Interdependenz von Bildungspolitik und Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
In dem dritten Themenkomplex soll sich der Fokus stärker auf die zunehmend sichtbaren Interdependenzen der Bildungspolitik mit anderen politischen Handlungsfeldern richten und die Binnensystemperspektive auf Bildung erweitern (vgl. Bönker 2008, s.a. Schmid 2011). Dabei geht es vor allem um die Sozialpolitik auf der einen (Randhahn 2011) und die Arbeitsmarktpolitik auf der anderen Seite (Dingeldey 2011). Damit wird einer faktisch stattfindenden Öffnung bisher abgeschotteter Sektoralisierung und Policy-Communities Rechnung getragen und die daraus resultierenden Konkurrenzen, Komplementaritäten, Koordinations- und Lernprozesse werden in den Vordergrund gerückt. Generell ergeben sich neue Governanceformen wie auch veränderte politische Maßnahmen, die in Politikfeldern und Ländern erheblich variieren.
Formal drückt sich die zunehmende Interdependenz von Bildungspolitik und Sozial- und Arbeitsmarktpolitik folgendermaßen aus (vgl. Große Hüttmann/Hrbek/Schmid 2012); materiell und funktional verschiebt sich hierbei der Fokus von Bildung auf die Sicherung individueller Beschäftigungsfähigkeit. Dadurch gewinnt die Ausstattung der Menschen mit Human- und Sozialkapital und deren Verwertbarkeit an Bedeutung; insofern erfährt Bildung eine Erweiterung in eine kollektive Dimension, d.h. sowohl in Richtung einer Sozialintegration (Amos 2003, Thiel/Cachay 2003) wie einer Ökonomisierung (etwa Schmid 2006 und 2009). Umgekehrt bedeutet die Betonung von Bildungsaspekten für die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik eine stärkere Individualisierung der entsprechenden Programme und Maßnahmen (vgl. Schmid 2007 und 2011; Kraus 2008) sowie eine Öffnung gegenüber der Erwachsenenbildung (Schrader 2008; Garsten/Jacobsson 2003). Forschung zu diesen Aspekten greift zugleich gesellschafts- und bildungspolitische Diskussionen um Individualisierung und Ökonomisierung staatlicher Politiken auf. Das führt zu Fragen wie: Wird eine Bildungspolitik, die sich auf Arbeitsmarkt und Aktivierung bezieht, notwendigerweise in ihrer Form und ihren wesentlichen Merkmalen tangiert – ökonomisiert (im Sinne einer Ausbreitung der Prinzipien und Prioritäten des Marktes auf Felder, in denen andere Kriterien gelten sollten). Oder: Ist die Individualisierung in der Arbeitsmarktpolitik ein effiziente Strategie der Problembewältigung oder ein Mechanismus des „Blaming“, der eine Verlagerung von gesellschaftlichen Ursachen auf ein individuelles Defizit erzeugt? Damit werden die Übergänge zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik unscharf bzw. steigt die Interdependenz mit Nachbarpolitikefeldern.
Aus einer steuerungspolitischen Perspektive gewinnen in den drei Politikbereichen Evidenzbasierung und Rankings an Bedeutung gegenüber Professionen und Verbänden.
Zugleich sind je nach wohlfahrtsstaatlichen und verwaltungsmäßigen Traditionen international gesehen Unterschiede zu erwarten. Zum Beispiel sind die skandinavischen Länder erheblich geringer bürokratisiert und mit offeneren Netzwerken versehen, sodass hier eine höhere Interdependenz von Bildungs-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik auftritt. Solche Verknüpfungen und Interdependenzen lassen sich schließlich a) im Vergleich zwischen Ländern sowie b) im Vergleich zwischen Politikfeldern untersuchen und sind gesellschaftspolitisch relevant.
Beispielhafte Themenbereiche
· Bildungs- und sozialpolitische Angebote für Geringqualifizierte im europäischen Vergleich;
· Interdependenz Bildungspolitik und Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
· Determinanten und Dynamiken von Bildungs-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitiken im internationalen und nationalen Vergleich
· Interdependenzen zwischen Bildungs- und Arbeitsmarktpolitiken durch Konzepte wie vorsorgender Sozialstaat, aktivierende Wohlfahrtsstaat, etc. (Fallstudien; Vergleiche)
· Bildungsarmut als Defizit sozialer Integration und sozialpolitische Herausforderung
· Übergänge im Rahmen des Lebenslangen Lernens
Während bisher vor allem qualitative Daten genutzt wurden (Experteninterviews, Dokumentenanalysen), können zukünftige Projekte neben qualitativem Forschungsdesign auch quantitativ-vergleichend bzw. bildungssoziologisch ausgerichtet sein und mit hohen Fallzahlen und multivariaten statistischen Verfahren operieren.