Institut für Kriminologie

Broken Web Phänomen – Haben wir eine digitale Unrechtskultur?

Vortrag von Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger beim KrimAK

Nach einjähriger pandemiebedingter Pause wurde am 3.5.2021 der Kriminologisch-Kriminalpolitische Arbeitskreis (KrimAK) mit einem fulminanten Online-Vortrag von Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger, Cyberkriminologe an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg, fortgesetzt. Der Referent ist ausgewiesener Experte auf den Gebieten Cyberkriminologie, Cybercrime, digitale Polizeiarbeit und digitaler Kinderschutz.

In seinem Vortrag vor etwa 50 Zuhörenden widmete sich Rüdiger zunächst der Nutzung verschiedener Kommunikationsmedien im Internet wie etwa soziale Netzwerke, Onlinespiele und Foren. Diese bezeichnete er als „digitalen Straßenverkehr“, der von einer sichtbaren Normalität des Normbruchs gekennzeichnet sei. Rüdiger verdeutlichte dies an Beispielen wie etwa massenhaften Phishing-E-Mails, sexuellen Annäherungsversuchen gegenüber Kindern und Jugendlichen oder einer Beleidigungs(un)kultur in Diskussionen. Die öffentliche Sichtbarkeit einer Vielzahl von Straftaten im Internet führe zu einer verminderten Normakzeptanz, da die Präventivwirkung des Nichtwissens verlorengehe, was Rüdiger in Anlehnung an die von Kelling und Wilson geprägte Broken-Windows-Theorie als Broken-Web-Phänomen bezeichnete.

In diesem Zusammenhang warnte der Referent davor, dass infolge einer bei vielen Menschen gering ausgeprägten Medienkompetenz kriminelles Verhalten von den Opfern nicht mehr als strafbare Handlung bewertet werde. Dies könne auch Auswirkungen auf die Normakzeptanz und Hemmschwelle im physischen Leben haben.

Um die aufgezeigte Problematik zu lösen, forderte Rüdiger eine deutliche Verstärkung der Polizeiarbeit im Internet. Diese sei jedoch in der Praxis aufgrund des in Deutschland geltenden Legalitätsprinzips nur schwer umsetzbar, da die Vielzahl sichtbarer Straftaten im Internet zu einer „Selbstlähmung der Polizei“ führe und ein gezieltes Vorgehen bei der Kriminalitätsbekämpfung behindere. Gleichzeitig sei die Anzeigebereitschaft aufgrund der sichtbaren Normalität des Normbruchs nur gering ausgeprägt, was niedrige Hellfeldzahlen und damit fehlende Anreize für eine Verlagerung der Polizeiarbeit in das Internet zur Folge habe.

Rüdiger zog daraus das Fazit, dass das Dunkelfeld durch eine höhere digitale Polizeipräsenz aufgehellt werden müsse. Dies führe langfristig zu einem Anstieg der Normakzeptanz und der Anzeigebereitschaft im Internet, sodass der Umfang des Dunkelfeldes verringert werden könne. Hierzu bedürfe es einer Debatte über die Einführung eines Opportunitätsprinzips bei digitalen Straftaten.

In der anschließenden Fragerunde wurde unter anderem diskutiert, inwieweit eine Verbesserung der Medienkompetenz der Bevölkerung, etwa im Rahmen der Schulbildung, dazu beitragen kann, die Normakzeptanz im Internet zu steigern und dadurch das Dunkelfeld der Cyberkriminalität zu reduzieren.

Im nächsten Vortrag des KrimAK wird Prof. Dr. Rüdiger Wulf (Tübingen) am 7.6.2021 um 19.15 Uhr zum Thema „Kann denn Spielen Sünde sein? Multidisziplinäre Aspekte des Glücksspiels“ referieren.