Institut für Kriminologie

Kinderpornographie als Massendelikt – eine neue Normalität?

Vortrag von Dr. Julia Bussweiler im Rahmen des Kriminologisch-Kriminalpolitischen Arbeitskreises

Am 22.1.2024 hielt Frau Dr. Julia Bussweiler im Rahmen des Kriminologisch-Kriminalpolitischen Arbeitskreises (KrimAK) im gut gefüllten Hörsaal 9 der Neuen Aula einen Vortrag zum Thema „Kinderpornographie als Massendelikt – eine neue Normalität?“. Frau Bussweiler ist Staatsanwältin bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main und arbeitet dort in der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität.

Zu Beginn begründete die Referentin die Wahl ihres Titels mit dem enormen Anstieg der Fälle von Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte (§ 184b StGB) in den letzten Jahren. Die PKS weise insoweit im Jahr 2021 eine Zunahme der Fälle von Kinderpornographie um 108% im Vergleich zum Vorjahr aus.

Kinderpornographie sei heute ein Delikt, das nahezu ausschließlich im Internet stattfinde; die Verbreitung analoger Bilder sei die absolute Ausnahme. Ob per eMail, durch sogenannte Tauschbörsen, Messenger-Apps oder das sog. Darknet: das Internet biete vielfältige Möglichkeiten, kinderpornographisches Material zu erlangen und mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten.

Zu den Konsumenten gehörten nicht nur „Kernpädophile“, sondern auch „normale“ Pornographiekonsumenten, die nach dem nächsten „Kick“ suchten. Minderjährige (sogenannte Schulhoftäter) stellten darüber hinaus immerhin rund 1/3 der Tatverdächtigen.

Kaum ein anderer Straftatbestand sei in den vergangenen Jahren so oft geändert und angepasst worden wie § 184b StGB. Während noch im Jahr 1973 lediglich die Herstellung und Verbreitung solcher Inhalte strafbar und mit einer Höchststrafe (!) von nur einem Jahr bewehrt gewesen seien, stehe seit dem Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt aus dem Jahr 2021 schon auf den bloßen Besitz derartiger Materialien eine Mindestfreiheitsstrafe (!) von einem Jahr. Zudem sei der Begriff des kinderpornographischen Inhalts in § 184b StGB sukzessive ausgeweitet worden. Mittlerweile unterscheide die Norm zwischen echten, wirklichkeitsnahen (täuschend echten, aber am Computer generierten) und fiktiven (gezeichneten/comicartigen) Darstellungen von Kinderpornographie.

Als weitere Erscheinungsformen von Kinderpornographiedelikten nannte Frau Bussweiler das sogenannte „Cybergrooming“ sowie das „Sexting“.

Beim „Cybergrooming“ versuchten die Täter durch ihre Kontaktaufnahme Kinder und Jugendliche dazu zu bewegen, beispielsweise vor einer Webcam sexuelle Handlungen vorzunehmen oder sich sogar auf ein Treffen mit der fremden Person einzulassen. Aufzeichnungen solcher Handlungen würden im Internet rege verbreitet.
Anders verhalte es sich beim „Sexting“: Hier präsentierten sich die Kinder eigeninitiativ auf sexuelle Art, um damit Likes oder Clicks zu erhalten („Sexting macht berühmt“). Ein weiteres Phänomen sei die sogenannte „humoristische Kinderpornographie“. Diese werde vor allem von Kindern und Jugendlichen geteilt, die entsprechende Darstellungen als „lustig“ empfänden.

Daraufhin stellte die Referentin eine der wichtigsten Erkenntnisquellen der Strafverfolgungsbehörden vor: das National Center for Missing & Exploited Children (NCMEC). Das NCMEC übermittle im Fall des Verdachts von Kinderpornographie in standardisierter Art die IP-Adresse, den Zeitstempel und das Material an die deutschen Ermittlungsbehörden.
Wenn die Ermittlungen eingeleitet würden, sei insbesondere die IP-Adresse ein vielversprechender Ermittlungsansatz. Sei diese bekannt, gelinge die Aufklärung in 41% der Fälle. Frau Bussweiler betonte, wie hilfreich eine Vorratsdatenspeicherung wäre: Stünden den Ermittlern 26 Tage Zeit für eine Bestandsabfrage bei den Providern zur Verfügung (statt aktuell etwa sieben Tagen), so würde dies laut einer Statistik des BKA in 90,2% der Fälle zu einem Ermittlungserfolg führen. Sei keine IP-Adresse mehr gespeichert, könne die Mailadresse oder die Telefonnummer der nächste Ansatzpunkt sein. Bei Telefonnummern bestehe eine Trefferquote von 28% und bei Mailadressen eine Quote von 6%. Weiterhin werde mittels des sog. Hash-Verfahren überprüft, ob die kinderpornographischen Inhalte schon bekannt seien. Frau Bussweiler betonte allerdings, dass all diese Ermittlungsansätze keine Erfolgsgarantie darstellten.

Im Anschluss an die Darstellung der Erfolgsaussichten bei den Meldungen des NCMEC führte Frau Bussweiler in die Welt der „Darknet-Foren“ ein. Im Darknet sei die Strafverfolgung mit ganz anderen ermittlungspraktischen Hindernissen konfrontiert. Dabei ging die Referentin im Zuge ihres Vortrags auf unterschiedliche Darknet-Foren ein, etwa das Forum „Elysium“, gegen das sie selbst ermittelt habe. Dabei bot sie einzigartige Einblicke in die Kommunikationsstruktur solcher Foren. Auf diesen Plattformen finde ein sozialer Austausch unter pädophilen Tätern statt, wie er ohne das Internet kaum denkbar sei.

Zum Abschluss wies Frau Bussweiler erneut auf die wichtigsten Gründe für die steigenden Fallzahlen hin. Zum einen ermögliche die Digitalisierung den Austausch unter Gleichgesinnten, was die Täter in ihrem Tun häufig bestärke. Zum anderen bestehe bei vielen Minderjährigen eine fehlende Medienkompetenz. Außerdem kritisierte sie die unzureichenden Therapienagebote für Pädophile.

In der anschließenden Fragerunde bekräftigte Frau Bussweiler insbesondere, dass sie die Rücknahme der Strafschärfung in § 184b StGB, die das Bundesjustizministerium aktuell plant, befürworte. Dadurch könne verhindert werden, dass etwa Lehrer, die eher zufällig und zum Teil aus achtenswerten Gründen mit kinderpornographischen Inhalten in Kontakt gerieten, bestraft würden.