Uni-Tübingen

Schülerlabor Andere Ästhetik

Workshops zu Fragen der Ästhetik mit Schülerinnen und Schülern der Oberstufe

Süßes Nichtstun, bittere Medizin: Mittelalterliche Wortgeschichten

Oberstufenschüler aus Baden-Württemberg besuchen das Deutsche Seminar der Universität Tübingen zu einem Workshop mit Teilprojekt B3:

Was haben ‚süßes‘ Nichtstun und ‚bittere‘ Medizin miteinander zu tun? Und weshalb sprechen wir von ‚süßen‘ Worten und ‚bitteren‘ Enttäuschungen? Diesen Fragen wurde anhand des mittelalterlichen Tristan-Romans nachgegangen, der von einem Skandal handelt: vom Ehebruch Tristans mit Isolde, der Frau seines Onkels Marke! Der Autor des Romans, Gottfried von Straßburg, kleidet das anstößige Thema jedoch in eine überaus kunstvolle Sprache und Form. Zudem sind Tristan und Isolde nicht nur ein inniges Liebes-, sondern auch ein hochtalentiertes Künstlerpaar, das sein Publikum dichtend, singend und durch sein Harfenspiel in seinen Bann zieht. Im Roman wird so gleichzeitig darüber reflektiert, was eine ideale Liebesbeziehung ausmacht und wie Literatur und Musik gestaltet und rezipiert werden sollen. Zentral für die ästhetische und erotische Reflexion im Tristan ist das Konzept des Süßen und des Bitteren, dessen Bedeutung sich vom Mittelalter bis heute erheblich verändert hat. Denn der Begriff der Süße bzw. süeze, wie er in der Sprachstufe um 1200 lautet, bezieht sich im Mittelalter längst nicht nur auf den Geschmack von Nahrungsmitteln oder auf ‚Entzückendes‘ und ‚Niedliches‘.

Im Schülerlabor erkundeten wir gemeinsam die schillernde Bedeutungsvielfalt und die ästhetische Wortgeschichte von ‚Süße‘ und ‚Bitterkeit‘ und so gewannen die Schülerinnen und Schüler erste Einblicke: zum einen in das literaturwissenschaftliche Arbeiten, zum anderen aber auch in Gottfrieds Tristan und damit in einen der noch immer faszinierendsten und schönsten Romane der deutschen Literatur!

Termin: 18.02.2020, 10–18 Uhr
Veranstaltungsort: Raum 19, Brechtbau
Leitung: Marion Darilek, Prof. Dr. Annette Gerok-Reiter


Botanische Metaphern als interkulturelle ästhetische Reflexionsfiguren

Schülerinnen und Schüler des Johannes-Kepler-Gymnasium in Reutlingen erkundeten im Februar 2022 mit Teilprojekt B3 im Deutschunterricht der Kursstufe diverse botanische Metaphern und ihre ästhetische und interkulturelle Reichweite. Eingebettet wurde die Frage danach, wie und weswegen gerade botanische Metaphern häufig interkulturelle Vorstellungen vor Augen stellen, in die Einübung des materialgestützten Schreibens.

Ausgehend von Goethes West-Östlicher Divan und seinem berühmten Ginkgo biloba-Gedicht über Navid Kermanis Goethe-Rezeption und seinen Vorstellungen zur ornamentalen Kunst bis zur Goethe-Medaille-Preisträgerin Shirin Neshat und ihrer Photoserie Women of Allah mit iranischen Frauen, die mitunter ornamentale Muster zieren, wurde herausgestellt, dass Pflanzenmetaphern als ästhetische Reflexionsfiguren zwischen einem autologischen und heterologischen Gepräge, zwischen metaphorischer Artistik und interkultureller Anschaulichkeit dynamisch changieren.

Zur kritischen Diskussion gestellt wurden einerseits die manipulative und reduktionistische Stoßrichtung interkultureller Metaphern, andererseits ihre ästhetische Aufladung und Eignung zum interkulturellen Dialog. Das leitende Ziel war es, eine interkulturelle Kompetenz im Deutschunterricht unter Einbeziehung dynamischer Bildwelten und ihrer ästhetischen Reflexionsfiguren zu fördern. Hierfür eignet sich insbesondere das materialgestützte Schreiben, da es eine Vielzahl an Materialen und Quellen unterschiedlicher Couleur anbietet, um überhaupt trans- und interkulturelle Fragestellungen eröffnen zu können.

Termin: Februar 2022
Veranstaltungsort: Johannes-Kepler-Gymnasium Reutlingen
Leitung: Dr. Gabriela Wacker


Ästhetik des Ritters seit dem Mittelalter: Historische Realität, literarische Prägung, populärkulturelles Erbe

Nicht zuletzt dank seiner Allgegenwärtigkeit in der heutigen Mittelalterrezeption ist der Ritter für viele zum Inbegriff mittelalterlicher Kultur geworden. Der Workshop betrachtete den Ritter an der Schnittstelle zwischen Kunstfigur und historischer Gestalt und folgte der dazugehörigen Erzähltradition zurück zu ihren Wurzeln in der mittelalterlichen Literatur, um sie mit der historischen Realität mittelalterlichen Rittertums abzugleichen. Eine Kampfszene aus einem mittelhochdeutschen Artusroman wurde in der gemeinsamen Lektüre mit historischem Wissen über Ritter im Mittelalter kontextualisiert; anschließend konnten sich die Schülerinnen und Schüler in einer Gruppenarbeit den mittelalterlichen Figurentypus des Ritters weiter erarbeiten und ihn zu den ihnen bekannten Ritterfiguren der modernen Erzählkultur in Bezug setzen.   

Termin: 10. April 2024, 10–12 Uhr
Veranstaltungsort: Brechtbau, Raum 34
Leitung: Thalia Vollstedt


Geschichtenerzählen im Mittelalter – eine Fanfiction-Kultur? Wiederverwendungsästhetik und Fan-Community

Fanfiction kennt man heute hauptsächlich als Internet-Phänomen: Die selbstgeschriebenen Erweiterungen und Umschreibungen von beliebten Erzählungen aus Film, Fernsehen und zahlreichen anderen Medien finden am meisten Verbreitung über Online-Plattformen wie ,Archive of Our Own‘ oder ,fanfiction.net‘. Was kann ein solches Phänomen mit einer Literaturepoche zu tun haben, die nicht einmal das gedruckte Buch kannte – stattdessen allenfalls die in aufwändiger Einzelarbeit erstellte Handschrift, ansonsten aber vor allem die Mündlichkeit? Um dieser Frage nachzugehen, tauchten Schüler:innen aus ganz Baden-Württemberg im Mediävistischen Workshop des Geisteswissenschaftlichen Schüler:innenlabors Deutsch 2025 in die besondere Ästhetik eines Geschichtenerzählens ein, das schon Bekanntes nochmal neu erzählt oder an Vorhandenes anschließt, statt seine Geschichten immer ganz neu zu erfinden. Es galt zu klären, wie der Vergleich zwischen  der vormodernen Erzählkultur und einem Internet-Erzählphänomen der Gegenwart einerseits die Wahrnehmung von Fanfiction in der heutigen Kulturszene in ein neues Licht rücken kann – und was er andererseits gerade über die außergewöhnlichsten Beispiele mittelalterlicher Erzählliteratur verrät. Hat Wolfram von Eschenbach am Ende des sechsten ,Parzival‘-Buch wirklich eine neue Gönnerin gesucht oder vielleicht einfach nur um ,Reviews‘ gebuhlt? Was bedeutet es für den literaturgeschichtlich rätselhaften ,Lanzelet‘ des Ulrich von Zatzikhoven, dass die heutige Fanfiction-Community ihn wahrscheinlich als ,Fix it‘ der berüchtigten Ehebruchsgeschichte um den Ritter Lancelot und König Artusʼ Ehefrau labeln würde? Und warum würde auf ,Archive of Our Own‘ heute jeder wissen, weshalb eine gewisse Grundlangeweile im ,Rosengarten zu Worms‘ Programm gewesen sein könnte? Unter all diesen Fragen konnte eine auf jeden Fall beantwortet werden: Was Online-Fanfiction mit mittelhochdeutsche Großepik zu tun hat? Eine Menge!

Termin: 10. April 2025, 10–12 Uhr
Veranstaltungsort: Brechtbau, Raum 415
Leitung: Thalia Vollstedt