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10.11.2025
Synergy Grant des Europäischen Forschungsrats für anwendungsnahes Projekt in der Medizin
Tübinger Forschende wollen chronische Lebererkrankungen und Leberkrebs mithilfe der RNA-Editierung auf völlig neue Weise behandeln
Leberkrankheiten sind weltweit auf dem Vormarsch. Die bisher unzureichenden Therapiemöglichkeiten will ein Forschungsteam unter der Leitung von Professor Thorsten Stafforst und Professor Mathias Heikenwälder vom Exzellenzcluster „Image-guided and Functionally Instructed Tumor Therapies“ (iFIT) der Universität Tübingen sowie Professor Erez Levanon von der Bar-Ilan-Universität in Israel in einem neuen Projekt „HepaModulatoR“ erweitern. Mithilfe der RNA-Editierung, einem gentechnischen Verfahren, wollen sie präzise, sichere und personalisierte Therapien gegen Fettleber, Entzündung und Leberkrebs entwickeln. Dafür haben sie einen Synergy Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) eingeworben, der mit einer Projektförderung von zehn Millionen Euro über einen Zeitraum von sechs Jahren verbunden ist.
Mit den Synergy Grants fördert der Europäische Forschungsrat Verbundprojekte, die aufgrund ihrer Komplexität von mehreren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und ihren Gruppen bearbeitet werden, um zu Durchbrüchen zu gelangen, die in Einzelprojekten nicht erreicht werden könnten.
Umkehrbare Veränderung der Erbinformation
Die Leber gilt als Stoffwechselzentrum des Körpers und besitzt die Fähigkeit, sich selbst zu regenerieren. Doch wenn sie aus dem Gleichgewicht gerät, sind die Folgen verheerend: Millionen von Menschen weltweit leiden unter Fettleber, Virusinfektionen oder anderen chronischen Schäden, die bis hin zu Leberkrebs führen können. Leberkrebs ist heute die vierthäufigste Krebstodesursache – und die Heilungschancen sind noch immer gering. Im Projekt HepaModulatoR will das Forschungsteam mithilfe modernster RNA-Technologien Lebererkrankungen sozusagen an ihrer molekularen Wurzel packen. Während sogenannte Gen-Scheren die DNA, also den stabilen Träger der Erbinformationen, dauerhaft verändern, nutzt die RNA-Editierung einen sanfteren Ansatz. Die Erbinformation der DNA wird in der Zelle regulär in die Zwischenstufe RNA umgeschrieben, nach deren Anleitung Proteine hergestellt werden. Die Veränderung der RNA bei der korrigierenden Editierung bleibt vorübergehend.
„Wir wollen Leberzellen dabei unterstützen, sich selbst zu helfen“, sagt Mathias Heikenwälder, wissenschaftlicher Direktor am M3 Forschungszentrum der Medizinischen Fakultät Tübingen und ausgewiesener Experte für Leberentzündungen. „Wenn wir Krankheitsprozesse frühzeitig und präzise steuern können, schaffen wir völlig neue Möglichkeiten in der Behandlung chronischer Lebererkrankungen.“ Thorsten Stafforst vom Institut für Biochemie der Universität Tübingen und Gründungsmitglied des Tübinger Zentrums für Gen- und RNA-Therapie betont: „Unsere Vision ist es, RNA-Medikamente zu entwickeln, die sich flexibel an verschiedene Krankheitsstadien anpassen lassen. Wir kombinieren molekulare Präzision mit medizinischer Praxisnähe – das ist einzigartig in Europa.“ Die Tübinger Forschenden und Erez Levanon arbeiten an dem gemeinsamen Ziel, neue RNA-Medikamente zu entwickeln, die Leberzellen in verschiedenen Krankheitsstadien neu programmieren – vom gestörten Stoffwechsel bis zum Tumorwachstum.
Drei Ansatzpunkte gegen Lebererkrankungen
Das Forschungsteam verfolgt drei Schwerpunkte. In der Frühphase soll der Leberstoffwechsel stabilisiert werden, damit sich Fette und Zucker nicht schädlich ansammeln. In mittleren Stadien will man chronische Entzündungen bremsen, um Lebergewebe zu schützen, und in späten Stadien, wenn Krebs entsteht, soll das Immunsystem aktiviert werden, um Tumorzellen gezielt zu vernichten. Diese Kombination aus Prävention, Regulation und Immunaktivierung könnte völlig neue Therapiepfade eröffnen – gerade für Patientinnen und Patienten, bei denen herkömmliche Behandlungen versagen.
Spitzenforschung aus Tübingen
Der iFIT Exzellenzcluster, dem beide Tübinger Forscher angehören, ist Deutschlands einziger onkologischer Exzellenzcluster, der sich vollständig der Krebsforschung widmet. Diese Umgebung bietet eine herausragende Infrastruktur und fördert die enge Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen. Das Labor von Heikenwälder bringt jahrzehntelange Erfahrung mit Modellen für Leberentzündung und Krebs ein, während das Team von Stafforst als internationaler Pionier der RNA-Editierung gilt. Er hat auf diesem Gebiet auch die Biotech-Start-up-Firma AIRNA gegründet, in der die Verfahren der RNA-Editierung translational in die klinische Anwendung übertragen werden. Gemeinsam bündeln Stafforst und Heikenwälder ihre Kompetenzen, um den Leberstoffwechsel und das Immunsystem in verschiedenen Krankheitsstadien gezielt zu modulieren.
Langfristig soll das Projekt HepaModulatoR über die konkrete Forschung an Lebererkrankungen hinaus auch zeigen, dass RNA-basierte Medizin ein Werkzeug für viele Krankheiten sein kann – sicher, flexibel und auf den einzelnen Menschen zugeschnitten. „Wir stehen erst am Anfang“, sagt Heikenwälder. „Aber wenn wir verstehen, wie man die Sprache der Zellen auf RNA-Ebene richtig interpretiert und verändert, dann ist das nicht weniger als ein Paradigmenwechsel in der Medizin.“
Nach einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Tübingen/JE, Hochschulkommunikation
Weitere Informationen:
Das Projekt „Modulation of Liver Metabolism/Inflammation at Different Disease Stages by Leveraging ADAR-based RNA Editing“ (HepaModulatoR) wird mit einem Synergy Grant des Europäischen Forschungsrats von 2026 bis 2032 mit rund zehn Millionen Euro gefördert.
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