Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Sebastian Schuol

Dissertationsprojekt

Epigenetik und Verantwortung

Die postgenomische Erweiterung des Genbegriffs und ihre Folgen für den Präventionsdiskurs zum Metabolischen Syndrom
Das Dissertationsprojekt widmet sich der Ethik der Epigenetik. Spätestens mit dem Abschluss des Humangenom-Projekts hat sich die Perspektive auf die DNA als Träger der Erbinformationen verschoben. Während man vorher von der Vormacht der Basensequenz ausging und die übrigen Faktoren entsprechend relativierte, deckt die daran anschließende postgenomische Forschung die zentrale Bedeutung der genregulativen „Zellmaschinerie“ auf. Die Epigenetik weist auf eine ökologische Dimension des Gens hin, da die genregulativen Strukturen auf der DNS im Umweltbezug ausgebildet werden. Brisant ist, dass diese für die Entwicklung entscheidenden Metainformationen teilweise sogar vererbt werden können. Aufgrund der epigenetischen Kontextbezüge ist die ontologische Einheit der Vererbung - das Gen - in einem prozessual erweiterten Sinne zu verstehen. Ein Umdenken zeichnet sich ab.

Eine vorangehende Arbeit untersuchte die Folgen der Epigenetik für die Evolutionstheorie. Anschließend daran wendet sich diese Arbeit der Lebenswelt zu. Für das einzelne Leben und das seiner unmittelbaren Nachkommen sind epigenetische Modifikationen von fundamentaler Bedeutung. Wie der aktuelle Diskurs zur Verursachung von Lebensstilerkrankungen wie dem Metabolischen Syndrom zeigt, ist das interaktiv im Umweltbezug ausgebildete Genaktivitätsmuster für die Gesundheit von entscheidender Bedeutung. Die Erwerbung der Genaktivität wird aber von bisherigen, sich auf die Basensequenz konzentrierenden, Genbegriffen nicht berücksichtigt; zwischen aktiven und inaktiven Genen wird selten differenziert. Dem um die komplexe Genregulation erweiterten Genbegriff galt es daher bei Zeiten Rechnung zu tragen. Die Folgen dieses Perspektivenwechsels wurden in dieser Arbeit erfasst.

Die Epigenetik lässt bestehende Themen der Ethik der Genetik im neuen Licht erscheinen. Ihre Argumente gegen den Gendeterminismus sprechen gegen einen Genfatalismus. Mit dem Wissen um die genregulative Wirkung der Lebensführung geraten Alltagshandlungen in die begriffliche Nähe von Biotechniken. Sollte die lebensstilgeleitete „Umprogrammierung“ der Genregulation möglich sein, stellte der dadurch definierte Aktivitätsrahmen einen neuen Problembereich dar. Die erweiterte Handlungsfähigkeit erforderte eine Diskussion der Verantwortungsreichweite. Angesichts individueller Handlungsgrenzen sowie der kollektiv geprägten Umwelt ist die aktuelle reformpolitische Fokussierung im Gesundheitswesen auf die Eigenverantwortung zurückzuweisen. Die Verantwortungsdebatte der Epigenetik hat sowohl eine individuelle, soziale als auch politische Dimension und diese sind zu berücksichtigen.

Zur Person

Studium der Philosophie (Magister) und Molekulargenetik in Erlangen und Tübingen. 2009 Magister an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen mit einer wissenschaftstheoretischen Arbeit zu den Folgen der Epigenetik für die Evolutionstheorie. Diese wurde mit dem EvE-Förderpreis für Evolutionsbiologie der Volkswagen-Stiftung prämiert. Von September 2009 bis August 2012 DFG-Stipendiat und Mitglied des Graduiertenkolleg Bioethik am IZEW. Das Dissertationsprojekts wird von Prof. Dr. Eve-Marie Engels und Prof. Dr. Thomas Potthast betreut.

Wissenschaftliche Pulikationen

  1. Der Stand des öffentlichen Diskurses zur Epigenetik. In: Heil, R., König, H., Robienski, J. (Hg.) Klausurwoche Epigenetik – Ethische, rechtliche und soziale Aspekte (Arbeitstitel) 2014 (zus. mit S. Seitz).
  2. Widerlegt die Epigenetik den Gendeterminismus? Es kommt darauf an ... In: Heil, R., König, H., Robienski, J. (Hg.) Klausurwoche Epigenetik – Ethische, rechtliche und soziale Aspekte (Arbeitstitel) 2014.
  3. Lebensstil als Biotechnik? Die postgenomische Erweiterung des Genbegriffes durch die Epigenetik und ihre bioethischen Konsequenzen. In: Ranisch, R., Rockoff, M., Schuol, S. (Hg.): Die Selbstgestaltung des Menschen durch Biotechniken, Francke, Tübingen 2014.
  4. Über die unzweckmäßige Rede von evolutionären Zwecken. In: Spindler, M., Dietrich, J., Ehni, H.-J. (Hg.): Diskurs Biogerontologie: Ethische Implikationen der neuen Biologie des Alterns, Springer, Wiesbaden 2014.
  5. Kritik der Eigenverantwortung: Die Epigenetik im öffentlichen Präventionsdiskurs zum Metabolischen Syndrom. In: Lux, V., Richter, T. (Hg.): Vererbt, codiert, übertragen: Kulturen der Epigenetik, De Gruyter, Berlin 2014.
  6. Neurorobotik. In: Gröschner, R., Kapust, A., Lembcke, O. W. (Hg.): Wörterbuch der Würde. Wilhelm Fink, München 2013 (zus. mit L. Schumacher).

Herausgeberschaft

Die Selbstgestaltung des Menschen durch Biotechniken. Francke, Tübingen 2014 (zus. mit R. Ranisch, M. Rockoff).

Öffentliche Vorträge

  1. 2013 Widerlegt die Epigenetik den Gendeterminismus? (Klausurwoche: Epigenetik, ITAS/Karlsruhe)
  2. 2013 Eigenverantwortung im Präventionsdiskurs (Klausurwoche: Epigenetik, ITAS/Karlsruhe)
  3. 2013 Ethische Konsequenzen eines erweiterten Genbegriffs (Ergebnisworkshop: GK Bioethik, Tübingen)
  4. 2012 Mehr Eigenverantwortung? (Workshop: Kulturelle Faktoren der Vererbung III, ZfL/Berlin) 2012 Evolutionäre Alternstheorien (Videovortrag: Onlinestudiengang Biogerontologie, Stuttgart)
  5. 2010 Gentests (Vortrag/Moderation der Sektion Gentests: Jugendparlament Bioethik, Tübingen)
  6. 2009 Hat die Epigenetik Folgen für die Evolutionstheorie (Symposion: Volkswagen-Stiftung, Vehlen)

Kontakt

sebastian.schuolspam prevention@izew.uni-tuebingen.de