AJR-Symposium 2007: Textualität japanischer Religionen
-- Abstracts --
Jörg Quenzer: "Zur Textualität religiöser Schriften im vormodernen Japan"
Zu Beginn diskutierte Jörg B. Quenzer (Hamburg) in der Form eines Inputreferats einige Aspekte von Textualität für das religiöse Schrifttum und andere Textformen in Japan vor der Meiji-Zeit. Hierbei ist zunächst dem Ortsbezug eines Textes besondere Aufmerksamkeit zu schenken: als Ort des Gebrauchs, aber auch als Ort der Produktion, Reproduktion, Tradierung oder Legitimierung (Tempel, Klause, Schrein etc. sowie die mit diesen Orten verbundenen sozialen Verbindungen). Eine weitere Frage galt der Identität von Texten, die im religiösen Bereich, ähnlich wie in der Sphäre des Rechts, von besonderer Bedeutung ist, und deren Mißachtung – etwa beim Kopieren heiliger Schriften – drastische Folgen haben kann. Andererseits ist in der Vormoderne pragmatisch eine Variantenfreudigkeit zu beobachten, die mit der Vielzahl von Schulen und Subschulen korreliert. Identität von Texten ist somit also immer auch als Teil der Identitätsstiftung von Partikulartraditionen zu verstehen. Dem Verhältnis von Textualität zur Medialität gebührt schon deshalb ein besonderes Interesse, weil die wichtigste Trägerschaft des Druckes vor der Edo-Zeit religiöse Institutionen waren. Parallel fungierte jedoch weiterhin das Manuskript als geeignetes Mittel zur Wissenskontrolle und zur Legitimierung nicht nur in Traditionen mit Wurzeln im esoterischen Buddhismus. Hinzu kommen intermediale Wechsel vor allem des Verhältnisses Text-Bild als Teil der Aktivitäten zur Propagierung der Lehren (etwa etoki), sowie die performativen Aspekte religiöser Texte (Ritualschriften, Autographen und ähnliches). Andere Hinweise galten der Rolle von Diskurs (etwa mondô) und Gattung (Gebete, Biographie, Begründungsschriften, Kommentare u.a.) sowie der Mehrsprachigkeit, vor allem dem diglossaren Wechsel zwischen Chinesisch und Japanisch. Abschließend hob der Referent die Bedeutung der Paratexte sowohl für eine funktionale Betrachtung als auch als religions- und kulturhistorische (mentalitätsgeschichtliche) Quelle hervor.
Robert Horres: "Dōgen edieren: Ein editionswissenschaftlicher Blick auf Entstehung und Überlieferung der Kana-Shōbōgenzō-Texte"
Zunächst wurde die komplexe Überlieferungslage der Kana-Shōbōgenzō-Texte Dōgens dargestellt, bei denen die redaktionelle Zusammenstellung von den verschiedenen überlieferten Sammlungen teilweise weit über den Tod Dōgens hinaus reicht.
Vor dem Hintergrund wurden die vorliegenden Texteditionen der Kana-Shōbōgenzō-Texte im Hinblick auf Editionsphilosophie und Editionspraxis sowie die Konsequenzen für die Dōgen-Forschung diskutiert. Ziel der Dōgen-Forschung und Dōgen-Editionen war die Rekonstruktion eines Dōgen’schen „Urtextes“. Die komplexe Überlieferungssituation legt jedoch einen dynamischen Textbegriff nahe, der zum einen unterschiedliche Textstufen berücksichtigt und zum anderen die Texte im Kontext der Formation der Sōtō-Schule interpretiert.
Probleme der vorliegenden Texteditionen wurden vor allem darin gesehen, dass die konkrete Überlieferungssituation der einzelnen Überlieferungsträger (Handschriften) zugunsten der Rekonstruktion eines Dōgen’schen „Urtextes“ vernachlässigt wurde und die Bezüge zur Forschungsliteratur weitgehend fehlen. Zudem ist in den meisten Editionen nur ein Bruchteil der überlieferten Handschriften einbezogen. Insgesamt entsprechen die vorliegenden Shōbōgenzō-Texteditionen in Teilen nicht den Kriterien einer historisch-kritischen Edition. Wegen der großen Anzahl überlieferter Handschriften (über 350 Handschriften) stellt eine Einbeziehung der gesamten Überlieferung von Dōgen-Texten die traditionellen Editionstechniken vor große Probleme. Diese lassen sich gegenwärtig nur durch den Einsatz computergestützter Methoden lösen, die auch qualitativ neue Zugriffsarten ermöglichen. In dem Beitrag wurden verschiedene Lösungen des Komplexitätsproblem durch computergestützte Methoden, z.B. die „dynamischen Textedition“, diskutiert. Als Grundlage einer solchen Edition ist jedoch ein Korpus reliabler und standardisierter digitaler Texte notwendig, die jeweils nach dem einzelnen Überlieferungsträger erstellt wurden. Die philologische Erschließung des Dōgen-Kanons, insbesondere aber die Erschließung der Texte der Shōbōgenzō-Gruppe ist bei weitem nicht abgeschlossen.
Martin Repp: „Die Verschriftlichung der Religionsdispute zwischen Buddhisten und Jesuiten in Japan im 16. Jahrhundert"
Ein interessantes Phänomen in der Begegnung zwischen Europa und Japan im 16. Jh. sind die Religionsgespräche, welche die Jesuiten bewusst als Missionsmittel einsetzten. Infolge insbesondere ihrer Verschriftlichung wurden sie zu wesentlichen Stimuli für das Denken beider Religionen. Der Prozess der Verschriftlichung begann mit der Dokumentation einzelner Disputationen und entwickelte sich dann weiter in der Abfassung von eigenständigen apologetischen Schriften auf beiden Seiten. Der Zweck der Verschriftlichung war (von Seiten der Jesuiten) neben der Dokumentation die Verbreitung bzw. Mission, sowie Katechese, sowie (für beiden Seiten) die Apologetik. Christen wie Buddhisten messen der religiösen Schrift einen bestimmten Grad von Autorität bei. Die Religionsgespräche bewirkten insbesondere auch die kontinuierlichen Revisionen und wesentlichen Erweiterungen des katholischen Katechismus in Japan durch apologetische Teile, wodurch schliesslich der europäische Catechismus Romanus in einen Catechismus Iaponensis grundlegend transformiert wurde.
Auch wenn die Auseinandersetzungen zwischen Christentum und japanischen Religionen heute oft einen negativen Eindruck hinterlassen, darf man nicht übersehen, dass sie wesentliche neue Anregungen für das Denken auf beiden Seiten gaben. Deren positive Bedeutung kann man etwa an der Schaffung eines neuen genre der japanischen Literaturgeschichte verdeutlichen, der Kirishitan bungaku.
Detlev Schauwecker: "Die frühe Christenmission in Japan und die heutige Diskussion hierüber"
Die Literatur der katholischen Missionare zu ihrer frühen Japanmission stelle ich hier in den Tagungsrahmen als eine Art von – weitgehend fremdbestimmter – Vertextung der Gründungsvorgänge der japanischen christlichen Kirche. Die in Japan seinerzeit dominante Jesuitengruppe erörtert in vertraulicher Mitteilung früh Widersprüche ihrer öffentlichen Berichterstattung zum realen Geschehen; sie spiegeln uns den illustren Ordensbruderkreis dort zu.
- Widersprüche leben fort in kontroversen Darstellungen anderer Missionsorden hierzu (Franziskaner, Dominikaner).
- Einzelnes hiervon siedelt früh in die lutherisch-katholische Diskussion über;
- zu ihr treten um 1600 erste ordens-externe holländische, italienische Japanberichte.
- Im 17. und 18. Jahrhundert melden dann in Europa aufklärerisch-kritische Stimmen Zweifel an frühen Missionsberichtinhalten an.
- In unseren Tagen stimmen seit über hundert Jahren japanische Forscher in den Kanon ein, unter ihnen eine Gruppe mit historisch kritischer Methode und deutlicher Spanne zum Genre erbaulich kirchengeschichtlicher Darstellung.
- So überleben Kontroversen in verschiedenen Couleurs (1-6) in unsere Tage, ob sie nun kreisen um die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung über frühe japanische Christenwunder, über jene „königliche“ Japanergesandtschft, die aus dem ‚Morgenland’ zur Papstaudienz (1585) erschienen war, oder schlicht über die Gläubigkeit japanischer Christenfürsten.
Zwei Autorinnen bieten in unseren Tagen jeweils eine methodische Annäherung. Die eine, Claudia von Collani, weist in einem Jesuitica-Serie-Sammelband (2005) auf – zum historischen Verständnis – unerläßliche Einsicht in vertrauliche Jesuitendokumente hin und rückt damit der genannten japanischen Historikerforschung nah. Die andere, Wakakuwa Midori, gibt (2002) umgekehrt – in ihrer Kritik am bloßen Textbeleg eben der vertraulichen Quelle – den Lebensumständen der berichtenden Missionare viel Raum und kommt, während sie auf ihren nicht-christlichen Glaubenshintergrund hinweist, unversehens neben einen Pater Schütte zu sitzen, wenn er im Jesuitenarchiv in Rom die Geschichte seiner Vorväter untersuchte. – Das wechselseitige Entgegenkommen kann zur ausbalancierten ‚Textualisierung’ einer alten Kontroverse beitragen, die über die frühe japanische Christenkirche fortgeschrieben wird.
Klaus Antoni: "'Verlag der Weltreligionen' und die Neuübersetzung des Kojiki"
In dem von Suhrkamp neu aufgelegten „Verlag der Weltreligionen“ ist u. a. eine kommentierte Neuübersetzungen des japanischen Quellenwerks Kojiki durch den Referenten vorgesehen. Das Werk wird hier (im Kreise des AJR) als bekannt vorausgesetzt, es stellt sich jedoch die Frage, warum heute überhaupt eine neue Kojiki-Übersetzung vonnöten sein soll, existiert doch bereits eine Reihe von Übersetzungen, wie die erst aus dem Jahre 1976 stammende, deutsche Übersetzung durch Kinoshita Iwao, weit früher bereits durch B. H. Chamberlain, K. Florenz (Teilübersetzung), oder in neuerer Zeit durch Donald Philippi. Diese vier wichtigsten Übersetzungen zeigen bei genauerer Betrachtung jedoch erhebliche Schwachpunkte, die hier nicht weiter ausgeführt werden können. Die eine, gültige Übersetzung existiert nicht. Es erscheint somit als sinnvolles Unterfangen, das Werk einer neuen Übersetzung zu unterziehen. Hier stellt sich die Frage, welche Textausgabe(n) zugrunde gelegt werden soll(ten), bzw. dürfen. Die heute gängigen basieren mehr oder weniger auf der von Motoori Norinaga im Kojikiden besorgten Ausgabe. Norinaga hat bekanntlich den ersten umfassenden, kommentierten, mit Lesungen versehenen Text des Kojiki erstellt, seine philologische Leistung ist bis heute unumstritten. Doch beginnen mit dem Kojikiden (KD) auch die eigentlichen, textkritischen Probleme für das heutige Kojiki-Verständnis, da Norinaga diesen Text nicht zuletzt auch mit einer ideologischen Intention (re-)konstruiert hat: als Ausweis des ältesten authentischen japanischsprachigen Dokuments überhaupt. Im Zentrum seiner Überlegungen steht die Rekonstruktion des von Hieda no Are dem Oho no Yasumaro diktierten Narrativs, das für Norinaga den „Geist“ des japanischen Altertums beinhaltet, dies ein Kernpunkt des nativistischen Denkens der kokugaku.
Es ist m. E. inzwischen nicht mehr möglich, das Kojiki, wie es die bisherige Forschung axiomatisch getan hat, allein als ein Dokument des Altertums zu sehen. Vielmehr sollte die historische Rezeption des Werkes, insbesondere seit den Arbeiten Motoori Norinagas, in die Analyse gleichberechtigt Eingang finden. Es besteht Grund zu der Annahme, das Kojiki auch als einen Text der Moderne zu sehen, der erst durch den kokugaku-Nativismus seine spätere Funktion und Bedeutung erlangte. Im Zentrum steht dabei die Frage, WAS das Kojiki eigentlich ausmacht: der chinesisch verfasste Text oder das von Motoori et al. (re-)konstruierte mündliche Narrativ. Diese Fragen müssen neu an die Quelle gestellt werden, ihre Beantwortung wird grundlegend für eine kommentierte Neuübersetzung sein.