Institut für Politikwissenschaft

Interessenverbände in der IT-Branche

Pressespiegel


[Aktuell: Zwischenbericht über Arbeitgeberverbände in der IT-Branche]


Die Analyse der Arbeitsbeziehungen in der IT-Industrie, die wir am Ende der Boom-Phase der sogenannten New Economy vorgenommen haben, verdeutlichte die Heterogenität von Regulationsmustern, Arbeitsstrukturen und Organisationsformen in dieser Branche. Gewerkschaften haben mit enormen Zugangsproblemen bei der Organisation dieser neuen Branchen zu kämpfen, da sie auf heterogene Interessen treffen, die nur schwer zu rekrutieren und zu mobilisieren waren, so ein zentrales Ergebnis der damaligen Untersuchungen.
Nun bietet sich - nach den Krisenerfahrungen im IT-Sektor - die Gelegenheit, diese früheren Befunde zu überprüfen und zudem in einen größeren verbändetheoretischen Kontext zu stellen. Der zentrale Untersuchungsgegenstand dieses Forschungs-projektes ist dabei die Organisationsfähigkeit von Gewerkschaften in der IT-Branche, also die Frage nach den Chancen, Mitglieder zu rekrutieren, zu mobilisieren und deren Folgebereitschaft zu sichern, um eine kollektive Interessenvertretung in dieser Branche zu etablieren.

Dabei soll auf Ergebnisse der Verbändeforschung zurückgegriffen werden, die drei zentrale Organisationsprobleme von Interessenverbänden in Form von Rekrutierungs-, Repräsentations- und Effektivitätsproblemen identifizieren konnte. Die IT-Branche stellt insofern eine neue Rahmenbedingung für Gewerkschaften dar, da sich hier alle drei Organisationsprobleme manifestieren: Aufgrund des gesellschaftlichen Wandels der Industriegesellschaft hin zur Wissensgesellschaft, der Entgrenzung von Arbeit sowie der Heterogenität von Interessenstrukturen und Regulierungsformen können hier für die Organisationsfähigkeit von Gewerkschaften sowohl Rekrutierungs-, Repräsentations- und Effektivitätsdefizite festgemacht werden.

Aufgrund dieser neuen Rahmenbedingungen leitet sich die zentrale Forschungsfrage ab, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Strategien Gewerkschaften eine kollektive Interessenvertretung der IT-Beschäftigten erreichen können. Das Ziel des Forschungsprojektes liegt dabei zum einen in der empirischen Überprüfung der Organisationsdilemmata anhand der IT-Branche, zum anderen in der theoretischen Modifikation und Erweiterung der Verbände- und Gewerkschaftsforschung, um ein Analyseraster zu erhalten, dass auch unter neuen Rahmenbedingungen greift. Auf der Grundlage dieser Analyse sollen dann Ansatzpunkte für eine Neuausrichtung gewerkschaftlicher Organisationspolitik in der IT-Branche aufgezeigt werden.

Das Analyseraster orientiert sich an drei Dimensionen, die aus den Organisations-Dilemmata abgeleitet werden: die erste Dimension untersucht die Instrumente und Ziele der Arbeitsregulation im IT-Bereich im Spannungsfeld zwischen Schutz und Gestaltung, die zweite Dimension analysiert die gewerkschaftlichen Kommunikationsmuster zwischen Dienstleistungsorientierung und Gegenmacht, und die dritte Dimension überprüft die gewerkschaftliche Organisationsstruktur im Spannungsfeld zwischen Hierarchie und netzwerkartiger Organisation. Ergänzt werden diese Untersuchungsdimensionen durch zwei dazu quer liegende Faktoren, die erheblichen Einfluss auf die Organisationsfähigkeit haben: einerseits organisationsinterne Machtspiele um die Verteilung von Ressourcen, die bei der Besetzung dieses organisationspolitischen Neulandes benötigt werden, andererseits die externe Konkurrenzsituation zu anderen Organisationen und alternativen Interessenvertretungsstrukturen wie z.B. Berufs- und Fachverbänden, die keine tarifpolitischen Funktionen ausüben und die Stabilität der verbandlichen Ordnung im System der industriellen Beziehungen insgesamt in Frage stellen.

Die empirische Analyse dieser Faktoren soll auf drei Ebenen erfolgen: auf der betrieblichen Ebene mit Betriebsräten und Gewerkschaftsaktivisten, auf der Projektebene mit der Untersuchung gewerkschaftlicher IT-Projekte und -Netzwerke, und auf der verbandlichen Ebene mit der Untersuchung der gewerkschaftlichen Organisationsstrukturen. Dementsprechend bilden qualitative, leitfadengestützte Experteninterviews mit Betriebsräten, Ehrenamtlichen, Hauptamtlichen, Projektverantwortlichen und engagierten Gewerkschaftsaktivisten das zentrale Erhebungsinstrument. Zusätzlich dazu sollen Literaturrecherchen, Dokumentenanalysen und Sekundärauswertungen von statistischem Material als weitere Informationsquellen dienen. Das Forschungsprojekt soll dabei stark rückkopplungsorientiert sein und Zwischenergebnisse an die relevanten Akteure vermitteln. Neben einem Abschlussworkshop sollen ein Expertenworkshop sowie ein Zwischenbericht erste Mile-Stones des Projektes präsentieren.

Finanzierung: pertner/hbs
Laufzeit: 15.03.03 - 14.03.05
Projektleitung: Prof. Dr. Josef Schmid
Projektbearbeitung: Raphael Menez