Fabian Daldrup

Modellierungen nomadischer Subjektivität im lateinamerikanischen Roman des 20. Jahrhunderts

Grundlage meines Dissertationsprojektes ist die Interpretation des Nomadischen als Schlüsselaspekt für die Schöpfung von Subjektivität in drei Romanen der lateinamerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Die von Gilles Deleuze und Félix Guattari geprägte Vorstellung des Nomadischen als Invertierungsmöglichkeit funktionaler Systeme wird hierbei weiterentwickelt. Im Rückgriff auf Jacques Rancières „La mésentente“ wird es als das narratologische Element verstanden, das eine Erzählung eines Subjektes aus dem Subversiven von politischen, sozialen und literarischen Systemen generieren kann. Das Prinzip des unverantwortlichen Erzählens, der Grenzübertretung und Raumauflösung wird als Strategie interpretiert, durch die eine unzuverlässige Erzählung in der Negation systematischer Abläufe geschaffen werden kann. Die Abgrenzung des Subjektiven erfolgt primär über Mittel der Invertierung und der Negation, mit der eine Subjektivität des Unbeweisbaren entstehen. Die nomadische Subjektivität definiert sich hierin selbst als zum Selbstausdruck autorisiert, zur Selbstdefinition aber unfähig.
Der für das Projekt festgelegte Kanon besteht aus drei Romanen der lateinamerikanischen Literatur der 1920er Jahre. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Nation und nationalen Identitäten, die literarische Avantgarde und die Relation von Zentrum und Peripherie bedingen den kulturhistorischen Kontext der Werke. Es handelt sich um „La Vorágine“ (1924) von José Eustasio Rivera, „El juguete rabioso“ (1926) von Roberto Arlt und „Macunaíma“ (1928) von Mário de Andrade.
In „La Vorágine“ wird die Nomadische Subjektivität in der Erzählung in der konstanten Bewegung des Protagonisten vom intellektuell geprägten Zentrum der Stadt in den Raum des Urwalds, der dezidierten Kreation der Autorfiktion eines verschwindenden Erzählers und der Darstellung einer Krise von Maskulinität interpretiert.
In „El juguete rabioso“ wird die nomadische Subjektivität des Protagonisten in seiner Biographie als absolut Scheiternder im urbanen Raum untersucht. Das Nomadische liegt in dem umgekehrten sozialen Aufstieg einer Figur im europäisch-argentinischen Spannungsfeld, die im Kontrast zu einer geistigen Traumschöpfung des Selbst steht. Das Versagen als Grundsatz führt zu einer allgemeinen Prinzipienauflösung und der selbst hierin noch angelegten Dysfunktionalität eines Effekts.
 „Macunaíma“ wird als karnevaleskes Palimpsest der Nicht-Nation Brasiliens analysiert. Auch hier sind die Mobilität des Protagonisten, die Arbitrarität in der erzählten Welt und der Erzählung selbst und die Auflösung jeglicher Grenzen zwischen Realität und Mythos Grundlagen für den Nachweis einer nomadischen Subjektivität.