Uni-Tübingen

Teilprojekt G02: Geistliche Frauengemeinschaften im 15. und 16. Jahrhundert: Ordnungsvorstellungen und Bedrohungskommunikation in Reform und Reformation

Abstract

Das Projekt untersucht geistliche Frauengemeinschaften in Südwestdeutschland im 15. und 16. Jh., die durch Reformen bzw. die Reformation mit einer massiven Bedrohung ihrer inneren Ordnung konfrontiert waren. Untersucht werden zum einen württembergische Dominikanerinnengemeinschaften, die in geschlossener Klausur lebten, wodurch sich eine starke Differenzierung ihrer Kommunikation in Innen- und Außenkontakte und eine merklich eingeschränkte eigene Handlungsfähigkeit ergab; zum anderen eine Gruppe von Frauengemeinschaften in Südwestdeutschland, die als Säkularkanonissen (Stiftsdamen) kaum an die Klausur gebunden waren, wodurch sich fließende Übergänge zwischen ihrer Innen- und Außenkommunikation ergaben und die Frauen in erheblich höherem Maße in der Außenwelt direkt handeln konnten. Im Mittelpunkt des Projekts wird die Frage stehen, wie die Frauen selbst mit der Bedrohungssituation umgingen: über welche Kommunikationswege sie von der Bedrohung erfuhren bzw. wie sie diese diagnostizierten, wie sie sich über die Bedrohung austauschten, untereinander und mit ihrer Umwelt, und wie sie vor diesem Hintergrund ihre eigene innere Ordnung reflektierten und welches Selbstverständnis ihrer jeweiligen Ordnung daraus resultiert. Schließlich wird gefragt, wie sich die Gemeinschaften unter den neuen Bedingungen dauerhaft einrichteten, wie sich auch anhand der Reflexion über Bedrohungen und entsprechende Bewältigungspraxen ein re-ordering gestaltete, nachdem im Gefolge einer Reform von außen neue Personen mit veränderten Ordnungsvorstellungen in ihre Gruppe eingedrungen waren, ein katholischer Konvent in einer protestantisch gewordenen Umgebung z.B. von der geistlichen Betreuung durch katholische Priester abgeschnitten war oder eine Reform neue Bedingungen für die innere Ordnung hergestellt hatte.

Projektteam

Projektleitung:

Prof. Dr. Sigrid Hirbodian

Mitarbeiter/innen:

Agnes Schormann

Tabea Scheible

Hilfskräfte:

Julius Jansen

Nadine Schnepf

Fachgebiete und Arbeitsrichtung

Geschichtswissenschaft - Mittelalterliche Geschichte - Frühneuzeitliche Geschichte

Projektbeschreibung

Stand der Forschung

Die Forschung zu geistlichen Frauen wurde seit den 90er Jahren u. a. durch die Frage nach der Agency, der Fähigkeit, Veränderung in der Welt zu bewirken, sozial- und gendergeschichtlich erweitert, etwa mit der Forderung, die rationale innere Handlungslogik der Akteure stärker zu beachten. Des Weiteren müssen nach neuerer Erkenntnis der Netzwerktheorie geistliche Frauengemeinschaften als „Kommunikationszentren“ gelten, was sich in den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Handlungsmöglichkeiten der Frauen im re-ordering Prozess unter der Bedrohung von Reform und Reformation widerspiegelt. Dabei ist, auch aufgrund der weiterhin wirkmächtigen Schranke zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit, eine systematisch vergleichende Untersuchung der geistlichen Frauengemeinschaften unter sozial- und gendergeschichtlicher Perspektive ein Desiderat.

Fragestellung und Ziele

Das TP vergleicht systematisch in landesgeschichtlicher Methode („Klosterlandschaft“) und mit Fragestellungen der Genderstudies die von den württembergischen Dominikanerinnen und den süddeutschen Kanonissen wahrgenommene Bedrohung der etablierten inneren Ordnung. Sowohl die subjektive Sinnhaftigkeit ihres Handelns als auch die strukturellen und diskursiven Voraussetzungen der Umgebung werden erforscht, um die Bedrohungsdiagnosen, Ordnungsreflexion und Bewältigungspraktiken im 15. und 16. Jh. zu analysieren.

Planung des TP

Das TP gliedert sich dazu in zwei Teiluntersuchungen. Teiluntersuchung 1 (TU1) befasst sich mit der Bedrohungssituation der württembergischen Dominikanerinnen, einer stark klausurierten geistlichen Lebensform: Für die Nonnen stellte die landesherrliche, zwangsweise Einführung der Observanz eine Bedrohung ihrer bisherigen Lebensordnung und der religiösen Sinngebung ihrer Existenz dar, dies wurde verschärft durch die Reformation und den folgenden Auflösungsbefehl. Teiluntersuchung 2 (TU2) arbeitet komplementär mit Bedrohungssituationen unklausurierter süddeutscher Frauenstifte. Jene waren in protestantischen Gebieten durch das grundsätzliche Infragestellen klosterähnlicher Lebensformen, im katholischen Raum durch das Tridentinum mit Reformforderungen konfrontiert. Beide Teiluntersuchungen verpflichten sich der landesgeschichtlichen Methode. Die Analyse erfolgt so über die relativ gute württembergische Quellenlage mittels Klosterchroniken und Reformberichten (TU1) bzw. Stiftstatuten, Korrespondenz und Berichten (TU2).

Beitrag zum SFB 923

Das Teilprojekt stärkt den Faktor Genderforschung im SFB. Es schafft zu dem mit seinen klar abgrenzbaren Räumen von Kloster (klausuriert) bzw. Stift (nicht-klausuriert) und deren unterschiedlichen Durchlässigkeiten zwischen Innen und Außen eine Art „Laborsituation“, die es erlaubt, Reflexivität, Kommunikationsweisen und-medien besonders präzise zu analysieren. Die aktuell intensiv diskutierte Reformproblematik soll erstmals systematisch in einer Region vergleichend für Dominikanerinnen und Kanonissen erforscht werden und zwar für das 15. Jh. wie für das Reformationszeitalter – womit die in diesem speziellen Untersuchungsfeld immer noch erstaunlich wirkmächtige Schranke zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit systematisch überschritten werden soll.

Die zwei Studien zusammen ermöglichen einen präzise vergleichenden Blick auf die Wechselwirkungen zwischen Bedrohungsdiagnosen, Ordnungsreflexionen, Bewältigungspraktiken und Mobilisierungsstrategien in unterschiedlichen, nach außen hin mehr oder weniger stark abgeschlossen geistlichen Frauengemeinschaften, die Handlungsmöglichkeiten geistlicher Frauen im Spätmittelalter und die sozialgeschichtliche Verortung spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Klosterreformen.

TU1: Württembergische Dominikanerinnen in Reform und Reformation

In der zweiten Hälfte des 15. Jh. wurden in zahlreichen Städten und Territorien durch die weltlichen Autoritäten die den Reformdiskurs der Zeit dominierenden Observanten mit der Reform von Dominikanerinnenklöstern beauftragt. Stadträte und Landesherren demonstrierten damit ihre Absicht, die Nonnen zu einer vermeintlich frommeren Lebensweise anzuhalten, damit deren Gebet für Stadt und Land vor Gott wirkmächtiger werde. Zugleich gelang ihnen auf diese Weise ein direkterer Zugriff auf die Klöster und deren Vermögen, womit sie ihre Zielsetzung eines städtischen oder landesherrlichen Kirchenregiments verfolgten. Aus Sicht der zu reformierenden Frauenklöster bedeutete dies, dass durch einen Reformbeauftragten des Ordens eine Gruppe von Nonnen aus einem bereits observanten Kloster in ihren Konvent gebracht wurde, aus deren Kreis dann die Führungspositionen besetzt werden sollten. Diese sog. „Reformschwestern“ sollten, unterstützt durch den als Beichtvater fungierenden Reformbeauftragten, durch eigenes Beispiel und durch Disziplinierungsmaßnahmen, den „alten“ Konvent zu einem Leben nach den Regeln der Observanz anleiten. In den meisten Klöstern kam es seitens der „alten“ Konventsmitglieder zu erheblichem Widerstand.

Vor einer noch viel grundsätzlicheren Bedrohung standen die Frauenkonvente, denen nach der Einführung der Reformation die weltliche Obrigkeit befahl, ihre Klöster zu verlassen und in ein Leben in der Welt zurückzukehren. Insbesondere die observant gewordenen Frauenklöster weigerten sich in vielen Fällen, diesem Befehl nachzukommen, häufig mit dem Erfolg, dass sie in ihren Klöstern bleiben durften, aber keine Novizinnen mehr aufnehmen durften, also „aussterben“ sollten. Diese katholischen Klöster in protestantischer Umgebung sahen sich mit einem hohen Maß an Bedrohung ihrer bisherigen Ordnung konfrontiert, zunächst mit dem Auflösungsbefehl selbst, dann aber auch z.B. dadurch, dass katholische Priestern nicht mehr die geistliche Betreuung der Nonnen erlaubt wurde. Die Teiluntersuchung nimmt diese Vorgänge in den Dominikanerinnenklöstern der Grafschaft Württemberg in den Blick und fragt vornehmlich nach der Bedrohungsdiagnose durch die Konventsmitglieder, die Reflexion über die Identität der bisherigen Ordnung und das re-ordering nach den krisenhaften Veränderungen.

TU2: Süddeutsche Frauenstifte im 15. und 16. Jahrhundert

Frauenstifte standen spätestens seit der hochmittelalterlichen Kirchenreform in der Kritik, praktizierten sie doch weder eine strenge aktive und passive Klausur noch eine ausgeprägte Form der vita communis, vor allem aber legten sie keine ewige Profess ab, weswegen sie unter Umständen ihr Stift auch wieder verlassen konnten. Diese sehr alte und traditionsreiche Lebensweise, die im Spätmittelalter vor allem adligen Frauen offenstand, widersprach spätestens seit der Bulle Periculoso (1298) den kirchenrechtlichen Vorschriften. Daher waren die geistlichen Frauen nicht nur immer wieder mit Reformforderungen konfrontiert, in vielen Fällen führten diese sog. Reformen zu einer gänzlichen Umwandlung der Frauenstifte in Klöster oder klosterähnliche Gemeinschaften. Das bedeutete für die Stiftsdamen eine grundlegende Änderung ihrer religiösen Lebensweise, die vor allem ihre Außenkontakte merklich einschränkten und sie (und ihre Familie) zu einer grundsätzlichen Festlegung auf ein geistliches Leben zwangen. Insbesondere im 15. Jh. führten die Reformdiskurse auf den großen Konzilien und in den Bettelorden zu einer massiven Bedrohung der kanonikalen Lebensweise für Frauen. Dennoch gelang es einigen Frauengemeinschaften, ihre stiftische Lebensweise beizubehalten, sogar im Gefolge der Reformation. In den katholischen Gebieten waren sie den Reformforderungen im Gefolge des Tridentinums ausgesetzt, in den protestantischen Gebieten der grundsätzlichen Infragestellung klösterlicher und klosterähnlicher Lebensformen. Anders als die Dominikanerinnen sind Frauenstifte im Süden des Reiches nicht zu mehreren in einem Territorium anzutreffen, ihre vergleichende Untersuchung erfordert daher einen erheblich größeren räumlichen Zuschnitt. Die wichtigste Quellengruppe für die Reflexion der inneren Ordnung stellen die Stiftstatuten und die sie begleitenden Akten dar. Diese Statuten wurden in einem intensiven Aushandlungsprozess zwischen den Kanonissen, ihren Familien und den geistlichen Mächten im Umfeld der Stifte (Bischof, Konzil, Kurie usw.) erarbeitet, in ihnen bzw. im Umfeld ihres Entstehungsprozesses wurden konkurrierende Ordnungsvorstellungen reflektiert und diskutiert. Die Bedrohungsdiagnose und die Mobilisierung werden in Briefen, Reformberichten, aber auch in Aktenüberlieferung zu Fehdehandlungen, Äbtissinnenwahlen sowie den Reichstagsakten sichtbar.

Projektbezogene Vorträge und Publikationen

  • 29./30.10.2015: „Geistliche Frauengemeinschaften im 15. und 16. Jahrhundert: Ordnungsvorstellungen und Bedrohungskommunikation in Reform und Reformation. Projektvorstellung“. Workshop „Frauenklöster am südlichen Oberrhein“, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.B.
  • 10/2015: Vortrag Sigrid Hirbodian, Tabea Scheible, Agnes Schormann: „Geistliche Frauengemeinschaften im 15. und 16. Jahrhundert: Ordnungsvorstellungen und Bedrohungskommunikation in Reform und Reformation. Projektvorstellung“. Workshop „Frauenklöster am südlichen Oberrhein“, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.B.
  • Publikation: Agnes Schormann, Auf Spurensuche: „und sol uns fürbas verbotten sein alle gotlich dienst“, in: Momente 4/2015, S. 10-12.
  • Publikation: Tabea Scheible, Las monjas de la Orden de Santo Domingo en Alemania del Sur bajo la amenaza de reformas en los siglos XV y XVI, in: Tagungsband des Congreso Internacional de Jóvenes Medievalistas, UNAM, México (15.-18. März 2016). (im Publikationsprozess)

Vorträge von Gastwissenschaftlerinnen:

  • 01/2016: Vortrag im Kolloquium von Sigrid Hirbodian: Alison Beach (Ohio), Women among the apostles. Rethinking gendered narratives of the Hirsau Reform.
  • 11/2017 Vortrag im Kolloquium von Sigrid Hirbodian: Christina Lutter (Wien), Stadt und Klosterlandschaft. Zur Verflechtung sozialer Räume im spätmittelalterlichen Wien.

Tagungen, Workshops, Konferenzen

  • In Planung: 05/2019: Abschlusstagung G02: Die Reformation und geistliche Frauengemeinschaften, Tübingen
  • 06/2018: Workshop „Gemeinschaftsvorstellungen und Gemeinschaftspraxis. Mendikanten und ihre Netzwerke im städtischen und ländlichen Raum“, SFB 923 (G02) und Heidelberger Akademie der Wissenschaften.
  • 06/2018: Workshop: Social Order and Network Analysis in Historical Perspective, mit PhD Kathryne Beebe (University of Texas) und Prof. Dr. Christina Lutter (Universität Wien), Tübingen.
  • 05/2018: Workshop „Ordnungsdiskurse in Frauenstiften: Statuten“, Tübingen.
  • 04/2017: Workshop „Ordnungsdiskurs in Frauenklöstern: Chroniken und Selbstzeugnisse“, Tübingen.
  • 02/2016: Workshop „Threatened Orders in the Twelfth-Century: Monastic Reform as a Traumatic Process“, mit PhD Alison I. Beach (Ohio State University), Tübingen.
  • 04. Februar 2016: Workshop: „Threatened Orders in the Twelfth-Century: Monastic Reform as a Traumatic Process“ mit Alison Beach (Ohio State University), Tübingen.

Müller, Agnes

  • Online Publikation: Stiftsstatuten, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde Sammelbandbeitrag: „Frauenstifte und ihre Kanoniker“ Rezension zu Dietmar Schiersner: Räume und Identitäten Auf Spurensuche: „und sol uns fürbas verbotten sein alle gotlich dienst“, in: Momente 4/2015, S. 10-12.

Scheible, Tabea