Absolventenprofil Stephan
ALESSANDRO STEPHAN
Warum haben Sie sich für den MA Germ. Linguistik in Tübingen entschieden?
Nachdem ich mein Bachelorstudium mit den Fächern Germanistik, Betriebspädagogik und dem Wahlfach Kultur, Medien, Kommunikation an der Universität Koblenz-Landau am Campus Landau (heute Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau bzw. RPTU Kaiserslautern-Landau) erfolgreich mit einer umfangreichen und einschlägig linguistischen Bachelorarbeit abgeschlossen hatte, war schnell klar, dass ich einen Masterstudiengang in der Sprachwissenschaft bzw. Linguistik absolvieren wollte. Mir war wichtig, mich nach meinem recht breit aufgestellten Bachelor gezielt im Fach Linguistik zu spezialisieren, um einerseits meiner Leidenschaft und meinem Interesse für Sprache weiter zu folgen und andererseits mein Profil herauszubilden und zu festigen. Der Aufbau des Studiengangs M.A. Germanistische Linguistik an der Universität Tübingen sowie die Internetpräsenz mit den Absolventenprofilen haben mich dann überzeugt, mich auf einen Studienplatz zu bewerben. Als ziemlich bald auch die Zusage für den Platz kam, war meine Entscheidung klar: Ich werde in Tübingen studieren.
Was hat Ihnen besonders gut am MA Germ. Linguistik gefallen?
Was mich sofort in meinem ersten Semester begeistert hat, war das fast wöchentliche Abteilungs- und Masterkolloquium. Dieses bietet nicht nur die Möglichkeit, Vorträge von fortgeschrittenen Masterstudierenden zu deren Abschlussarbeiten zu besuchen, sondern ebenso Vorträge von Mitarbeitenden der linguistischen Abteilung selbst oder von – manchmal sogar internationalen – Gästen. Eine solche Frequenz an fachlichem Input und Austausch über die eigenen Studieninhalte war für mich eine großartige und neue Erfahrung. Dies lag auch daran, dass es durch die Sitzungen die Möglichkeit gibt, recht niedrigschwellig (man kann interessiert zuhören und muss nicht zwingend etwas sagen oder fragen) einen Einblick in den lebendigen wissenschaftlichen Austausch abseits der Literaturlektüre zu bekommen. Dieser wird auch neben dem Kolloquium in der ganzen linguistischen Abteilung offen und familiär geführt. Besonders gut an der Tübinger Linguistik hat mir außerdem der hohe Anspruch an die eigene Forschung und eine gute wissenschaftliche Praxis gefallen – und das kollektive Selbstbewusstsein, das daraus erwächst, um sich auch in der internationalen Forschungsgemeinschaft zu behaupten.
Was haben Sie so im MA Germanistische Linguistik nicht erwartet?
Da ich im Bachelor vor allem eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Germanistik kennengelernt habe, habe ich am Anfang meines Masters einen kleinen „Kulturclash“ erlebt, der mich zunächst sehr irritiert hat. Ich hatte kurzzeitig das Gefühl, gar nichts zu wissen, obwohl ich zuvor sehr gute bis gute Leistungen im sprachwissenschaftlichen Teil meines Bachelors hatte. Nach einiger Zeit wurde mir dann klar, dass es gar nicht „die eine Linguistik“, sondern viele verschiedene Ausprägungen und Schwerpunkte gibt, die alle ihre Berechtigung haben. Außerdem kann man – gerade zu Beginn des Masters – nicht alles wissen und sämtliche Namen linguistischer Autor*innen kennen. Und das ist völlig okay. Allerdings würde ich empfehlen, sich gut über die Ausrichtung der Tübinger Linguistik zu informieren, wenn man von einer anderen Universität nach Tübingen wechseln möchte, und auch zu beachten, dass man eventuell einige Grundlagen, etwa in der Syntax, nachholen muss. So musste ich mir beispielsweise die X-Bar-Theorie noch zusätzlich im ersten Master-Semester erarbeiten, da diese nicht Teil meines Bachelors war.
Worüber haben Sie Ihre Masterarbeit geschrieben?
Meine Masterarbeit mit dem Titel „Paradoxe Positionen – Sprachliche Manipulation im öffentlichen Sprachgebrauch“ beschäftigte sich mit paradoxen – und potentiell manipulativen – sprachlichen Positionierungen von politischen Akteuren im öffentlichen Sprachgebrauch. Zentral waren dabei die Fragen, wie es diesen Akteuren gelingt, via Sprache Positionen einzunehmen, die von diesen bei objektiver Betrachtung nicht eingenommen werden, und wieso dies teils dennoch akzeptiert wird. Hierzu habe ich ein reiches Instrumentarium herangezogen, das nicht nur diskurs-, sozio- und korpuslinguistische Ansätze mit der Methodik formaler Semantik und Pragmatik zusammenführte, sondern auch um philosophische, politologische und soziologische Aspekte ergänzt wurde. Herzstück der Arbeit war dabei ein vor dem Hintergrund des Stancetakings kalibriertes formales Common-Ground-Modell.
Die anschließende diachrone wie synchrone Analyse zweier rezenter deutschsprachiger Diskurse auf der breiten theoretischen Grundlage zeigte auf, wie relativ persistente, vorgeprägte sprachliche Elemente – sogenannte Stance-Konstruktionen – zur indirekten Kommunikation im politischen Kommunikationsbereich eingesetzt werden. Dieser bewusst ambige Sprachgebrauch lässt sich als Teil der von Josef Klein und Ruth Wodak beschriebenen „Strategie der kalkulierten Ambivalenz“ erfassen. Gleichzeitig zeigte sich, wie wichtig eine dialogische Perspektive bei der Analyse ist: Erfolgreich ist eine paradoxe Positionierung nur, wenn sie akzeptiert wird – und diese Akzeptanz fußt maßgeblich auf bereits vorhandenen Einstellungen beim Zielpublikum. So lautet die Quintessenz meiner Arbeit: Menschen verstehen, was sie verstehen wollen, und glauben, was sie bereits glauben.
Wie war es, in Tübingen zu studieren?
Herausfordernd, zeitweise einsam, bereichernd. Herausfordernd war das Studium einerseits durch den schon erwähnten „Kulturclash“, den ich empfunden habe, andererseits aber auch durch die akademische Welt, die mich als Arbeiterkind auch nach dem Bachelor noch irritierte und manchmal verunsicherte. Meine Zeit in Tübingen empfand ich zweitweise als einsam, was wohl vor allem daran lag, dass zu Beginn meines Studiums 2022 unter dem Eindruck der Coronapandemie alle noch etwas zurückgezogener lebten, ich aufgrund des katastrophalen Wohnungsmarkts zunächst nach Tübingen pendeln musste und meine engeren Freund*innen alle weiter entfernt von mir wohnten. Letztlich waren das Studium und meine Zeit in Tübingen aber sehr bereichernd für mich, da ich nach und nach lernte, mit den verschiedenen Heraus- und Anforderungen umzugehen, tolle Menschen kennenlernen und mich selbst weiterentwickeln durfte.
Was haben Sie nach Ihrem Abschluss gemacht?
Seit Oktober 2025 bin ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim im Projekt „Strategic Common Ground Updates: How Pragmatic Inferences are Used in Public Discourse“ angestellt. Das Projekt ist als Teil des SFB 1718 „Common Ground: Cognition – Grammar – Communication“ der Universität Tübingen eine Kooperation zwischen dem IDS und der Universität Tübingen. Im Rahmen dieser Stelle werde ich eine Dissertation schreiben und promovieren.