Institut für Kriminologie

Einmal Sexualstraftäter - immer Sexualstraftäter?

Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung einer schwierigen Klientel

Am 15. Mai 2023 fand der erste und im laufenden Semester zugleich einzige Vortrag im Rahmen des Kriminologisch-Kriminalpolitischen Arbeitskreises (KrimAK) statt. Der Titel des bemerkenswerten Abends lautete: „Einmal Sexualstraftäter – immer Sexualstraftäter? Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung einer schwierigen Klientel“. Zum Thema referierte die renommierte Psychologin Prof.in Dr.in Gunda Wössner von der Evangelischen Hochschule Freiburg – ihres Zeichens u. a. Mitglied im Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe des Europarats.

Trotz anfänglicher technischer Herausforderungen – der Computer war während einer Online-Umfrage des Publikums kurzzeitig ausgefallen – führte sie die rund 100 Zuhörerinnen und Zuhörer souverän durch die hochbrisante Thematik. Dabei war es ihr von Anfang an ein Anliegen, einige in der Öffentlichkeit herrschende Fehlvorstellungen und Missverständnisse auszuräumen.

Anhand der bereits erwähnten interaktiven Umfrage verdeutlichte sie auf eindrucksvolle Weise, dass das Rückfallrisiko von Sexualstraftätern oft überbewertet wird. Obwohl die einschlägigen Studien gewisse Einschränkungen aufweisen – nicht jeder Rückfall wird polizeilich erfasst oder in Forschungsinterviews berichtet –, liegen die referierten Studienergebnisse ausnahmslos deutlich unter der von den Anwesenden mehrheitlich geschätzten Rückfallrate von 70 %.

Gegenwärtig widmet sich die Referentin darüber hinaus der Erforschung der Rückfallkriminalität bei Kinderpornographiedelikten. Hier zeigt sich eine auffällige Diskrepanz zwischen den Ängsten in der Bevölkerung und der tatsächlichen Bedrohungslage: Dass eine wegen eines Kinderpornographiedelikts verurteilte Person mit einem sog. „hands on“-Delikt rückfällig werde, sei äußerst selten (unter 1 %). Das bedeutet, dass Personen, die wegen eines Kinderpornographiedelikts auffällig und deshalb bestraft werden, nicht auch notwendigerweise Missbrauchsdelikte begehen.

Des Weiteren räumte Gunda Wössner mit dem Missverständnis auf, dass alle Sexualdelikte ausschließlich sexuell motiviert seien. Insbesondere im sozialen Nahraum spielten auch das Streben nach Macht und Kontrolle bei der Entstehung dieser Taten eine erhebliche Rolle. Daher sollten Resozialisierungsprogramme auf die verschiedenen Tätertypen zugeschnitten sein.

Schließlich stellte die Referentin Erkenntnisse aus ihrer eigenen Forschung zur Resozialisierung von Sexualstraftätern vor und bettete sie in das vorhandene Wissen ein. Erwähnung fanden insbesondere die Ergebnisse ihrer Langzeitstudie „Resozialisierung von Sexualstraftätern in sozialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen“. Dabei wurde klar, dass es bis heute kein Patentrezept für eine erfolgreiche Resozialisierung von Sexualstraftätern gibt, obwohl das „risk-need-responsitivity“-Verfahren wertvolle Ansatzpunkte bietet. Zwar seien positive Effekte von Resozialisierungsbemühungen in sozialtherapeutischen Einrichtungen vorhanden; diese verblassten aber im Vergleich zu anderen für eine erfolgreiche Wiedereingliederung in die Gesellschaft relevanten Faktoren, wie beispielsweise der Zugang zu Arbeitsmöglichkeiten nach einer längeren Haftstrafe. Die Referentin kritisierte in diesem Zusammenhang auch die gesellschaftliche Stigmatisierung von Sexualstraftätern, die die Resozialisierung eher behindere. Dennoch bleibe die Abwägung zwischen dem Schutz der Bevölkerung vor sexueller Gewalt und der erfolgreichen Integration von Sexualstraftätern in die Gesellschaft ein schwieriger Balanceakt. Bemerkenswert waren auch weitere präsentierte Studienergebnisse, die darauf hindeuteten, dass ambulante Resozialisierungsprogramme offenbar besser geeignet sind als solche, die innerhalb der Gefängnismauern stattfinden.

In der anschließenden Diskussions- und Fragerunde stellte sich Frau Wössner im Anschluss den Fragen aus dem Plenum, die hauptsächlich geschlechtsspezifische Aspekte sexualisierter Gewalt und den genauen Ablauf eines Resozialisierungsprogramms für Sexualstraftäter betrafen.

Die bedeutendste Erkenntnis dieses Abends war zweifelsohne, dass wissenschaftliche Aufklärung und Forschung dazu beitragen können, Vorurteile gegenüber Sexualstraftätern abzubauen. Anstatt selbige zu dämonisieren, seien realistische Risikobewertungen und zielgerichtete Resozialisierungsmaßnahmen wesentlich vielversprechender.

Apropos Dämonen: Statt eines weiteren KrimAK findet im laufenden Semester jeden Dienstag um 18 Uhr c.t. im Kupferbau die Ringvorlesung „Zum Teufel“. Die Inkarnation des Bösen aus interdisziplinärer Sicht statt. Diese wird von Prof. Dr. Wulf und Prof. Dr. Kinzig vom Institut für Kriminologie organisiert.

Florian Rebmann