Uni-Tübingen

14.07.2023

Rückschau: „Wer in der Zukunft lesen will: Mit Machine Learning alte Handschriften zugänglich machen"

Was hat Künstliche Intelligenz mit Kurrentschrift zu tun?

Referentin Dorothee Huff bei der Einführung in eine KI-gestützte Transkriptionssoftware

Spannende Einblicke in die Anwendungsmöglichkeiten von KI-gestützten Handschriftenerkennung erhielten Ehemalige der Universität Tübingen und Mitglieder des Universitätsbunds in der Veranstaltung "Wer in der Zukunft lesen will: Mit Machine Learning alte Handschriften zugänglich machen", die am 13.07.2023 im Bonatzbau der Universität Tübingen stattfand.

In einer Live-Vorführung demonstrierte Dorothee Huff (Universitätsbibliothek Tübingen), welche Schritte notwendig sind, um alte Handschriften mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz zu entziffern. Zu erleben, wie aus einer beinahe unleserlichen Kurrentschrift aus dem 18. Jahrhundert ein maschinell verfasster Fließtext entsteht, beeindruckte alle Anwesenden gleichermaßen und verdeutlichte das weitreichende Anwendungsgebiet dieser neuen Technik.

Die Veranstaltung motivierte zudem die ein oder andere teilnehmende Person, nochmals in Kellern und Dachböden nach schriftlichen Schätzen zu suchen und diese selbst mittels Transkriptionssoftware in Textform zu bringen. Wir sind gespannt, welche alten Textstücke dank neuster Technik wieder zum Leben erweckt werden!

Mehrere Teilnehmende brachten spannende Dokumente mit, die zwischen 1756 und 1948 verfasst wurden. Sie finden Auszüge aus diesen, inklusive der dazugehörigen Transkription, in den nachfolgenden Abschnitten. Wir danken den Ehemaligen der Universität herzlich, dass sie ihre alten Familienschätze mit uns teilen und wünschen Ihnen viel Spaß beim digitalen Blättern!

Weitere Informationen zur Anwendung von automatischer Texterkennungssoftware an der Universität Tübingen finden Sie hier (https://uni-tuebingen.de/de/179298).


„Blumen am Wege"


Untenstehend sehen Sie einen Eintrag in ein Poesiealbum. Die Mutter der Alumna, die dieses Schriftstück einreichte, ist Jahrgang 1935 und hat selbst nur kurz Kurrent gelernt. Einige der Einträge des Poesiealbums kann sie daher nicht mehr lesen.


„Wehe, wenn sie losgelassen!"


Dieses faszinierende Schriftstück stammt von Ursula Kaiser. Mit unglaublicher Präzision schrieb ihr Urgroßvater Schillers „Lied von der Glocke“ auf den sehr spärlichen Raum einer Postkarte. Erläuternd fügt Ursula Kaiser hinzu:

„Hier sehen Sie die 1. Seite einer Postkarte von 1912 mit dem Gedicht ‚Das Lied von der Glocke‘ -  handgeschrieben von meinem Urgroßvater und adressiert an seine Tochter Emilie Hoffmann. Zugegebenermaßen könnte man das transkribierte Gedicht ohne Kenntnis des Textes schwerlich lesen. Mir ging es jedoch vor allem darum, zu erfahren, ob es wirklich möglich sei, das ‚Lied von der Glocke‘ von Hand auf eine Postkarte zu schreiben. Meine Mutter hatte uns das immer so erzählt und tatsächlich sieht es ganz danach aus, als ob das meinem Urgroßvater gelungen sei.

Seite 2 – sehr wahrscheinlich mit dem Anfang des Gedichtes, ist – noch?! – nicht lesbar.

Können Sie erkennen, welches Schreibwerkzeug der Schreiber benutzte?


„Preise werden gefordert, daß einem die Haare zu Berge stehen"


Diesen Brief ließ Ursula Kaiser anläßlich der Veranstaltung transkribieren. Über den Inhalt des Briefes schreibt sie:

„Ich habe den Brief nicht korrigiert, da ich denke, dass er auch ohne Korrektur gut zu verstehen ist. Geschrieben wurde er 1917 von meinem Urgroßvater an seine Familie, welche in Nürnberg lebte. Nähere Umstände, welchen den Aufenthalt in Oberstdorf erklären würden, sind mir nicht bekannt. Aufgefallen ist mir das wiederholt vorkommende d – es steht für das Pfennigsymbol ₰, welches früher handschriftlich verwendet wurde und bei der Transkription wahrscheinlich nicht erkannt wurde."


„Heute stellte ich alles auf den Kopf, und Gott lob ich fand die Adresse"


Auch diese Postkarte stammt von Ursula Kaiser. Sie erklärt:

„Lissy war eine Freundin meiner Großmutter. Die beiden Frauen waren über viele Jahrzehnte befreundet. Leider gibt es auf der Postkarte kein Datum und keine Adresse und somit ist es für mich nicht nachvollziehbar, wann sie geschrieben wurde. Mein Großvater zog mit seiner Familie 1937 aus beruflichen Gründen nach Tübingen. Er arbeitete dann bei Gebrüder Metz (Verlag Postkarten/Prospekte) -  vielleicht der Grund, warum sich Lissy für die schönen Postkarten bedankte…“


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