitel eine besondere Berücksichtigung, deren Mitglieder – analog zu den „Ständen“ in weltlichen Territorien – als „Conregentes“ agierten. Hier knüpft das Dissertationsprojekt an jüngste Forschungen zum Fürstbistum Bamberg an.
Die fürstpröpstliche Herrschaftspraxis wird auf der Grundlage der vorliegenden „Normsetzungs-, Regierungs- und Verwaltungsakte“ (Mark Häberlein) untersucht; die davon „betroffenen“ Untertanen stellen jedoch keine bloß passiven Objekte fürstpröpstlichen Handelns dar, sondern präsentieren sich durchaus als Akteur*innen, die über Einflussmöglichkeiten und Handlungsspielräume verfügten. Niklas Luhmann hat sich dazu folgendermaßen geäußert: „In einem ganz allgemeinen Sinne ist jede Macht davon abhängig, daß das verlangte Handeln möglich ist. Unmögliches kann nicht befohlen werden.“ Luhmann setzt damit implizit voraus, dass Herrschaftsträger*innen über Herrschaftswissen bezüglich der Handlungsspielräume der Untertanen verfügen. Diese These Luhmanns soll für einen frühneuzeitlichen geistlichen Staat wie die Fürstpropstei Ellwangen im Rahmen des Dissertationsprojektes überprüft werden.
Die geistlichen Staaten sind für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts nach dem Westfälischen Frieden und insbesondere für das 18. Jahrhundert weit besser erforscht als für die Zeit zwischen Augsburger Religionsfrieden und Prager Frieden. Dieses Forschungsdesiderat zu schließen, ist ein Ziel der Untersuchung. Die Fürstpropstei Ellwangen eignet sich hierfür einerseits aufgrund der hervorragenden Quellenlage (Ludwigsburg, Stuttgart, München, Wien), andererseits aber auch aufgrund der Tatsache, dass gerade der in der Studie gewählte Untersuchungszeitraum für Ellwangen noch nicht untersucht worden ist. Mit dem Dissertationsprojekt soll ein vertieftes Verständnis von Herrschaft in einem mindermächtigen geistlichen Territorium gewonnen werden. Diese Erkenntnisse sollen in einem weiteren Arbeitsschritt an allgemeinere Forschungen zur Herrschaft in der Frühen Neuzeit rückgekoppelt werden, um Divergenzen und Konvergenzen herauszuarbeiten und damit einen relevanten Forschungsbeitrag zur frühneuzeitlichen Herrschaftsgeschichte zu leisten. Die von der Forschung bis dato postulierten Herrschaftskonzepte für die Frühe Neuzeit, die insbesondere weltliche Territorien in den Blick genommen haben, sollen durch die hier vorgestellte Studie modifiziert und gegebenenfalls erweitert werden.