Japanologie

AJR-Symposium 2011: Religion und Ästhetik in Japan

 

-- Abstracts --

 

Karin Moser von Filseck: "Ch'an und Ôbaku-Zen im künstlerischen Dialog"

In meinem Vortrag geht es um den künstlerischen Dialog zwischen chinesischem Ch’an-Buddhismus und japanischem Ôbaku-Zen – in der Person des Ch’an-Zen-Mönchs Ingen Ryûki, zwischen dem chinesischen Abt eines japanischen Zen-Klosters und einem japanischen Maler der Kanô-Schule und zwischen chinesischer und japanischer Landschafts- bzw. Naturmalerei. Ich zeige drei originale japanische Bildrollen aus dem 17. Jahrhundert: zuerst ein Gemeinschaftswerk von Kanô Tan’yu (1602-1674) und Ingen Ryûki (chin. Name: Yinyuan Longqi, 1592-1673), des ersten Abtes des Manpukuji in Uji: ein Rundbild von Tan’yu mit der Darstellung der Göttin Kannon (Kuanyin) auf dem Meer zwischen Felsen, Bambus und Bergen mit einer Kalligraphie von Ingen im oberen Bildfeld der Rolle, datiert auf das Jahr 1658; danach das ichigyôsho von Kôsen Shôton (Ôbaku Kôsen, chin. Name: Gaoquan Xingdun1633-1695), dem ebenfalls chinesisch­stämmigen fünften Abt des Manpukuji, aus dem späten 17. Jh., und zuletzt eine Rolle des jüngeren Bruders von Kanô Tan’yu, Kanô Naonobu (1607-1650), mit der Darstellung eines Eisvogels auf einem verwelkenden Lotusblatt aus der späten ersten Hälfte des 17. Jhs.

Ingen Ryûki und Kôsen Shôton stammten aus demselben Tempel auf dem Huangbo-shanin der chinesischen Provinz Fujian, der nach eben diesem Berg benannt wurde und bereits 631 gegründet worden war. Dessen bedeutendster Abt während der T’ang-Zeit (gest. um 850) war der ebenso nach dem Berg benannte Huang-bo Xi-yun, jap. Ôbaku Kiun. Er gehörte dem Lin-ji (Rinzai-Zen) an. Kôsen war Schüler von Ingen, der 1654 nach Japan (Nagasaki) reiste und 1663 den Manpukuji (Ôbakusan Manpukuji = chines. Huangboshan Wanfusi) eröffnete. Kôsen erhielt 1661, im Jahr des Bau­beginns, eine Einladung von Ingen nach Japan. 1692 wurde er der fünfte Abt des Manpukuji.

Das Rollbild von Ingen und Tan’yu mit der Darstellung der Kannon (Kuanyin) auf dem Meer ist genau in das Jahr datiert, in dem Ingen vom Shôgun in Edo die Erlaubnis erhalten hatte, ein Kloster zu gründen. So erscheint es denkbar, dass das Bild in diesem Zusammenhang entstanden sein könnte und sozusagen einen Dank an die – übers Meer, so wie Ingen selbst, von China nach Japan kommende – Göttin Kuanyin-Kannon abstattete.

Es ist wohl kein Zufall, dass Tan’yu für sein Kannon-Bild die Kreisform wählte. Neben der Erscheinung der Welt, abendländisch gesprochen der imago mundi, die mit der Kreisform alles umfasst, das „Ganze“ von Bergen und Meer, Himmel und Erde, yin und yang, ist der Kreis (jap. ensô) auch ein bedeutendes zen-budhistisches Symbol.

Tan’yu war ein bedeutender Kenner und Sammler chinesischer Malerei, die er häufig als Vorbild für seine eigene Kunst wählte. Ingen hatte in China vor allem die Kalligraphien von Dong Qichang (japan. Tô Kishô, 1555-1636) studiert. An Ingen orientierten sich nachfolgend auch andere Ôbaku-Kalligraphen – bis heute. 

Die besondere Ästhetik des Ôbaku-Kalligraphiestils erkennen wir auch in dem als zweite Rolle vorgeführten ichigyôsho von Kôsen Shôton (Ôbaku Kôsen) mit den ausdrucksvollen fünf Schriftzeichen hô kai hukumu shin getsu.

Die dritte Rolle, durch die ein Triptychon gebildet wird, der Eisvogel auf dem Lotusblatt von Kanô Naonobu, ist kein oder zumindest nicht primär ein religiöses Bild. Durch den Lotus liegt allerdings die Verbindung zum Buddha – und zum Bodhisattva (Kannon-Kuanyin) – nicht allzu fern. Das Bild von Naonobu lässt sich – parallel zur reinen augenblicksverhafteten Naturszenerie – somit vielleicht auf einer tieferen Ebene auch buddhistisch interpretieren: Die Schönheit liegt im Augenblick, eben in diesem Augenblick. Alles ist vergänglich, so wie das Lotusblatt und das Zielen des Eisvogels. 

 

Martin Repp: "Die Entwicklung der Kunst des Amida Buddhismus im Übergang von der Heian- zur Kamakura-Zeit: Am Beispiel der Darstellung des raigô (raikô)-zu"

Ein wichtiges Bildmotiv der Kunst des japanischen Reinen Land Buddhismus ist die Darstellung Amida Buddhas, wie er einen Gläubigen in der Todesstunde empfängt und ins Reine Land geleitet, das sog. raigô(raikô)-zu. Dieses Motiv stammt aus dem Kontemplations-Sutra (Kanmuryôju-kyô), dessen Beschreibung des Reinen Landes und der Hingeburt im Kangyô mandarabildlich dargestellt wurde. Aus der Szene der Hingeburt dieses Mandalas entwickelte sich in der Heian Zeit ein selbstständiges Genre der bildlichen Darstellung von Amidas Empfang (raigô-zu). Während Amida Buddha in diesen frühen Darstellungen statisch hinter einem Berg hervorgehend dargestellt wird, der das Diesseits und Jenseits trennt, entwickelt sich in der Kamakura-Zeit eine dynamische Darstellungsweise, in der Amida mit seinem Gefolge den Berg überquert und nach rechts unten in Richtung einer Hütte schwebt, in der der Sterbende liegt. Während in der Heian-zeitlichen Darstellung die metaphysische Dimension Amidas vorherrscht, tritt im späteren raigô-zu das Diesseits mehr in den Vordergrund. Diese bildlichen Veränderungen ereignen sich parallel erstens zur Entwicklung der Lehre des Reinen Landes von Genshins Ôjôyô-shû zu Hônens Senchaku-shû, und zweitens zu entsprechenden Verlagerungen des zeitgenössischen religiösen Lebensgefühls von der Heian- zur Kamakura-Periode.

 

Yoshida Shin: "Christliches Ritual in 16. und 17. Jh. in Japan: Inkulturationsprozess des Taufritus bei japanischen Christen"

Ästhetik ist untrennbar mit Religion verbunden. Sie zeigt sich in verschiedenen medialen Formen, z. B. in Kunstwerken, Ritualen und Zeremonien. Im Vergleich zur evangelischen Kirche handelt es sich bei der Ästhetik in der römisch-katholischen Kirche um ein Sakrament (verbum visibile) neben der Wortverkündigung (verbum audibile). Römisch-Katholische Missionare im 16. und 17. Jh. waren auch in Japan tätig, sowohl um zu predigen, als auch um Heilsmittel durchzuführen.  
Die Taufe, welche das Eingangstor zum Christsein ist, war eines der wichtigsten Rituale für japanische Christen. Um der Mission in Japan willen gab es damals ein eigenes Verständnis des Taufritus, bzw. eine Sonderregelung der Taufe. Infolge­dessen konnte sich das Christentum schnell und weit in Japan ausbreiten. Für die ersten Christen in Japan war die Taufe als Initiations- und Reinigungsritus von großer Bedeutung. Dabei spielte die anerkannte Sonderregelung der Taufe eine bedeutende Rolle. Die Taufe war ein Kommunikationsmittel unter Laien und für die nachfolgenden Generationen. Für die verborgenen Christen war sie ebenso wichtig. Die Taufe war für sie kein privates Ritual, sondern vielmehr ein sehr wichtiger Akt für die heimliche christliche Gemeinde. Entscheidend ist für sie: Durch diesen Ritus überlieferten sie ihre religiöse Identität von Generation zu Generation. Das Taufritual, welches im 16. und 17. Jh. von westlichen Missionaren gelehrt wurde, wurde in Japan verändert und unter historischen Bedingungen auf japanischem Boden inkulturiert. Sie war nicht nur Heilsmittel, sondern das Medium, mit dessen Hilfe sich Menschen ihre Identität und Zugehörigkeit bewahren konnten.

[Link zum Volltext in den BAJR: <https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/handle/10900/47039>]

 

Elisabetta Porcu: "Tariki as a Source of Inspiration in Modern Japanese Art and Aesthetics"

The paper I presented at the 2011 Symposium of the Arbeitskreis Japanische Religionen in Tübingen was based on Chapter 3 of my book Pure Land Buddhism in Modern Japanese Culture (Brill 2008). In my presentation I have explored the role played by Pure Land Buddhism in the field of visual arts and aesthetics. In particular, I have focused on two influential and famous Japanese figures, the woodblock artist Munakata Shikō 棟方志功 (1903-1975) and Yanagi Muneyoshi, better known as Yanagi Sōetsu 柳宗悦 (1889-1961) who was the founder and leading exponent of the mingei 民藝 (folk crafts) movement and an art critic. In this context, I have taken into account a central concept in Pure Land Buddhism and in Jōdo Shinshū 浄土真宗, tariki 他力 (other-power in English), as an inspirational creative force. 

In the case of Munakata and Yanagi I have spoken of ‘tariki art’ and ‘tariki aesthetics’ to indicate their conception of the work of art and their personal attitude towards art, in which the role of other-power acquires a great relevance. We have seen how, according to Munakata, the work of art arises from within itself, and that the conscious efforts of the artists do not have any significant role. Yanagi’s later aesthetic conception is formulated on the basis of the Fourth Vow of Amida Buddha, as found in one of the essential texts of the Pure Land tradition, the Larger Sukhāvatīvyūha Sūtra (Daimuryōju-kyō 大無量寿経). In Yanagi’s conception of art, the Shin Buddhist notion of other-power plays a role similar to that found in Munakata. In fact, it is the acceptance of this religious power, and its “blessing,” that allows for the creation of folk craft objects which, according to Yanagi, are expressions of “true beauty.” These are considered by him “ordinary,” but “wondrous” works that are representative of mingei art. 

The examples presented in this paper provide further evidence to counter misrepresentations of Japanese art, aesthetics and culture made for the ‘West,’ where they have been very often promoted—by certain Japanese and non-Japanese intellectuals—as an exclusive product of Zen Buddhism.

 

Katja Triplett: "'Pilgerfahrt visuell. Hängerollen in der religiösen Alltagspraxis Japans' - Bericht von einer Sonderausstellung in der Religionskundlichen Sammlung Marburg"

Die Sonderausstellung in der 1927 gegründeten Marburger Religionskundlichen Sammlung stellte vom 24. November 2009 bis 28. Juni 2011 in den Räumen der Landgräflichen Kanzlei das Medium der Hängerolle in der religiösen Gegen­wartskultur Japans mit zahlreichen Beispielen vor. Ziel der Ausstellung war es, einen Eindruck von der bis heute außerordentlich beliebten Praxis des Pilgerns als Ausdruck der Hingabe an buddhistische Gottheiten und Lehrmeister zu geben. Gezeigt wurden Gegenstände aus den Beständen der Religionskundlichen Sammlung, darunter neben diversen Rollbildern ein kürzlich erworbenes modernes Pilgergewand. Darüber hinaus präsentiert die Ausstellung Objekte wie Pilgerkarten und Votivtafeln, die der Marburger Religionswissenschaftler Michael Pye während seiner langjährigen Forschungsarbeit in Japan gesammelt hat.

Hängerollen zieren in Japan nicht nur Privathaushalte, sondern sind seit Jahrhunderten ein alltägliches Medium der Vermittlung religiöser Motive und Texte auch in öffentlichen Räumen. Man findet sie in buddhistischen Tempeln, Shintō-Schreinen und Einrichtungen anderer japanischer Religionen. Die häufig prachtvoll eingefassten Malereien und Drucke feiern die Jahreszeiten, erinnern an zentrale Gegebenheiten in der Geschichte einer religiösen Tradition oder preisen das Leben eines Religionsgründers.

Neben der wichtigen Funktion der Vermittlung kultureller und religiöser Werte, können Hängerollen auch das individuelle Verdienst eines Pilgers visuell veranschaulichen, wenn nämlich die betreffende Rolle mit begehrten Siegeln und Kalligraphien der einzelnen Stationen einer Pilgerreise versehen ist. Die auf diese Weise besiegelte Hängerolle ist der Beweis einer erfolgreich durchgeführten Pilgerfahrt auf einer der traditionellen – teilweise seit einem Jahrtausend bestehenden – Routen. Diese Routen führen die Pilger zu dreiunddreißig oder gar achtundachtzig verschiedenen buddhistischen Tempeln in oft recht abgelegenen Regionen des japanischen Inselreichs.

Die Sonderausstellung wanderte in Teilen nach Düsseldorf und war dort vom 30. September bis 21. Oktober 2010 im Ekô-Haus der japanischen Kultur zu sehen.

 

Birgit Staemmler: "Online Reaktionen neuer Religionen auf das Erdbeben im März 2011"

Aus gegebenem Anlass habe ich im Kontext meines Forschungsschwerpunktes „Internet und Religionen in Japan“ untersucht, ob und wie japanische Neue Religionen online auf die Katastrophe vom März reagieren.

An drei Terminen – 14.3., 25.3. und 22.4. – untersuchte ich gut 40 Neue Religionen, von denen sechs keine eigene offizielle Website unterhalten und weitere vier auch sechs Wochen nach dem Erdbeben nicht online auf die Katastrophe reagiert hatten, was als Hinweis auf die geringe Bedeutung einer online Selbstdarstellung dieser Religionen gewertet werden muss – eine Folgerung, die durch Inhalt und Gestaltung der Website insgesamt bestätigt wird – und keine Aussage über die tatsächlichen Reaktionen nach dem Unglück zulässt.

Viele Website enthielten kurze Beileidsbekundungen mit dem Wunsch nach baldiger Besserung, die oft einfach an prominenter Stelle auf die Startseite gestellt wurden. Manche sind etwas länger, aber inhaltlich sehr ähnlich. Viele Neue Religionen, deren Sites solche Bekundungen enthalten, stellten diese relativ früh nach dem Erdbeben ins Netz, manche ergänzten sie seither durch weitere Informationen. Auch diese kurzen Stellungnahmen sagen nichts über die tatsächlichen Aktivitäten einer Neuen Religion aus. Ausführliche Darstellung der Reaktionen auf die Katastrophe finden sich meist auf japanischen Versionen von Websites, die ohnehin sehr aktuell und gehaltvoll sind. Manche Neue Religionen scheinen jede einzelne Hilfeleistung online zu dokumenierten, einige wenige richteten zusätzliche Websites oder Blogs zum Thema ein.

Die Inhalte der Reaktionen unterschieden sich dabei sehr und lassen sich klassifizieren in a) Beileidsbekundungen, b) Spendenaufrufe, c) Sammeln von Informationen über Mitglieder in den betroffenen Gebieten, d) Informationen über Aktionsbüros und aktive praktische Hilfe, e) Einladungen zu Gebeten für die Verstorbenen und f) Sonstiges, z.B. Yoga-Übungen zum Stärken der Abwehrkräfte gegen radioaktive Strahlung oder Erörterungen über das Für und Wider von Kernkraft. 

Es läßt sich festhalten, dass viele Neue Religionen direkt von dem Unglück betroffen sind und durch ihre gute Infrastruktur und ihre persönlichen Kontakte in der betroffenen Region recht effektiv Hilfsaktionen organisieren können. Auch ihre Spendenaufrufe waren sicher sehr erfolgreich, weil Spenden und Dienst am Nächsten zentrale Elemente vieler Neuer Religionen sind. Zweitens sind online Reaktionen und Hilfsaktionen natürlich – erstere mehr, letztere weniger – auch eine Form der Werbung und Missionierung, aber in den meisten Fällen scheinen die Betroffenheit und der Wunsch zu helfen durchaus ehrlich zu sein. Drittens läßt die online Reaktion in erster Linie auf die Bedeutung der online Selbstdarstellung einer Religion schließen und hat oft wenig Aussagekraft über ihre tatsächliche Reaktion auf das Erdbeben.