Alte Geschichte

Das Tübinger Lykien-Projekt

Ländliche Siedlungen

Im Verlauf der Feldforschungen wurden im Yavu-Bergland 74 ländliche Siedlungen entdeckt, die als kleine Bauerndörferbzw. Weiler zu interpretieren sind. Sie stehen in der Siedlungshierarchie zwischen dem Poliszentrum sowie den Komenzentren einerseits und den Einzelgehöften unterschiedlicher Größe andererseits. Sie gehören den Epochen von der klassischen bis in die byzantinische Zeit an. Als Terminus für diesen Siedlungstypus kann man das griechische chorion benutzen, auch wenn dieser Begriff erst seit der frühbyzantinischen Zeit als Bezeichnung für kleine Ortschaften und Weiler bezeugt ist.

Die ländlichen Siedlungen lassen sich grob in zwei Typen klassifizieren: Konglomeratsiedlungen (o.) und Streusiedlungen (u.). Konglomeratsiedlungen sind sehr kompakt auf der verteidigungsfähigen, felsigen Kuppe eines Hügels und teilweise auch an seinen terrassierten Hängen gruppiert. Eine Streusiedlung dagegen besteht aus deutlich voneinander getrennten Gebäuden, die oft um einen älteren Kernbau - meist eine Turmgehöft - herum errichtet werden. Es kommen allerdings auch Streusiedlungen vor, die ohne ältere Vorgängerbauten entstanden zu sein scheinen. Am Fuß der Siedlungshänge befindet sich fast immer eine ackerbaufähige Ebene. Die Siedlungsplätze enthalten außer Wohngebäuden meist auch Wirtschaftsanlagen, gelegentlich Grabanlagen, Kultstätten wie Tempel oder Altäre, in byzantinischer Zeit mindestens eine bis drei Kapellen. Die Einordnung der Siedlungen in die Siedlungshierarchie, d.h. in die politische, wirtschaftliche und soziale Struktur der jeweiligen Polis, konnte durch die systematische Aufnahme und Bearbeitung einer großen Anzahl solcher Siedlungen unter allen diesen Aspekten relativ zuverlässig rekonstruiert werden. Die Untersuchung der wirtschaftlichen Einrichtungen wie Pressanlagen, die in kleinen Siedlungen zahlreich vertreten sind (u. l.), erlaubten Rückschlüsse auf die Besitz- und Bewirtschaftungsverhältnisse, die Art und Weise der Landnutzung und die Kriterien für die Wahl der Siedlungsplätze.

Außer den typologischen Ergebnissen, die sowohlfür Siedlungen als auch für Gebäude gewonnen werden konnten, wurde die chronologische Entwicklung der Siedlungsstruktur im gesamten Territorium herausgearbeitet und ebenso die siedlungs-morphologischen und demographischen Gegebenheiten und Veränderungen berücksichtigt.

Es ergab sich dabei eine Aufteilung der ländlichen Siedlungen nach Epochen (u. r.). Ab der hellenistischen Zeit sehen wir eine Entwicklung bzw. eine Änderung sowohl hinsichtlich der Typologie,der topographischen Situation als auch der Zahl der ländlichen Siedlungsplätze. Festzuhalten ist unter anderem eine starke Zunahme der Siedlungen ab der Kaiserzeit. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung in dieser Epoche erlangten die Siedlungsareale ihr größtes Ausmaß und ihre dichteste Besiedlung. Während die bebauten Flächen in den klassischen bis kaiserzeitlichen Siedlungen zwischen 0,5 und 1,0 Hektar variieren, erreichen sie in der spätantik-byzantinischen Epoche bis zu 3,5 Hektar. Dabei ist manchmal eine relative hohe Anzahl von Haushaltungen zu beobachten. Auch das Vorkommen von dreischiffigen Kirchen mit basilikalem Charakter und reichhaltigem Bauschmuck macht deutlich, dass einige ländliche Siedlungen mit ihrem durch Landwirtschaft erzielten Reichtum sogar eine zentrale kultische Funktion für ihr Umland übernahmen.


Literatur:

  1. A. Thomsen, Die ländlichen Siedlungen in: F. Kolb (Hg.), Lykische Studien 1 (Asia Minor Studien 9), Bonn 1993, 39-51
  2. I. Akyel, The Settlement on Cuma Tepesi, ebenda 53-55
  3. A. Thomsen, Ländliche Siedlungen im Umland von Kyaneai, in: F. Kolb (Hg.), Lykische Studien 2 (Asia Minor Studien 18), Bonn 1995, 57-68
  4. A. Thomsen, Ländliche Siedlungen in: F. Kolb (Hg.), Lykische Studien 3 (Asia Minor Studien 24), Bonn 1996, 71-82
  5. A. Sanli, Ländliche Siedlungen in: F. Kolb (Hg.), Lykische Studien 4 (Asia Minor Studien 29), Bonn 1998, 55-69
  6. A. Sanli, Ländliche Siedlungen in: F. Kolb (Hg.). Lykische Studien 5 (Asia Minor Studien 41), Bonn 2000, 41-57
  7. A. Sanli, Ländliche Siedlungen in: F. Kolb (Hg.), Lykische Studien 6 (Asia Minor Studien 48), Bonn 2003, 45-65
  8. A. Sanli, Kleine ländliche Siedlungen auf dem Gebiet von Kyaneai in: F. Kolb (Hg.), Chora und Polis (im Druck)
  9. Aysun Sanli-Erler, Bauern in der Polis: ländliche Siedlungen und agrarische Wirtschaftsformen im zentrallykischen Yavu-Bergland (Tübinger Althistorische Studien 1), Bonn 2006