Gewalt im Jugendstrafvollzug – Ein Forschungsbericht
Vortrag von Prof. Dr. iur. Frank Neubacher M.A. im Rahmen des Kriminologisch-Kriminalpolitischen Arbeitskreises
Der Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität zu Köln, Herr Prof. Dr. iur. Frank Neubacher M.A., hielt am 6. Mai 2019 vor rund 80 Interessierten im Hörsaal 9 der Neuen Aula einen Vortrag über zwei von ihm geleitete Forschungsprojekte zum Thema „Gewalt im Jugendstrafvollzug“.
Neubacher, der sowohl Jura als auch Politikwissenschaft studiert hat, stellte in seinem Vortrag nicht nur die Arbeitsweise, den Verlauf und die zentralen Ergebnisse der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Untersuchungen vor, sondern sprach auch über seine in dieser Zeit gemachten persönlichen Erfahrungen, wobei er immer wieder kritisch Stellung bezog.
Anlass für die breit angelegte empirische Studie habe der brutale Foltermord an einem Gefangenen in der Jugendvollzugsanstalt Siegburg im Jahre 2006 gegeben, der durch Mitgefangene verübt worden war. In diesem Zusammenhang habe Neubacher eine Forschungslücke im Bereich der Gewalt im Jugendstrafvollzug identifiziert, zu deren Schließung die als Dunkelfeldstudien angelegten Untersuchungen einen Beitrag leisten sollten.
Ziel der Projekte war somit die Erforschung von Ursachen und Ausprägungen der Gewalt im Jugendstrafvollzug.
Insgesamt füllten 882 männliche Gefangene in nordrhein-westfälischen und thüringischen Justizvollzugsanstalten zu vier Messzeitpunkten innerhalb eines Jahres Fragebögen zum Thema Gewalt aus. Insgesamt 269 weibliche Gefangene wurden sogar bundesweit zu sechs Messzeitpunkten befragt. Die Befragungen fanden im Intervall von drei Monaten statt. Außerdem wurden Gefangenenpersonalakten ausgewertet und problemzentrierte Interviews mit männlichen und weiblichen Gefangenen geführt.
Darüber hinaus wurde zu Vergleichszwecken eine Kontrollgruppe aus Bewährungsprobanden, Studierenden und Schülern interviewt.
Zur Vorbereitung der Untersuchung waren vor den eigentlichen Befragungen Informationsgespräche in den Justizvollzugsanstalten erforderlich. Darauf führte Neubacher in erster Linie die hohe Zahl teilnehmender Personen zurück, die sich im Laufe des Projekts nicht wie erwartet verringert, sondern sogar eine steigende Tendenz aufgewiesen habe.
Die abgefragten Gewalterlebnisse der Gefangenen bezogen sich immer auf die Gewalt unter Gefangenen im Zeitraum der letzten drei Monate. Fast immer, so Neubacher, hätten die Befragten zumindest von einem Gewalterlebnis berichtet. Dabei seien Täter- und Opfererfahrungen häufig austauschbar und die Häufigkeit erfahrener oder verübter sexueller Gewalt auffallend gering gewesen.
Oft sei die berichtete Gewalt nicht physischer, sondern psychischer Natur gewesen. Aus dem Abgleich der Untersuchungsergebnisse mit Daten zu angezeigter Gewalt im Jugendstrafvollzug schloss Neubacher auf ein großes Dunkelfeld. Unterschiede zwischen dem männlichen und weiblichen Jugendstrafvollzug hätten sich vor allem im Bereich der körperlichen Gewalt ergeben. Über diese hätten häufiger männliche Befragte berichtet.
Zusammenfassend wies Neubacher auf die Alltäglichkeit von Gewalt im Jugendstrafvollzug hin. Für ihn habe die Untersuchung ein Bild der Gewalt ergeben, die gewissermaßen „in den Mauern“ der Anstalten stecke. Entsprechend herrsche dort ein Klima der Akzeptanz von Gewalt und der positiven Einstellungen zur Subkultur. Die Unterschiede zwischen männlichem und weiblichem Jugendstrafvollzug im Bereich der körperlichen Gewalt ergäben sich hauptsächlich daraus, dass die weiblichen Gefangenen in deutlich kleineren Einheiten untergebracht seien, was auch das Klima zwischen Gefangenen und Bediensteten positiv beeinflusse.
Vor dem Hintergrund seiner Ergebnisse sprach sich Neubacher für eine Ausweitung der Strategie der Haftvermeidung aus. Auch seien soziales Lernen, die gerechte Reaktion auf Verhalten der Gefangenen und die Schaffung eines positiven Gemeinschaftsklimas wichtige Elemente der Gewaltvermeidung, auf die bisher nicht ausreichend Wert gelegt werde. Kritik äußerte Neubacher in diesem Zusammenhang an der politischen Leitung des Strafvollzugs. Trotz der in den Strafvollzugsgesetzen der Länder normierten Aufgabe des Vollzugs, die Gefangenen zu einem Leben ohne Straftaten zu befähigen, erschöpften sich Bemühungen zur Verringerung von Gewalt im Jugendstrafvollzug regelmäßig in der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen.
Im Anschluss an seinen Vortrag beantwortete Neubacher zahlreiche Fragen der überaus interessierten Zuhörerschaft. So stellte er insbesondere dar, wie Gefangenen bei der Ausfüllung der Bögen in sprachlicher Hinsicht geholfen worden sei und welche Unterschiede seine Ergebnisse zu denen im Erwachsenenvollzug aufwiesen.